Abschnitt 2

VIII. Die Wunder von Philadelpina.


Ich hatte ja natürlich den Witz sofort erfaßt und sage zu Mutterchen; „Nu kuck bloß mal an, Mutterchen, was diese Amerikaner doch für praktische Leute sind. In die Jondel und mit den kleenen Ballon könnten se doch keene fünf Personen mitnehmen - vermittels dieser einfachen und sinnreichen Einrichtung aber nehmen se hundert und mehr Personen mit. Ich muß sagen, des is ‘ne jroßartige Erfindung - schade bloß, daß ich se nich jemacht habe. Und so furchtbar einfach! Was braucht man mehr als den Kopp zum Luftballonfahren? Mit de Beene kann man ja doch nischt sehen.“


„Nu bin ich aber doch wahrhaftig jespannt,“ sagt Mutterchen; „wie se de Köppe wieder anmachen werden.“

Der Ballon kommt vollends runter, de Anjestellten nehmen de Koppe einen nach dem andern raus aus den Blumentöppen und nu sehen wir, daß jeder Kopp ‘ne Nummer an seinem Hut befestijt trug - den Hut hatten se nämlich aufbehalten - und de Leute auf den Stühlen hatten auch jeder ‘ne Nummer anjesteckt aufm Aermel. Auf diese sinnreiche Weise konnte keine Verwechslung passieren. Zwee Mann waren bloß zur Bedienung nötig, der eine - des muß wohl en jelernter Doktor jewesen sein - der paßte de Köppe kunstjerecht auf de Hälse drauf, und der andere jing mit’n jroßen Pott nebenher. Darin befand sich nämlich ‘ne Salbe - und nu wurde einfach vermittels eines jroßen hölzernen Senflöffels immer bloß eenmal mit de Salbe um de Schnittfläche rumjefahren, denn saß der Kopp wieder fest - der janze Mensch erhob sich vom Stuhle und jing verjniejt seiner Weje.

„Donnerwetter,“ sage ich zu Mutterchen, „der müßten wir doch ooch mal probieren; so was jibt’s in Berlin nich. Jefährlich is et augenscheinlich nich, sonst würden sich nich so’ne Masse Menschen dran beteilijen; horch bloß, Mutter, se unterhalten sich janz normal miteinander und erzählen sich von der schönen Aussicht, die se oben jehabt haben.“

Mutterchen war noch en bißchen schwankend. Indem kommt da ‘n Mann mit joldene Tressen an de Mütze und bimmelt mit ‘ne jroße Jlocke und brüllt; Immer ran meine Herrschasten, es is des letztemal für heute, die letzte Fahrt in de Lüfte. Iroßartije Aussicht - janz Pennsylvanien für fünfzig Cents inklusive Koppabschneiden! - Der Mann is kaum fertig mit seine schöne Rede, da drängeln sich auch schon de Leute dutzendweise an de Kasse um Billets. - „Na,“ sage ich, „Mutterchen, haste keene Lust? En halben Dollar, zwee Mark, des is wirklich nich zu teuer.“

„Ja,“ sagt Mutterchen, „ich möchte schon mal mit rauffahren - bloß mit dem Koppabschneiden - des is so’ne Sache. Man weeß doch nich . . .“

Ich rufe mir also so’n Beamten ran und sage zu dem, wir möchten erst mal sehn, wie das jemacht wird mit dem Koppabschneiden und ob’s auch nich weh tut.

„I Jott bewahre!“ sagt der Mann. „Des is en Verjniejen überhaupt. Kommen Se mal hierher, da können Se’s sehen.“ Er führt uns an ‘nen Verschlag - janz einfach en paar Holzrähme mit rotes Duch überzogen - und läßt uns durch de offene Türe rinkucken. Da stand ‘ne bildschöne kleene Juillotine, blankpoliertes Holz und blankpolierter Stahl, wunderschön anzusehen. Se steht aus so’n hochbeenigen kleenen Disch, da treten de Leute vor hin, Herren, Damen und Kinder, lejen den Kopp rin, und der Medizinalbeamte mit zwee joldene Litzen an de Mütze knipst mit ne leichte Handbewejung eenen Kopp nach ‘m andern jlatt ab. Denn kriejt jeder Kopp und jeder Rumpf seine korrespondierenden Nummern anjepinnt, en Beamter träjt de Köppe weg und arrangiert se auf dem Blumenjestell in der Jondel, während andere Leute de Rümpfe untern Arm fassen und höflich nach de Stühle hinjeleiten.

„I,“ sagte Mutter: „bes is ja jauz appetitlich - nich een Troppen Blut! Komm, Oschen, wir machen mit.“

„Jawoll,“ sage ich, „allemal; das heißt, weißte; wenn wir beide köpplings raus fahren und unsere Rümpfe bleiben unbeaufsichtijt unten sitzen, denn kann uns die Bande derweile eklig ausräubern. ‘ne bessere Jelejenheit für Leichenfledderer jibi’s ja jar nich! Weißte, Mutterchen, ich wer’ doch lieber unten bleiben und passe auf Deine Tasche auf

„Na also, is jut,“ sagt Mütterchen. Ich nehme also man ein Billet für zwee Mark und warte vor der Türe vor dem roten Duchverschlag bis meine liebe Schwiejermutter sauber jeköppt raustritt. Ich jebe ihr den Arm und führe se wie se is kavalierement nach ihren Stuhl hin. Nummro 199. Se hatte de letzte Nummer jekriejt, weil wir uns so lange besonnen hatten. Dafür kriejte se aber ooch auf der Etagere den besten Platz; ihr Köppchen bildete janz allein den Schlußknopp der janzen Pyramide. Sie nahm sich bildhübsch da oben aus mit ihr Kapottehütchen mit’m Schmelz-perlenbehang und de Reiherfeder oben druff Ich werfe ihr noch en Küßhändchen zu, worüber se mit’n freundliches Lächeln quittiert - und denn setzt sich der Ballon lautlos und majestätisch in Bewejung. Das heißt, ich muß jestehn, en komisches Jefühl war’s doch, wie ich so hinter Mutterchens Stuhl stehe und aufpasse, daß se ihr nich’s Portmonnaie aus’m Pompadour mausen. Den Pompadour hielt se nämlich krampfhaft fest in der Hand, aber im übrijen saß se janz stille da und jagte keenen Ton. ‘s is doch en wahres Jlück, daß de nich mitgefahren bist, dachte ich in meinem Sinn; hier kennt uns ja keener und schließlich is’s doch möjlich, daß mal wat passiert und je verwechseln de Köppe. Aber wie jesagt, wohl war mir nich zu Mute die janze Zeit über solange der Ballon in der Luft schwebte, Und ich dankte meinem Schöpfer, wie er wieder runter kam. Mutters Köppchen lächelte mir wieder en freundlichen Jruß zu und der Hut saß auch noch bildschön oben drauf. Na nu war ich ja befriedijt und stieß en tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Das weitere verläuft ja denn auch janz projrammmäßig; de Köppe werden einer nach’m andern von der Etagère runter jenommen, der Medizinalbeamte und der Mann mit’n Senftopp sehen von einem Stuhl zum andern, jede Nummer kriejt ihren richtigen Kopp aufjepaßt, erhebt sich und jeht verjniejt nach Hause. Natürlich nahm diese Prozedur immerhin ziemlich viel Zeit in Anspruch. De Beamten wollten doch endlich Feierabend machen und beeilten sich so sehr se konnten. Inzwischen schlug’s schon achte und nu war Schluß der Ausstellung. Das Publikum verließ schleunijst den eingezäunten Platz, der Ballon wurde für de Nacht verankert, de Stühle aufjestapelt bis auf die paar, die noch besetzt waren - kurz und jut, was man so en schleunijen Aufbruch nennt. Wir hatten’s ja nu inzwischen auch eilig, denn um neune jing unser Zug nach Newyork retour, und ehe wir im Hotel alles erledijt hatten usw., da reichte ‘ne Stunde man knapp aus. - Ich stehe mit de Uhr in der Hand da und rechne nach, ob wir wohl noch zurecht kommen, da faßt mir mit eu... mal wer an’n Arm und jagt; „Na nu komm man, Oschen, wir sind de letzten. Es war übrijens jroßartig. Ich biii man froh, daß ich mir das nich habe entjehen lassen.“

„J kuck mal an, Muiterchen, biste schon fertig?“ sage ich. „Nu aber dalli, wir haben keene Zeit zu verlieren, halt Dich man fest an meinen Arm, denn kommen wir rascher vorwärts.“

Sie hakt sich also unter und nu schlage ich en Eilmarschtempo an, des sich jewaschen hat.

Da ruft mit enmal Mutter janz ängstlich: „Oschen, Oschen, was machste denn bloß? Wie laufst Du denn?“

„Wieso?“ sage ich. „So schnell müssen wir laufen, sonst kommen wir nich mehr mit. Was kuckst De Dich denn immer um, Mutterchen? Haste was verjessen?“