I. Sensationelle Erfindungen.

Ich hatte Onkel Oskar seit seiner Reise nach Amerika nicht wiedergesehen. Auch seine Schwiegermutter nicht, eine freundliche alte Dame in den höheren Fünfzigern, schlank, unscheinbar, aber noch flink auf den Beinen. Zufällig traf ich die beiden zum erstenmal wieder in einer Gesellschaft bei gemeinsamen Verwandten irgendwo in Deutschland außerhalb unserer beiderseitigen Wohnsitze.

„Hör’ mal,“ sagte ich zu Onkel Oskar, als ich ihn endlich auf eine Minute allein in einer Fensternische zu fassen bekam; „hör’ mal, was ist eigentlich mit Deiner Schwiegermama passiert? Sie guckt ja so komisch.“


„So, so, das fällt Dir also auch auf?“ sagte Onkel Oskar, indem er mich von unten herauf über seinen Kneifer weg in seiner freundlichen Weise anschielte. „Ja, das is ne merkwürdige Jeschichte; ne Erinnerung an unsere amerikanische Reise. Hat se sich in Arizona jeholt, den merkwürdjen Blick.“

„Ja, aber schon sehr merkwürdig!“ erwiderte ich. „Ich habe noch nie gesehen, daß ein Mensch so den Hals verdrehen kann.“

„Kann ooch keener,“ sagte Onkel Oskar trocken und lachte ganz eigentümlich vor sich hin. „In Amerika lernt man eben de schwierigsten Sachen.“

„Du mußt mir überhaupt von Deiner Reise mal Ausführliches erzählen, Du wärst ja nicht Onkel Oschen, wenn Du nicht die erstaunlichsten Abenteuer gehabt haben solltest.“

„Hab’ ich auch, des kannst De mir glauben,“ erwiderte der kleine dicke Herr, seine schwarzen hochgewölbten Brauen noch erheblich höher in die Stirn hinaufziehend. „Es war einfach doll! Du weißt doch, ich ging rüber, um ne Jesellschaft mit’n Kapital von sieben Milliarden zur Ausführung meiner jroßartigen Erfindung zu jründen.“

„Sieben Milliarden? Donnerwetter’„

Bei Onkel Oschen mußte man immer auf Außerordentliches gefaßt sein, aber die sieben Milliarden hatten mich doch erschüttert, so daß ich jenen Ausruf einigermaßen ungebührlich laut tat. „Sst! schrei nich so, sonst wird die Jesellschaft neugierig. Die verstehen ja doch nischt davon!“ Dabei schob Onkel Oschen seinen Arm unter den meinen und flüsterte mir mit strahlender Miene zu: „Weißt Du denn rein jarnischt von meiner jroßartigen Erfindung? Das trottoir roulant um de Erde!“

„Herrgott Sapperment nochmal, das ist allerdings ‘ne großartige Sache!“ rief ich, indem ich ihm gratulierend die Hand drückte. „Das ist ein Gedanke, ganz Deiner würdig. Na, und wie wolltest Du denn den zur Ausführung bringen?“

„Aber furchtbar einfach: durch Ausnutzung des Gravitationsgesetzes in Verbindung mit der Umdrehung der Erde. Ich wollte einfach an irjend einem jünstig jelejenen Breitenjrade der nördlichen Halbkugel leichte Holzpfeiler, wie man sie bei jedem Baujerüst verwendet, paarweise aufstellen und darauf einen Bretterboden lejen lassen. Denn müßten bei jedem Pfeilerpaar einige Mann aufjestellt werden, welche aus ein jejebenes Zeichen - das könnte ich von meinem Bureau aus durch en Druck aus en elektrischen Kontaktknopf bewirken, - jleichzeitig um den janzen Meridian rum de hölzernen Stützen wegziehen - na, und denn schwebt natürlich das Brettertrottoir à tempo frei in der Luft.“

„Ah!“ Ich starrte ihn mit offenem Munde an.

„Nu ja, verstehst De denn des nich?“ lächelte er mich mit pfiffigem Augenzwinkern an. „Runterfallen kann det Dings doch nich, denn nach unten zu wird doch der Erdball jleich dicker, verstehste, - und außerdem wird’s doch durch de Gravitation in der Schwebe jehalten. Der Erdball saust natürlich nach wie vor mit jewohnter Jeschwindigkeit verjniegt weiter; man braucht sich auf das Trottoir also bloß an irjend einer Stelle raufbefördern zu lassen, was durch die oben postierten Beamten vermittels Fangseile zu jeschehen hätte - und denn wartet man oben jemütlich ab, bis der betreffende Punkt der Erde, nach dem man sich hinsehnt, vorbeiflitzt und läßt sich wieder von den eijens hierzu anjestellten Beamten runterschmeißen. Ist doch furchtbar einfach.“

„Kolossal einfach!“ versetzte ich mit ungeheuchelter Bewunderung. „Eine wahrhaft geniale Idee!“

„Ja, nich wahr?“ sagte Onkel Oskar, indem er mich beim Westenknopf erfaßte und einen roten Kopf kriegte. „Kannste Dir vorstellen, daß die Leute drüben das nich bejreifen konnten? Sind ja überall dieselben Ochsen. Daß se mir hier kein Patent drauf jeben wollten ... na, du lieber Jott, wir sind ja hier noch um mindestens hundert Jahre zurück; aber drüben, das hätte ich denn doch nich für möchlich jehalten. Ich dachte mir, se werden sich an de sieben Milliarden jestoßen haben. Aber ich hatte ja noch ‘ne zweite Sache in petto, viel billiger - so einfach, daß eigentlich en Kind druf kommen mußte. Drei Kerle hätten die Jeschichte machen können. - Ich lade mir also eines schönen Tages Vanderbilt, Rockefeller und Morgan zum Frühstück ein - bei ‘ne Flasche Wein macht sich so was am einfachsten. - Die Idee war nämlich diese; Du hast doch wahrscheinlich schon davon jehört, daß Eisstückchen, wenn man se ans jlühendes Metall wirft, durch de plötzliche Verdampfung explodieren. Darauf beruht mein Plan, ein Loch durch’n Erdball zu schlagen, jenüjend weit, um’n cylinderförmigen Waggon mit Passagieren, Post und Jütern hindurch zu befördern. Man braucht nämlich bloß in de Nähe der Polarregion, wo’s Eis in beliebijer Menge umsonst jibt, ‘en Schacht senkrecht in de Tiefe bohren, bis man in des heiße Erdinnere jelangt. Nu fängt man an, een Stückchen Eis nach des andere reinzuschmeißen. Jedes Eisstück löst sich sofort unter Entwicklung ungeheuerer Sprengkräfte in Dampf auf und reißt det Loch weiter. Dieses einfache Manöver wiederholt man so lange, bis man unten wieder an de frische Lust kommt. Natürlich wird inzwischen ein jenüjend weites Cementrohr immer sachte nachjeschoben. Auf den beiden Endstationen is nu oberhalb der Oeffnung einfach ‘en starkes Fangnetz angebracht. De Passagiere, Post etc. werden in dem komfortabel ausjestatteten Zylinder untergebracht, durch ‘en Druck wird die Sperrvorrichtung ausjelöst und der Zylinder plumpst, nach dem Falljesetz seine Geschwindigkeit mit dem Quadrat der Entfernung verjrößernd, durch de janze Erde durch und fällt auf de andere Seite sanft, wie hinjespuckt, in des Netz. Is doch fabelhaft einfach, was?“

„Die Sache ist nun wirklich überzeugend,“ versetzte ich. „Na, und was sagten die Vanderbilt, Rockefeller und Morgan dazu?“

„Jar nischt.“

„Wieso?“

„Die Idioten kamen überhaupt nich; nich mal entschuldigen haben se sich lassen! Ich mußte des Frühstück mit meine Schwiejermutter alleine aufessen.“

„Unerhört!“

„Des Kapital sitzt eben überall in falsche Hände. Eisenbahnen und Dampferlinien aufkaufen, Jebirje umbuddeln lassen und solche Kleinigkeiten, des kann jeder heutzutage. Aber des Neue erfassen, und wenn’s noch so einfach auf der Hand liegt, det können se nich.“

„Die Ochsen!“ sagte ich im Brustton der Ueberzeugung.

Wir drückten uns die Hand und dann fuhr ich fort; „Na, und wie kam denn nun diese andere Sache zustande? Ich meine der rückwärts gewandte Blick Deiner lieben Schwiegermama?“

„Ach so,“ jagte Onkel Oskar und kratzte sich in seinem kurz geschnittenen grauen Vollbart herum. „Ja weißte, das is ‘ne verzwickte Jeschichte, da muß ich länger zu ausholen. Wollen wir uns doch heute Abend noch irjendwo treffen, wenn ich Mutterchen zu Bette jebracht habe.“

Und wir verabredeten eine Zusammenkunft im Restaurant für den Abend.