Abschnitt 1

VI. Chingachgook oder das Abenteuer auf dem St. Lorenzstrom.


„Am andern Tage saßen wir, Jottseidank, wieder im Dampfer,“ fuhr Onkel Oskar nach kurzer Pause zu erzählen fort.


„Was Du nicht sagst,“ fiel ich ein. „Hatten Euch die bisherigen Abenteuer Amerika denn so schnell und so gründlich verleidet?“

„J, Jott bewahre, Du mißverstehst mich; nich auf’m Ozeandampfer, sondern auf’m Flußdampfer saßen wir, aus so’m herrlichen amerikanischen Flußdampfer, wo’s immer bequeme Aussicht und jutes Essen jiebt, wie ich Dir schon sagte. Wir hatten uns nämlich einjeschifft, um die tausend Inseln und die übrigen berühmten Naturschönheiten des Lorenzstromes zu besichtigen. Wir waren so verjniejt und juter Dinge wie auf unserer janzen amerikanischen Reise bisher noch nich. Die erste Dampferfahrt auf dem Hudson war uns in so anjenehmer Erinnerung, daß wir dachten, hier is jut sein, hier kann uns weiter nischt passieren. Das Abenteuer in der Höhle der Winde mit den zujehörijen kalten Duschen war uns beiden merkwürdig jut bekommen. Wir war’n jroßartig bei Appetit und der Himmel hatte sich auch wieder aufjeklärt. Wir jenossen also unter den jünstigsten Vorbedingungen die janze unverjleichliche Herrlichkeit, welche der St. Lorenzstrom zu bieten hat.

Na Du weißt ja, von Landschaftsbeschreibungen bin ich kein Freund. So was muß man jemalt sehen. Ich habe es auch jemalt - aber da sieht’s ooch nich schön aus. Du mußt mir also schon aufs Wort glauben, daß so ‘ne Fahrt aus ‘m Lorenzstrom beinahe noch schöner is wie die Fahrt auf der Havel von Spandau bis Werder. Aber während in der Potsdamer Jejend der sanfte Charakter vorherrscht., schwingt sich de Natur da oben an der Jrenze zwischen Canada und den Vereinigten Staaten zu einer zuweilen jrandiosen Wildheit und, was de Strömung betrifft, zu einer ekligen Forschheit auf. Des bißchen Rheinromantik verschwindet vollständig jejen diese Jroßartigkeit. In den norwegischen Fjorden höchstens sieht man so ‘ne wunderbare Vereinijung von Wasser und Felsenszenerie; aber was wilde Strudekbildung und Lebensjefährlichkeit der Fahrt anbetrifft, jiebts in der janzen Welt nichts Aehnliches wie die Rapids des St. Lorenzstromes. Ich dachte erst, „Rapids;“ hieße Karnickel und stellte mir nischt besonders Schlimmes drunter vor, bis mich das Wörterbuch bekehrte, daß die Karnickel „Rabits“ heißen und „Rapids“ Stromschnellen sind.

Uebrijens fing die Reise jleich wieder echt amerikanisch an. Ich weiß nich mehr, wie die Bahnstation am Ontariosee hieß, wo wir ausstiegen und von wo aus de Ueberfahrt nach den tausend Inseln stattfinden sollte. Ich wunderte mich aber schon beim Billetkauf über den merkwürdig hohen Preis dieser Ueberfahrt, und um nich en zu jroßes Loch in de Reisekasse zu reißen, verzichteten wir auch auf de Teilnahme am Dinner. Wie’s aber Abend wurde und immer noch weiter nischt zu sehen wie Himmel und Wasser, und wir haben en jroßmächtigen Hunger, da erkundije ich mich doch, wie lange denn die Ueberfahrt eijentlich noch dauern sollte. - Zwee Tage und eene Nacht - kriege ich zur Antwort! - Das nennen die Leute Ueberfahrt! Aber die Reise lohnte sich wenigstens. In dem Riesen Ontariosee hätten noch ville dunsend Inseln Platz, - ich glaube, der is jrößer wie de Ostsee. Diese Inselkens liejen aber alle dicht bei ‘nander auf einem Haufen, de meisten sind bewohnt und im Privatbesitz reicher amerikanischer und canadischer Fabrikanten, die dort ihre Villen jebaut und durch wundervolle Parkanlagen auf manchen dieser kleinen Felsenriffe wahre Paradiese jeschaffen haben.

De Hauptsache bei der janzen Reise is aber doch, wie jesagt, der St. Lorenzstrom. Wir kamen auf der janzen Fahrt aus der Bewunderung nich raus. Von den Stromschnellen kriegten wir ja denn auch bald en anjenehmen Vorjeschmack. Je näher wir an die Jejend rankamen, wo sich der Strom verengt, desto häufiger wurden die weißen Schauminseln auf der Oberfläche des Wassers. Ueberall, wo so’n Schannisleck schwimmt, befinden sich Felsen dicht unter der Oberfläche und des Schiff muß mit unjeheuerer Jeschicklichkeit dazwischen durchjesteuert werden. Der Kiel is natürlich nnier diesen Umständen jehörig mit Eisen jepanzert, und mehr als einmal hörten wir ‘n verflucht unjemütliches Schrapen, wenn er an so’n Felsen lang strich.

Die berühmtesten und jährlichsten Stellen liejen aber zwischen Burlington und Montreal. Die janzen letzten Stunden über war ich mit mir ernsthaft zu Rate jejangen, ob ich es als Schwiejersohn verantworten dürfte, mein jutes Mutterchen dieser neuen Jefahr auszusetzen. Ich hatte auch nich unterlassen, mich bei Mitreisenden nach den Chancen für Leben und Tod zu erkundijen. De meisten sagten mir, se stiegen in Burlington aus, denn von da aus könnte man janz bequem mit der Eisenbahn nach Montreal fahren, und nur ’n ausgemachter Narr könnte aus den Einfall kommen, sein Leben auf der Fahrt durch de Rapids zu riskieren. Ich beschloß also, auch in Burlington de Eisenbahn zu besteijen, und Mutterchen war selbstverständlich damit einverstanden. Seit wir das Abenteuer in der Höhle der Winde so jlücklich überstanden hatten, vertraute se sich blindlings meiner Führung an und war mit allem zufrieden, was ich ihr vorschlug.

Wenn ich mein Reisehandbuch aufschlug, wurde ich ja allerdings wieder schwankend, denn da wurde die Fahrt durch de Rapid mit den jlühendsten Farben jeschildert - und außerdem flößte mir der Indianerhäuptling Chingachgook doch wieder jroßes Vertrauen ein. Dieser Indianerhäuptling Chingachgook sollte nämlich der Mann jewesen sein, dem überhaupt die Ermöglichung der Schiffahrt auf diesem Teile des Lorenzstromes zu danken war. Er hatte es als der erste Mensch riskiert, in seinem kleinen Indianerkanoe sich dem Wirbel anzuvertrauen und bei dieser Gelegenheit die Entdeckung gemacht, daß der Strom jedes Fahrzeug von selber um de jefährlichen Felsenecken herumträgt, vorausjesetzt, daß an den richtigen Stellen des Steuer richtig jehandhabt wird. Er war denn auch seither der einzige Lotse in der janzen Jejend jewesen, dem die schiffahrenden Europäer ihr Schicksal anzuvertrauen wagten. Es war in dem Reisehandbuch sehr hübsch beschrieben, wie der Dampfer an dem betreffenden Indianerdorf anhält und wie Chingachgook, in festlicher Bemalung und in der janzen Pracht seines indianischen Federschmucks in Begleitung einer kriegerischen Ehrenwache mit präsentierten Tomahawks an Bord jenommen wird. Schweigsam, imposant, in königlicher Haltung steht Chingachgook am Steuer, det Falkenauge unverrückbar jradeaus jerichtet, und lauert auf den Moment, wo der Strudel des Schiss jradeswegs auf ‘ne senkrecht hochragende und mit scharfer Kante de Flut schneidende Felswand zu schleudern scheint, um im letzten Momente mit Riesenkraft des Steuer janz herum zu werfen und des Schiff jlücklich ums Riff rum zu bugsieren, wobei es sich jänzlich auf de Seite legt, wie so’n Radfahrer in der Rennbahn bei der scharfen Kurve - so jänzlich auf de Seite, sollte es sich lejen, daß der Schornstein ins Wasser eintunkte. - Diese Beschreibung war es nämlich hauptsächlich, die mir zu Koppe jestiegen war und mich veranlaßt hatte, de Expedition nach ’n Lorenzstrom zu unternehmen.

Weißte, Oskar, eijentlich biste doch ‘ne feije Memme, sagte ich zu mir; hier is doch nu ’ne Dampferjesellschaft extra zu dem Zwecke, um von Burlington nach Montreal zu fahren, und die Jesellschaft machte jute Jeschäfte - also müssen doch ville Leute mitfahren - also kann’s doch nich so jefährlich sein. Ach was, Unsinn, wir wer’n mitfahren!