Armenwesen

Eine treffliche Regelung des Armenwesens hatte Wismar schon beim Beginn der Nettelbladtschen Regulierung durch Haupts Organisationstalent erhalten. Nettelbladt aber fand manches an der neuen Armenordnung bedenklich und abänderungsbedürftig. Da der Magistrat unter Haupts Führung dem entgegenhielt, das Ge-setz sei verfassungsmäßig erlassen und verletze keine landesherrlichen Rechte, könne also zum Einschreiten der Landesregierung keinen Anlass geben, erwirkte sich der Kommissar von der Regierung die Ermächtigung zur Revision, Veränderung und Vervollständigung der Armenordnung. Die Regierung schloss sich dabei ganz den Bedenken Nettelbladts an, indem sie unterm 18. Oktober 1827 ausführte, es könne die landesherrliche Billigung nicht finden, dass gemäß der Armenordnung jeder Unterstützte seine Selbständigkeit verliere und seine Kräfte für die Gemeinde nutzbar gemacht würden; auch sei die Errichtung des Arbeitshauses nebst den Bestimmungen über Aufnahme und Detention nicht unbedingt zu genehmigen. Für die großherzoglichen Beamten und die Nichtbürger wurde Teilnahme an der Verwaltung gefordert. Die Kombination der Kinderanstalt mit dem Arbeitshaus erschien der Regierung bedenklich, die Errichtung einer tüchtigen Armenschule dagegen notwendig. Schließlich wurde die Vereinigung aller in Wismar sonst bestehen-den Wohltätigkeitsanstalten, das heißt der dem Armenwesen dienenden Hebungen und der milden Stiftungen, mit der Armenanstalt als wünschenswert bezeichnet.

Hierüber mit Nettelbladt in Verhandlungen einzutreten, zeigte sich jedoch der Rat erst bereit, nachdem die Regierung ausdrücklich erklärt hatte, das jus statuendi der Stadt solle dadurch nicht beeinträchtigt werden. Haupt verteidigte, frei von jeder falschen Humanität, seine Schöpfung gegen Nettelbladts Abänderungsvorschläge, deren Durchführung einer Wiederaufhebung des städtischen Gesetzes gleichgekommen wäre. So blieb alles bestehen, wie es durch die wismarsche Gesetzgebung geordnet war. Die Anstalt gedieh blühend: 1833 erlangte sie durch die Eröffnung des neuen Krankenhauses an der Stadtmauer beim Schwarzen Kloster ihre Vollendung. Manchen Städten wie Schwerin, Wolgast, Rostock, Teterow und Bützow diente die wismarsche Armenordnung als Vorlage. Und auch die Regierung anerkannte nachträglich dies Werk, indem sie seinen Schöpfer mit der Revision der Landesgesetzgebung für das Armenwesen und mit einer Verbesserung der Verwaltung des Landarbeitshauses betraute. Nach langjährigem segensreichen Bestand wurde durch das Reichsstrafgesetzbuch das Arbeitshaus als Korrektionsanstalt unhaltbar. In der „revidierten Ordnung“ von 1872 wurden die Aufnahme- und Entlassungsbestimmungen demgemäß verändert. 1875 wurde das wismarsche Arbeitshaus aufgehoben. Die Armenordnung von 1827 blieb jedoch, abgesehen von zeitgemäßen Abänderungen, in Kraft und wurde 1889 auf die städtische Feldmark ausgedehnt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wismar unter dem Pfandvertrage, 1803 bis 1903