Abschnitt 4

VI. Chingachgook oder das Abenteuer auf dem St. Lorenzstrom.


„Ich denke so in zwei Minuten,“ antwortet der Herr zerstreut.


„Is denn des nich janz bestimmt?“ frage ich ängstlich.

„Nein, des is verschieden, je nach dem Wetter. Wenn wir viel Wasser und den Wind im Rücken haben, sind wir bedeutend früher da als sonst.“

„Wenns nu aber dunkel wird?“

„Wenns dunkel wird, ehe wir nach Montreal kommen? Des is allerdings ‘ne sehr jefährliche Anjelejenheit. Wenn man de Riffe nich sieht, kann man se natürlich nich vermeiden.“

Mir fingen de Kniee zu zittern am „Ach Du lieber Jott!“ rufe ich, „es is ja schon schummrich; meinen Se denn, daß wir noch hinkommen?“

„Wir stehen alle in jottes Hand,“ sagt der Vizekap’tän und seht seiner Weje.

„Hörn Se mal, Sie,“ rufe ich ihm nach; „des is ‘ne Jemeinheit! Wie ich aussteijen will, sagt mir Ihr Herr Vorjesetzter, das wäre man ’ne kleene Verjniejungstour ohne jede Jefahr - und nu stehen wir bereits in Jottes Hand! Na ich danke. Ich mache Sie für de Foljen verantwortlich. Ich habe Zeujen, daß ich aussteijen wollte - Vorspiejelung falscher Tatsachen. Ich wer’ Se vor Jericht belangen, Herr Kap’tän, und die anderen Herrschaften auch, falls ich oder meine Schwiejermutter bei dieser sojenannten Verjniejungstour auch nur im jeringsten beschädigt werden sollte.“

Da ertönt en Jlockenzeichen und ehe ich noch Zeit habe zu fragen, was des bedeuten soll, krieje ich en Tau übern Kopp jeschmissen und fühle mich mit einem Ruck fest jejen den Schornstein anjedrückt und mit en ordentlichen düchtijen Schifferknoten hinten zujebunden. Es war’n noch so Stücker drei bis vier Opferlämmer mit mir zusammen so kranzförmig um den Schornstein befestigt.

„Halten Se mal, Sie, warten Se mal!“ rufe ich den Matrosen zu, die uns anbanden: „Ich muß erst mal jehn und sehn, was aus meiner Schwiejermama jeworden is.“ Die Kerle zucken de Achseln und jehn weiter.

Ich strample mit Armen und Beenen und brülle, so doll ich kann; „Mutterchen, wo biste?“ Keene Antwort. - Des is ja Freiheitsberaubung, denke ich und drehe den Kopp nach meinem Nachbar über de Schulter, um den um Rat zu fragen, da.... ich denke, mich soll der Schlag rühren! Der Mund bleibt mir offen stehen, de Augen treten mir aus’m Koppe und ich bibbere in allen Je-lenken wie so’n Automobil, wenn’s stille steht. - Unser Schiff saust senkrecht auf ‘ne hohe jlatte Felswand los. Oskar, nu is’s aus, denke ich; und fast im selben Momente - des jing eins, zwei, drei, viel schneller, wie ichs erzählen kann, en schriller Feifenton von der Kommandobrücke, und. des mächtije Schiff legt sich platt auf de Seite; aber unjelogen so weit auf de Seite, daß der Schornstein einstippte - wie’s im Buche stand - und ich stippte natürlich mit ein, denn niederträchtijerweise hatten se mich an de untere Seite jebunden. En paar Sekunden bloß, denn war de Jeschichte ausjestanden. Mit mächtijem Zischen erjoß sich der Schaum über des janze Schiff weg, ‘ne scharfe Wendung um de Felsenecke rum - und denn richtet es sich wieder hoch - wir sind jerettet. Die sämtlichen Amerikaner und Canadier brüllen wie ein Mann; Hipp, hipp, hipp, Hurrah! De Matrosen binden de Passagiere los und mit jejenseitijen shake-hands beglückwünscht man sich zu dem neu anjebrochenen Lebensabschnitt. Neben mir taucht mein Engländer auf. Der macht en Jesicht, als hätt’ er ‘ne Kruke Mixpicles auf’n nüchternen Magen runterwürjen müssen und knirscht mich an: „Why, damnation! Missed it again!“ was auf deutsch soviel heißt wie; au verflucht, wieder vorbei jelungen!

Ich stehe breitbeenig, wie so’n bejossener Pudel da und während ich mich abdrippen lasse und mir Jesicht und Bart mit’n Taschentuch abtrockne, richte ich en innijes Dankjebet zum Himmel, der mir aus diesem amerikanischen Verjniejen so freundlich rausjeholfen hatte, mir und meiner Schwiejermutter. Das heißt, nee .... Donnerwetter, wo is denn Mutter? fällt mir plötzlich ein. Ich torkle das janze Schiff lang, Steuerbord auswärts und Backbord abwärts, kucke in jeden Winkel und frage jeden Menschen; „Hab’n Se meine Schwiejermutter nich jesehn?“ Aber alle zucken se de Achseln „No Sir – don’t know, Sir.“ - Herr Jeses, Herr Jeses, Herr Jeses! „Kap’tän!“ schreie ich außer mir, „ich vermisse meine Schwiejermutter, lassen Se mal stoppen. Ach so, nee, des jeht ja nich.“ Der Kap’tän brüllt was runter, das verstehe ich nich in meiner Aufrejung. Indem kriejt mich auch schon so’n anderer Beamter beim Rock zu fassen und sagt; „Hörn Se mal, se wird doch nich etwa im Speisesaal jeblieben sein? Es is allerdings heute zufällig das erste Jlockenzeichen versessen worden.“

Also ich de Treppe runter in’n Speisesaal. Natürlich flieje ich in der Aufregung hin und komme mit’n Kopp vornweg unten an, aber des war ja nu allens ejal. Herr Jott, sah das da aus! Allens, was nich niet- und nagelfest war, des heißt also Jedecke, Jeschirr, Jläser, Pfeffer-, Salz- und Senfjefäße, Feldstühle, Reiselektüre, Jebetbücher, was weiß ich, allens war in eene Ecke zusammenjerutscht, een furchtbares, unbeschreibliches Durcheinander. Und aus der Ecke raus erklingt ein janz schwaches Stöhnen. „Das is se,“ sage ich, „nu aber fix anjefaßt, Jungens.“ Es waren natürlich etliche Passagiere und en paar Stewards mir nachjelaufen, schon aus Neujierde - und daß muß ich zu ihrer Ehre sagen, die faßten ordentlich mit an. Zwei Minuten höchstens und der janze Trümmerhaufen war soweit beiseite jeräumt, daß mein jeliebtes Mütterchen doch wenigstens mit ‘n Kopp oben rauskuckte. Wie se mich erkannte, wischte se sich jerührt den Senf von der Nase runter und sagte;

„Ach, Oschen, was war denn das nu wieder?“

Und während ihr de freundlichen Leute auf de Beene helfen, sage ich; „Armes Mutterchen, was Dir ooch allens passieren muß! Warum biste bloß hier unten sitzen jeblieben und nich mit den andern auf Deck jestiejen?“

„Das Obst schmeckte mir doch so schön, Oschen; ich dachte; wirst noch en halben Appel essen, was kann da sein.“

„Siehste, Mutterchen, is doch manchmal jut, wenn man für Obst dankt. Fehlt Dir denn sonst nischt?“

„Nee, danke, bloß de Luft wurde mir en bißchen knapp.“

„Na, ich sage ja, des nennt sich ‘ne amerikanische Verjniejungstour. O Du heiliger Chingachgook!“

Mutterchen jab mir recht und sagte, nu möchte se bloß noch eenmal ihre Dochter wiedersehn - denn aber raus aus Amerika. Auf de Spree könnte einem so was nich passieren.

Ich pflichtete ihr bejeistert bei. „Hast recht, Mutterchen, morjen nehmen wir ‘n Billet nach Phoenixville und denn .... auf nach Berlin ... Hurrah! Hurrah! Hurrah!