Prof. Cesare Lombroso: Der Zionismus in Italien u. anderswo

Als ich zum erstenmal vom Zionismus reden hörte, empfand ich Lust zum Lachen und das Lächeln wich auch nicht, als mir Dokumente vor Augen kamen, die jeden anderen klüger gemacht haben würde, so die schönen Artikel Nordaus und Herzl's.

Der erste Zweifel an der Richtigkeit meiner Ansicht kam mir auf der Fahrt zwischen Moskau und Warschau, auf, jener Strecke, wo jede Station mit wahren Herden von armen Juden besäet ist, die um, ihr. Leben kämpfen und sich zu diesem: Zwecke an das moderne Handelswerkzeug, die. Eisenbahn anklammern. In einem Waggon sprach ein junger polnischer Arzt, ein Jude, mich an, und nachdem er mich über meine Ansicht über den Zionismus befragt, nachdem, er mein Lächeln gesehen hatte, verdüsterter sich sein Gesicht, als hätte man ihm eine Ohrfeige versetzt. „Sie haben nicht die Tausande und Tausende von Opfern gesehen, die vergeblich um ihr Leben kämpfen, die weder ein Vaterland noch Güter besitzen, noch Mittel um sich solche zu verschaffen, deren Verbrechen der Glaube ist,“ antwortete er mir. Ich drückte dem jungen Juden die Hand. „Ich bin gewohnt, alle Meinungen zu achten, wenn sie edel sind“, sagte ich. „Ich achte auch die Ihrige, wenn ich sie auch noch nicht teile, aber ich werde später darüber nachdenken“. Und richtig, vor einigen Tagen legte mir ein junger jüdischer Propagandist Documenta vor, die beweisen, dass das, was mir als ein Märchen, für Fanatismus erschien, bereits einen schönen Anfang zur Ausführung gemacht habe, dass die Hauptschwierigkeit, nämlich Leute zu finden, die an wirtschaftliche Arbeit gewöhnt sind, und sich daher an sie anbequemen, sehr vernünftig überwunden wurde, indem man junge Leute zu diesem Zwecke erzieht, dass endlich jene Kolonien nach den modernsten Methoden entstanden sind. Die starke und frühreife Kultur jener Kolonien verheißt reife Früchte und die Erziehung ist dort in einer Weise eingerichtet, dass die landwirtschaftliche Arbeit nicht die literarische und wissenschaftliche ausschließt. So verspricht denn Zion das Beispiel einer neuen Bevölkerung zu bieten, die mit den alten Überlieferungen alle modernen Hilfsmittel vereinigt, der es gelingt, alle jene durch die Jahrhunderte und das Unglück in der hebräischen Rasse entwickelten verborgenen Kräfte zusammenlaufen zu lassen. Jetzt, da ich die ganze Größe meines Irrtums begriff, erklärte ich ihn mir leicht, wenn ich ihn auch nicht rechtfertigte.


Die Bewohner Westeuropas, wenigstens die Frankreichs und Italiens, wo die Juden einen kleinen Bestandteil der Bevölkerung ausmachen, wo sie vollkommen alle bürgerlichen und politischen Rechte gemessen, wo sie keinen Antipathien begegnen, noch begegnen können, noch Ursache haben, ihnen zu begegnen — vergessen die biblische Überlieferung vollständig wie ein Kindermärchen und lassen die ganze politische Leidenschaft konvergieren, die die Hebräer stets im Blut haben, durch die sie eines der patriotischsten Völker der alten Welt wurden, durch die sie das Beispiel des außerordentlichsten politischen Fanatismus gaben, indem sie sich mit einer handvoll Menschen zweimal gegen das römische Volk erhoben.

So konvergieren sie, sage ich, zu Gunsten des Landes, in dem sie leben, dem sie berühmte Märtyrer geben, für das sie die doppelte Liebe des Neophyten und Patrioten empfinden. Aber haben jene, weil es ihnen gut geht, und weil sie ein Vaterland gefunden haben, das Recht zu vergessen, dass sie Brüder besitzen, denen es schlecht geht, die kein Vaterland haben? Haben jene das Recht zu vergessen, wie viele Tausende, Millionen von Menschen dem Spott und Verfolgungen ausgesetzt sind, blos wegen der höchst edlen Tatsache, dass sie einen Glauben besitzen? Darf vergessen werden, dass der Zionismus für diese Vaterlandslosen eine Wiege, für alle eine Hoffnung und eine sichere Antwort für alle werden kann, die den Hebräer beschuldigen, dass er zu nichts taugt, als mittelst Ränke und Wucher Geld zusammenzuscharren?

Darum habe ich mich überzeugt, dass ich mich auch in einem Irrtum befand, als ich die Ideen des Zionismus verspottete. Wenn sie in der jetzigen Weise von hervorragenden Männern weitergeleitet werden, so verheißen sie, dass wir ein neues, glückliches, an Geist und Energie mächtiges Volk hervorgehen sehen werden, das vom alten nichts haben wird, als die Überlieferung, die Klugheit und den Scharfsinn.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen