Franzosenzeit

Darüber kam das Jahr 1806 heran. Noch im August hoffte man in Wismar trotz der sich verbreitenden ungünstigen Gerüchte, dass die Stadt nun einem besseren Flor entgegengeführt werden sollte. Aber da erfolgte der Einmarsch der Franzosen in Mecklenburg und machte die Fortführung der Erfolg verheißenden Verhandlungen unmöglich. So musste auch die erste mecklenburgische Regulierungskommission gleich der letzten schwedischen abgebrochen werden, ohne zur Vollendung gekommen zu sein. Nicht nur die Abtretung der Akzise und die Reform der Kämmereiverwaltung, sondern auch die nicht minder notwendige Zusammenfassung aller geistlichen Hebungen unter einem Provisorat, von der sich der Bürgermeister Fabricius eine gründliche Heilung aller der schweren in dieser Verwaltung eingerissenen Mängel versprochen hatte, die Errichtung einer Ratsbesoldungskasse — dies alles hatte Bouchholtz in Aussicht genommen — musste unterbleiben. Der einzige greifbare Erfolg, den die umfassenden Verhandlungen zeitigten, war die Aufhebung der Pfarren zum Hl. Geist und zum Schwarzen Kloster und deren Vereinigung mit der Georgen- bzw. Marien-Kirche. Mit den dadurch freiwerdenden Einkünften konnten die armseligen Pfarrbesoldungen doch etwas aufgebessert werden. Aber für das gemeine Stadtwesen war kein Nutzen gewonnen: mit der bloßen Aufdeckung der übergroßen Mängel der Verwaltung konnte hier noch nicht geholfen werden, der eingewurzelte Schlendrian ging ruhig weiter, und die Stadt stand völlig ungerüstet, ja zerrüttet, da an der Schwelle der nun hereinbrechenden Kriegsläufte mit ihren gewaltigen Anforderungen, denen selbst wohl-geordnete Gemeinwesen nur mit äußerster Anstrengung aller Kräfte gerecht zu werden vermochten.

Schon 1805 hatten bedeutende Truppendurchmärsche stattgefunden; in den wenigen Tagen vom 24. Oktober bis zum 9. November hatte die Stadt beinahe 9.000 Mann, größtenteils Russen, verpflegen müssen; bei dem herrschenden Misswachs keine geringe Last. Am 20. November 1806 ergriff Generalleutnant Michaud im Namen des Kaisers Napoleon Besitz von Mecklenburg, nachdem die Stadt Wismar schon am 4. November durch den das Usedomsche Korps verfolgenden französischen General Savary besetzt worden war. Nun begann erst die Zeit der unaufhörlichen Truppendurchzüge. Zahllose Requisitionen wurden über die Stadt verhängt. Das auf Andrängen des französischen Generals d'Alton im Jahre 1810 im Fürstenhof errichtete Lazarett kostete allein 62.703 Taler, wovon die Stadt annähernd 24.000 beizusteuern hatte. Dazu drohte die Kontinentalsperre den wismarschen Handel völlig lahmzulegen. Aber die wismarschen Kaufleute hatten durch die von ihnen längst schwunghaft betriebenen Akzisedefraudationcn die nötige Übung, um trotzdem englische Waren einschmuggeln zu können. Die Sendung französischer Zollbeamten nach Wismar half nicht viel. Auch sie waren für Bestechungen nicht unempfänglich, wofür englisches Geld reichlich zur Verfügung stand. *) So geschah das Wunderbare, dass der sonst so trostlos stille Hafen sich auf einmal belebte; eine vorübergehende Handelsblüte nötigte den Magistrat, am 13. November 1809 eine „Interims –Verordnung“ wegen Löschens und Ladens zu erlassen, damit bei dem Andrang der Schiffe die Ordnung im Hafen aufrecht erhalten bliebe.


Als endlich durch Napoleons verunglückten Zug nach Russland das Übergewicht der Franzosen ins Wanken kam und Norddeutschland sich gegen die Fremdherrschaft erhob, war Wismars Leidenszeit noch lange nicht vorüber. Noch im August und September 1813 war die Stadt der Mittelpunkt heftiger Kämpfe, in deren Verlauf sie bald von den Franzosen, bald von den Verbündeten besetzt wurde. Am 2. September zogen die Franzosen endlich zum letzten Mal ab. Wismar hat seitdem keine bewaffneten Feinde in seinen Mauern gesehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wismar unter dem Pfandvertrage, 1803 bis 1903