Erste Fortsetzung

Der südliche breite Arm, zwischen Kronstadt und der hügeligen Küste Ingermanlands, wo aus dunklem Grün die Schlösser Peterhof und Oranienbaum herüberleuchten, hat nur ein schmales Fahrwasser, wodurch alle Schiffe unter die Kanonen der Festung gezwungen werden. Das zwischen Kronstadt und der Newa-Mündung gelegene Wasserbecken ist durchgehend seicht, und gewissermaßen nur der Übergang von dem erweiterten Strome zum offenen Meere, weshalb auch die Fahrwasserlinie auf der ganzen Strecke mittelst Tonnen und Stangen bezeichnet ist. Große Sandbänke haben sich im Laufe der Jahrhunderte hier abgelagert, auf welchen zahlreiche Seemöwen ihre Versammlungen halten.

Im Winter erstarrt der ganze Kronstadter Busen zu einer festen Fläche, die Verbindung zu Schiffe hört gänzlich auf, und es werden über das Eis drei Wege gebahnt, südlich nach Oranienbaum, Östlich nach Petersburg, ein dritter nach Sestrabeck. Dieselben werden dann ebenfalls mit Stangen kenntlich gemacht.


Wenn einerseits durch die häufigen Untiefen und Sandbänke die Schönheit des Wasserspiegels und die mit dem allgemeinen Begriffe „Meer" verknüpfte Großartigkeit beeinträchtigt wird, so kommt andrerseits das schmale Fahrwasser dem Dampfschiff-Passagiere wieder zu gute. Da alle größeren Schiffe streng den Cours halten müssen, um nicht aufzufahren, so passieren sie stets in nächster Nähe vorbei und bei dem regen Handelsverkehre zwischen Kronstadt und Petersburg verkürzt dies die Fahrzeit von ein und einer halben Stunde noch mehr.

Wir waren vom heitersten Wetter begünstigt, der Himmel wölbte sich im schönsten Blau über der finnischen Meerbucht, die See war ruhig und spiegelglatt, so dass es keinem der vielen Passagiere im entferntesten einfiel, seekrank zu werden. Obgleich die Dauer der Überfahrt zwischen Calais und Dover nur eine halbe Zeitstunde mehr in Anspruch nimmt, und wir damals bei gleich blauem Himmel den Kanal in Angriff nahmen, erinnere ich mich noch genau, wie er nach kurzer Zeit auch schon seine bleich zur Kajüte hinab wankenden Opfer nach Dutzenden zählte!

Allerdings sind die Wellenbewegungen dort anderer Natur gewesen, und unser Petersburger Schraubendampfer ging mit einer seltenen Gemütsruhe und Stille seinen Weg, so dass auf dem Schiffe fast keine Bewegung wahrzunehmen möglich war. Wenn man kleinen Kähnen, gerudert von schmucken Matrosen, oder den zierlichen Jollen, in welchen die kühnen Mitglieder des Yachtclubs sich weit hinauswagen auf die See, begegnet, dann wieder die kleinen Dampfer, welche den dienstlichen Verkehr zwischen der Admiralität zu Petersburg und der in Kronstadt liegenden Flotte vermitteln, und ebenfalls militärisch bemannt sind, vorbeihuschen sieht, so möchte man bisweilen irre werden, Angesichts dieser winzigen Fahrzeuge, ob man sich wirklich auf dem Meere befindet, wäre nicht der Wasserspiegel doch immerhin weit genug, die Ufer für das unbewaffnete Auge in eine ziemliche Ferne zu rücken.

Das Wasser der Kronstädter Bai soll noch süß sein, und sich erst westlich der Festung, mithin eigentlich draußen im Finnischen Meerbusen, mit dem Salzwasser der See mischen. Dass von Seiten der Schiffsmannschaft mittelst hinabgelassener Eimer vom Deck aus geschöpft und sofort getrunken wurde, habe ich selbst öfters gesehen, aber ohne jede Begierde es nachzuahmen. Dagegen machte ich die Probe mit frisch geschöpftem Newa-Wasser, welches das einzige Trinkwasser der Petersburger ist. Ich fand es nach meiner individuellen Anschauung, vollkommen klar, rein und ohne jeden Beigeschmack. Was ihm jedoch natürlich fehlen muss, ist die erfrischende Kohlensäure, und somit kommt es der prüfenden Zunge gewissermaßen wie ein reines, geschmackloses Öl vor. Da in Petersburg, wie versichert wurde, keine Abzugskanäle aus den Häusern in die Newa geleitet werden dürfen, so ist das Newa-Wasser wenigstens nicht unappetitlich, wenn ihm auch die Frische eines lebhaft daher sprudelnden Waldbaches sehr abgeht. Zur Teebereitung wird es mit besonderer Vorliebe genommen, und der geborene Petersburger soll auf Reisen sein Newa-Wasser beim Tschai stets vermissen.

Dass sich aus demselben ein delikates Bier brauen lässt, bestätigt die große Bavaria-Brauerei, ein Aktien-Unternehmen, allerdings unter der Leitung eines sachkundigen Müncheners, welcher diese an der Isar jetzt verloren gegangene Kunst an der Newa, namentlich zum Frommen aller dort wohnenden Deutschen auszuüben versteht.

Der Besuch Kronstadts ist eine nicht anstrengende Tagespartie, und bietet, wie schon oben bemerkt, die Annehmlichkeiten einer Seereise, ohne die von Vielen gefürchtete Schattenseite. Die Besichtigung von Kriegsschiffen, welche sich wohl in der Hauptsache bei den verschiedenen europäischen Seemächten gleich sein dürften, knüpft sich stets an verschiedene zeitraubende Gänge, bis dem Gesuche, an Bord zu gehen, entsprochen wird. Diese Bittgänge sind zudem nicht Jedermanns Sache. Unter allen Verhältnissen wird man, auch ohne diese Nebenabsicht, von dem belebten Kriegs- und Handelshafen, diesem für sich abgeschlossenen kleinen Inselreiche (das Eiland misst nur sieben Werste in der Länge und zwei bis drei in der Breite) — mit sicherlich zufriedenstellenden Eindrücken und allerlei neuen Erfahrungen zurückkehren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland