5. Tischklopfen

Das Tischklopfen dagegen gehört gleichfalls zum Thema der unbewussten, der ideomotorischen Bewegungen.

Es sind verschiedene Arten von Tischklopfen zu unterscheiden. Wenn das Tischrücken so weit gediehen ist, dass der Tisch sich häufig auf die Seite zu beugen beginnt, so ist es möglich, mit ihm ein Zwiegespräch zu führen: das freischwebende Bein des Tisches schlägt nämlich auf die Erde auf und vermag auf diese Weise Zeichen zu geben, für die man eine eigene Zeichensprache verabredet. Zunächst pflegt man ein Frage- und Antwortspiel zu veranstalten, wobei der Tisch nur: die Antworten „Ja“ und „Nein“ zu geben braucht. In der Regel pflegt man zu verabreden, dass ein einmaliges Klopfen ja, ein dreimaliges nein bedeutet. Die Unterhaltung kann aber auch noch weiter gehen: man kann dem Tisch irgend eine Zahl angeben lassen, indem man ihm aufgibt, so oft auf die Erde zu klopfen, bis die Summe der Schläge der gesuchten Zahl entspricht. Oder man sagt das Alphabet auf und ersucht den Tisch, bei dem Buchstaben, den er bezeichnen will, aufzuklopfen; durch das Aneinanderreihen der Buchstaben kann man dann nach und nach Worte und Sätze erklopfen. Um die Kunst so weit zu treiben, dass diese Worte und Sätze einen vernünftigen Sinn ergeben, bedarf es allerdings schon einer weitergehenden Übung der Teilnehmer oder aber eines besonders gut veranlagten, d. h. eines nervös stark erregbaren Teilnehmers, eines „Mediums“. Dass es aber möglich ist, mit Hilfe des Tischklopfens unter Umständen zusammenhängende und sinnvolle Offenbarungen zu erhalten, beweise die Tatsache, dass im Tischrückjahr 1853 zu Guadeloupe eine Novelle „Juanita“ publiziert wurde, die ein klopfender Stuhl „diktiert“ hatte.


Denn die Erscheinungen sind keineswegs etwa an Tische gebunden; man pflegt diese für die Produktionen nur: am liebsten zu wählen, weil sie sich aus verschiedenen Gründen am besten eignen, wenn mehrere Teilnehmer bei der Sitzung zugegen sind. Will sich jemand privatim mit seinen Möbeln unterhalten, so wählt er am besten einen leichten, wenn möglich wieder dreibeinigen Stuhl. Mit diesem kann er ganz allein die charakteristischen Erscheinungen des Tischklopfens sämtlich wiederholen: er stellt den Stuhl so in der Schwebe auf zwei Beinen vor sich, dass ein möglichst leichter Gegendruck der einen Hand ihn grade am Umfallen hindert. Nun stellt er seine Fragen an den Stuhl oder sagt das Alphabet auf: der Stuhl wird genau so klopfen wie ein Tisch. Man erwartet z. B., dass der Stuhl das Wort „Plato“ buchstabieren wird, vielleicht weil man ihn gefragt hat, welcher Geist durch ihn spricht, und weil man aus irgend einem Grunde erwartet, dass der alte Plato sich offenbaren will; man sagt alsdann das Alphabet mäßig schnell auf, der Stuhl bleibt bis zum Buchstaben O in der Schwebe, bei P glaubt man dann jedoch infolge von Autosuggestion, einen stärkeren Druck des Stuhles zu fühlen — man gibt dem Druck nach, der Stuhl fällt langsam: er ,,klopft“. Der erste Buchstabe ist gefunden! Die Hand bringt den Stuhl wieder in die Schwebe, Erwartung und Autosuggestion sind gesteigert, und das Aufsagen des Alphabets beginnt von neuem, bis beim Buchstaben L der Stuhl von neuem klopft usw. Natürlich kommt keineswegs immer ein vernünftiger Sinn zustande, besonders wenn der Experimentierende die Erklärung weiß und nun auf seine unwillkürlichen Bewegungen schärfer achtet als ein gläubiges spiritistisches Gemüt, das von vornherein überzeugt ist, nur ein Geist, eine unsichtbare Intelligenz könne es bewirken, dass der Stuhl oder der Tisch immer nur grade bei den Buchstaben klopft, die mit den vorausgegangenen einen Sinn ergeben. Aber wo nur irgend ein Wunsch, eine Hoffnung, eine Erwartung besteht, dass eine bestimmte Antwort gegeben werde, da ist bei den Buchstaben, auf die die Aufmerksamkeit sich zumeist richtet, die Tendenz zur Ausführung der erforderlichen, unbewussten Bewegungen weit größer als bei den übrigen Buchstaben, und ein Mensch, der seine eigenen unwillkürlichen Bewegungen nicht beachtet oder nicht im Zaume hat und der davon überzeugt ist, dass nur: eine fremde Intelligenz den Stuhl bewegen kann, weil er selbst ihn ja nicht bewegen wollte, fällt der Selbsttäuschung mit großer Sicherheit zum Opfer. Sein Oberbewusstsein stellt die Fragen, sein Unterbewusstsein gibt die Antworten; kurzum, er unterhält sich mit sich selbst, ohne es zu merken. Dass in besonders günstig liegenden Fällen die Antworten durch Inhalt und Originalität und überraschende Schlagfertigkeit den Frager selbst zuweilen verblüffen, beweist nichts dagegen, dass dieser selbst sie hervorbringt.

Die Entstehung alles geistigen Denkens und Schaffens pflegt uns ja oft genug zu überraschen, und sehr bezeichnend ist der Ausdruck „ein guter Einfall“ gewählt, denn originelle Gedanken und Geistesblitze entstehen in uns so plötzlich, als ob sie von außen ins Gehirn „hereingefallen“ sind. Geniale Erfindungen und Entdeckungen, Hypothesen, Theorien, durchgreifende Wandlungen der Überzeugung — sie knüpfen oft an den Gedanken einer Sekunde an, sie sind plötzlich da, und man vermag ihr Werden und Entstehen im Unterbewusstsein nachträglich meist nicht mehr zu verfolgen. Wir machen einen guten Witz, ein geistreiches Wortspiel, das uns plötzlich eingefallen ist, und freuen uns selbst daran — aber niemandem fällt es ein, dass eine höhere Intelligenz uns den Gedanken eingegeben haben könnte; wir finden eine wissenschaftliche oder künstlerische Idee von Bedeutung — niemand zweifelt daran, dass er den neuen Gedanken aus sich selbst heraus gebildet hat; wir schauen uns im Traume Situationen, Szenen, Rätselfragen und dunkle Äußerungen, deren Sinn, Zusammenhang und Deutung wir selbst erst nach längerem Nachdenken voll erfassen — niemand behauptet, dass der Gedanke, der unsrem Oberbewusstsein zunächst unverständlich war, deshalb von einem andern Gehirn als von unserm eigenen erdacht worden sei.

In allen diesen und vielen andern Fällen erkennt man das Walten und Wirken des Unterbewusstseins, willig und ohne zu zweifeln, an — und nur allein beim Tischklopfen soll es ausgeschlossen sein, dass das Unterbewusstsein die Antworten auf die Fragen gibt und seine Einfälle in ideomotorische Bewegungen umsetzt? Nur um diese Erscheinung zu erklären, soll man die Geisterhypothese aufstellen und glauben, die an Kühnheit der Voraussetzung kaum ihresgleichen hat? Nein, es ist lediglich der Fragende selbst, der sich seine Fragen beantwortet, wie das Medium selbst dem Gedankenleser die Lösung seiner Aufgabe verrät, wie der Rutengänger selbst es ist, der die Wünschelrute zum Schlagen bringt, und nicht eine geheimnisvolle Anziehungskraft. Noch hat nie ein Tisch Tatsachen und Geheimnisse verraten, die keiner von denen, die ihn anfassten, wissen konnte; er kann Dinge zur Sprache bringen, an die keiner der Anwesenden gedacht hat, an die keiner sich erinnert (denn in solchen Augenblicken konzentrierter Aufmerksamkeit und unbewusster Gedankentätigkeit kommt das latente Gedächtnis besonders leicht zu seinem Recht, wie wir auch weiter unten noch wiederholt sehen werden) — aber was über das bewusste und unbewusste Wissen oder Vermuten der Teilnehmer hinausgeht, seiner ganzen Natur nach hinausgehen muss, das bleibt auch der „Kenntnis“ des Tisches verborgen und wird durch seine geheimnisvollen „Kundgebungen“ nicht offenbart.

Wenn aber die Geistergläubigen die Erklärung des Tischklopfens durch unbewusste Bewegungen nicht gelten lassen, so steht es ihnen frei, die Probe auf das Exempel zu machen, denn es ist möglich, das Tischrücken so einzurichten, dass jeder Druck, jede Bewegung der Teilnehmer an der Sitzung entweder ausgeschlossen oder durch ein Dynamometer sichtbar nachgewiesen wird. Sie haben also die Möglichkeit, den bündigen Beweis zu führen, dass die unbewussten, ideomotorischen Bewegungen nicht die Ursache der angeblichen Offenbarungen sind, dass also außerordentliche Intelligenzen die Urheber sind. Aber bisher steht dieser bündige Beweis noch aus. Solange er nicht erbracht ist, liegt nicht der mindeste Grund vor, eine plausible Erklärung, die auf wohlbekannten, wenn auch noch nicht ganz erforschten psychologischen Erscheinungen des Menschengeistes sich aufbaut, zugunsten einer phantastischen, grotesken, wild-abenteuerlichen Hypothese fallen zu lassen, die unser bisheriges Weltbild vollkommen auf den Kopf stellen würde. Die Beweislast fällt dem zu, der eine neue, unbewiesene Theorie aufstellt; so mag denn der Spiritismus den bündigen Beweis erbringen — wenn er kann!

Aber er wird nicht können, denn dass bei den Kundgebungen der Tische lediglich unbewusste Bewegungen der Teilnehmer vorliegen, ist eben mit Hilfe des Dynamometers sicher nachgewiesen worden. Dieser Nachweis erstreckte sich allerdings nicht auf die oben geschilderte, ursprüngliche, aber umständliche und daher nur selten geübte Form des Tischklopfens, sondern auf eine gebräuchlichere Art, mit Hilfe eines Tisches scheinbare Geisterkundgebungen zu erhalten: auf die Methoden des Psychographen, des Spiritoskops, der Planchette usw. Diese beruhen darauf, dass man irgendwo am Tisch einen Zeiger befestigt, der entweder drehbar an einem Punkt der Oberfläche befestigt ist oder am untersten Ende vertikal frei schwingt oder in einen Tischfuß fest eingeschraubt ist oder in noch anderer Weise durch Bewegungen des Tisches gelenkt wird. In jedem Falle bewegt sich der Zeiger, der natürlich direkt oder indirekt mit den Händen der Versuchsperson in Berührung ist, über einem jeweilig geeignet angeordneten Alphabet und gestattet nun, ziemlich schnell die Buchstaben der geplanten Kundgebung der Reihe nach abzulesen und zusammenzustellen, nach Art der alten optischen Zeigertelegraphen. Aber auch die Bewegungen dieser verschiedenen Zeiger werden, wie das Dynamometer direkt nachgewiesen hat, ausschließlich von den Erwartungen, Wünschen und unbewussten Bewegungen der Teilnehmer bzw. in der Regel eines Teilnehmers (des „Mediums“ dirigiert und haben, wenn sie auch für den Anfänger und den Laien überraschend und beunruhigend genug sind, doch durchaus nichts Obernatürliches und Mystisches an sich.

Es gibt noch eine ganz andre Gattung von Tischklopferscheinungen, in denen, ohne Bewegung des Tisches, Klopf- oder Knacklaute im Holz selbst zu ertönen scheinen, als ob ein unsichtbarer Geisterknöchel gegen die Platte des Tisches schlüge. Diese Methode, die bei Aufsagung des Alphabets ebenfalls eine gute Verständigung mit dem angeblichen Geist ermöglicht, hat jedoch mit unbewussten Bewegungen nichts zu schaffen und braucht daher an dieser Stelle nicht behandelt zu werden; wir werden im 2. Teil sehen, dass jene Klopf töne auf verschiedene Weise durch einfache Taschenspielerkunststücke hervorgebracht werden, so dass sie — natürlich mit Ausnahme der eigentlichen Taschenspielervorführungen — als bewusster Betrug gebrandmarkt werden müssen und mit den ehrlichen okkulten Phänomenen nichts gemeinsam haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zu Wunder und Wissenschaft