Abschnitt 2

IV. Billig nach dem Niagarafall.


Na, so weit waren wir ja nu jeborjen. Aber wie wir dicht vor dem andern Bahnhof noch en Hotel offen sehen, dachte ich; Was kann da sein, Bananen sind im alljemeinen ‘ne mulmije Sache - fünf Minuten sinds noch bis halb, da wirste noch was Konsistentes mitnehmen. Also ich rin und dem Kenner unsre Notlage darjestellt.


„Allright Sir, wait a moment!“ und richtig, nich zwei Minuten dauerts, da bringt der Mann ‘n halbes Dutzend Sandwiches in einer sauberen Tüte. Nu war ich beruhigt. Der Bahnhof sah allerdings scheußlich aus; so’n dreckiges Loch is mir bald noch nich vorjekommen. Und das Publikum - pfui Deibel! Na, aber wir kriejten ein Coupé alleine. Rinn! Türe zu und los jing de Reise. Wir waren so hundmüde, Mutterchen und ich, daß wir sofort einschliefen, obwohl das Coupé nichts weniger als komfortabel war.

Am andern Morjen, so um achten rum - wir waren schon über ‘ne Stunde munter - kriejen wir endlich ‘ne Station zu sehen. „Schaffner, kann man hier ‘ne Tasse Kaffe kriejen?“ rufe ich raus; aber ehe noch einer antwortet, setzt sich der Zug schon wieder in Bewejung. Es war übrijens ‘n Kohlenzug von Stücker dreihundert Achsen mit drei Vieh- und zwei Passagierwagen dran.

„Na, kriejen wir keenen Kaffe, denn lutschen wir eben Bananen. Is doch mal wat anders; wozu is man sonst in Amerika?“ sagte ich janz verjniejt und lange de Tüte vom Netz runter.

„Na weißte, riechen tun se aber nich schön,“ sagt Mutter.

„Des muß am Ende so sein,“ sage ich. „Es is ja ooch der feinste Käse, der am dollsten stinkt.“ Also ich beiße unverzagt in so’ne Südfrucht rin - pfui Deibel! und raus aus’t Fenster. Und so war’n se alle - durch und durch verfault. Ne, sage ich, Onkel Sam, die kannste wieder haben - und schmeiße de Tüte Amerika ’n an Kopp. „Es war man jut,“ sage ich zu Muttern, „daß ich doch noch in das Hotel jejangen bin; wer weiß, wenn wieder ’ne Station kommt, und nu haben wir doch wenigstens wat Reelles zu futtern.“ Mit diesen Worten beiße ich in den ersten Sandwichs rin, Mutter desjleichen. „Aex, Deibel noch mal, wat is ‘n det?“ Und wir starren uns jejenseitig ins Jesicht - des heißt, Jesicht war des schon jar nich mehr. Ich hatte den Mund nach links aufwärts und die Näse nach rechts abwärts verdreht, Mutter dasselbe in entjejenjesetzter Richtung, und de Augen quollen uns beiden wie bei so’n paar Karpfen ans ‘m Koppe raus. Ich klappe so’n Dings auseinander - hatte der Kerl beide Seiten dick mit Senf bestrichen. Weißt Du, was amerikanischer Senf is, mein Sohn?

- Ne? Na denn sei froh. Det is en Maul voll Hölle! Brot und Belag, alles durchtränkt, durchseucht von des Jiftzeuch - een jelber, quatschiger Brei. Und so war’n se alle sechse, die verfluchten Sandwichse. Also raus damit aus ‘t Fenster!

Nu war’n wir also endlich allein mit unsere leeren Mägen. Ich kann Dir sagen, die kollerten, als ob se für Unterhaltung sorjen wollten. Das heißt, Eiswasser hatten wir im Coupé, det jiebts überall in Amerika; aber Eiswasser is schließlich keen Nahrungsmittel. Jejend war ooch nich, daß wir uns hätten en Bisken damit trösten können. Es wurde zehne, es wurde elwe, es wurde zwölwe. Alle ein bis zwei Stunden kam ja ‘ne Station, aber immer nur Bretterbuden, von Restaurant keene Spur und Aufenthalt ooch nich, denn in den jottverlassenen Nestern stieg keener aus und keener rin. „Hör’n Se mal,“ sag’ ich zum Schaffner, „nu sind wir schon seit halbeins nachts unterwegs - acht Stunden soll doch die janze Reise man dauern von Albany nach Niagarafalls.“

„Allright, Sir,“ sagt der Mann, „mit der Konkurrenzlinie auf der anderen Seite, Expreßtrain, dauert acht Stunden, mit unserer Linie dreißig Stunden!“ - Wie Mutterchen das hört, fällt se in Ohnmacht - und mir trat der kalte Schweiß auf de Stirn.

Inzwischen rasselt der Zug schon wieder los. Zwei Uhr nachmittags war’s. Mir kullern de Tränen man immer so de Backen runter. - „Thüringen, seufze ich leise vor mich hin: „Warme Würstchen, Arrrrrromatik!“ Da schlägt Mutterchen zum letztenmal die treuen Augen auf, ein verklärtes Lächeln huscht über ihre sanften Ziege und dann knickt se wieder hinten über wie so ‘ne welke Lilie und - wech is se!

Nu war mir schon allens ejal. Mein Testament lag in Berlin beim Landjericht und das Bejrabenlassen mußte doch wenigstens hier in der jottverlassenen Jejend billiger sein wie zu Hause. Damit tröste ich mich und leje mich zum Hungertode nieder. -

Es war abends um neune; da reißt der Schaffner de Türe auf und ruft rein: „Niagarafälle umsteigen! Sieben Stunden Aufenthalt!“ -

Na Jottseidank, ich lebe noch, und hier wirds doch was zu essen jeden, dachte ich. Ich hebe Muttern raus und setze se sanft neben das Präsentierbrett auf ’n Perron. „Wo is denn hier des Stationsjebäude?“ frage ich. Es war nämlich wieder bloß so eine Bretterbude zu sehen. Der Mann zeijt landeinwärts, und da stand ja ooch richtig son kleenes Häuseken und da kam en Lichtschein durch de Fenstern raus. Mutter war so Schwach, se konnte sich kaum mehr fortschleppen. Der Zug jingweiter und die paar Leute auf der Station war’n auf enmal in der Dämmrung verschwunden. Wahrscheinlich war nu Feierabend und se kehrten in ihr Dorf zurück. Wir standen nu also janz alleine, un verlassen mitten in Amerika!

„Mutter,“ sage ich, „jieb Dir man en Ruck, wir müssen nach dem Häuseken, des hilst nu nischt.“ Ich schleppe se auch jlücklich bis hin, drücke uff de Klinke - jawoll, zujesperrt! Ich kloppe, ich rufe - keene Antwort. De Fenstern waren en bißchen hoch, da konnte ich nich rinkucken. Ich hebe also Muttern in de Höhe - Herriott, se wog ja so leicht, wie’n ausgenommener Hering! -“Mutter, erzähle mal, was de siehst.“

„En Tisch und Stühle und en eisernen Ofen, der brennt.“

„En Ofen zum drauf kochen?“

„Jawokl, so’n janzer kleener Ofen.“

„Was siehste noch?“ seufze ich.

„En Ladentisch und en Rejal und darauf Schnapsflaschen.“

„Schnaps?“ Mir wurde schwindlig.

„Und an den Wänden schöne bunte Plakate: English Porter and Ale, Wiener Pasteten.“

„Pasteten? Mutter sag des nochmal!“ - Ich konnte nich mehr. Ich ließ Muttern zu Boden jleiten und denn trockneten wir uns jejenseitig de Tränen ab und denn setzten wir uns auf de Bank vorm Hause, faßten uns bei der Hand - und so schliefen wir ein wie zwei Kinder, die sich im Walde verlaufen haben.

Was nu weiter mit uns geschah, des weiß ich nich mehr. Aber wie wir aufwachten, war’s heller Morjen und wir saßen in der warmen Stube und vor uns dampfte schwarzer Kaffe und heiße Milch und Weißbrot und Butter - der Deubel soll mich holen, wenn ich in meinem janzen Leben jemals besser jejessen und jetrunken habe.

Wir kamen auch tatsächlich noch an demselben Vormittag nach den Niagarafällen. Und so billig waren wir jefahren sag ich Dir! Die anderen Leute, die nich so schlau sind wie ich, lassen sich von den Jaunern das Fell über de Ohren ziehen; aber wir waren jroßartig billig jefahren!“