Emil Kronberger: Bei Carl Freiherrn v. Torresani

Ein Interview.

Inmitten des vornehmen Grazer Pensionistenviertels hat Torresani, der hervorragende Darsteller österreichischen Familienlebens, ein in gemütlicher Stille atmendes Heim aufgeschlagen, um nach vielen Reisen Monate fruchtbaren, ruhigen Schaffens zu genießen. Alles an ihm atmet österreichisch-patriotischen Geist und eine freie Behaglichkeit mit all der aufrichtigen Herzenswärme, wie sie leider nur in vergangenen Tagen an lebenslustigen Wienern zu merken war. Kurz, Torresani ist ein in den aristokratischen Salon versetzter Wiener von ehedem, ein Prediger herzfröhlichen Lebensgenusses, dem man kaum die Jahre merken würde, wenn nicht hin und wieder ein weißes Härchen dem Spitzbart entquellte.


Als ich ihn in Graz zum ersten Male besuchte und im Laufe des Gespräches der Zionismus Gegenstand unserer Unterhaltung ward, benützte ich die Gelegenheit, ihn um einen Beitrag für diese Sammlung zu bitten. „Wissen Sie“, erwiderte er mir, „ich scheue die grause Öffentlichkeit, aus der ich mich in meine stille Arbeitsstube geflüchtet und kann Ihnen darum nichts Schriftliches geben. Aber das darf ich Ihnen wohl sagen, dass alles, was ich von dieser Bewegung gehört — und allerdings ist es nicht viel — angenehm und erfreulich ist. Und, weil es mir hierin wie dem tappenden Blinden geht, so erzählen Sie mal.“

Ich hatte eben Max Nordaus Geleitwort dieses Sammelwerkes bekommen; das las ich vor. Und erzählte auch vom Werdegange unserer Idee und von ihrer ethischen Höh'.

Gespannt und sichtlich angeregt, lauschte er. „O, wenn alles so ist, dann ist dieser Zionismus doppelt gut und schön und jedes Wort Ihres Führers unterschreibe ich gerne. Und, wie sollten auch die Zionisten, weil sie ihren Vätern Pietät bewahren, christliche Freunde missen. Pietät steht ja im Vordergrund menschlichen Fühlens.“

„Ich selbst habe die Juden immer als ein Volk betrachtet. Das jüdische Blut ist eines der kräftigsten und seine Rassenmerkmale schlagen bei Mischehen ja noch in den Enkelkindern durch. Und, wenn Sie stolz ihr Volkstum beteuern, sollte ich so töricht sein, Sie deswegen geringer zu schätzen. Das gerade Gegentheil!“

Vor 15 — 20 Jahren waren der Lehrer- und Juristenstand mit Juden ganz überfüllt und die Reaktion darauf war der Antisemitismus, dessen rohes, hohles Treiben ich ganz und gar nicht billige. Die Überzahl rief eben den Gegendruck hervor. Würden sich aber nur in gewisser Menge Juden zu den Stellen einfinden, könnte und würde niemand etwas dagegen sprechen, auch wenn die höchsten Stellen von ihnen bekleidet würden. Für die überschüssige Kraft aber die Möglichkeit voller Entfaltung bietet der Kulturwelt der Zionismus.“

Was Torresani aber dennoch am Gelingen des zionistischen Gedankens zweifeln ließ, war die seiner Meinung nach vorhandene Not an Arbeitskräften. Erst, als ich ihm von den Tausenden schwer ringender Arbeiter und von den großen Betriebsstätten jüdischer Industrie- und Hafenarbeiten zu Pinsk, Boryslaw, Salonichi etc., und ihrer Proletarier- und Judennot erzählte, gab er diesen Einwand auf. „Sehen Sie, dass Sie auch körperlich Arbeitende zu Ihren Anhängern zählen, freut mich vom Herzen. Denn eine Übersumme geistiger Kraft haben die Juden und der Antisemitismus ist ja eigentlich nichts anderes, als ein Kompliment vor dem jüdischen Geist! Man fürchtet sich und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, ähnlich wie vor den Italienern vor der Genügsamkeit, dem Fleiß und dem erfassenden Verstände der Juden. Und reichlich konnte ich mich von alldem beim Militär, (Torresani war Rittmeister), wo ich viele tüchtige und schneidige jüdische Soldaten gefunden, überzeugen!“

Das Gespräch erhielt eine andere Wendung; jungdeutsche Literatur und anderes. Auch von dem jüngsten dramatisch-zionistischen Produkt „Dr. Kohn“ war die Rede. Und er freute sich des schönen Gedankenganges. „Schade, dass einem immer so was einfällt, wenn es andere schon geschrieben“, meinte er liebenswürdig lächelnd. Inzwischen tönte der Mittagsglocke Schall und ich schied. „Also, noch einmal“ , rief er die Hand zum Abschied reichend, „ich freue mich dieser jüdischen Bewegung und des vielen Schönen, das sie gezeitigt hat.“



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen