Geistliche Hebungen

Die geistlichen Hebungen stammten schon aus der vorreformatorischen Zeit und waren, durch Errichtung von Vikarieen, Schenkungen, Rentenkäufe, Vermächtnisse entstanden, im Laufe der Zeit zu einem Ge-samtbesitz von 17 Gütern und Dörfern gelangt. Durch die Reformation, vor der die Verwaltung der Hebungen schon auf die Stadt übergegangen war, wurde an ihrer ursprünglichen Bestimmung für kirchliche und Wohltätigkeitszwecke nichts geändert. In der schwedischen Kommission von 1799 und in der mecklenburgischen von 1805/6 waren jedoch schon willkürliche Verwendungen des Hebungsgutes zu städtischen Zwecken gerügt worden. Aber es geschah keine Abhilfe, da beide Kommissionen nicht zu Ende geführt wurden. Nun fing man erst recht an, ganz willkürlich über die Einkünfte der Hebungen zu verfügen. Das Direktorium des wismarschen Konsistoriums war vom Herzog den Magistratspersonen anvertraut worden, die zum Teil selbst Patrone der Hebungen waren und sich mithin selber zu beaufsichtigen hatten. Von Rechnungslegung vor Rat und Ausschuss war keine Rede mehr; der Ausschuss war seit 1814 so vollständig zurückgedrängt, dass nicht einmal ein bürgerschaftlicher Deputierter gegenwärtig war. Wenn überhaupt, geschah die Rechnungsaufnahme allein durch den Patron. So konnte das Patronat, das aus zwei Bürger-meistern bestand, nahezu unbeschränkt über die Hebungsmittel verfügen, da der Patron in der Lage war, sich selber allein Entlastung zu erteilen, und jeder Kontrolle ermangelte.

Die Reformbewegung war bei der Hebungsverwaltung noch nicht wirksam geworden. So fand Nettelbladt hier noch geradezu unglaubliche Verhältnisse in voller Blüte: bei keiner der Hebungen fanden sich Inventarien oder Güterspezifikationen, es gab keine ausreichenden Instruktionen für die Provisoren, die eigentlichen Verwalter der Hebungen; es gab keinen Rat. Die Kassenvorräte wurden nicht nutzbar gemacht, sondern in den Händen der Provisoren gelassen, sodass die Zinsen, ja nicht selten die Vorräte selbst verloren gingen. Dazu waren die meisten Provisoren infolge geleisteter Vorschüsse, die bei der mangelhaften Buchführung schwer zu kontrollieren waren, Gläubiger ihrer Hebungen. Dem Provisor der Jakobi-Hebung, Kommerzienrat Anders, konnte indessen doch nachgewiesen werden, dass er sich für seine Vorschüsse doppelte Zinsen angerechnet hatte. Die Eintreibung der Restanten geschah mit der größten Nachlässigkeit: sie betrugen Michaelis 1827 abgesehen von der Akzisekammer — über 51.282 Mark. Das Bauwesen der Hebungen zeigte die größten Missbräuche, eine ins ungemessene gehende Verschwendung von Materialien, die die Provisoren selber oder deren Verwandte lieferten. Bei der St. Georg-Gebäudehebung war der Ver-bleib von 52 Quaderfelsen sowie einer Menge anderer Baumaterialien nicht aufzuklären. Zahlreiche unquittierte Rechnungen waren als Beläge zu den Akten gebracht. Bei bedeutenden Bauten wurden keine Materialien-Rechnungen geführt. Der Abbruch der Graumönchen Kirche geschah ohne Ausmittelung des Wertes, ohne Versuch, sie auf Abbruch zu verkaufen, ohne Aufnahme eines Inventars und erforderte daher einen bedeutenden Aufwand an Maurerlohn. Die kleine Orgel der Kirche war dabei spurlos verschwunden. Von den Hebungen war seit 1805 die Summe von 384.097 Mark verbaut, wobei deren Vermögen mit 262.170 Mark in Mitleidenschaft gezogen wurde.


Die Rechnungen der Hebungen wurden nach einem veralteten, schon 1597 angewandten Schema geführt, über das schon 1667 und 1731 vergeblich geklagt war. Der Ökonomus, über dessen Dienstverhältnisse es keinerlei Bestimmungen gab, überreichte zu Anfang jeden Jahres den Provisoren die Kladde der Rechnung mit den feststehenden Posten der Einnahme und Ausgabe. Mancher Provisor verließ sich darin ganz auf den Ökonomus, übernahm auch dessen Fehler getreulich, die sich dann von Jahr zu Jahr forterbten. So war es kein Wunder, wenn ungeachtet der Höhe der Baurechnungen Kirchen und Kirchengebäude immer mehr in Verfall gerieten; wenn für die Armen, für die durch die Hebungen so glänzend gesorgt war, nur ganz geringe Beträge übrigblieben, ja die Zahlungen mancher Hebungen, wie Georg-Almosentafel, Armenbeutel, Xikolai-Armenbeutel, für sie ganz eingestellt wurden. Schon 1803 hatte der Ausschuss darüber geklagt, dass die Aufkünfte des Stipendiatenlehns zum Ankauf der Kohlen für die Prediger und zum Gehalt für die reitenden Ratsdiener verwandt, dass die Schulstipendien überhaupt nicht ausbezahlt wurden.*) Trotz alle-dem besaßen die Hebungen, wie Nettelbladt 1827 feststellte, nach Abrechnung ihrer Schulden zusammen noch ein Kapitalvermögen von 279.856 Mark und ausschließlich der Baukosten einen jährlichen Überschuss von 16.339 Mark. Aber dieser Überschuss schwand vollständig, da die Bauten im zweiundzwanzig-jährigen Durchschnitt 17.459 Mark erfordert hatten.

*) Bouchholtzsche Kommissionsakten heim Oberkirchenrat

Diese Mittstände waren dem Rat keineswegs fremd. Schon dem herzoglichen Kommissar Bouchholtz gegenüber hatte sich Bürgermeister Fabricins in ähnlicher Weise geäußert. Schon er wusste darüber zu klagen, dass das Bestreben des Personals der Hebungen vornehmlich dahinging, die Verwaltungstätigkeit dem eigenen Vorteil dienstbar zu machen. Die gegenseitige Verschuldung der selbständig neben einander bestehenden einundzwanzig Hebungen: der infolge solcher Zersplitterung übermäßige Verwaltungsapparat, in-dem jede einem Patron. Inspektor und Provisor unterstellt war, von denen der Inspektor allerseits für über-flüssig gehalten wurde: die Notwendigkeit ständiger Unterstützungen der kleineren heruntergewirtschafteten Hebungen durch die reicheren, wodurch auch die wenigen noch wohlhabenden Hebungen zu Grunde gerichtet werden mussten, hatte schon in ihm den Gedanken an eine Vereinigung aller Hebungen zu einer Verwaltung reifen lassen.

Gegen Ende 1826 war eine Ratskommission bestellt worden zur Beratung über eine Reform der Hebungen. Und als Nettelbladt die Revision dieses Verwaltungszweiges begann, konnte ihm der Rat sogleich unterm 25. August 1827 einen fertigen Plan vorlegen, der auf nachstehenden Grundgedanken beruhte: Verwaltung sämtlicher Hebungen durch ein einziges Kollegium; gesondertes Vermögen der einzelnen Hebungen, aber gemeinschaftliche Kasse; Verwendung der Überschüsse zum Abtrag der Schulden und für allgemeine Zwecke der Hebungen; vor allem geregelte Beaufsichtigung durch den Rat.

Nettelbladt war mit diesen Reformplänen des Rats im allgemeinen und besonders mit der beabsichtigten Vereinigung einverstanden. Aber sie gingen ihm nicht weit genug. Wie er unterm 8. September 1827 an die Regierung berichtete, hielt er vor allem noch eine eingreifende oberbischöfliche Aufsicht für nötig. Und wenn er auch eine Beschränkung der schon seit 1534 nachweisbaren Stadtrechte bei der Verwaltung der Hebungen nicht für durchführbar erachtete, so wollte er doch den Magistrat möglichst von der Verwaltung entfernen, ihn auch bei der Anstellung der Hebungsbeamten beschränken. Ferner hielt er für dringend geboten eine möglichste Verminderung der Beamten, einfachste Verwaltung und Rechnungsführung, eine auf die stiftungsmäßigen Zwecke beschränkte Verwendung. Die eigentlichen Armenstiftungen und das Stipendiatenlehn wollte er von den Hebungen abtrennen und möglichst der Armenanstalt überweisen. Da Wismar mehr wohltätige Stiftungen hatte als irgendeine Stadt im Lande, hoffte er so dem dortigen Armenwesen eine auf alle Zeiten gesicherte Grundlage geben zu können. Andererseits wollte Nettelbladt mit den Hebungen einzelne verwandte milde Stiftungen vereinigen. Die Beratung der Angelegenheit zog sich endlos hin und wurde auf längere Zeit von den bürgerlichen Unruhen unterbrochen. Nach deren Beendigung einigte sich der Rat mit dem Ausschuss bis auf wenige Punkte und legte unterm 3. Juli 1831 ein neu entworfenes Regulativ, bei dem unter Zugrundelegung des früheren rätlichen Entwurfs auch der Nettelbladts benutzt war — wenngleich ohne Annahme seiner radikaleren Forderungen — zur oberbischöflichen Bestätigung vor. Der Entwurf wurde auf Nettelbladts Gutachten hin im allgemeinen von der Regierung gebilligt unter den Bedingungen einer gemeinschaftlichen Verwaltung des Patronats durch beide Bürgermeister, einer Kürzung des jährlichen Zuschusses der Hebungen zur Ratsbesoldungskasse um 500 Taler, eines jährlichen Schuldenabtrages von mindestens 2.000 Talern und der Aufnahme der landesherrlichen Aufsichts- und Bestätigungs-rechte in das Regulativ. Mit dem 1. Januar 1832 trat dieses provisorisch in Kraft und erhielt unterm 1. August 1832 die landesherrlich-oberbischöfliche Bestätigung. Später wurde auf Wunsch der Stadt die für die Vererbpachtung von Hebungsgütern festgesetzte allerhöchste Bestätigung wieder aufgegeben und nur noch nach jeder Vererbpachtung die Einreichung einer beglaubigten Abschrift des Erbpachtvertrages bei der Regierung verlangt. Dagegen blieb in allen anderen Punkten, bei Kauf und Verkauf von Hebungsgütern, bei Verwendung der Hebungsmittel für andere als die gesetzlich bestimmten Zwecke, bei Bewilligung von Pachterlassen, bei Sistierung des regulativmäßigen Schuldenabtrags und bei Kontrahierung neuer Schulden das landesherrliche Bestätigungsrecht gewahrt.

Mit diesen Zusätzen wurde das neue Hebungsregulativ unterm 13. März 1834 veröffentlicht, nachdem schon im Januar 1832 die alte zersplitterte Hebungsverwaltung aufgelöst und das neue Hebungsdepartement eingeführt war. *) Im gleichen Monat erfolgte auch die Übertragung der einzelnen geistlichen Hebungen zustehenden Gerichtsbarkeit an das neugebildete gemeinschaftliche Hebungsgericht. Die Veräußerung der überflüssigen Gebäude **) und die Vererbpachtung der Landgüter der Hebungen, wie sie das Regulativ vorschrieb, wurde sogleich in Angriff genommen. Mitte 1833 ließ sich nach den bis dahin vollzogenen Vererbpachtungen schon übersehen, dass die Erbpacht zwar geringere Jahreserträge liefern würde als die bisherige Zeitpacht. Dagegen wurde durch die Erbstandsgelder und den frei werdenden Versicherungsfonds ein Kapital von 127.000 Talern gewonnen, mit dem die Hebungen ihre sämtlichen Kapitalschulden im Betrage von 124.324 Talern tilgen konnten. Dazu kam eine Ersparnis an Baukosten, Abgaben, Brandkassenbeiträgen und Verwaltungskosten von jährlich 4082 Talern, so dass ein reiner Gewinn von jährlich etwa 7.000 Talern zu erwarten war.

*) Vgl. darüber Ratsarchiv Tit. XXIII, No. I, Vol. 6.
**) Ratsarchiv Tit. XXIII, Xo. 3, Vol. 14.


Als 1841 die Vererbpachtungen der Hebungsgüter vollendet und die Schulden abgetragen waren, fasste der Rat eine Verminderung des Verwaltungspersonals ins Auge, aber der Ausschuss widersetzte sich dem zu wiederholten Malen, sodass der Rat darauf verzichten musste. Mochte auch dieser Vorteil der Stadt nicht zu teil werden, so war doch schon ohne ihn die Vereinigung der Hebungen eine der größten und segens-reichsten Taten in der ganzen wismarschen Verwaltungsgeschichte, ein bleibender Gewinn für die kommenden Geschlechter.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wismar unter dem Pfandvertrage, 1803 bis 1903