Zweite Fortsetzung

Die Heimfahrt gegen Abend krönt den Tag dann noch mit dem prachtvollen Bilde des aus der Flut tauchenden Petersburg, wie wir es im vorigen Abschnitte zu geben versuchten. Eine nicht minder angenehme Unterbrechung, welche uns dem Gewühle der Hauptstadt auf einen Tag entführt, und in bequemster Weise zu bewerkstelligen ist, bietet der Besuch der kaiserlichen Lustschlösser, d. h. eines kleinen Teiles derselben, welche durch ihren europäischen Ruf, wie durch Glanz und Schönheit besonders hervortreten. Es sind deren mindestens ein Dutzend, von welchen jedoch Peterhof, Oranienbaum, Zarskoje-Sselo und Paulowsk die bekanntesten und zur Besichtigung empfehlenswertesten sein werden. Wenn wir auf das am Meeresufer, Kronstadt gegenüber, liegende Oranienbaum Verzicht leisten, so werden uns immerhin die andern drei, durch ihre innere Pracht wie ihre Gartenanlagen hervorragenden, wahrhaft kaiserlichen Landsitze, zwei höchst genussreiche Tage versprechen.

Zum Zwecke einer allgemeinen Charakteristik der Schlossbauten und Gärten der damaligen Zeit (der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts) wolle der Leser sich in Gedanken auf eine kurze Weile mit uns in die Nähe der Seine versetzen, von wo aus Louis XIV. damals die Parole für Alles im Reiche der Mode, der feinen Sitte, wie des Geschmacks und der Bildung zu geben sich vermaß.


So kam es, dass Schloss und Garten von Versailles die Stammeltern der meisten Lustschlösser der europäischen Dynastien geworden sind, — das Vorbild, in dessen Nachahmung die Architekten und Gartenkünstler des Auslandes die Werke ihrer eigenen Schöpfungskraft erst mustergültig zu machen glaubten. Diese Anschauung lag eben in der damaligen Zeit begründet, und da der Geschmack sich überhaupt weniger nach den Prinzipien der Ästhetik als der herrschenden Mode regelt, so finden sich aus jener Epoche die mehr oder minder glücklich imitierten Versailles in unzähligen Variationen über alle Lande zerstreut.

Innerhalb elf Jahren, von 1661 bis 1672, hatte Ludwig der Vierzehnte seine in ihrer Art damals einzige Schöpfung vollendet, und alle Potentaten Europas schickten nach und nach ihre Hofbaumeister und Gartendirektoren dorthin, um das achte Wunder der Welt, wie es Vatout in seiner Geschichte der französischen Residenzen nennt, den Gegenstand allgemeiner Bewunderung und vielleicht auch allgemeinen Neides, in seinen einzelnen Schönheiten zu kopieren.

Die hervorragendsten Künstler des Frankreichs damaliger Zeit haben sich daran verewigt, Mansards Genie wurde der Schlossbau anvertraut, welchen nach seiner Vollendung der Pinsel Lebruns, des Hofmalers Ludwig XIV. schmückte. In den durch Le Nôtre entworfenen Gärten und Avenuen stellten unter dem Staubregen riesiger Fontainen, Puget und Girardon ihre Meisterwerke der Skulptur auf.

Unverkennbar wurden die Baumeister und Gartenintendanten von Sanssouci und Nymphenburg, Schwetzingen, Wilhelmshöhe und Schönbrunn, von Versailles aus inspiriert. Die bisher beliebte Unregelmäßigkeit des sogenannten englischen Parks, wo in absichtlicher Zufälligkeit, zwischen Baumgruppen und versteckten Pfaden Waldbäche und Einsiedeleien, natürliche Wasserfälle und Grotten , den Lustwandelnden überraschen sollten, musste weichen und dem geradezu Entgegengesetzten Platz machen. Mit der Vollendung des maßgebenden Versailles wurde der Schwerpunkt mit einemmale auf höchste Symmetrie, auf großartige Gesamtüberblicke, auf lange Perspektive, breite Terrassen und mathematisch berechnete Gleichmäßigkeit aller Details gelegt.

In der harmonisch durchgeführten Verwirklichung dieses Gedankens, in Versailles zum höchsten Ausdrucke gelangt, spricht sich zugleich der Charakter des Erbauers aus. Zur glänzenden Prachtentfaltung eines luxuriösen Hofes, wie ihn Ludwig XIV. dem staunenden Europa vorzuführen wusste, eignet sich kein zweiter Raum, wie dieser, wo auf massigen Terrassen, zwischen endlos scheinenden Alleen, und allen mythischen Gottheiten, selbst das widerstrebendste der Elemente, das Wasser, dem menschlichen Willen sich fügend, seine Zauberkünste leihen musste.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland