Abschnitt 1

VII. Das Präsentierbrett kommt endlich zur Ruhe.


Die Tour auf dem St. Lorenzstrom schien Onkel Oschen selbst in der Erinnerung noch stark angegriffen zu haben. Er gähnte mehrmals heftig und machte Miene auszubrechen.


„Nein Onkelchen, das gilt nicht,“ sagte ich: „Du bist mir noch den Schluß Eurer Reise schuldig.“

„Na, ich hab Dir doch gesagt, daß wir Amerika nach den Rapids gründlich satt hatten und schleunigst wieder nach Berlin zurück zu kehren beschlossen.“

„Nu ja; aber erst mußt Du mir doch noch erzählen,“ beharrte ich, „wie Ihr den Schwager in Phoenixville fandet. Das Präsentierbrett ist ja noch gar nicht abgeliefert.“

„Ach ja richtig, des olle dämliche Präsentierbrett,“ sagte Onkel Oschen und kratzte sich am Hinterkopf. „Na also, denn hör mal zu; die Sache kam nämlich so: Zunächst machten wir, daß wir von Montreal wieder nach Newyork zurückkamen. Auf der Reise dahin passierte uns ja nu weiter nischt Besonderes - das heißt, ja; eine merkwürdige Sache wäre da doch zu erwähnen. Ich hatte mir nämlich, gewitzigt durch die üble Erfahrung mit dem billigen Billet vom Agenten, damals auf der Hungertour von Albany nach den Fällen, nach ‘m Kursbuch selbst ‘ne besonders kurze und dabei wohlfeile Route zusammenjestellt. Es war ’n Nachtzug, mit dem wir abfuhren, und der Schaffner kuckte uns schon so komisch an, wie er unsere kombinierten Billetter besah. Ich jebe ihm en Extratrinkjeld, damit er uns ooch richtig wecken sollte, wenn die Station kam, wo wir umsteijen mußten.

Na, de Reise jing also los. Mutterchen und ich sitzen jeder in seiner Ecke, sie mit dem Präsentierbrett auf ’m Schoß, weils oben ins Netz nich rin jing, und so druseln wir also sanft ein und merken jar nich, wie de Zeit verjeht. Mit enmal bläst uns en kalter Wind ins Jesichte, wir fahren aus ‘em schönsten Schlafe auf und vor uns steht der Schaffner und schreit uns an: „Get out, Sir, no time to spare, make haste, make haste!““ Ich drängle also erst mal Mutterchen raus, denn schmeiße ich des Präsentierbrett und des übrije Handjepäck nach und springe schließlich selber raus. In demselben Augenblick ballert der Schaffner de Türe zu. Allright! - ein Fiff - und weg war der Zug.

Wir kucken uns um, Mutterchen und ich. Na nu, was is ’n des? Ich weiß nich, ob ich wache oder träume, ich reibe mir de Augen . . . nee, da war keen Zweifel möglich! Hier war jar keene Station! En Bahnhof und überhaupt en Jebäude war nirjends zu sehen. Nischt wie pure Finsternis. Mitten auf ‘m Bahndamm hatten se uns ausjesetzt, dicht am Rande ener mächtig steilen hohen Böschung standen wir, und dabei blus wieder so ’n ekelhafter Steppenwind, daß man sich nur mit Mühe und Not halten konnte. Des einzije, was wir in der Finsternis unterscheiden konnten, waren de zwei Schienenjeleise, die an dieser Stelle jabelförmig auseinander jingen.

„Du, mir scheint,“ sage ich zu Mutterchen; „wir sind de Opfer einer infamen Verschwörung. Des is doch jar nich möjlich, daß de Bahnverwaltung anständige Leute mit en rejuläres Billet in stockfinsterer Nacht mitten auf ‘n Bahndamm aussetzt!“

„Ach wundre Dir man nich unnötig,“ sagt Mutterchen; „wir sind doch in Amerika.“

Indem sängt es zu rejnen an. „Na, das kann ja hübsch werden,“ sage ich und spanne meinen Schirm auf - unjlücklicherweise jedoch jejen den Wind, so daß er im Nu umknickte. Ritsch, ratsch, war de Seide durch und des leere Jerippe stach scheußlich in de Nacht rein.

„Na, des is nich schlecht,“ sage ich. „Mutterchen, wo hast’en Deinen Schirm?“

Mutterchen sucht und sucht. Natürlich hatte se’n Schirm in der Schlaftrunkenheit im Coupé stehen lassen. Aber durch solche Kleinigkeiten lasse ich mich nich verblüffen, praktisch wie ich bin. Ich sage zu Mutterchen, se soll man jefällijst Platz nehmen; ich setze mich neben ihr am Rande der Böschung nieder, de Füße im nassen Jrase, des Sitzteil auf dein harten Kies des Bahndammes - und nu fasse ich Muttern um und lange des Präsentierbrett hoch und placiere des als Rejendach auf unsere beiderseitijen Koppe oben druff. Jeder faßt an einer Seite zur Sicherheit an - und so saßen wir denn nu wenijstens vor dem Jröbsten jeschützt da und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Von Zeit zu Zeit, wenn sich des Brett bis zum Rande mit Wasser jefüllt hatte, kippten wir’s aus - aber sonst war’s ja janz jemütlich so weit. Wir hatten uns schon drauf jefaßt jemacht, in dieser Situation den Morjen zu erwarten und denn am Bahndamm lang nach der nächsten Station zu laufen, de möjlicherweise so zehn, zwölf Fußstunden entfernt sein konnte. Da sehen wir zu unserer jroßen Freude en Licht sich nähern, und bald steht en vertrauenerweckender Mann mit ’ne Laterne vor uns. Es war der Bahnwärter, der de Strecke revidierte. Wir setzten ihm, so jut es jing, unsern Fall auseinander und denn sagte der Mann, wir müßten wohl hier fremd sein.

Na also kurz und jut, die Sache kam so: es dauerte bloß noch en paar Minuten, denn kommt durch de Nacht en Zug ranjedonnert aus derselben Richtung, aus der wir herjekommen waren. Der Bahnwärter schwingt seine Laterne als Notsignal - und richtig, der Zug stoppt. Zugführer und Schaffner krabbeln runter, gruppieren sich um uns und quasseln alle jleichzeitig auf uns ein. Ich sage; „Es wird sich später allens aufklären, meine Herren, lassen Se uns erst mal um Jotteswillen hier reinsteijen; wohin’s jeht, is mir janz ejal; aber hier bleiben wir nich de Nacht; des könn’n Se nich verlangen.“

Was wollten se machen? Se spedieren uns irgendwo rin wo Platz is - wir danken unserem Schöpfer, daß wir im Trocknen sitzen und druseln wieder ein. Wie wir aufwachen is et Morjen, wir sind in ‘ner jroßen Bahnhofshalle, alles steijt aus, wir mit. Wie wir nu so auf ‘m Bahnsteig stehen und nich wissen, wo wir hin sollen, kommt wieder des janze Personal zusammen jelaufen; wir müssen unserer Billetier vorzeijen, und denn stecken se de Köppe zusammen und quasseln wieder alle durcheinander und schreien sich an und lachen sich ‘n Ast - und denn kriejen se uns zu fassen und schieben uns beide mit’n dreimalijen bejeisterten Hurrah auf ‘n andres Jleis rüber, wo en Zug zur Abfahrt bereit steht. Eh’ wir’s uns versehen sitzen wir wieder in einem Coupé drin - ein Fiff und de Karre jeht los. Wir kucken uns um, wo wir Platz finden und unsere Sachen unterbringen sollen - da mit enmal jeht mir ‘n Licht auf. „Mutterchen,“ sage ich; „kommt Dir des hier nich bekannt vor?“

„Jawoll,“ sagt sie, „hier war’n wir doch schon mal! Und da steht ja auch wahrhaftigen Jott mein Rejenschirm in der Ecke!“

So war et ooch. Hast Du Worte? Des kam wieder von die verfluchtigen Konkurrenzlinien her; die jingen beide in derselben Richtung, bloß daß se sich an der Stelle, wo se uns rausjeschmissen hatten, jabelten. Zu blödsinnig!

Wir kamen also, von diesem Abenteuer abjesehen, wohlbehalten in Newyork an. Da hielten wir uns noch en paar Tage auf und nahmen de übrijen Sehenswürdigkeiten in Augenschein, die wir bei unserem ersten kurzen Aufenthalt versäumt hatten.

„Aha,“ unterbrach ich des Enkels Erzählung; „in diesen Tagen war’s wohl, wo Du für die Verwirklichung Deiner sensationellen Erfindungen die nötigen Schritte getan hast?“

„Janz recht, mein Sohn, stimmt.“

„Und wo Du Rockefeller, Vanderbilt und Morgan zum Frühstück eingeladen hast?“

„Allerdings war das in diesen Tagen; aber sprechen wir nich mehr davon, die Erinnerung is mir peinlich. Also kurz und jut, wie wir mit Newyork fertig sind, packen wir unsre Siebensachen wieder zusammen und fahren nach ‘m Bahnhof. Ich jehe an ‘n ersten besten Schalter ran und verlange zweie Dritter nach Phoenixville und retour.

„Was für ‘n Phoenixville meinen Sie denn?“ fragte der Beamte.

„Ach verflucht noch mal, jibi’s denn mehrere?“ „Allerdings,“ sagte der Beamte. „Sie müssen doch wissen, in welchem Staate Ihrs liejt.“

Ich rufe Mutterchen ran, und frage se, ob se nich weiß, in welchem Staate des Phoenixville liejt, wo ihre Tochter hinjeheiratet hat.

„Nee,“ sagt se, „des weeß ich nich.“

„Na haste ’n keenen Brief von James’sen bei Dir?“

„Ach Jott nee, die liejen unten im Koffer.“

„Hörn Se mal, sage ich zu dem Beamten; „Se werden ja wol de Verhältnisse hierzulande kennen; mein Schwager is Ingenieur und schreibt sich Müller; wo is denn nu wol de jrößte Wahrscheinlichkeit, daß en Ingenieur sein Auskommen findet von diesen verschiedenen Phoenixvillen?“

Nu wird aber der Beamte unjeduldig und meint, des hätt’ ich mir vorher überlejen können.

„Ach was,“ sage ich, ,lassen wir’s drauf ankommen; jeben Se man de Billets nach ‘m nächsten besten Phoenixville.“

„Das is bei Philadelphia,“ sagt der und schickt uns nach dem richtigen Schalter.