Achte Fortsetzung

Im Sommer 1865 hatten Bebel und Liebknecht sich kennen gelernt. Im September desselben Jahres erklärte sich der Verband der deutschen Arbeitervereine, in dessen Ausschuss Bebel saß, auf seiner Jahresversammlung zu Stuttgart für das allgemeine Stimmrecht. Im Mai 1866 sagte sich jener Ausschuss und mit ihm die Majorität der Vereine von der Fortschrittspartei und von Schulze-Delitzsch los. Im August des gleichen Jahres wurde unter Bebels wesentlicher Mitwirkung auf einer Landesversammlung der sächsischen Arbeiter zu Chemnitz ein partikularistisch-volksparteiliches Programm vereinbart, auf welches hin Bebel in den konstituierenden Reichstag gelangte. Noch ein Jahr später und auf dem Verbandstage der deutschen Arbeitervereine, der im Oktober 1867 zu Gera stattfand, wurde Bebel in heftigem Wahlkampfe gegen Max Hirsch, den bekannten Anhänger Schulzes, zum Vorsitzenden des Ausschusses erwählt. Das sind in Kürze die ersten Etappen, auf denen der internationale Kommunismus sich in die deutsche Arbeiterwelt einnistete. Liebknecht stand äußerlich noch immer außerhalb der Agitation; in den politischen Vordergrund trat er einigermaßen, als er auf das Chemnitzer Programm hin mit 4.296 Stimmen vom sächsischen Wahlkreise Stolberg in den ersten norddeutschen Reichstag gewählt wurde; Bebel wurde wiederum von Glauchau mit 5.256 Stimmen erkoren.

Das waren, Alles in Allem, schon recht hübsche Erfolge, aber Liebknecht blieb vorsichtig genug, seine kommunistischen Herzensgeheimnisse vorläufig im innersten Schrein seines Busens zu bewahren. Im Reichstage debütierte er als deutscher Patriot, dem die Zerfleischung Deutschlands, die Neutralisierung Luxemburgs, die projektierte Abtretung der nordschleswigschen Distrikte das fühlende Herz zerriss. „ Seit Ihrer glorreichen Neugestaltung," rief er, „reißt das Ausland Stück um Stück vom deutschen Leibe los. Jeder deutsche Patriot wird von tiefem Schmerze ergriffen, wenn er der Ereignisse des vorigen Jahres gedenkt. Aber es wird der Tag kommen, wo Ihre Gewalt sich mit der größeren Gewalt Frankreichs zu messen haben wird, und dann ruht das Schicksal Ihres Nordbundes und Preußens in der Wage des Kriegsglücks. Sie können die erste Schlacht eben so gut verlieren, wie sie für die andere Seite verloren gehen kann. Die Weltgeschichte steht nicht still; sie wird hinwegschreiten über Ihr Gewaltwerk, über diesen Nordbund, welcher nichts Anderes bedeutet, als die Teilung, Knechtung und Schwächung Deutschlands; sie wird hinwegschreiten über diesen norddeutschen Reichstag, der nichts ist, als das Feigenblatt des Absolutismus." Darauf erwiderte Schweitzer: „Wir wollen nicht in Gemeinsamkeit mit Herrn Liebknecht und seinen Freunden, den depossedierten Fürsten und dem neidischen Auslande dahin trachten, Preußen und den norddeutschen Bund zu ruinieren und zu zerstören. Wir, obwohl unzufrieden mit den inneren Zuständen und dahin strebend, dieselben gründlich zu ändern, stehen innerhalb des neu sich bildenden Vaterlandes; jene stehen außerhalb desselben, wollen außerhalb desselben stehen. Das ist es, was uns von ihnen trennt, und das musste hier bestimmt konstatiert werden." Es mag schwer zu entscheiden sein, mit welchem Maße von Ehrlichkeit jeder von Beiden perorierte, aber darüber ist wohl kaum ein Zweifel möglich, wer wie ein verständiger Arbeiterführer und wer im Stile eines agent provocateur gesprochen hat.


Die Sozialdemokratie im Reichstage ist bekanntlich ein gar wunderliches und wüstes Kapitel. Ihre parlamentarischen Leistungen sind unendliche Aschenhaufen von Phrasen, in denen nach einigen halbwegs greifbaren Kohlen zu schürfen ein mühselig und undankbar Geschäft ist. Von dem Dutzend Vertreter der Partei, welche seit einem Jahrzehnt über die weltbedeutende Bühne der Leipziger Straße gelaufen sind, hat kaum einer oder der andere winzige Spuren seiner Wirksamkeit an den Gesetzen hinterlassen, die in dieser Frist aus den schöpferischen Händen des Reichstages hervorgingen. Auch oratorische Leistungen, welche das geistige Durchschnittsniveau unserer parlamentarischen Redner erreichen, sind nur vereinzelt zu registrieren; es ist von der allerschlechtesten Seite, dass sich die Träger der sozialistischen Bewegung an dieser hervorragenden Stelle gezeigt haben. Wer gerecht urteilt, wird ihnen einige entschuldigende Momente zu Gute kommen lassen; für eine Fraktion von so winziger Zahl und so schroffer Parteistellung ist es überhaupt sehr schwierig, entscheidend und fruchtbar in die Verhandlungen einzugreifen; zudem macht die Diätenlosigkeit den meisten sozialdemokratischen Abgeordneten die andauernde Teilnahme an den Arbeiten des Reichstages halbwegs unmöglich. Trotzdem kann das Endurteil über die parlamentarische Tätigkeit der Sozialdemokratie nur eine harte Verurteilung sein. Der unversöhnliche Widerspruch zwischen der träumerischen Phantastik des Kommunismus und dem harten Zwang alles realen Wesens hat sich hier am schärfsten gezeigt; höchstens Bebel und Schweitzer ist es gelegentlich gelungen die wechselnden Chancen der Debatte geschickt für ihre Zwecke zu benutzen; sonst ist vom ersten Augenblicke an der Klagen über die „Schlingen der Geschäftsordnung," über die Unmöglichkeit, zum Worte zu kommen und was dem mehr ist, kein Ende gewesen. So lange die Traditionen Lassalles, der auf parlamentarischem Boden die entscheidende Schlacht schlagen wollte, in der Partei lebendig wirkten, waren diese Dinge nicht ganz so schlimm, wie sie heute sind. Im norddeutschen Reichstage, als er 1867 zusammentrat, war von den sozialistischen Abgeordneten nur der Kupferschmied Finsterling aus Dresden, der Vertreter der weiblichen Linie, die vornehmlich im Königreich Sachsen ihren Anhang hatte, eine absolut komische Person; er erregte durch seine Reden, in welchen er halbverdaute Phrasen aus den Broschüren Lassalles ohne jeden Zusammenhang mit dem stereotypen Refrain: „sagt Ferdinand Lassalle," herzubeten pflegte, anfangs die Heiterkeit, dann die Langeweile des Hauses. Bebel und Liebknecht gaben sich in Gemeinschaft mit dem unbedeutenden Advokaten Schraps völlig als Preußenfresser und Volksparteiler. Schweitzer war den Führern der anderen Parteien geistig ebenbürtig; durch die Unumwundenheit, mit welcher er gleich bei seinem ersten Auftreten in der Debatte über die Aufhebung der Zinsbeschränkungen verkündete, dass er für das Gesetz nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus „Bosheit" stimme, um die großkapitalistische Produktionsweise sich möglichst bald abwirtschaften zu lassen, verdarb er sich freilich von Anfang an seine Stellung. Der Fünfte endlich, Dr. Reincke, war ein gebildeter Mann von aristokratischem Wesen, der fließend, wenn auch nicht grade originell sprach. Es war kein Parteimann im engeren Sinne, vielmehr ein Philantrop, dessen etwas unklarer Humanismus ihn den sozialistischen Ideen näherte. Durch seine wohltätige, vielfach gemeinnützige Tätigkeit als Arzt hatte er sich persönliche Beliebtheit unter der Arbeiterbevölkerung am Rhein erworben; mehr dieser als seiner Parteistellung verdankte er die Wahl in den Reichstag. Seine parlamentarische Haupttat war ein von Mitgliedern der Fortschrittspartei unterstützter Antrag auf Erweiterung der Bundesverfassung, dahingehend, dass der Reichstag das Recht haben solle, selbstständige Untersuchungskommissionen niederzusetzen, die nach Absicht des Antragstellers namentlich Erhebungen über die Lage der Handarbeiter vornehmen sollten. Die Majorität ging auf die Idee nicht ein, weil sich die entsprechende Bestimmung in der preußischen Verfassung, bekanntlich praktisch völlig unwirksam gezeigt hat. Später inaugurierte Dr. Reincke das System der Auszählungen des Hauses in den heißen Sommertagen, um „lehrreiche Beiträge zur Statistik diätenloser Volksvertretungen" zu liefern; er geriet darüber in heftige Konflikte mit dem Präsidenten Simson und legte schon im Juni 1868, müde einer auf die Dauer unhaltbaren Stellung, sein Mandat nieder, um für immer aus der Geschichte der Partei zu verschwinden. An seine Stelle wählte der Wahlkreis Lennep-Mettmann den Zigarrenarbeiter Fritzsche, einen self-made-Mann, der aus den dürftigsten Verhältnissen sich rüstig emporgearbeitet und als praktischer Organisator eine der ersten Rollen in der Bewegung gespielt hat und noch spielt. Wenn er weniger bekannt ist als manche viel unbedeutendere Mitglieder seiner Partei, so liegt das daran, dass er von je her weniger Gefallen an dem lärmenden Geschwätz über politische Dinge, als an einer rein praktischen Tätigkeit gefunden hat. Zudem hat er in den inneren Zwisten der Partei beständig seine Stellung gewechselt, bald Schweitzer, bald der Hatzfeldt, bald Liebknecht und Bebel angehangen. Er gehört zu den ersten Anhängern Lassalles und war schon unter Beckers Präsidium Vizepräsident des allgemeinen deutschen Arbeitervereins; als solcher gründete er Ende 1865 den „deutschen Tabakarbeiterverein," dem ersten sozialistischen und nächst dem Buchdruckerverband überhaupt den ersten Gewerkverein in Deutschland. Bei der streng zentralistischen Richtung der Lassalleschen Organisation erregte er damit anfangs großen Anstoß unter seinen Genossen; Herr v. Hofstetten, der Redakteur des „Sozialdemokrat," schrieb im Januar 1866 wütend an den, damaligen Präsidenten Tölke: „Diese Dinge müssen notwendig die Partei zu Grunde richten, in der öffentlichen Meinung verdientermaßen herabsetzen und zum Ruin der ganzen Bewegung führen, die, wie Sie sehen werden, politisch im Sande verläuft und eine rein materielle Richtung annimmt in der Weise, dass, ähnlich wie die Zigarrenarbeiter und Buchdrucker, die einzelnen Gewerke sich zu zentralisieren und ihre korporativen Interessen zu fördern suchen." Es bedurfte nur weniger Jahre, um zu zeigen, dass der einfache Arbeiter die Interessen seines Standes und die Zeichen der Zeit viel richtiger zu erkennen vermochte, als der irrlichterierende Phantast von Baron, der auf Kosten der Arbeiter eine Großmannsrolle spielen wollte, zu der ihm nicht weniger wie Alles fehlte.

So wenig das erste Auftreten der sozialdemokratischen Führer auf der parlamentarischen Bühne von dem Erfolge begleitet war, den Lassalle erhofft hatte, so groß war anderseits seine Wirkung auf die Ausbreitung der Parteigrundsätze in Arbeiterkreisen. Aus den Verhandlungen der Volksvertretung, deren intimeren Zusammenhang ja leider nur immer eine kleine Minderheit zu verfolgen vermag, scholl eine Sprache voll schmetternder Phrasen heraus, welche der großen Masse eben so verständlich war, als sie ihre nächsten Interessen berührte; sie fand um so empfänglichere Ohren, je mehr das allgemeine Stimmrecht das Interesse am politischen Leben gefördert hatte; was den gebildeten Geschmack abstieß, die grelle, plumpe Mache, grade das lockte unverwöhnte Gemüter am meisten. Die sozialistische Hochflut war in langsamen, aber beständigem Wachsen begriffen; das zeigte sich direkt und indirekt in sprechenden Symptomen. Die Zeitumstände förderten diese Entwicklung mehr noch, als das agitatorische Treiben der Führer. Mit der Errichtung des norddeutschen Bundes fiel eine Reihe von Schranken, welche bisher das wirtschaftliche Leben eingeengt hatten; wir suchten in schnellen Schritten den Vorsprung einzuholen, den andere Kulturvölker Europas uns nach dieser Richtung hin in langsamerer Entwicklung abgewonnen hatten. Es war selbstverständlich und wenn nicht von reaktionärer Kurzsichtigkeit, so doch sonst von Jedermann vorhergesehen, dass wie jede Lösung drückender Fesseln, so auch die freie Entfesselung der wirtschaftlichen Kräfte mancherlei Missstände im Gefolge haben musste. Die Freizügigkeit brachte die Arbeitermassen in ungewohnte Bewegung; die Strikes, bis dahin unbekannte Erscheinungen auf deutschem Boden, fingen an, sich zu mehren. Es war leicht zu prophezeien, dass sie demnächst noch rapider zunehmen würden; Anträge auf Aufhebung des Koalitionsverbots, welche die Fortschrittspartei schon im preußischen Abgeordnetenhause von 1865 eingebracht hatte, waren im norddeutschen Reichstage sofort wieder aufgenommen worden; ihre endgültige Genehmigung, war nur noch die Frage einer sehr absehbaren Zeit.

Alle diese Umstände wirkten zusammen, um das Jahr 1868 zu einem der denkwürdigsten in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zu machen. Als Schweitzer auf der diesjährigen Generalversammlung zu Hamburg Ende August seine Schaaren musterte, hatte sich ihre Zahl gegen das Vorjahr mehr als verdoppelt; er zählte 7.192 Vereinsmitglieder in 82 Orten. Die letzten Spuren des Interregnums nach Lassalles Tode waren beseitigt; die Partei erwies sich als trefflich diszipliniert und organisiert. So konnte Schweitzer den ersten großen Schritt über Lassalle hinaus wagen. Er hatte mit klugem Auge das Göhren in der Arbeiterbevölkerung, das Überhandnehmen der Strikes verfolgt; es galt, das herrschende Unbehagen, das immer mit dem Einleben in neue, noch so zukunftsreiche Verhältnisse verbunden ist, für seine Zwecke auszubeuten. Besonnener und kühler wie Lassalle, sah er ein, dass der phantastische Traum von den Arbeiterbataillonen, die nach Hunderttausenden zählen, sich nicht verwirklichen lasse, wenn nicht die Magenfrage dem kleinen Mann deutlicher demonstriert würde, als durch ein politisches Programm. So ging er denn an eine Organisation der Strikes. Er schlug in Gemeinschaft mit Fritzsche der Hamburger Generalversammlung eine Resolution vor, welche die Strikes zwar als unzulänglich bezeichnete, die Grundlagen der kapitalistischen Produktion zu ändern, sie aber im Übrigen unter Voraussetzung richtiger Organisation für passende Mittel erklärte, das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu fördern und einzelne soziale Missstände aus der heutigen Gesellschaft zu entfernen. Im Anschluss daran brachten Beide dann einen Antrag ein, dass die Generalversammlung den Präsidenten beauftragen solle, einen deutschen Arbeiterkongress zur Begründung allgemeiner, nach den verschiedenen Berufsarten gegliederter Gewerkschaften einzuberufen, die in dem Sinne jener Resolution zu wirken hätten. Der Verein selbst sollte wie bisher fortbestehen, gewissermaßen als Kerntruppe, deren einzelne Glieder in den zunächst für rein praktische Zwecke gegründeten Gewerkschaften als sozialistischer Sauerteig gären und treiben sollten. So war und vielversprechend diese Idee war, so wenig wollte sie der Generalversammlung einleuchten. Man nahm die Resolution eben so einstimmig an, wie man den Antrag verwarf. Die straffe Zentralisation erprobte sich diesmal zu Ungunsten ihres Urhebers. Nach heftigen Debatten, in welchen Schweitzer sogar mit seinem Rücktritte drohte, einigte man sich schließlich dahin, dass er nicht als Vereinspräsident, sondern dass er und Fritzsche in ihrer Eigenschaft als Reichstagsabgeordnete in dem gedachten Sinne vorgehen sollten. Beide erließen dann sofort einen Aufruf an die deutschen Arbeiter, in welchem sie zur Beschickung eines Kongresses aufforderten behufs „planmäßiger, zusammenhängender Organisation der Strikes," behufs „einer umfassenden, festbegründeten Organisation der gesamten Arbeiterschaft Deutschlands durch und in sich selbst zum Zwecke gemeinsamen Fortschreitens vermittelst der Arbeitseinstellungen." Der Kongress sollte am 27. September zu Berlin stattfinden.

Inzwischen waren die vorhin angedeuteten Zeitumstände der wühlenden Tätigkeit Liebknechts im gleichen Maße zu Gute gekommen. Anfangs 1868 hatte er in Leipzig das „Demokratische Wochenblatt" begründet; es gab sich noch ganz als Organ der Volkspartei und empfing mehrfach Zuschüsse aus dem sogenannten Revolutionsfonds, der von Kinkel auf seiner amerikanischen Reise gesammelt war und nach seiner Versöhnung mit der deutschen Entwicklung seit 1866 von Ladendorf in Zürich verwaltet wurde. Ladendorf ist bekanntlich heftiger Antisozialist; er gab das Geld behufs Bekämpfung von Schweitzer, wozu es denn auch redlich verwandt worden ist; später hat freilich der Spender gar gewaltig weite Augen gemacht, als er erkannte, dass Liebknecht mehr war denn Schweitzer. Innerhalb des Verbandes der deutschen Arbeitervereine gewann die kommunistische Agitation, seitdem Bebel dem Ausschuss präsidierte, immer festeren Boden; auch in die Reihen der Hatzfeldtschen Fraktion des allgemeinen deutschen Arbeitervereins drang sie ein; nur an dem festen Gefüge der Schweitzerschen Organisation prallte sie wirkungslos ab. Die Angriffe gegen Schweitzer steigerten sich im „Demokratischen Wochenblatte" in demselben Umfange, in welchem die Aussicht wuchs, dass jene Arbeitervereine mit fliegender Fahne ins Lager der Internationalen abschwenken würden. Dazwischen kamen dann wieder allerlei Versöhnungsversuche. Im Sommer 1868 reiste Liebknecht nach Berlin zu Schweitzer, den er kurz vorher im Reichstage einen „Doppelgänger Wageners" genannt hatte, und machte ihm den Vorschlag, zunächst unter Beibehaltung der Vereinsorganisation sich den Bestrebungen der Internationalen anzuschließen; Schweitzer lehnte es ab, den Unterdiktator von Marx zu spielen.

Im Herbste 1868 war der internationale Kommunismus nach vierjährigem unterirdischem Wühlen endlich so weit in Deutschland, die Maske wenigstens zu lüften. Am 6. September fand der fünfte Vereinstag der deutschen Arbeitervereine unter dem Vorsitze Bebels zu Nürnberg statt. Es waren 111 Vereine, welche etwa 14.000 Arbeiter umfassten, vertreten. Eine Majorität von 74 Vereinen erklärte sich für die Prinzipien der Internationalen; die Minderheit trat sofort aus dem Verband aus, der im Übrigen fortbestehen blieb. Denn auch jetzt waren die Gemüter noch nicht reif für den Kommunismus sans phrase; der Umstand, dass der Verband das „Demokratische Wochenblatt" zu seinem Organe erwählte, zeigte freilich, dass sie keiner allzu langen Entwicklung mehr bedurften. Auch der Hauptredner des Vereinstages, der Novellendichter Schweicheln ließ es an genügender Deutlichkeit nicht fehlen. „Sie kennen ja," rief er, „das unerbittliche Lohngesetz; gleich der Nadel des Kompasses weist es mit einer kleinen Schwankung nach der einen oder der anderen Seite stets auf den Nordpol des Hungers." Er warnte vor dem Zusammengehen mit den Nationalliberalen und Konservativen, mit der Bourgeoisie und der Demokratie, welche Alle den Arbeitern nur schmeichelten, um durch sie die Herrschaft zu erlangen und sie dann zu betrügen. „Nach dem Siege wird man den Arbeiter mit Hohn hinwegweisen oder im besten Falle zwischen die Ketten und seine wundgedrückten Glieder die Watte der Almosen schieben, der Suppenanstalten, Hospitäler, Armenhäuser, Krankenkassen und Debattiervereine." Mag der Dichter dem Politiker so geschmackvolle Hyperbeln verzeihen; gegen dieses sentimentale Bekränzen eines brodelnden Hexenkessels ist selbst der „Stil à la Marat" noch eine wahre Wohltat.

Im Übrigen war der süddeutsche Partikularismus noch jetzt Liebknechts eifrigster Verbündeter. Unter den Referenten des Nürnberger Tages befand sich auch Leopold Sonnemann. Der Preußenhass, welcher Lassalle wütend bekämpft hatte, hob den internationalen Kommunismus aus der Taufe, wie er ihn in Deutschland hatte erzeugen helfen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie.