Max Nordau, Einleitung.

Es gibt Juden, die besorgen, der Zionismus könnte dem jüdischen Volke das Wohlwollen auch derjenigen Christen entfremden, die bisher von Vorurteil gegen lins frei waren und vielleicht sogar brüderlich für uns fühlten.

Das ist eine Gespensterfurcht. Weshalb soll der Zionismus uns Sympathien abwendig machen? Man hört mitunter die Antwort: „Der Zionismus bedeutet Scheidung, bedeutet Absonderung, während das Streben der Besten unserer Zeit auf Annäherung und Einigung gerichtet ist.“ Das klingt gut, doch läuft da etwas Heuchelei mitunter. Auch das Judentum, wenigstens das des Westens hat hundert Jahre lang mit wahrer Leidenschaft auf Annäherung und Einigung hingearbeitet, aber es hat wenig Verständnis und Gegenliebe gefunden. Da empfiehlt es sich denn, es mit reinlicher Scheidung zu versuchen. Sie schafft klare Verhältnisse und aus diesen können sich echte Freundesbeziehungen entwickeln.


Keiner von uns wird die individuellen Freundschaften opfern wollen, die ihn an Christen knüpfen, und kein christlicher Freund wird sich von uns abwenden, weil wir uns mit Stolz unserer Väter erinnern, wie er der seinen, weil wir für die Armen, Elenden und Heimatlosen unseres Stammes ein Herz haben, weil wir Verfolgten eine Zufluchtsstätte, Unterdrückten die Freiheit, wegemüden Landfahrern festen Heimatboden, Darbenden Arbeitsgelegenheit und Nahrung, Gedemütigten Selbstachtung erringen wollen. Im Gegentheil. Wenn wir unsere christlichen Freunde richtig gewählt haben, so wird ein derartiges Streben uns in ihrer Achtung erhöhen. Den Juden, der sich seines Judentums schämte und es wie eine Hautkrankheit zu verheimlichen suchte, haben sie vielleicht nur mitleidig geduldet. Den zionistischen Juden, der seine Kokarde auf den Hut steckt, werden sie als voll und gleich anerkennen und auf seine Freundschaft stolz sein.

Wollen wir uns von dem Lande lossagen, dessen Bürger wir sind? Das wollen viele gute Zionisten nicht und sie werden eifriger als andere Bürger die Gelegenheit suchen und finden, um ihren Landsleuten zu beweisen, dass sie unbeschadet der Treue zu ihrem Stamme und ernster Arbeit im Dienste eines hohen Ideals für den Staat jedes Opfer zu bringen bereit sind und mit regester Anteilnahme am Gemeinwohl mitwirken.

Wollen wir westliche Gesittung aufgeben, das Europäertum abstreifen, asiatische Barbaren werden? Das glauben selbst unsere treulosesten Gegner nicht. Als unsere Ahnen Ägypten verließen, da nahmen, sie Gold- und Silberschätze aus dem Lande mit. Wenn es uns gegönnt sein wird, unsere heimatlosen Brüder nach dem Lande der Väter zurückzuführen oder zu begleiten, so werden wir aus unseren europäischen Geburtsländern die Geistesschätze mitnehmen, die wir hier erwerben durften. Die Dichter, die Denker, die Künstler, die uns den Geist geformt und das Gemüt veredelt haben, werden den kostbarsten Teil unseres Reisegepäckes ausmachen und uns auch in der alt- neuen Heimat die Lehrer, Führer und Freunde sein, die sie uns unser ganzes Leben lang waren. Der Zionismus wird Gesittung in die Barbarei tragen; er wird niemals Barbarei an die Stelle von Gesittung setzen.

An dem Verhältnis des einzelnen Juden zum ihm befreundeten einzelnen Christen kann der Zionismus nichts ändern. Das Verhältnis des Gesamtjudentums zu den christlichen Völkern wird der Zionismus in einem Masse bessern, wovon Kurzsichtige sich keine Vorstellung machen.

Es ist ein nahe liegender Fehlschluss, ein Volk, das überall anzutreffen und nirgendwo zu Hause ist, als Schmarotzer am Leibe der Gastvölker anzusehen. Dieser ewige Vorwurf des Schmarotzertums wird allmählich verstummen, wenn die Welt die Juden auf eigenem Boden alle wirtschaftlichen Verrichtungen eines vollständigen Volkes ausüben sehen wird, und die geänderte Anschauung wird dann auch jenen Juden fühlbar werden, die ihr Geburtsland nicht verlassen.

Doch wozu die viele Juden ängstigende Frage der Einwirkung des Zionismus auf unsere Beziehungen zur christlichen Welt noch weiter vom jüdischen Standpunkte aus erörtern? Es ist zweckmäßiger christliche Stimmen zu hören. Mögen unsere christlichen Freunde das Wort nehmen.

Ihnen werden die Kleinmütigen unseres Stammes glauben müssen. Und wenn ihnen die Christen selbst versichern, dass der Zionismus ihnen nicht bedauerlich und tadelnswert, sondern rühmlich scheint, dass er sie nicht abstößt, sondern im Gegenteil ihnen die Juden anziehender, interessanter, achtbarer und sympathischer macht, so werden sie hoffentlich nicht länger die sonderbare Besorgnis hegen, die christliche Welt könne den Zionismus als eine Aufkündigung der Freundschaft betrachten. Mögen sie also die nachfolgenden Äußerungen hervorragender christlicher Zeitgenossen lesen und beherzigen.

Paris im Dezember 1899.

Dr. Max Nordau.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen