Erste Regulierungsversuche

Aber lange konnte die Feiertagsstimmung nicht anhalten in der von Alltagssorgen fast erdrückten, herabgesunkenen Stadt, die damals nur noch 6.254 Einwohner zählte. Der Bürgerschaftliche Ausschuss hatte schon unterm 23. August beim Rat beantragt, sogleich nach den Empfangsfeierlichkeiten mit den Wünschen der Stadt hervorzutreten. Der Rat hielt es jedoch für passender, damit noch etwas zu warten, zumal die Privilegien der Stadt schon durch den Pfandvertrag gewahrt waren. Als aber die Feiertage vorüber gerauscht waren, ließ sich der Ausschuss nicht mehr beschwichtigen; sein Drängen wurde immer ungestümer. End als nun auch noch die Schiffer- und die Krämer-Kompagnie um Beschleunigung der Vorstellung baten, damit Handel und Schifffahrt nicht immer mehr verfalle, widerstand der Rat nicht länger. Unterm 18. Oktober unterbreitete er der herzoglichen Regierung die Wünsche der Stadt. Es waren im Wesentlichen die vom Stadtsekretär Walter zusammengestellten: nur die Schiffbarmachung des Vichelschen Baches wollte man ergänzt wissen durch eine solche der Stör und Elde. Mit solcher Bestimmtheit wurde die Notwendigkeit einer Wasserverbindung mit der Elbe und dadurch mit dem Innern Deutschlands schon damals in Wismar erkannt. Dazu kamen Wünsche, die Extrafuhren von Schwerin nach Rostock, Doberan und andern Orten künftig über Wismar zu legen, wo Extrapferde genommen werden mussten, den Einwohnern von Wismar und dem Stadtgebiet die Aufnahme in die mecklenburgischen Versicherungsgesellschaften nicht zu versagen, Aufhebung des Abschosses und anderes mehr.

Eine Antwort ist auf diese Unterbreitung so zahlreicher Bitten niemals ergangen. Aber sie haben doch wohl dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit der Regierung auf die bedrängte Lage der Stadt zu lenken. Erst vor kurzem hatte die schwedische Regierung die Notwendigkeit erkannt, durch unmittelbares Eingreifen in die wismarschen Dinge die unerlässlichen Reformen herbeizuführen. 1799 war dazu eine königliche Kommission eingesetzt worden. Aber ihre Arbeiten waren nicht zum Abschluss gediehen, da die Verpfändung der Stadt an Mecklenburg ihnen ein vorzeitiges Ende bereitete. Im Oktober 1804 entschloss sich die herzogliche Regierung, diese Kommission wieder aufzunehmen. Dem wirklichen Kanzleirat Bouchholtz zu Schwerin und dem Geheimen Domänenrat Schröder zu Wismar wurde als herzoglichen Kommissarien die Regulierung des gesamten wismarschen Stadtwesens übertragen. *) Schröder konnte sich jedoch nur noch an den einleitenden Geschäften beteiligen. Bald nach Einsetzung der Kommission war er verstorben, und Bouchholtz eröffnete nun am 25. April 1803 auf dem Fürstenhof als alleiniger Kommissar die eigentlichen Verhandlungen. Wie schon durch ihre schwedische Vorgängerin, so wurden auch durch die Bouchholtzsche Kommission die schwersten Missstände in der städtischen Verwaltung bloß gelegt. Besser war inzwischen nichts geworden. Die durch die Brandschatzungen des siebenjährigen Krieges entstandene Schuld lastete immer noch schwer auf der Stadt. Im Jahre 1771 hatte die Krone Schweden 140.000 Taler von ihr übernommen, sodass der Stadt noch über 102 .000 Taler zu tilgen blieben. Aber Schweden leistete die versprochenen Zahlungen, zu denen die Aufkünfte der Ämter Poel und Neukloster herangezogen wurden, nur bis zum Jahre 1787. So ergab sich bei dem im Jahre 1802 vorgenommenen Rechnungsabschluss, dass der Stadt noch 40.045 Mark N 2/3 zu zahlen blieben. Sämtlichen städtischen und Hebungskassen musste daher eine Nachzahlung von 58 1/12 vom Hundert auferlegt werden.


*) Die Materialien über diese Kommission befinden sich im Ratsarchiv Tit. IV, Vol. 22 und Tit. XI, No. 2, Vol. 33; im Geh. und Haupt-Archiv Civ. Wismar, Stadtsachen und in der Registratur des Überkirchenrats.

Dazu hatten die seit 1797 vom Magistrat erlassenen Vorschriften zur Bekämpfung der Missbräuche in der Kämmereiverwaltung durchaus keinen Erfolg gehabt. Der Fehlbetrag bei der Kämmerei hatte im Rechnungsjahr 1797/98 rund 2.500 Mark betragen, 1798/99 stieg er auf 3.893, auch in den folgenden Jahren hielt er sich über 2.000 und 1802/03 stieg er jäh auf 6.0O3, 1803/04 gar auf 9.101 Mark. Im letztgenannten Jahre hatten allerdings die durch den Einzug des Herzogs notwendigen Mehrausgaben wesentlich an der Höhe des Fehlbetrages mitgewirkt.

Besser war es auch mit der städtischen Akziseverwaltung nicht bestellt. Im Jahre 1798 hatten sich ihre Schulden auf 133.679 Taler an Kapital und 98.098 Taler an rückständigen Zinsen belaufen. Seit 1803 beriet eine rätlich-bürgerschaftliche Kommission über Mittel und Wege, diesem in Verfall geratenen Verwaltungszweig aufzuhelfen. Da aber der entworfene Schuldentilgungsplan den Zinsfuß der von den geistlichen Hebungen zu Wismar angeliehenen Kapitalien herabsetzen wollte, legte sich die Landesregierung ins Mit-tel. Die Regelung der Akziseangelegenheit ward dadurch zum wichtigsten Gegenstand der Bouchholtzschen Kommission. Bouchholtz schlug nun der Stadt kurzweg die Abtretung der Akzise an die Landesherrschaft vor. Der Augenblick war dafür ohne Frage äußerst günstig: durch ihre gewaltige Schuldenlast war die Akzise für die Stadt damals von sehr zweifelhaftem Nutzen; konnte man nun durch ihre Preisgabe zugleich eine Ermäßigung der wismarschen Handelsabgaben etwa auf das Maß der Rostocker und die Aufhebung der Handelsbeschränkungen mit Mecklenburg bewirken, so wäre damit ungeheuer, viel für die Stadt gewonnen gewesen. Im Rate war man denn auch geneigt, der Anregung Folge zu geben. Aber der Ausschuss wagte die Verantwortung eines solchen Schrittes nicht auf sich zu nehmen. Auf seinen Vorschlag wurde die Entscheidung der ganzen Bürgergemeinde übertragen. Diese kam am 20. September 1803 durch aus den Ämtern und Zünften gewählte Vertreter zusammen. Der Konsulent des Ausschusses G. C. A. Haupt, der Vater des späteren Bürgermeisters und Reformators des Stadtwesens, empfahl in eindringlicher Rede die Abtretung der Akzise unter angemessenen Bedingungen. Er mahnte, die Frage nur vom Standpunkt des Nutzens für die Stadt zu entscheiden, und erreichte, dass von den am 11. Oktober 1805 wieder zusammengekommenen Vertretern der Gemeinde die Mehrzahl sich seinem Vorschlage gemäß entschied. Jetzt standen nur noch die Bedingungen der Abtretung zur Frage. Aber die Verhandlungen über sie zogen sich in die Länge.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wismar unter dem Pfandvertrage, 1803 bis 1903