Emil Kronberger: Zur Erwiderung

An Eduard von Hartmann! Von Emil Kronberger.

Herr Dr. v. Hartmann gehört zu jenen hohen Geistern, die eine ganze Welt in ihrer Innennatur finden und durch mehr als Bergeshöhe getrennt sind von dem geistigen Horizonte der überwiegenden Masse, deren politische Fernsicht kaum von heute auf morgen reicht. Und wie im Denken, so im Fühlen. Schließt nun Eduard von Hartmann von sich auf den Tross der übrigen Menschheit, so übersieht er eben diese gewaltig gähnende Kluft. Wahrlich, es wäre ein schöner Traum, wenn es Tausende solcher Geistes- und Gefühlsaristokraten an den leitenden Stellen der Politik und der Volkserziehung gäbe, dann allerdings wäre neben vielem Anderen auch z. T. die jüdische Renaissance überflüssig und es existierte keine Judenfrage, die nun doch einmal nicht abzuleugnen ist und auch keine Judennot, die täglich nach Erlösung schreit.


Wir wollen uns hier nicht mit der Ursache dieser Judennot beschäftigen, ob sie wirklich darin fußt, dass sich die östlichen Juden „im Eingehen verfrühter Eheschließungen zu wenig Beschränkungen auferlegen''. Jedoch soviel steht fest, dass gewiegte Beobachter des östlichen Europas, Einheimische und solche, die es vielmals bereisten, dieses Moment als geringfügig und kaum beachtenswert erklären im Vergleiche zum furchtbaren Boykott herbeigeführt durch den wuchtigen inneren Hass und den äußeren in Exzessen und Plünderungen nicht weniger kräftig zum Ausdruck gebrachten Antisemitismus.

Aus zwei Gründen weist Herr von Hartmann den Zionismus ab, hier der eine, dass nach des Philosophen Ansicht die zionistische Bewegung die Verteidiger und Freunde der jüdischen Sache desavouiere. Aber auch die leicht zu widerlegende Meinung, dass der Zionismus den Judenfeinden ein Programm in die Hand drücke, veranlasst ihn dazu uns seine wertvollen Sympathien zu entziehen.

Beide Gründe zeigen auf der einen Seite ebenso sehr von der Menschenfreundlichkeit und inneren Höhe des Gelehrten, als sie anderseits uns fröhlich stimmen und mit Stolz darüber erfüllen, dass selbst ein so zersetzender Geist an unserem Ideengebäude keine anderen Mängel entdeckt, als solche die teilweise auf mangelhafte Orientierung und Aufklärung — beides Schuld einer schwachen zionistischen Propaganda — zu beziehen sind.

Ob der Zionismus die Gönner der bedrohten Juden vor den Kopf stoße, möchten wir wohl mit einigem Rechte bezweifeln. In dieser Sammlung sprechen u. a. ja drei Personen, deren ganzes Lebenswerk der Abwehrtätigkeit gewidmet ist, sie fühlen sich durchaus nicht praeteriert und sind uns Freunde und Helfer. Im Gegentheil! Ihnen ist es eine erwünschte und ersehnte Hilfe — ersehnt nach dem eigenen Ausspruche — wenn mit Mut und Ausdauer an ihrer Seite eine rüstige Jungmannschaft kämpft. Darüber an dieser Stelle eingehender zu sprechen, halten wir im Hinweis auf die in diesem Buche enthaltenen Aufsätze von G. und Bertha v. Suttner und Prof. Masaryk für überflüssig.

Nur der Erwägung sei noch Platz gegeben, dass eine degenerierte, charakterlos anpassungs- süchtige, niedrig denkende, stets sich beugende und kriechende Judenheit vielmehr geeignet sein wird, Antisemiten ein gerne gesehenes Material zu stets erneuerten Angriffen zu geben, als der Zionismus es bieten kann, dessen Ziel dahin geht, ehrliche Juden zu erziehen, Juden, die aus ihrer Geschichte Erfahrung und Können schöpfen, die ein gewaltiges Ideal erhobt.

Bezüglich des zweiten Punktes sei bloß die Frage aufgeworfen, wie denn die Juden aussehen müssten, damit sie ja nur nicht Antisemiten einen Programmruf liefern.

Richtig ist allerdings, dass der Antisemitismus kein philosophisch oder politisch durchdachtes Programm besitzt; die Unmöglichkeit dessen liegt ja in der Sache. Aber ihm genügt zum Werberuf des hetzesüchtigen Mob jeder Jude, der über den Bettelkreis etwas hervorragt. Da darf er schon nach den Begriffen seines Heerbannes das rüde „Hepp“ erschallen lassen, das ihm zum Programminhalt völlig genügt.

Wenn aber der Zionismus unpraktisch und sogar schädlich ist, was dann für eine Abhilfe in der drängenden Not, die ja zugegeben wird? Diese Frage schleicht sich immer wieder in unsre Gedankenkette ein. Etwa Taufe und zugleich Vereinigung mit der fremdnationalen Umgebung im Sinne der Assimilation?

Abgesehen davon, dass Massentaufen hunderttausender heute unmöglich sind, zeigt die Geschichte der Marannen in Spanien und teils auch die der Täuflinge in Russland von der geringen Tragweite dieses Auskunftsmittels. Und diese Assimilierung? Über das Vergebliche eines solchen Versuches, der an dem Willen des Teiles scheitert, dem sich das Judenvolk assimilieren soll, weiter sich zu verbreiten, hieße wahrhaftig Eulen nach Athen tragen. Es müssten vielmehr die Juden, um ihren Feinden jeden Anlass zu den gewöhnlichen Liebkosungen zu nehmen, mausetot sein und auch da suchte sie noch der rohe Hass zu erreichen. Die Friedhöfe Böhmens und Mährens können ja so manchen Beitrag zu der Geschichte der Judenexzesse liefern.

Es möge uns aber auch gestattet sein, der Geschichte einen Beweis für unsere Behauptung zu entlehnen. Bekanntlich durfte England, diese Oase in der antisemitischen Wüste der Gegenwart, Jahrhunderte lang von Juden nicht betreten werden. Und doch zeitigte diese judenfreie Epoche antisemitische Schandwerke, wie sie z. B. das 17.Jahrhundert Englands zur Zeit, wo schon Juden im Inselreich wohnten, nicht kannte. Also, Judenhass auch ohne Kenntnis und Gegenwart von Juden!

Die Frage, die wir lösen sollen, ist keine philosophische Schulfrage, hier rufen uns tausende Brüder aus Elend und Not zur Hilfe herbei. Sollten wir zögern und Einhalt gebieten dem Drange des Herzens, um zuvor bis aufs Kleinste die unwesentlichen Nachteile und wir bezweifeln, ob es deren überhaupt gibt — auszutüfteln. Und was verschlägt es, wenn wir der Rettung unserer Armen Einiges unserer bequemlichen Ruhe opfern?

Wir gehorchen der Pflicht!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen