Abschnitt 3

VI. Chingachgook oder das Abenteuer auf dem St. Lorenzstrom.


„Nicht daß ich wüßte,“ antwortet mir der. „Bloß voriges Jahr um diese Zeit ist der jroße Dampfer Montreal mit 1107 Passagieren an Bord an dem berüchtigten Riff zerschellt und selbstverständlich mit Mann und Maus verschwunden.“


Bei dieser Nachricht blieb mir ne Lobsterschere in der Kehle stecken, so daß ich beinah auf natürlichem Wege schon vor dem Riff das Zeitliche jesejnet hätte. Mutterchen stand ’ne schreckliche Angst um mich aus. Ich war schon blau im Jesichte jeworden, de Nachbarn kloppten mir mit vereinter Anstrengung den Buckel - und so kam ich denn endlich wieder zu mir. Aber ich keuchte noch und de Tränen liefen mir von der ausjestandenen Angst und dem anjestrengten Würjen noch beide Backen runter. En magerer Herr jejenüber konnte den Jammer nich mitansehn, er hielt es für nötig, mich wirkungsvoll zu trösten. Darum erzählte er mir, sobald ich im stande war, wieder zu verstehen, er war’ Rentier aus Montreal und führe seit Eröffnung der Reisesaison nu schonst zum zweiunddreißigsten Male von Burlington nach Montreal; denn er möchte doch für sein Leben jerne dabei sein, wenn die Sache an dem Riff mal schief jinge. Er hätte sich fest vorjenommen, aus diese und keine andere Weise ums Leben zu kommen. „Sehen Sie,“ sagte der freundliche Herr, „meine Mittel erlauben mir das und jeder andere Sport is mir bei meiner Konstitution versagt; aber ich habe Pech - ich lebe immer noch, wie Sie sehen.“

Der Fatzke war natürlich en Engländer.

„Ich danke Ihnen für freundliche Auskunft, meine Herren,“ knirschte ich mit zusammengebissene Zähne. „Lassen Sie sichs jut schmecken, ich muß an de frische Luft.“ Damit erhebe ich mich und will noch mal nach meinem Glase jreifen, um wenigstens noch en Schluck von dem juten Sherry zur Stärkung einzunehmen, - da kippt des Boot auf de Seite, ich mit und schlage lang übern Tisch rüber, indem ich nich nur mein, sondern auch verschiedene andere Jläser und Flaschen mit umreiße. Mutterchen kriegt en Schreck und kreischt auf, aber de Leute lachen bloß und sagen, wir sollten uns man beruhijen, des wäre bloß so’n kleener Eröffnungsscherz, es käme noch janz anders. Natürlich mußte ich mich wejen meiner Ungeschicklichkeit ent-schuldigen und noch froh sein, daß die Jesellschaft nich unjemütlich wurde. - „Mutterchen,“ sage ich, „komm mit raus; schunkeln zu seiner Zeit und Essen zu seiner Zeit, beides zusammen vertrage ich nich.“ Aber Mutterchen war’s um des schöne Menu leid, das erst zur Hälfte abjejessen war, und außerdem sagte der Kap’tän, der den Vorsitz bei Tische führte, man könnte ruhig zu Ende dinieren, wenn de jefährlichen Stellen kämen, würde jeläutet und denn müßte sowieso alles an Deck und sich anbinden lassen. Mutterchen beruhigte sich dabei und packte sich en Teller voll Wachteln in jebackenem Speck mit jrüne Erbsen. Des Jericht sah verflucht jut aus - aber mir war der Appetit verjangen.

Ich mache also, daß ich de Treppe raufkomme und suche mir an Bord en sicheres Plätzchen, jrade in der Mitte des Schiffes am Schornstein, wo ich die Jejend übersehen konnte und auch ‘n sichern Halt hatte, wenn der Kahn zu doll ins Rollen kam. Jrade über mir auf der Kommandobrücke stand der Deckoffizier, der das Kommando hatte, während der Kap’tän beim Dinner war. „Sagen Se bloß mal, Sie, Herr Vizekap’tän,“ brülle ich rauf, „Ihr Schornstein roocht ja jar nich.“

„Warum soll er denn roochen?“ brüllt er runter, „wir feuern ja auch jar nich.“

„Wieso denn?“

„Na wir fahr’n doch ohne Dampf bis Montreal.“

„Stell Dir das bloß mal vor,“ sagte Onkel Oschen, indem er mich im Eifer bei beiden Schultern packte, „so’n jroßmächtiges, riesenlanges, haushohes Schiff ohne Dampf, von der bloßen Strömung mit Schnellzugsjeschwindigkeit dahinjetragen. Alles Schaum und Wirbel soweit das Auge reicht, hier und da sieht man so’n schwarzen Zacken unheimlich aus dem Jicht rausragen wie so’n verborjenes Unjeheuer, das einen Stoßzahn zutage fletscht. Scheußlich unheimlich! Alter schön war’s, des muß ich sagen. - Merkwürdiges Land das Amerika, merkwürdige Leute, die Amerikaner! Man möchte meinen, der Selbstmord bedeutet für die Leute den höchsten Lebensjenuß. Für de Jemütlichkeit sind se nich zu haben und aus der einfachen Schönheit machen se sich nischt; se muß unbedingt mit Jefahr verbunden werden. Zum Beispiel die Bahn, die von den jroßen Fällen nach dem Ontariosee führt, die haben se mit Vermeidung aller Tunnels oben am Rande der Felsen entlang jeführt; also nich etwa durchjesprengt, sondern nur abjesprengt haben se de Felsen - und da rast der Zug um die unjlaublichsten tollkühnsten Kurven, Schwindelnd hoch über dem Abjrund lang. So wollen’s die Leute haben; mir wird schon mies, wenn ich in Berlin mit de elektrische Hoch- und Unterjrundbahn vom Potsdamer Bahnhof nach de Möckernstraße fahre. - Und denn die andere Jeschichte habe ich Dir ja noch jar nich erzählt, wie wir im Fahrstuhl einen mächtig tiefen Felsenschlacht runter nach den Whirlpool-rapids jondelten. Auch en sehr beliebter Ausflugsort. Da unten war’s so ähnlich wie unter den Niagarafällen durch, bloß, daß man auf ‘n sichern Flecke trocken stehen kann und sich de Sache jemütlich ankucken. Des hat uns auch so jut jefallen, daß wir länger unten blieben als de übrige Jesellschaft und schließlich janz allein als de letzten in dem Lift wieder rauffuhren. Wie wir unjefähr dreiviertel oben sind, bleibt der Kasten stehn. De Tür is verschlossen, rauskommen is nich, rufen hilft nischt. Wir hatten uns schon daraus jefaßt jemacht, de Nacht in dieser anjenehmen Situation zuzubringen. Endlich setzt sich des Dings langsam wieder in Bewegung, wir kommen ans Tageslicht und werden rausjelassen. Ich beantrage energisch Aufklärung und Untersuchung dieser verdächtigen Verkehrsstockung. Die Bande stellt sich taub.

„Ich will Ihre Maschine sehn, verstehn Sie mich?“ brülle ich, „ich bin Sachverständiger.“

„Wir haben hier keine Maschine,“ antwortet mir einer von den Flegeln so recht tück’sch, „wir haben nur en Seil und ‘ne Welle, wo’s drüber läuft.“

„Dann wünsche ich das Seil zu sehen,“ beharre ich energisch.

„Wünschen Se sich des nich, Sir,“ sagt der Kerl und jrinst übers janze Jesichte: „Det Seil is nich schön; aber morjen kriegen wir ‘n neues.“

Siehste, mein Sohn, so is Amerika.

Na, am Ende haben die Leute recht. Was liegt am Menschenleben? Menschenleben jiebts im Augenblicke. Auf so und so viel Eisenbahnunglücke zum Beispiel kommt immer wieder mal en Jahr, wo de Zwillinge reichlicher fallen - und jleich is de Lücke wieder zujestoppt.

Während ich so philosophiere, an meinen kalten Schornstein jelehnt - es war mittlerweile schon en bißchen schummrich jeworden und des Strombett hatte sich bedenkend verengt, so daß de Wassermasse uns in einem jradezu unheimlichen Tempo mitriß - also wie ich so stehe, bemerke ich unsern Kap’tän. Das Dinner muß wohl zu Ende sein - hier und dort erkenne ich die Jesichter der Tischjäste. Es wimmelt an Bord von Menschen, der Kap’tän besteigt de Kommandobrücke und bespricht sich mit dem ersten Offizier. Sie kucken nach em Himmel und zeigen mit der Hand jradeaus und ziehen de Stirne kraus. Der Jesichtsaisdruck wollte mir jar nich jefallen - und denn kommt der Deckoffizier runter und wie er bei mir vorbeijehen will, halte ich ihn am Aermel fest und sage; „Na, hörn Se mal, wie is’s denn nu, wann kommt denn de berühmte Stelle?“