II. Die Hochzeit und das Präsentierbrett.

Onkel Oschen war an dem Abend glänzend gelaunt. Ich muß übrigens bemerken, daß ich ihn anders kaum kennen gelernt habe. Eine Seele von Mensch, ein grundehrlicher, zuverlässiger und von Herzen gütiger Freund, Rater und Helfer war er von jeher nicht nur für seine Familie, sondern auch für einen großen Kreis anderer Menschen gewesen. Man mußte ihn nur zu nehmen wissen; das heißt, man mußte den nötigen Humor haben, um seinen Humor zu würdigen, dann war einem Onkel Oschen gut. Es gab Leute, welche mit plumpen Zweifeln und peinlich realistischen Zwischenfragen Onkel Oschens wunderbare Erzählungen zu unterbrechen imstande waren. Solche Leute konnte er nicht leiden. Und mit Recht, denn sie bewiesen doch dadurch nur ihre eigene Dummheit und Humorlosigkeit. Onkel Oschen war nämlich trotz seiner manchmal geradezu kindlichen Harmlosigkeit und seiner Freude an absonderlichen Torheiten und phantastischen Hirngespinsten ein überaus kluger und praktischer Kopf. Sonst hätte er auch nicht sein Rohproduktengeschäft aus kleinen Anfängen zu so bedeutender Ausdehnung emporarbeiten können. Jetzt freute er sich als ansehnlicher Rentner seines Lebens, und es war ihm Herzensbedürfnis, auch andere ihm sympathische Menschen an seinem behaglichen Daseinsgenuß zum mindesten mittelbar teilnehmen zu lassen. Dies letztere erreichte er mit geradezu virtuoser Geschicklichkeit durch seine phantastischen Erzählungen. Die bürgerliche Behäbigkeit seiner Erscheinung stand in schroffem Gegensatz zu den wunderbar romantischen oder auch grotesken Abenteuern, die ihm auf Schritt und Tritt begegneten. Wer mit ihm eine Reise machte, erlebte vielleicht absolut nichts. Bemerkenswertes, wenn aber Onkel Oschen sich nur für eine Viertelstunde von ihm trennte, um zum Beispiel zum Barbier zu gehen, so erlebte Onkel Oschen in dieser Viertelstunde ganz sicher etwas höchst Sonderbares.

Und wenn auf ein solches Erlebnisgenie nun gar die Vereinigten Staaten von Nordamerika losgelassen werden! Man wird sich vorstellen können, mit wie hochgespannten Erwartungen ich den Ort unseres Stelldicheins betrat.


Onkel Oschen ließ einige leckere Schüsseln und eine gute Flasche Wein auffahren und begann dann, ohne langer Nötigung zu bedürfen, seine Erzählung.

„Du weißt doch, daß nach dem Tode meiner juten Frau meine Schwiejermutter janz zu mir zog und mir de Wirtschaft führte. Ihre jüngste Tochter, die Elly, hatte sich doch voriges Jahr in Kissingen mit dem Amerikaner verlobt. Des war ja auch allens janz schön so weii - Mütter sind ja immer entzückt von dem Kerl, der ihnen so’n Mächen abnimmt - und mir hatte der Mann auch so weit ‘en janz juten Eindruck jemacht. Am ersten Mai schreibt also der Zukunftsschwager, er wäre nu so weit und Elly möchte man rüberkommen - er hätte leider keine Zeit. Er würde se in Newyork erwarten und den Paster und alles Nötige bereit halten, so daß die Sache mit der drüben beliebten affenähnlichen Jeschwindigkeit jedeichselt werden könnte. Nu kriegte es doch Elly mit der Angst - so janz alleine über des jroße Wasser! Und Schwiejermutter meinte auch, des jinge nich. Es jehörte sich auf alle Fälle, daß de leibliche Mutter ihr Kind in de Arme des Jatten legte. Aber nu wollte se doch auch nich den jungen Eheleuten jleich in de Wirtschaft fallen, und mit Retourbillet jleich wieder umkehren, war doch ooch ‘n bisken viel verlangt. Na, sage ich; Mutter, weißte was, ich wer’ mitkommen. Verheiraten wir die Leute und sehen wir uns drüben in de neue Welt erst mal ’n bißchen um. Berlin läuft uns ja am Ende nich weg. Also schön - jesagt, jetan; wir jondelten los. Die Sache wickelt sich janz programmäßig ab, der Bräutijam is am Landungsquai - die Zollformalitäten etc. werden eins, zwei, drei erledijt - und nu waren wir also in Newyork. Wir wollten uns nu erst mal ‘n bißchen zurecht machen, denn ‘n Happen essen und denn mal weiter sehen. Ne, sagte der Bräutijam, so viel Zeit habe ich nich, mein Zug jeht um vieren, jetzt is es zweie. Dreißig Stunden haben wir zu fahren, bis wir zu Hause sind, übermorjen früh muß ich wieder im Dienst sein. - Also wir, wie wir sehen und stehen ritt in ‘ne Droschke und in de Kirche. Ich sage Dir, des jing hastenichjesehn. Zum Jerührtsein war überhaupt jar keene Zeit; de Taschentücher blieben alle drocken. Und denn sagt er, ich sollte man mit Schwiejermuttern im nächsten Restaurant warten, er hätte noch mit Ellyn ‘n paar jesetzliche Vorschriften zu erfüllen, se kämen aber jleich wieder. Also wir sehen in des Restaurant, es war so ‘ne Bar room, weißte, Buffet mit kalten Aufschnitt und diverse Jetränke. ‘ne halbe Stunde sitzen wir, Mutter und ich, und futtern und sprechen von Ellys Zukunft. und richtig; jenau nach ‘ner halben Stunde sind se wieder da. Er schlingt en paar Sandwiches runter - sonne dünne Stullen - sie kann vor Aufregung nischt essen und kriegt’s in Papier jewickelt - und denn Kuß, Umarmung, atjeh - und weg waren se.’ Elly immer noch in ihr graues Tuchkleid, so, wie se vom Dampfer jekommen war. Die kleine Rechnung durfte ich bezahlen und nu standen wir, Schwiejermutter und ich, in Newyork allein auf der Straße und wußten nich ob rechts, ob links oder jeradeaus.

„Herr Jeses,“ sagt Mutier, „wir haben ja des Präsentierbrett verjessen!“

Des war nämlich des Hochzeitsgeschenk, des wir ihnen zujedacht hatten. De kleinen Sachen hatte Elly schon in ihren Koffern, aber des Präsentierbrett, des war so jroß, des jing in keinen Koffer rein, des führten wir als Extrajepäckstück mit. Weißte, so’n jroßes Dings mit silberne Jriffe im Renaissancestil - hochfein! Det stand nu zu Hause im Hotel und de jungen Eheleute dampften mittlerweile westwärts.

„Tröste Dich, Mutter,“ sag ich, „ich hab’ ’ne jroßartige Idee. Ob wir nu wieder nach Rügen auf vier Wochen in de Sommerfrische ziehen oder hier in Amerika ‘n bißchen rumbummeln, is doch schließlich ejal; also weißte was, wir kaufen uns ‘en Bädecker, nehmen de Hauptsehenswürdigkeiten in Augenschein und schlängeln uns in einem jefällijen Bogen allmählich an den Wohnsitz unserer jungen Eheleute ran. Denke mal, die Freude, wenn Du eines schönen Tages unanjemeldet in Phönixville bei Elly’n in de jute Stube trittst und ihr des Präsentierbrett überreichst!“

Dieser Vorschlag leuchtete Muttern ein und ihre Stimmung wurde dementsprechend wieder besser.“