Bertha v. Suttner: Mr. Andrew White

Der Gedanke an den Zionismus hatte sich in die Empfindungen gemengt, die mich erfüllten, als ich die Reise nach dem Sitze der Friedenskonferenz antrat. So kam es auch, dass dasselbe Thema sich mir öfters aufdrängte, wenn ich hier Gelegenheit hatte, mit hervorragenden Menschen aller Nationen über die verschiedenen Fragen hin und her zu reden, welche die Welt bewegen. Nicht „Interviews“ haben da stattgefunden, sondern einfache Unterhaltungen. Man spricht ja über Allerlei. Von der Konferenz geht man zu allgemeinen Betrachtungen, von diesen wieder zu Tagesereignissen über, und einmal auf diesem Terrain führen — wie alle Wege nach Rom — alle Gespräche zur „Affäre.“

Die Affäre beruht in erster Linie auf dem Antisemitismus. Sie ist ganz eigentlich eine Judenfrage. Was liegt da näher — wenn man eine Weile von Dreyfus gesprochen, als sein Gegenüber zu fragen: „Was halten Sie vom Zionismus?“


Der erste, mit dem ich im Haag Gelegenheit hatte, über Zionismus zu sprechen, war Dr. Andrew White.

S. E. Dr. White ist Botschafter der Vereinigten Staaten am Berliner Hofe und steht hier an der Spitze der amerikanischen Delegation zur Friedenskonferenz.

Als ich — es war beim Minister des Äußern Herrn von Beaufort — im Laufe einer Unterhaltung mit dem amerikanischen Gesandten auf den Zionismus zu sprechen kam, musste ich auch von ihm, wie von so vielen anderen, die Antwort hinnehmen: „Darüber kann ich keine Meinung abgeben — ich kenne die Sache nicht. Wohl aber habe ich davon gehört.

„Nur gehört?“

„Das ist schon viel. Es gibt gar manche Zeitereignisse von weittragender Bedeutung, die den Zeitgenossen ganz entgehen.“

Ich frug, ob es in Amerika auch den Antisemitismus gäbe.

„Nein, das gibt es nicht. Und darum verstehen wir diese Erscheinung kaum. Die Dinge, die in Frankreich vorgehen, — in der Dreyfussache — die in Wien den Parlamentarismus verroht haben, sind tief betrübend und unbegreiflich zugleich.

Ich erklärte, welches wirksame Aufbäumen gegen die die Juden treffenden Kränkungen der Zionismus darstelle, wie er namentlich eine Betätigung des Nationalstolzes sei. Oder — Stolz ist nicht der richtige Ausdruck — Bejahung der Nationalwürde, — der Selbstachtung.

„Ganz richtig,“ meinte Dr. White, „und mutig hervorgekehrte Selbstachtung erzeugt die Achtung Anderer.

Dr. White erzählte mir auch, dass der Gesandte der Vereinigten Staaten in Konstantinopel ein Jude sei, und dass er derjenige ist, der den christlichen Missionären die meiste Protektion angedeihen lasse und von ihnen auf das Dankbarste geliebt werde.

Ich musste noch weitere Auskünfte über den Zionismus geben. Dr. White stellte viele Fragen und freute sich zu hören, dass die Bewegung schon so weit gediehen sei, wie ich mitteilen konnte. Den Ausdruck seines Interesses fasste er in einen Rat zusammen, den er den Zionisten gibt:

„Man suche die Hilfe des Deutschen Kaisers [Wilhelm III.].“

Das ist „le mot de la fin“. Und ich möchte gleichfalls einen Rat daran knüpfen: Man suche das Interesse Doktor Whites an der Sache noch weiter zu wecken, und so vielleicht auch seine Hilfe zu erlangen: er ist ja Botschafter in Berlin.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen