Abschnitt 2

V. Unten durch.


„Wieso natürlich?“ versetzte Onkel Oschen. „Jar nich natürlich. Du hast eben jar keene Ahnung von dem Wind, der da unten blus. – Se springt richtig los - und da kriegt se natürlich der Wind von hinten zu fassen und pust je weg wie so ‘ne Flaumfeder. Sie verschwand in einer Wolke von Jischt. In demselben Augenblick fühle ich ‘n mächtjen Ruck im Seil. Ich verliere das. Jleichjewicht und schlage lang hin. Quer über den Spalt weg lag ich, so daß ene nachfolgende Partie bequem über mich wie über ‘ne lebendige Brücke hätte wegschreiten können. Das Seil hatte ich vor Schreck fallen lassen. Herr Jeses! war mein erster Jedanke, wo mag Mutterchen bloß hinjeflogen sein? Hätte ich se doch bloß nich mitjenommen! Ich hab’s jut, ich liege hier weich auf meinem Bauche, mir kann vorläufig nischt passieren. - Eine scheußliche Angst habe ich ausjestanden um die arme Frau, kann ich Dir sagen! Und dabei pladdert mir das kalte Wasser immer so von oben auf’n Kopp und läuft mir unterm Kragen runter den Rücken lang, während ich mit Anstrengung aller Kräfte wie so ‘ne Schlange mich an dem jlitschrigen Boden fortschiebe, bis ich merke, daß meine Füße über den Spalt weg sind. Nu traute ich mich endlich, die Kniee unter den Leib zu ziehen und mich wieder hoch zu rappeln, und denn tappe un taumle ich durch den dichten Wasserstaub immer jradeaus und bergauf. Ich weiß nich, wieviel Schritte ich so je macht habe, da trete ich mit en Male mit ‘n rechten Fuß auf was Weiches. Ich reibe mir mit de freie Hand de Augen und erkenne am Boden ene lange schwarze jlibbrige Masse. Ich sage Dir, der Schreck machte mich ordentlich starr. Des Dings bewegte sich! - Ich will meinen Fuß zurückziehen; aber nee, war nich; der Filzlatschen saß dran fest. Ich ample wie ‘n Wahnsinniger mit mein rechtes Bein - nich los zu kriejen! - Und dabei bewegt sich des unheimliche Wesen immer doller. - Du bist wohl blödsinnig, Oskar, dachte ich; Seeschlangen und Drachen jibt’s doch nich und Krokodile kommen hier ooch nich vor - beruhige dich doch man. - Dabei klapperten mir vor Angst de Zähne zusammen und ich bibberte in den Knieen vor Todesschreck. Soll einer seine fünf Sinne beisammen behalten, wenn man über ‘ne Viertelstunde im Kanonendonner so jut wie unter Wasser zubringt mit einem Wind Nummer zwölwe im Rücken und der Rachen des Todes vor einem aufjesperrt wie ‘n Scheunentor - nischt sehen, nischt hören, nischt fühlen können . . . das mach erst mal durch, mein Junge, und denn wolln wir mal sehen, ob de weißt, auf was De trittst.“


„Nu sag doch bloß zum Donnerwetter, auf was bist Du denn getreten, Onkel?“

„Na, auf meine jute Schwiegermutter natürlich.“

„Herr Jeses!“

„Wenn ich Dir sage! - Der Sturm hatte se so’n Stücker zehn Meter weit fortjeblasen - jlücklicherweise in der richtigen Direktion, daß se auf den Weg zu liegen kam. Und ich war nu mit meinem rechten Pedal jrade auf einen besonders jlatt jespannten Teil ihres Rückens jetreten und da hatte, wiederum natürlich, der Patentfilzpariser seine Schuldigkeit jetan und sich anjesaugt. Ich merkte des aber erst, wie ich mein Bein mit Anspannung meiner letzten Kräfte bis an ‘n Leib ran hochzog, so daß Mutterchen in ihrem Kautschukanzug einen schön jeschwungenen Bogen bildete. Da kriegte ich endlich den Filz los und konnte Mutterchen helfen, sich wieder aufzurichten. Nu umfaßte ich se mit starkem Arm und zog mich mit der Linken an dem Jeländer immer sachte vorwärts. En paar Schritte bloß noch, denn bildet de Felswand ‘ne Ecke und auf der anderen Seite war’n wir einigermaßen vorm Wind jeschützt, so daß man doch wieder aus den Augen kucken und en Ton reden konnte.

„Danke schön, Oschen, daß De mir aufjeholfen hast,“ war das erste, was Mutterchen sagte. „Ich hätte mich doch nich jetraut wieder aufzustehen, aus Furcht, daß mich der Sturm wieder zu fassen kriegte.“

Ich war janz jerührt. Mutterchen, sage ich, ich weiß was ich tue; wir wickeln uns des Seil um uns beide rum, wenn uns nu noch wat Menschliches passiert, denn soll ‘n se uns wenigstens so finden; im Tode vereint! Ich wickle uns also das Seil um’n Leib, und wie ich des Ende in der Hand halte, merke ich mit enmal, daß der Führer nich mehr dran is. - Herr Jeses, sage ich, wo is denn der verfluchte Kerl hinjekommen? - Wir warten fünf Minuten, in der Meinung, er hätte vielleicht bei dem Sprung das Tau losjelassen und würde noch nachkommen. Aber nee, er kam nich und da wir’s doch eilig hatten und den Zug nich versäumen wollten, jingen wir also auf eigene Rechnung und Jefahr weiter. Die Jeschichte war nu nich mehr schlimm. Wir jingen janz langsam und vorsichtig Schritt vor Schritt die schmale Felsenstiege lang und erreichten denn auch glücklich das andere Ufer.

Der Regen breeschte, der Sturm fegte, daß sich die Bäume bogen - keen Mensch weit und breit zu sehen. Wir kämpfen jejen den Wind an über de Brücke, die übrigens infam schwankte, wieder nach em anderen Ufer rüber und nach der Bretterbude, wo der Billetverkauf und de Ankleidezimmer sind. Wie wir da reintreten, sitzt unser Führer janz jemütlich auf der Banke beim Ofen und roocht seine Feife. Nu wurde ich aber doch wild. „Hör’n Se mal, Sie Männeken,“ sage ich; „wat kommt Ihnen denn bloß bei, daß Se uns da unten in dem Höllenloch im Stiche lassen? Sie pflichtverjessener Beamter Sie, wovor habe ich denn meinen Dollar bezahlt?“

„I,“ sagt der Lümmel janz jemütlich und nimmt nich mal de Feife aus ‘m Maul; „Ich wer’ doch da nich mitjehn - des is ja direkt lebensjefährlich ! Bei schönem Wetter is das en Verjniejen, aber bei so ‘n Sturm jeht da keen Mensch lang.“

„Himmeldonnerwetter,“ schreie ich, „so ‘ne Frechheit is mir aber doch noch nich vorjekommen! Warum sagen Se uns denn des nich vorher?“

„Die Herrschaften wollten doch durchaus die Partie noch vor Abgang des Vieruhrzuges machen,“ sagt die Kanaille janz pomadig.

„Haben Sie uns etwa für Selbstmörder jehalten?“ frage ich.

Da jrinst die Bestie janz jemütlich: „No Sir, für Selbstmörder kost’s doppelte Taxe; denn hätte ich vier Dollar verlangt.“

Siehste, mein Junge, des nennt man amerikanisch. Laß umkommen, wer will, bloß nich das Prinzip der persönlichen Freiheit verletzen. Aus diesem Jrunde besteht auch in janz Amerika die sinnreiche Einrichtung, daß Warnungstafeln, wenn überhaupt solche vorhanden sind, immer auf der anderen Seite anjebracht sind - nämlich, wenn man de lebensjefährliche Stelle schon passiert hat, denn steht’s da jeschrieben; diese Brücke hält nich, wer es aber doch tut - fällt rin!

Na, den Zug um viere haben wir auch richtig erreicht, und wie wir auf den schwellenden Polstern saßen und das Präsentierbrett und unser sonstiges Handgepäck ordnungsmäßig verstaut hatten, kloppt mir Mutterchen die Backen so recht freundlich und sagt; „Siehste, Oschen, nu bin ich der ollen Frau Pastern doch über, und Du hast ‘ne sturmerprobte Schwiejermutter, nich wahr, mein Junge?“

„Na Mutterchen,“ sagte ich bewunderungsvoll; „lebste denn überhaupt noch?“

„Warum denn nich?“ sagt se. „So ’ne kalte Douche is jesund. Wenn ich man erst wieder trockene Wäsche auf ‘n Leib kriegte - mir is en bißchen schudderich. Komm, Oschen, woll’n in Speisewagen jehn und ne Tasse heißen Tee trinken.“

Des is ne Schwiejermutter, was?!