Abschnitt 2

III. Die Rettungshose.


Des tat se denn ooch; und denn heb’ ich des Dings aus und schüttle so’n bißchen, bis se ordentlich nach unten sackt und mit de Füße auf’m Boden steht janz sicher und verjniejt. Und denn heb ich de janze Bescherung in de Höhe - schwer is ja Mutterchen nich bei ihrer Schlanke, - und bugsier se zum Fenster raus und Mutter hakt janz vorschriftsmäßig den Haken in de Oese. Se hatte ja eklige Angst und fing anfangs auch ‘n bißchen zu schreien an; aber wie ich ihr vorstellte, daß denn de Leute auf se aufmerksam werden könnten und ihre faulen Witze reißen würden, da hörte se jleich wieder auf und war muckemäuschen stille, wenn se ooch freilich zitterte wie Espenlaub in ihre schokoladenbraune Pantalons. Wie wir nu jlücklich so weit waren, mache ich den Sperrhaken los - und nu fahr hin mit Jott, Mutterchen! - Rrrrrrrrrrrrrr sauste se runter! Det jing wie jeschmiert, kann ich Dir sagen. Ich kuckte ihr nach - das heißt: ich bin ’n bißchen schwindlig, weit rausbeujen konnte ich mich nich. Mit enmal seh’ ich Muttern nich mehr, und jleich drauf jiebts ’n Ruck im Drahtseil vorm Fenster und das Geschnurre hört auf. - Nanu, denke ich; se wird doch nich? Mutterchen, schrei ich zum Fenster raus, wo biste denn? - Keene Antwort. Wenigstens war bei dem Spektakel auf der Straße nischt zu hören. Aber da ich in solchen Sachen Praktiker bin, - bei meine jroßartigen Erfindungen auf mechanischem Jebiete kein Wunder - so verlor ich keenen Augenblick den Kopp, sondern sagte mir sofort; Oskar, es is allens man halb so schlimm; drehste einfach de Kurbel wieder retour und windst Muttern hoch. Wenn se nich mehr dranhängt, wirste’s schon spüren. -


Jawoll, det war leichter jedacht wie jetan. De Kurbel drehte sich weder vorwärts noch rückwärts. Nischt zu machen. - Ich kann Dir sagen, mein Junge, mir brach der Angstschweiß aus. Aber, dachte ich, eh’ de wat kaput machst, läßte ’n Installateur kommen.

Zunächst klingle ich mal wie’n Verrückter nach ‘em Zimmerkellner und außerdem rufe ich noch in den Korridor raus und schreie um Hilfe. Da kamen se denn von alle Seiten zusammenjelaufen, Chinesen und Schwarze und glücklicherweise ooch mein deutscher Kellner. Mit drei Worten setze ich auseinander, was los is und denn stürzt die janze Bande mit ‘n Mal nach det offene Fenster und lejt sich raus und fängt an zu brüllen - vor Berjniejen nämlich - die jemietlose Jesellschaft! Was is denn los, Ihr verfluchte Bagage, schrei ich se an, janz außer mir, is se unten?

Und da antwortet mir der freundliche Landsmann; „Nee, janz unten is se nich, se baumelt am siebenten Stockwerk. Aber sein Se janz ruhig, lieber Herr, passieren kann der Lady nischt, se hängt da janz jut. Wahrscheinlich is oben am Flaschenzug was nich in Ordnung; wir werden se schon weder rauf kriejen. Der Liftinspektor is jelernter Mechaniker, der versteht die Sache.“ - Ich fahre also runter, und während de Leute den Liftinspektor holen jehen, laufe ich auf de Straße, ohne Hut, wie ich bin, um Mutterchen zu trösten. Und richtig; da hing sie, jlatt an de Wand, unten mit die schöne neue Pumphose von braunen Sejeltuch und oben mit de seidene Mantille und den neuen Kapottehut mit ‘n Reiherstutz höchst jeschmackvoll bekleidet. Janz still hielt se - und das wunderte mich ja auch jar nich; Mutterchen war doch ‘ne verständige Frau, die sich in alle Lebenslagen zu schicken wußte. Also sagte se sich jedenfalls, daß Strampeln doch zu nischt nützen könnte. - Du kannst Dir denken, was des für ‘ne anständige Höhe is, sieben Stockwerke, wenn de einzelnen Etagen auch man niedrig waren. Ich mußte also mit meinem Trost de Lungen schon ordentlich anstrengen. - Mutterchen, brülle ich durch die vorgehaltenen hohlen Hände, halt man janz stille, es passiert Dir nischt. De Leute sind schon fort, se holen ’nen Schlosser: jleich wirste wieder rufsjeorjelt.

Ich glaube, se hatte mich nich verstanden; wenigstens erfolgte keine Kundjebung von da oben. Dajejen mußte ich wohl mit mein Jebrüll den Passanten uffjefallen sein. Es sammelte sich nämlich im Umsehn ein jroßer Haufen um mich rum, und die reckten alle de Hälse lang und kuckten an dem Hause hoch und fuchtelten mit Aerme und Rejenschirme und brüllten wie de Verrückten. Hierbei konnte man So recht den Hang zur Schadenfreude beobachten, der in des janze Menschenjeschlecht drin steckt. Die Bande amüsierte sich diebisch, keine Spur von Mitjefühl. In Berlin hätte sich doch wenigstens ‘n Schutzmann durchjedrängelt und den Tatbestand ufjenommen; aber für die Leute war dieses nich mehr, als wenn bei uns zum Beispiel en Papagei fortjeflogen is und de Straßenjungens machen Jagd aus ihn. - Ich muß sagen, mich reizte sonne Jefühllosigkeit auf’s äußerste und ich konnte es mir nich versagen, den Leuten auf deutsch meine Meinung zu sagen. Meine Herren, sagte ich, wie können Se sich über so was amüsieren?! Hat schon mal einer von Ihnen seine leibliche Schwiejermutter hängen sehen? Na also, denn benehmen Se sich jefälligst nich so affig, sondern jehen Se ruhig weiter und achten Se de Jefühle Ihrer Nebenmenschen. - Nu schrei’n se alle mit ‘n mal auf mich ein. Ich kann ja natierlich einigermaßen englisch, aber was die quatschten, konnte ich doch nich verstehen; am Ende hatte ich se doch beleidigt und ich sollte Keile kriegen; man kann ja nie wissen in so’n fremden Lande. Ich dachte also schon; Oskar, wie kommste bloß hier raus aus dem Menschenhaufen - da mit ‘n mal schrei’n se alle zusammen; Hurrah! Hurrah!, und wie ich mich umkucke - schwebt Schwiejermutter janz sanft wie so’n Weihnachtsengel am Draht wieder in de Höhe und oben strecken sich ihr verschiedene hilfreiche Arme entjejen und lotsen se wieder zum Fenster rein.

Ich kann Dir sagen, mir fiel ’n Stein vom Herzen und außerdem verlief sich ja nu ooch der Menschenhaufe und ich konnte wieder ins Hotel zurück. Ich stürze mich in den Lift und jondle ruff auf Flügeln der Sehnsucht. Wie wirste Muttern wiederfinden? dachte ich mir. - Sie hatten ihr schon aus der Patenthose rausjeholfen - und da saß se auf des Kanapee wie ‘ne jeknickte Lilie. Der Kapottehut war ihr weiter hinten runterjerutscht, und en Chinese sprengte ihr Wasser ins Jesicht. In meinen Armen kam se wieder zu sich - und wie ich de Leute rausjeschickt hatte, sagte ich zu ihr; Na, siehste, Mutterchen, das hat ja janz jut jejangen; nu haste ooch keene Bange mehr, nich wahr?“ -

Hier machte Onkel Oskar eine Pause in seiner Erzählung, ließ eine neue Flasche Wein kommen und steckte sich eine Importierte an.

„Na, und was sagte Mutterchen da?“ fragte ich gespannt.

„Ja, nu weißte,“ versetzte Onkel Oschen; „vorläufig nahm se ja noch ‘n anderen Standpunkt ein. Se wollte unbedingt sofort nach Berlin retour; es jefiele ihr hier nich, meinte se und de Luft bekäme ihr nich. - Na, schließlich brachte ich se denn dazu, daß wir dieses unjemietliche Newyork verlassen wollten, um’s mal weiter drin im Lande zu probieren. Wir konnten doch unmöglich wieder nach Hause kommen, ohne wenigstens de Niagarafälle jesehen zu haben.“

„Ah so!“ sagte ich befriedigt, „die berühmten Fälle habt Ihr also doch gesehen? Da bin ich aber neugierig, wie’s Euch dort ergangen ist.“

„O, fein!“ sagte Onkel Oschen, „das heißt..“

Er schenkte erst einmal frisch ein.