Abschnitt 2

VII. Das Präsentierbrett kommt endlich zur Ruhe.


„Also ja, fahren wir nach Philadelphia. Ooch ‘ne schöne Jejend! Komm, Mutterchen, jräme Dich nich, es wird schon richtig sein. Der liebe Jott hat uns ja bisher sicher durch alle Fährlichkeiten jeleitet, er wird ooch dafür sorjen, daß des Präsentierbrett in de richtigen Hände kommt.“ Und so fahr’n wir also nach Philadelphia.


Von Philadelphia nach Phoenixville is es ja nich weit, vielleicht zwei Stunden Eisenbahnfahrt. Ich erkundige mich also, wie man da am besten hinkommt. Selbstverständlich waren da wieder zwei Konkurrenzlinien. Jewizijt, wie ich nu in diesem Punkte schon war, frage ich einfach, welches de kürzeste und beste Route wäre. Antwortet mir der; Mann; „Das kommt janz drauf an, Sir; heute rechts und morjen links.“

Ich verstehe des natürlich nich und lasse mir von dem Herrn diese Anjelejenheit erst mal ordentlich auseinanderpolken. Des war nämlich so; zwischen Phoenixville und Philadelphia herrscht en lebhafter Jeschäftsverkehr, ‘ne Menge Beamte und Kaufleute haben drüben zu tun, wohnen aber in Philadelphia. Da seht nu rejelmäßig morjens ein Zug rauf und abends wieder ein Zug zurück, und zwar auf beiden Linien zur selben Stunde abfahrend. Beide Linien fahren auch hart am Rande des Schuyltill River, so daß sich die beiden Züge während der janzen Fahrt im Auge behalten können. Da hat sich denn natürlich ans diesem Umstande ‘n jesunder, echt amerikanischer Sport entwickelt. Die beiden Züge fahren nämlich um de Wette was haste was kannste. De Passagiere schließen Wetten ab wie beim Rennen und rejen sich dadurch in der anjenehmsten Weise uff. Welcher Zug zuerst ankommt, der hat für den Tag jesiejt und für den nächsten Tag de meisten Passagiere - und so jeht des ‘s janze Jahr durch. Für Leute, die hart in ihrem Berufe arbeiten, wie man sich denken kann, ’ne anjenehme Unterhaltung, welche ihnen über de Entfernung in der amüsantesten Weise weghilft.

Na mir ahnte ja schon nischt Jutes; aber was sollten wir machen? Nach Phoenixville wollten wir doch - ich zähle also an den Knöppen ab ob rechts oder links, und die entscheiden sich für rechts.

Im Verjleich zu der Fahrt von den Niagarafällen nach dem Ontariosee war ja diese Reise, was Jefährlichkeit der Bahnanlage betrifft, en Kinderspiel. Aber um einigermaßen den Schaden weit zu machen, der durch de Sicherheit der Jleisanlage auf ebenem Boden für amerikanische Bejriffe entschieden vorhanden war, entwickelten die Lokomotiven hier en so wahnsinniges Tempo, daß bei jeder Kurve de Passagiere aus einer Ecke des Wagens in de andere jeschleudert wurden, was natürlich den Herrn Amerikanern en diebisches Verjnüjen machte. Bei der ersten Kurve fliejt meine jute Schwiegermutter mit ausjebreiteten Armen einem dicken Viehhändler um den Hals. Alljemeines Hurra; bei der nächsten Kurve saust das Präsentierbrett aus ‘em Netz raus und fliejt einem freundlichen älteren Herrn in jeistlichem Jewande jejenüber an den Schädel. Ich mache meine Entchuldijungen und biete ihm englisches Pflaster an, um die klaffende Wunde zuzukleben, da - Achtung, Kurve! Ich komme selber in Schuß, flieje dem verwundeten Gentleman an’n Kopp, so daß seine Schramme sich purpurrot auf meiner weißen Weste abzeichnet - flieje wieder zurück, torkle und falle mit den Schultern rückwärts in de Fensterscheibe. Krach, jing se hin, wunderbarerweise ohne mir Schaden zuzufüjen.

Aber nu wurde die Sache eklig. Der Zug wirbelte nämlich bei seiner rasenden Jeschwindigkeit enen kolossalen Staub auf und der wurde durch de zerbrochene Fensterscheibe in unseren Wagen rinjetrieben. De richtige Sandhose war des. Nach zwei Minuten war alles voll Sand und Rauch. ‘ne Atmosphäre zum Ersticken! Und des Jeschimpfe, wat nu losjing! Ich war’t Karnickel, ich hatte de Scheibe einjeschlagen. Ich dachte schon nich anders als: nu wirste jelyncht, Oskar. - Da habe ich wieder eene von meine jewöhnlichen jenialen Ideen. Ich erjreife das Präsentierbrett, drücke es vor des zerbrochene Fenster und zwar, indem ich mich mit meiner Rückseite fest dajejen lehne. Hiermit waren sämtliche Mitreisende einverstanden. Aber für mich war es äußerst anstrengend, kann ich Dir sagen. Um nich bei jeder Kurve wieder aus meiner Lage jeschleudert zu werden, war ich nämlich mit den Füßen auf je eine Bank jetreten, und mit den Händen hatte ich mich oben an den Jepäcknetzen festjehalten. Ich bildete auf diese Weise en flaches Kreuz. Wenn nu ’ne Kurve kam, denn konnte ich in den Knie- und Armjelenken so recht schön elastisch nachjeben, so daß ich meinen Standpunkt innehalten konnte. Aber en Verjniejen war’s nich, denn ich mußte über ‘ne Stunde lang so übers Kreuz stehen mit rausjedrücktem Sitzfleisch. Und nu noch die faulen Witze der Mitreisenden!

Na aber, jedes Ding hat en Ende und so auch, Jottseidank, diese Wettfahrt. Unsere Linie wurde übrijens an diesem Tage um zwei Lokomotivlängen jeschlagen, was mir um so unanjenehmer war, als ich mich dummerweise auch mit ’ner Wette hatte reinlejen lassen. Es war’n ja man fünf Dollar, aber fünf Dollar sind zwanzig Mark, und für zwanzig Mark kann man schon nach’n Harz fahren, hin und retour, ohne Aufrejung, de schönste Aussicht - und auf jedem Bahnhof en Jlas Bier! -

Na, in Phoenixville war’n wir ja nu jlücklich - wenigstens in einem Phoenixville. Nu hieß es noch, die Adresse von dem lieben Schwager ausbaldowern. Mein praktischer Instinkt wies mich aber wieder den richtigen Weg. Einwohnermeldeamt kannten se da nich, aber auf der Post fand ich en freundlichen Beamten, der mir Auskunft jab. „Wohnt hier en Ingenieur Müller, jung verheiz ratet etc. p. p.?“

„Ingenieur Müller? Allright, Sir, der wohnt da und da.“

Also wir hin. Mutterchen, wie Du Dir denken kannst, in höchster seelischer Errejung.

Des Haus sah nich jrade hochherrschaftlich aus - aber lieber Jott, die Leute fangen ja ooch erst an, kann ja noch allens kommen, tröste ich Mutterchen. Wir steijen de Treppe rauf, dritten Stock. Richtig, da is en Schild an de Tür; I. Miller, Ingenieur.

„Ach Du jrundjütiger Himmel!“ ruft Mutterchen janz schwach ; „Der heißt ja jar nich Müller.“

„Ach wo,“ sage ich; „das macht doch nischt. Auf amerikanisch heißt eben Müller Miller, man muß sich doch nach den Landessitten richten. James heißt er ooch - also des wird er schon sein.“

Inzwischen macht uns en schmudlijes Dienstmädchen de Türe auf.

„Mister und Misses Miller at home?“ frage ich.

„Yes please Sir.“

Wir treten näher in den stockfinsteren Korridor. Das Mädchen will fort uns anmelden, ich krieje se beim Schlafittich zu fassen und flüstere ihr zu, daß wir Verwandte wären und ’ne Ueberraschung vorhätten, und zu Muttern sage ich; „Nu wickle mal erst des Präsentierbrett aus, ‘t macht en bessern Eindruck.“ Und denn schleichen wir janz sachte nach de Stubentür, ich kloppe an - ne Stimme ruft ?come in? - ich stoße de Türe auf ...

Was soll ich Dir sagen, mein Junge; wir befanden uns wildfremden Leuten jejenüber! En ekliger langer dürren Kerl und ‘ne Frau, die jroßartig zu ihm paßte, so ‘ne Hopfenstange, oben krumm jebogen, - die sitzen zusammen beim Mittagessen und zwei mierije Jöhren sitzen ooch noch mit am Tische. Die Jesellschaft jlotzt uns an, wir jlotzen sie an, und denn erhebt sich der dürre Kerl von seinem Stuhl und schnauzt mich an: „Please Sir, what do jo want?“ und Mutterchen steht mit ihr Präsentierbrett da und hält’s immer so vor sich hin, als ob se sagen wollte: na nehmen Se’s man jo nich übel! Und dabei schnappt se immer so nach Luft, und ich merke schon, nu dauert’s nich lange, denn kullern ihr de Tränen runter. Se hatte sich doch so auf des Wiedersehn jefreut.

Ich finde ja nu zuerst de Sprache wieder. „Entschuldigen Sie, mein Herr,“ sage ich auf englisch, so jut es jing; „wir sind hier doch wohl nich richtig. Ich wollte nämlich meinen Schwager besuchen, und das is nämlich hier meine Schwiejermutter. Sie erlauben, daß ich die Herrschaften bekannt mache.“ Aber da schien ihnen jar nischt dran zu liejen; die Hopfenstange wurde vielmehr sehr unanjenehm und hetzte ihren Jemahl auf, uns zum Rückzug aufzufordern.

Wir ließen uns nich lange bitten, und eins, zwei, drei standen wir wieder draußen vor der Türe mit unsere Kenntnisse und mit’s Präsentierbrett. Nu war ich aber höllisch wild. „Mutterchen,“ sage ich, „jetzt kriejste mich keinen Schritt weiter in dem verfluchten Amerika, ich kehre um, ich will zu Hause.“

Und das jute Mutterchen steht da an’n Türpfosten jelehnt und heult, daß es en Hund jammern konnte; „Ach ja, ach ja, mein Oschen, man bloß zu Hause! Ich soll mein jeliebies Kind nich wiedersehn! - Was mach ich denn bloß mit dem ollen Präsentierbrett?“

„Laß es da, Mutterchen, schön is es doch nich mehr.“ Der Rejen von neulich Nachj und das Sandbombardement von heute Vormittag hatten nämlich unser schönes Hochzeitsgeschenk beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

„Is auch wahr,“ sagt Mutter und stellt das Dings mit ‘n tiefen Seufzer bei I. Miller an de Korridortüre, und denn steijt se wieder resigniert de Treppe runter.

Da sehe ich an ‘em Bindfaden vor der Türe en Stück Kreide bammeln und ‘ne kleine Schiefertafel dabei. Ich nehm’ de Kreide von der Wand, erjreife des Präsentierbrett und male auf de Rückseite mit jroßen Zügen in meiner schönsten Schönschrift das einzije deutsche Wort: Schafskopp! - Denn folge ich Mutterchen befriedigt nach.

Das war unser letztes Abenteuer in Amerika.