Abschnitt 1

IV. Billig nach dem Niagarafall.


„Merkwürdiges Land, dies Amerika!“ nahm der Onkel den Faden wieder auf, nachdem er sich gestärkt hatte. „Unmöglichkeiten jibt’s da nich, allens is zu machen, allens is zu haben - außer Speise und Trank. Es ist das Land, wo man am bequemsten in der Welt mit einer Tasche voll Geld Hungers sterben kann. Wir, Schwiejermutter und ich, sind jleich am zweiten Tage unserer Reise ins Inland elend verhungert.“


„Na, na!“ wandte ich bescheiden ein.

„Wie ich Dir sage, mein Junge; hör bloß zu. Also ich besorgte mir in Newyork durch einen Agenten zwei Billets nach den jroßen Fällen; aber schlau, wie ich schon mal bin, laß ich mir von dem Mann de billigste Route zusammenstellen, denn so viel hatte ich ja schon vorher von Amerika jehört, daß ich wußte, man könnte dort nach den meisten bedeutenden Orten mit verschiedenen Bahnlinien jelangen; und da die verschiedenen Jesellschaften sehr verschiedene Preise haben, so kann man eine und dieselbe Strecke teuerer oder billiger zurücklejen. Na - unsere Billets waren billig, kann ich Dir sagen! Ich woll’s kaum jlauben und jab dem Kommissionär noch en Extratip dafür, daß er uns die Sache so vorteilhaft kombiniert hatte.

Es war’n wunderschöner Maitag als wir losjondelten - diesmal wirklich jondelten, denn wir fuhren mit ‘n Salondampfer den Hudson aufwärts bis nach Albany. Ein herrliches Wetter, eine wunderschöne Landschaft, ein fabelhaft komfortabel einjerichtetes Schiff - und der Speisesaal! Unjefähr in jleicher Höhe mit dem Wasserspiegel und ringsum Jlas, so daß man nach alle Seiten freie Aussicht hat und doch nich im Zuch zu sitzen braucht. Während des Diners Künstlerkonzert. Und das Essen! Ich sage Dir, mein Junge, einfach jroßartig. Ich bin die janze Reise über nich rausjekommen aus dem Speisesaal.“

„Ich denke, Ihr seid verhungert?“

„Sei doch nich so unjeduldig, alter Sohn. Soweit sind wir noch nich. - Also um vieren nachmittags waren wir, Jott sei’s jeklagt, schon in Albany. Bis zwölwe dreißig nachts hatten wir Zeit uns des Städtchen anzusehen. Hübsche Stadt. Altertümer jibt’s ja nich in Amerika, aber hier jab’s wenigstens krumme winklige Jassen immer bergauf und bergab. Wir haben ecklig jeschwitzt, Mutterchen und ich; aber sonst war’s, wie jesagt, janz hübsch und wir kriegten wirklich allens zu sehen, was in unserm Buche als bemerkenswert verzeichnet stand. Es war schon Nacht, als wir uns auf’n Weg nach ‘em Bahnhof machten, aber immerhin elektrische Beleuchtung und alle fünf bis zehn Minuten bejejnete man ja ooch en Menschen. Also war die Sache ja weiter nich ängstlich. Mit enmal schlägt es elf und mit den letzten Jlockenschlag - huit! - jeht det elektrische Licht aus, sämtliche Lampen mit eenmal. Det wissen natierlich die Leute in Albany und sind dementsprechend um elwen alle zu Hause. Kannste Dir unsern Zustand denken! Die Finsternis in die krummen Jassen und weit und breit keene Menschenseele. Wir war’n in diesem Momang jrade in einer engen ziemlich abschüssigen Straße und ich laufe in beschleunijter Jangart voraus, in der Idee, Du wirst mal sehn, ob de nich in der breiteren Querstraße unten jemanden erwischt, der uns ‘n Weg zeijen kann.

Mit enmal höre ich hinter mir ‘n sonderbarem Jeklirr, oder vielmehr nich Jeklirr, mehr so, wie wenn man an jespannten Draht kloppt, und jleichzeitig ‘n Schrei. Na nu, sage ich, die Stimme kommt mir doch bekannt vor; sollte Mutterchen was zujestoßen sein? Ich mache also Kehrt und keuche den Berg wieder rauf. Autsch! da stoße ich an was. ‘ne schwarze harte Masse. Det is doch Draht, sage ich. Da antwortet mir aus dem Innern dieses unbekannten Iejenstandes heraus eine schauerlich hohle matte Stimme; „Es is auch Draht. Ach Jott, Oschen, hilf mir doch, ich kann nich raus !“

Ich denke doch, ich soll lang hinschlagen. Mutterchen, wie biste denn bloß in den Draht rinjekommen?

„Weiß ich doch nich,“ antwortet sie. „Ich trete auf was im Finstern und mit enmal jibt’s en Knall - des pfeift und klirrt, daß mir Hören und Sehen verjeht und da bin ich auch schon bis zum Halse einjewickelt. Ach Oschen, des schnürt ja so, ich habe bald keene Puste mehr! Wenn ich wenigstens de Aerme hochkriejen könnte.“

Sei man janz ruhig, Mutterchen, sage ich, die Sache wer’n wir schon kriejen, ich habe den Fall schon durchschaut. Da hat en Ende Draht von der Telejrafenleitung runterjehangen - die faulen Brüder denken natierlich, wat liejt, liejt. Da biste aufs Ende draufjetreten, det andre Ende is beim Isolator abjebrochen und nu hat sich natierlich der Draht wieder in seine ursprüngliche Lage zurückverfüjt, wie des so seine berechtigte Eijentümlichkeit is - und nu werde ich Dir mal auf dieselbe natierliche Weise wie De rinjekommen bist wieder raus helfen. Paß mal Achtung!

Ich fasse nu die jroße Spule, welche mein Teuerstes barg, mit beide Arme um, leje se janz sachteken auf de Seite und tappe so lange im Finstern am Draht lang, bis ich des eene Ende zu fassen krieje. Und nu kullre ich die janze Bescherung janz jemietlich den Berg runter. Det jing wie Oel. Mit enmal flitzt der janze Draht in de Luft, ich lasse mein Ende los und höre noch, wie de leere Spule mit Jeklirr drei-, viermal auf det Pflaster huppst - und nu war jede Jefahr befestigt. Ich hatte mir nischt jetan.“

„Na aber Schwiegermutter?“ warf ich aufgeregt ein; „hatte die denn die Prozedur glücklich überstanden?“

„Warum denn nich? Se empfing mich am Fuße des Berjes, wir drückten uns jerührt de Hand und sie sagte; das hat aber noch jut jejangen. Danke schön, Oschen, auf Dich kann man sich verlassen.“

„Aber erlaube mal,“ wandte ich schüchtern ein; „die arme Frau muß doch über und über voller Beulen gewesen sein.“

„Habe ich nich bemerkt. War doch stockfinster, wie ich Dir schon sagte. - Das Merkwürdigste dabei war aber doch, daß wir richtig den Weg nach ‘em Bahnhof fanden, obwohl es in janz Albany nur einen einzijen unsoliden Bürjer jab, der nach elwen noch auf der Straße war und den wir das Jlück hatten jrade zu erwischen.

Auf ‘em Bahnhof jings hoch her. ’ne Masse Reisende, feine Leute. Des Buffet sah ooch janz anständig aus - ich bestell’ mir also noch en Beefsteak; denn von der ausgestandenen Angst hatte ich natierlich Hunger jekriegt. Mutterchen lag noch der Draht im Magen, die konnte nichts mehr essen. - Des dauert und dauert, aber des Beefsteak kommt nich. Die Uhr zeijt auf Mitternacht - da donnert ein Zug rein, de Türen werden aufjerissen, sämtliche Reisende drängeln raus, so daß wir die einzigen Jäste im Wartesaal waren. Mutterchen wurde janz ängstlich, ob das nich am Ende unser Zug wäre; aber ich zeije ihr unsere Billets, da stands deutlich draufjedruckt; ab Albany 12:30 nachts. Ich rufe den Kellner ran und sage zu ihm; „Hör’n se mal, wo jeht denn der Zug hin?“

„Nach Canada, Sir .“

„So, so, kann man damit ooch nach den Niagarafällen fahren, if you please?“

„Yes, please, Sir.”

„Aber da jeht doch noch en Zug um zwölwe dreißig. Hier stehts doch.“

„Allright, Sir,“ grinste der Kellner, „aber das ist die Konkurrenzlinie, die jeht vom andern Bahnhof ab. Der liegt just opposite auf der anderen Seite der Stadt. Wenn Sie haste machen, können Sie’n noch kätschen.“

„Donnerwetter, nu aber dalli! Ich krieje mit der einen Hand Handtasche, Rejenschirm und Präsentierbrett, mit der anderen Muttern zu fassen und schleife se hinter mir her ans dem Lokal raus.“

„Sie haben vergessen, das Beefsteak zu bezahlen,“ kommt mir der Kellner nachjelaufen.

„Ich hab’s doch nich jekriegt, zum Donnerwetter!“

„Nevermind, Sir, Sie haben es geordert.“

Also auch das noch! Aber des war ja nun schon ejal, wenn wir man den Zug noch erwischten. Droschken jabs natierlich nich; also nu man trapp quer durch de finstere Stadt. Schwer zu finden konnte es nich sein; es hatte uns jemand jesagt, wir brauchten bloß immer jeradeaus zu laufen. Unterwegs sage ich zu Muttern; „Hör mal, jetzt noch acht Stunden fahren ohne was zu essen, des is doch faul. Wir sollten doch sehen, daß wir noch ‘ne Kleinigkeit auftreiben. Wir sahen ja auch hier und da noch Licht hinter de Ladenfenstern, aber wo wir ankloppten, wurden wir abjewiesen. Endlich sehen wir in einem Jrünkramkeller noch ne alte Frau mit Licht hantieren. Der rede ich also in meinem schönsten Englisch jut zu, daß se uns noch was verkaufen soll. Jottseidank waren wir an ‘ne mitleidige Seele jekommen, und se händigte mir for’n paar Cents ‘ne jroße Tüte Bananen ein. „Fills the stomach best and keeps off the gout, Sir.“ - füllt den Bauch und hält de Jicht ab - sagte die brave Dame mit’n wohlwollendes Lächeln zu Mutterchen und wünschte auch noch jlückliche Reise.