Brand Versicherung und Feuerordnung

Die Sorge für das Gemeinwohl hatte doch endlich wieder in einem und dem andern Punkte heilbringende Gestalt gewonnen. Ermutigt durch diese Erfolge konnte sie sich nun anderen Gegenständen zuwenden, an denen es nicht mangelte. War doch die so unbedingt notwendige umfassende Reform des gesamten städtischen Verwaltungswesens noch gar nicht ernstlich in Angriff genommen. Schon 1805 hatte sich die Stadt bemüht, in die Brandversicherung von Rostock und darauf in die der mecklenburgischen Städte aufgenommen zu werden. Diese Bemühungen waren aber daran gescheitert, dass noch Scheunen in der Stadt vorhanden waren. So blieb nichts übrig, als die Errichtung einer eigenen Brandkasse für Wismar ins Auge zu fassen.*) Eine dazu niedergesetzte rätlich-bürgerschaftliche Kommission führte infolge des Einmarsches der Franzosen ihre Beratungen nicht zu ende. Die Angelegenheit ruhte bis zum Jahre 1821, wo sie auf Anregung des Ausschusses wieder in Angriff genommen wurde. Der 1805 vom Bürgermeister Fabricius entworfene Plan wurde den erneuten Beratungen zu Grunde gelegt.

*) Ratsarchiv Tit. XIX, No. I, Vol. 12.


So kam man bei allseitiger Bereitwilligkeit schnell zum Abschluss: unterm 30. März 1822 konnten die Statuten der neu errichteten Brandversicherungsgesellschaft zu Wismar veröffentlicht werden. Der Jahresbei-trag betrug nur 1/12 v. H. der versicherten Summe. Trotzdem war der Erfolg des gewagten Unternehmens in mehrfacher Hinsicht ein bedeutender. Zunächst lenkte die Direktion der Brandversicherungsgesellschaft, bestehend aus je einem Bürgermeister und Ratsherrn und vier bürgerschaftlichen Deputierten, die Aufmerksamkeit auf die bis dahin sehr vernachlässigte Feuerpolizei, machte Vorschläge über sachgemäße Gestaltung des Dienstes der Turm- und Nachtwächter, über Anlegung eines Pulvermagazins und eines Teerhauses außerhalb der Stadt, über Einbringung von Korn und Stroh in die Stadt, über die Bauordnung vor allem in Bezug auf Schornsteine und Feuerstellen. Alle Häuser der Stadt wurden auf ihre Feuergefährlichkeit unter-sucht. Die Wirksamkeit dieser Maßregel war jedoch zweifelhaft, da es den Feuerschaubürgern an bestimmten Vorschriften über die Gegenstände ihrer Untersuchung gebrach und es auch an einer festen Regel über die Abstellung der vorgefundenen Mängel fehlte. Dem wurde abgeholfen durch die unterm 10. September 1829 veröffentlichte Feuerordnung. *) Sie beruhte auf einem Entwurf des Bürgermeisters Haupt, dessen Tätigkeit sich seit einigen Jahren in allen Zweigen der städtischen Verwaltung in entscheidendster Weise bemerkbar machte.

*) Ratsarchiv Tit. XIX, No. I, Vol. 22 I.

Die in dieser neuen Feuerordnung enthaltenen Bauvorschriften waren noch sehr streng. Ihre Anforderungen wurden bereits am 1. Juli 1830 ermäßigt, indem für die Seitenwände der Wohnhäuser nach Nachbarhäusern zu Fachwerk gestattet wurde und nur noch die nach der Straße zu gelegenen Mauern massiv aufgeführt werden mussten. Im Januar 1831 erfolgte die erste Häuserbesichtigung auf Grund dieser neuen Feuerordnung. 1834 wurde auch bei den Vorderwänden wieder Fachwerk gestattet, wenn mit einer Mauer von einem Stein verkleidet. 1860 wurden unter dem Druck der Rückversicherungsgesellschaften wieder massive Seitenmauern gefordert. Und 1899 endlich kam nach mehrfachen vergeblichen Anläufen und nachdem man sich lange mit den vorhandenen unzureichenden Einzelbestimmungen beholfen hatte, eine umfassende städtische Baupolizeiordnung zustande.

Diese Fürsorge fand ihren reichen Lohn, indem seit Errichtung der Brandversicherung die Stadt „fast wunderbar vor Feuerschäden behütet“ wurde. So konnte es nicht fehlen, dass trotz der niedrigen Beiträge das Unternehmen rasch gedieh. Bis zum 1. September 1823 waren schon Gebäude für 843.075 Taler versichert, das Kapital vermögen der Gesellschaft betrug 3.328 Taler.

Auch die Überschüsse der nächsten Jahre überstiegen 1.000 Taler zum Teil um Bedeutendes. — Die Versicherungssumme war von 1824 mit 919.650 auf 1.185.825 (1828) und 1.920.000 Taler (1843) gestiegen. — Trotz des guten Erfolges war es klar, dass ein solches, rein lokales Unternehmen besonders für den Fall einer größeren Feuersbrunst keine ausreichende Sicherheit bieten konnte. Das große Hamburger Brandunglück von 1842 regte denn auch in Wismar den Gedanken an eine Rückversicherung mächtig an. Nachdem Rostock 1846 mit sechs auswärtigen Gesellschaften Rückversicherungsverträge abgeschlossen hatte, gelang auch dem Direktorium der Wismarschen Brandversicherungsanstalt der Abschluss mit vier Gesellschaften mit Wirkung vom 1. April 1847. Da die Rückversicherung gegen eine jährliche Prämie von 1 1/4 vom Tausend abgeschlossen war, mussten zu deren Deckung außer den Jahresbeiträgen der Mitglieder auch noch die Zinsen des Kapitalvermögens der Gesellschaft herangezogen werden. 1853 wurde eine Rückversicherung zu 7/8 vom Tausend erlangt. Die Versicherungssumme war von 1847 bis 1856 von 2.200.000 auf 2.700.000 Taler gestiegen. Später wurde der Versicherungsbereich, der noch nach den neuen Statuten von 1847 streng auf das Gebiet innerhalb der Stadtmauern beschränkt war, allmählich mit der Stadterweiterung ausgedehnt. 1883 wurde der Jahresbeitrag auf 9/10 vom Tausend erhöht. 1889 kam eine Krisis zum Ausbruch, da die neuen Rückversicherungsverträge nur zu 1 1/2 vom Tausend abgeschlossen werden konnten. Um die erhöhten Kosten aufzubringen, beschloss man Einführung von vier Gefahrenklassen mit Jahresbei-trägen von 9/10 bis 12/10 vom Tausend und Zuschlägen von 1/10 bis 6/10 vom Tausend für feuergefährliche Betriebe. Der beabsichtigte Erfolg blieb aber aus: Die Brandkasse arbeitete mit jährlichem Verlust, der sich 1889/90 auf Mark 3.227,93, 1890/91 auf Mark 2.961,35, 1891/92 auf Mark 3.238,31 belief. Man musste sich entschließen, bis zu dem 1895 erfolgenden Ablauf der Rückversicherungsverträge die Beiträge um 2/10 zu erhöhen. 1894 gelang die Verlängerung der Rückversicherungsverträge zu 1 3/10 vom Tausend. 1900 endlich wurde es durch die Konkurrenz der Privatgesellschaften möglich, einen Rückversicherungs-vertrag auf völlig neuer Grundlage abzuschließen: nach ihm wurden lediglich die Jahresbeiträge der Mitglieder an die Rückversicherungsgesellschaften abgeführt, wofür der Brandkasse eine Provision von 10 v. H. bewilligt wurde. Durch dies Abkommen wurde nicht allein die Bedrängnis der Wismarschen Brandversicherung gehoben, sondern sogar ein Jahresüberschuss von rund 7.600 Mark in sichere Aussicht gestellt. Unterm 21. Dezember 1900 erfolgte die Veröffentlichung der neuen Satzungen, die die vier Gefahrenklassen mit den Sätzen von 1889 beibehielten, aber die Zuschläge für feuergefährliche Betriebe bis zu 2 vom Tausend, für Dampfkornmühlen sogar auf 7 1/2 und für Theatergebäude auf 10 vom Tausend steigerte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wismar unter dem Pfandvertrage, 1803 bis 1903