4. Tischrücken

Das Tischrücken und Tischklopfen, zwei der bekanntesten Erscheinungen, die Mediumismus und Spiritismus als Beweis für das Vorhandensein übernatürlicher Kräfte in Anspruch nehmen, haben eine merkwürdige Geschichte hinter sich. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann das Tischrücken, im Anschluß an Vorgänge, von denen wir im zweiten Teil noch hören werden, in den Vereinigten Staaten von Amerika epidemisch aufzutreten und griff alsbald mit explosionsartiger Kraft auf die Kulturländer der alten Welt über. Man meinte damals, dass die Tischrückerei, die im Jahre 1853 den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichte und sogar gelehrte Gesellschaften und Akademien beschäftigte, ein ganz neu entdecktes Phänomen sei. Tatsächlich handelte es sich aber nur um die Wiederentdeckung einer magischen Kunst, die bei den verschiedensten Völkern seit uralter Zeit bekannt und wiederholt unabhängig entdeckt worden ist.

Schon die alten Griechen und Römer kannten eine dem Tischrücken und Tischklopfen ähnliche Methode, um angeblich übersinnliche Kundgebungen zu erhalten. Sie bedienten sich geweihter Dreifüße, und unter Kaiser Valens führte eine derartige Betätigung des Aberglaubens sogar zu einem großen Zaubereiprozess, über den Ammianus Marcellinus ausführlich berichtet hat. Das Tischrücken selbst war in Indien und China seit langer Zeit wohlbekannt, ebenso übten es die nordamerikanischen Indianer aus, lange, bevor es im Jahre 1848 seinen Triumphzug durch die Kulturwelt antrat. In den ersten Jahren beschränkte sich das Tischrücken auf Nordamerika; als aber am 4. April 1853 die „Allgemeine Zeitung“ einen von K. Andree verfassten Aufsatz über das Phänomen brachte, der großes Aufsehen erregte, wandte sich das allgemeine Interesse auch in Europa in so hohem Maße der Tischrückerei zu, dass kein geringerer als Arago am 23. Mai 1853 in der Pariser Akademie einen Vortrag darüber hielt. Dieser Vortrag ist um so bemerkenswerter, als Arago darin auch zuerst die richtige Erklärung für die Erscheinung gab.


Es handelt sich beim gewöhnlichen Tischrücken um einen Vorgang folgender Art. Um einen möglichst leichten, runden, polierten, womöglich dreibeinigen Tisch, der auf einem möglichst wenig Widerstand bietenden Boden steht (auf Dielen, Linoleum, Fliesen, weichem Sand, am besten aber auf Parkettfußboden), versammelt sich eine kleine Zahl von Teilnehmern, vielleicht drei oder vier, und jede von ihnen hält die gespreizten Hände in der Weise vor sich, dass die Daumen einander berühren und beide auf dem Rand des Tisches aufliegen. Ebenso liegen die kleinen Finger der beiden Hände auf dem Tischrand und berühren gleichzeitig je einen kleinen Finger der beiden Nachbarn, die ihre Hände ebenso auf dem Tischrand ausspreizen. So bilden die Hände der Teilnehmer eine fortlaufende ,,Kette“ um den Rand des Tisches herum. Einen glücklichen Erfolg des Experiments vorausgesetzt, beginnt der Tisch dann nach kürzerer oder längerer Zeit zunächst stoßweise, dann immer häufiger und schneller zu „rücken“, d. h. sich um seine eigene Achse zu bewegen. Jeder der Teilnehmer kann mit ruhigem Gewissen erklären, dass er nicht etwa den Tisch seitlich drücke, um ihn zum „Rücken“ zu bringen, und wenn man sich davon überzeugt hat, dass gegen keinen der Teilnehmer der Verdacht des Betruges erhoben werden kann, so ist das Phänomen eigenartig genug und macht auf den Anfänger einen geradezu unheimlichen und spukhaften Eindruck. Der Tisch rotiert schließlich mit großer Geschwindigkeit, so dass die Teilnehmer an der Sitzung ihm manchmal nur mit Mühe folgen können, und rückt gleichzeitig im Zimmer umher, karamboliert mit den Möbeln, bäumt sich bald nach dieser, bald nach jener Seite auf und beugt sich so stark auf die Seite, dass er umfällt, wenn er nicht rechtzeitig festgehalten wird.

Da die Teilnehmer sämtlich erklären, dass sie nicht aus Mutwillen oder Schabernack diese Erscheinungen des Tischrückens hervorgebracht haben, so muss nach der Meinung der Spiritisten, wenn jeder Betrug sicher ausgeschlossen ist, dadurch der Beweis erbracht sein, dass entweder Geister oder unbekannte mediumistische Kräfte im Menschen das Wunder vollführten. Für den, der die Eigenheiten und die Bedeutung der „unbewussten Bewegungen“ kennt, bedarf es so komplizierter, willkürlicher und phantastischer Erklärungen nicht. Denn das Tischrücken ist tatsächlich mit Hilfe der unbewussten Bewegungen in seinem ganzen Umfange zu erklären.

Wer mehrere Minuten seine Hände gespreizt, mit abgekehrten Handflächen, in die freie Luft vor sich hin hält, kann sich davon überzeugen, wie stark die Hände bei fortschreitender Ermüdung zu zittern beginnen. Diese Zitterbewegungen übertragen sich nun beim Tischrücken auf das leichte Tischchen und setzen dies in Bewegung, wenn sie sich hinreichend summiert haben, ohne dass sie dabei den Teilnehmern zum Bewußtsein kommen. Ist aber ein Richtungsantrieb der Bewegung erst vorhanden, so wirken Erwartung und Erregung bei den Teilnehmern unbewusst dahin, dass der ohnehin ziemlich starke mechanische Druck, den die ermüdeten Hände auf den Tisch ausüben, einen seitlichen Antrieb in gleicher Richtung bekommt. Der unbewusste Druck ist um so größer, als er von mehreren Personen in gleicher Stärke und in gleichem Sinne ausgeübt wird, so dass eine Summierung der Einzelkräfte erfolgt.

Schon Arago hat diese überaus einfache und vollauf befriedigende Erklärung des Phänomens gegeben, und Faraday hat obendrein durch ein eigens konstruiertes Instrument, ein Dynamometer, welches den von jedem Teilnehmer unbewusst ausgeübten, manchmal recht bedeutenden Druck direkt zu messen gestattete, den experimentellen Nachweis für die Richtigkeit jener rein mechanischen Deutung mit voller Deutlichkeit erbracht. Seit dieser nüchternen Erklärung, die im Jahre 1853 gegeben wurde, ist denn auch das Interesse am Tischrücken in weiteren Kreisen wieder eingeschlafen, und das „Wunder“ kommt in nichtspiritistischen Kreisen höchstens hier und da noch als Gesellschaftsspiel vor. Anders natürlich in spiritistischen Kreisen: Aragos Erklärung war zu einfach, zu trivial, als dass sie das wunderdürstende Gemüt eines eingeschworenen Mystikers und Spiritisten hätte befriedigen können.

So suchte man denn das Wunderbare an der Erscheinung dadurch zu retten, dass man in Verbindung damit andre, wirkliche oder vermeintliche Produktionen des wandernden Tisches zur Diskussion stellte, für welche die rein mechanische Erklärung Aragos nicht mehr zutreffen konnte: das Tischschweben und Tischklopfen.

Von dem Tischschweben wird noch im 2. Bande die Rede sein; hier sei nur so viel erwähnt, dass kritisch veranlagte, zuverlässige, unvoreingenommene Beobachter das völlige Freischweben eines Tisches in freier Luft noch niemals gesehen haben, und der einzige Fall, in dem ein Skeptiker (Dessoir) eine derartige Wahrnehmung gemacht hat, weicht von der Darstellung der Spiritisten denn doch allzu auffallend ab und läßt obendrein mit Sicherheit auf ein Taschenspielerstückchen schließen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zu Wunder und Wissenschaft