Abschnitt 1

III. Die Rettungshose.


Des Hotel, in dem wir in Newyork abstiegen, war so’n Wollkenkratzer, siebzehn Stockwerke hoch. Wir sollten zwei hübsche Zimmerchen in de vierzehnte Etage beziehen, aber davor jrauste mir, und Mutterchen erst recht. Der Jedanke an ‘ne Brandkatastrophe hätte uns nich een Auge zutun lassen. Da aber nischt anders in dem Hause frei war, entschlossen wir uns schließlich, zusammen ein jroßes Zimmer im zweiten Stockwerk zu nehmen, an dem sich ein durch en Vorhang abjetrennter Alkoven befand. Mutter ließ sich ihr Bett ins Zimmer rausstellen, an de Wand dicht am Fenster, und ich verfügte mich hinter den Vorhang in den Alkoven. So war der Anstand jewahrt und Mutter sah juten Mutes der ersten Nacht in der neuen Weit entjejen. Natürlich hatte se de Vorstellung, daß de meisten Menschen da drüben Räuber und Mörder sein müßten. Allerlei Jeschichten von Revolverschießereien spukten ihr im Kopfe und ihre sämtlichen Freundinnen in Europa hatten se vor Antritt der Reise zur höchsten Vorsicht ermahnt. Da war ihr denn meine Nähe sehr anjenehm. Der Tag war drückend heiß jewesen und so ließen wir, da wir von Hause aus an frische Lust jewöhnt waren, de Fenstern offen.


Wenn wir nick beide so hundemüde jewesen wären, hätten wir wahrscheinlich nach den Aufrejungen des ersten Tages nich schlafen können. Denke doch bloß man an, was es heißen will für ne ältere Dame, die während eines halben Jahrhunderts aus Berlin und seiner näheren Umjebung kaum rausjekommen war, nun auf einmal mit ihr einziges übrig gebliebenes Kind übers Weltmeer zu fahren, um dann binnen einer halben Stunde dieses Kind, hastenichjesehn, los zu werden. - Vielleicht auf Nimmerwiedersehn!

Aber, wie jesagt, wir schliefen doch. Wir schliefen sogar unjewöhnlich fest. Das schwankende Jefühl von der zehntägigen Seereise halle uns natürlich noch nich verlassen und wiegte uns in unseren bequemen Betten recht anjenehm ein. Jegen Morjen erst bejann ich unruhig zu werden. Ich hatte einen schrecklichen Traum. Jespenster in weißen Jewändern tanzten um mich her und dazwischen jrinste die schwarze Fratze eines jräßlichen Unjeheuers. Det mußte der Satan selber sein. Die Jespenster zischten wie de Schlangen und der Satan fiff durch de Zähne niederträchtig jelllend, wie sone aufjeregte Lokomotive. In Schweiß jebadet wache ich auf. Ich schlage um mich, immer so mit de Faust, um des Jespensterzeug zu verscheuchen; da blendet mir’n heller Lichtstrahl de Augen und jleichzeitig treffen merkwürdige Töne mein Ohr; ein jammervolles Wimmern. Ich rapple mich hoch, ich reibe mir de Augen, ich schüttle mir de Ohren mit’n Zeijefingern aus - und jetzt vernehm’ ich’s janz deutlich; „Ach Oschen,. mein Oschen, wach doch bloß auf!“

Was jiebt’s denn bloß, Muttchen? rufe ich erschrocken und stecke meinen Kopp durch de Vorhänge. Da schien der helle Sonnentag durch de Fenstern rein, drüben an der Wand in ihrem weißen Bette sitzt Mutterchen aufrecht in ihre weiße Nachtjacke mit de weiße Schlafhaube, de weiß-seidenen Bänder unterm Kinn zu ‘ner jroßen Schleife jebunden und hat de Augen so weit ausjerissen wie Kaffetassen - und starrt nach det Fenster.

Ich traute meinen Augen nich! Da stand ne ausjewachsene Lokomotive mitten im Zimmer und über de Eisentür rüber lümmeln sich zwei Kerle, en schwarzes Scheusal - des war der Heizer - und der Führer, der auch nich viel weißer war, und die jrinsen Muttern an und werfen ihr Kußhändchen zu und drücken die Hand aufs Herz und machen allerlei verliebte Kapriolen.“

„Im Zimmer stand die Lokomotive?“ unterbrach ich den Onkel etwas bedenklich.

„Habe ich jesagt, im Zimmer?“ versetzte er. „Ich sage Dir, es sah jenau so aus. Hinter dem Bette nach’t Fenster zu stand nämlich der Waschtisch und darüber hing en jroßer Spiegel und in dem Spiegel sah ich de Lokomotive mit die beiden Kerle. In Wirklichkeit war ja de Lokomotive allerdings draußen, denn de Stadtbahn führte dicht an de Fenstern vorbei. In der Nähe mußte wohl ’n Bahnhof sein und da Lokomotive da jerade rangieren. Na, meine Entrüstung kannst De Dir vorstellen! So ‘ne Frechheit! Kühn und rücksichtslos, wie ich schon mal bin, wenn keine Gefahr vorhanden is, daß der Feind etwa handjemein werden könnte, springe ich aus’t Bette und aufs Fenster zu. „Ihr verfluchte Kerls, schreie ich, wollt Ihr machen, daß ihr da fortkommt!“ Und um meiner Drohung Nachdruck zu jeben, suche ich nach einer Waffe. Des nächste, was mir in de Hand fiel, war Mutters Sonnenknicker. Ich sehe mir des Ding weiter jar nich an, sondern drohe energisch damit zum Fenster raus. Fangen doch die beiden schwarzen Kerls wie de Deibels zu lachen an; der Heizer fletscht de Zähne und kollert dabei wie ‘n Truthahn, und der Lokomotivführer rollt de Augen und legt sich mit ‘n Schürhaken in Parade, als ob er mit mir fechten wollte; aber ich ließ mich nich einschüchtern. Mit drei jroße Schritte war ich am Fenster und - zog einfach de Vorhänge zu. - Komisch sahen wir ja aus, des mußte ich ja selber sagen, und ich hätte an Stelle des Lokomotivführers wahrscheinlich ooch jejrinst; aber ich war zartfühlend jenuch, Mutterchen des nicht merken zu lassen. Ich bestärkte sie vielmehr in ihre sittliche Entrüstung und versprach ihr, im Beschwerdebuch des Hotels die Verlejung der Stadtbahn dringlichst zu beantragen.

Tatsächlich ließ ich mir auch beim Frühstück den Oberkellner kommen und erklärte ihm, daß es bei uns zu Hause in Berlin für unschicklich jelte, Lokomotiven mit männlicher Bedienung in die Schlafzimmer älterer Damen hineinfahren zu lassen. Er möchte jefälligst für de nächste Nacht für bessere Unterkunft sorjen.

Ja, sagte der Mann, im vierzehnten Stockwerk sind zwei sehr schöne Zimmer mit entzückender Aussicht auf de Straße und über de Dächer frei. Sie können janz beruhigt sein, da kommen Ihnen weder Lokomotiven noch wildjewordene Droschkenpferde zum Fenster rein.

Das glaube ich Ihnen jern, lieber Freund, fuhr ich den Menschen an; aber wie kommen wir denn da raus im Falle von Feuersjefahr?

O, sehr einfach, Sir, sagt der Mensch; in jedem Zimmer der oberen Stockwerke befindet sich am Fenster ein Kasten mit einer Rettungshose und an der Außenmauer laufen automatische Flaschenzüge. -

So, so. - Mutter, sage ich, wollen wir uns die Sache mal beaugenscheinigen? Also schön, Mutter is einverstanden, und wir fahren im Lift nach dem vierzehnten Stock rauf. Die Zimmer waren wirklich janz hübsch und der Kellner war glücklicherweise ‘n Deutscher, so daß er uns die Benutzung des Rettungsapparates lichtvoll auseinandersetzen konnte. Wir ließen also unser Jepäck raufschaffen und richteten uns häuslich ein. Es war sehr amüsant, aus dieser Höhe auf das winzige Straßengewimmel runter und über die Dächer weg über das unjeheuere Häusermeer wech zu schauen. - Wir machten uns denn zum Ausjehen fertig, und wie Mutter schon jestiefelt und jespornt vor mir steht, mit ihrem schönen neuen Kapottehut auf, wo der weiße Reiherstutz so niedlich drauf nickt, da fällt mir ein, Du wirst doch sicherheitshalber Muttern nochmal examinieren, ob se ooch die Funktionen des Rettungsapparates behalten hat; es könnte doch sein, daß ich jerade mal nich in der Nähe bin, wenn’s brennt und se weiß sich denn doch nich zu helfen mit die Hose. Det sah ja Mutter ooch ein - denn sie hatte von jeher ‘n jroßes Zutrauen zu meine Vorsicht jehabt. - Natürlich hatte se die Jeschichte absolut nich bejriffen, wie des mit Damens ja immer so is. -

„Weißte was, Mutterchen,“ sage ich, „probieren jeht über studieren. Wir wollen mal die Sache blind üben, denn kannst De nachher ruhig schlafen, es kann Dir nischt passieren.“

Das sah ja nu Mutterchen auch ein. Wir holen also de Rettungshose aus’m Kasten und hängen se draußen vor’m Fenster mit dem stählernen Haken in de zujehörige Oese des Drahtseils, was vor den Fenstern runterläuft bis auf de Straße. Des pa?te allens janz schön und jing janz jlatt. - So, sage ich, nu steig man rin, Mutterchen.

Da wär’ se aber doch beinahe unjemietlich jeworden. Vierzehn Stock hoch aus’t Fenster raus und in ne freischwebende Hose reinsteigen - nee, dazu konnte ich se nich bringen. Ich hake also des Kleidungsstück wieder los, nehm’s rein und halte es aus’m Boden offen. So, sage ich, nu kannste janz bequem rinsteijen. Nu woll’n wir mal seh’n, ob se ooch ordentlich sitzt.“