Abschnitt. 1 - Wanderlust und Wandertrieb. - Adolph Schaubach. - Landhauses Jerusalem. - Helba. - Benshausen, Zella, über den Oberhof, nach Ordruf und Gotha. - Dolmarbrunnen. - Steinbach-Hallenberg. - Herges. -

„Wanderlust
Schwellt die freie Mannesbrust!
Mit lusthellem Angesicht
Grüssen wir das Morgenlicht.
Hügelab und Berghinan
Ueber Wald und Wiesenplan
Ziehn wir rüstig unsre Bahn.
Wanderlust
Freit aus Stubenqualm und Dust,
Schwellt die Mannesbrust!“

„Wandertrieb
Macht uns recht das Leben lieb.
Seht ihr, wie der Vogel zieht,
Dass er fremde Länder sieht!
Pilgernd über Thal und Höhn
Lässt am besten sich verstehn
Wie die Weit so reich und schön.
Wandertrieb,
Den Natur ins Herz uns schrieb,
Macht das Leben lieb!“


Also erklang in der Morgenfrühe der schallende Gesang von vier leichtgerüsteten wohlgemuthen Wandergesellen, als sie die letzten Häuser der Bernhardstrasse Meiningens hinter sich hatten, und die nackte Kuppe des Dolmars vom ersten Sonnenkuss rothglühend in das Werrathal hereinleuchtete. Otto hatte gesagt, wir wollen Adolph Schaubach selbst mit auf den Dolmar nehmen, so brauchen wir uns nicht mit seiner gut geschriebenen Monographie dieses Berges zu tragen, und haben an ihm den kundigsten Geleitsmann, und da der Freund gern eingewilligt, so wurde für eine Strecke Wegs das Wandrerkleeblatt gleich ein glückverheissendes vierblälteriges. Vielreisenden drängt sich eben so, wie Jägersleuten, der Glaube an Omina auf, und sie sehen ein gutes Zeichen immer lieber als ein böses auf ihren Weg treten, oder ihn durchkreuzen; ein hübsches rothwangiges Mägdlein lieber als ein altes rothäugiges Weib, einen Vogel lieber als eine Kröte, und es dünkt ihnen erspriesslicher, wenn der Hase zur Seite bleibt, statt quer über den Weg zu laufen. Man bog ohnweit des Landhauses Jerusalem, das ein freundlicher Park umgibt, in ein Seitenthal der Werra ein, wo sich malerisch das in den Thalgrund und an den linken Bergesabhang angebaute Dorf Helba mit einem Herrenhaus und kleiner Kirche zeigte. „Dieses Helba mit seinem Thal“ nahm Otto zu den Freunden das Wort, als sie nahe bei dem Dorfe gingen: „kommt mir stets vor, wie die Vignette oder die gedrängte Vorrede zu dem schönen Buche Thüringerwald, das in seinem reizenden Bilderschmuck und mit seinem köstlichen Inhalt nahe vor uns aufgeschlagen liegt, und das wir zu durchblättern uns vorgenommen haben. Meiningen, die Stadt, ist immer noch mehr fränkisch, als thüringisch, die Pforte Frankens heisst sie ohnediess in alten Büchern; der Volksdialekt ist der fränkische, gleich erkennbar an der Diminutivsilbe le, wo Thüringer und Sachse chen anhängt, Bäumle, Lämmle, Vögele, statt Bäumchen, Lämmchen, Vögelchen u. dgl., der Münzfuss ist der rheinische nach Gulden und Kreuzern. Eben so hat das Werrathal in der Nähe der Stadt zwar manchen Reiz und bietet hübsche Gegenden, allein es fehlt ihnen im Allgemeinen doch ein entschiedener Charakter; hier aber dieses helbaer Thal trägt schon ächt thüringischen Typus. Seht hier einen raschen mit lautem Gemurmel hinrollenden Waldbach, fette kräuterreiche Wiesen, hängende Felsen hoch über den sorglos an die Bergwand angeklebten Hütten des Landmanns, diese Hütten aber nicht ärmlich, und den Einsturz früher als die Felsen drohend, sondern reinlich und von freundlichem Aeussern; hier spielende Kinder, im Hemde, halb oder nach Belieben auch ganz nackt, dort eine weidende Heerde, drüben eine zahlreiche Gänseschaar, ein Kapital der Bauern, das ein Geschrei erhebt, als gelte es Kapitole zu retten, dort dampft ein Meiler und füllt das ganze enge Waldthal mit herbem Harzgeruch, und mitten hindurch zieht die neue und wohlgehaltne Hochstrasse, die nach Benshausen, Zella, über den Oberhof, nach Ordruf und Gotha führt.“

„Wir verlassen sie eben und biegen hier ein,“ sagte Schaubach, in ein stilles ganz grünes Thal zur Linken voranschreitend, an dessen Ende er auf die sogenannten Armlöcher aufmerksam machte, kesselförmige Vertiefungen am Fuss eines Berges, aus denen bisweilen reiche Wassermassen ausströmen, Otto wusste den Freund noch mit zwei Sagen, einer ächten und einer künstlichen zu ergänzen, dass nämlich bei diesen Armlöchern ein Ritter ohne Kopf spuken reite, die eine, und die andre, dass gelehrte Forscher-Hypothese in ihrem Namen Armlöcher einen Nachhall des deutschen Gottes Irmin erblicken wolle.

Der Berg dehnte sich jetzt bald vor den Wanderern, wie ein wachsender Gigant, und der bergkundige Führer ermahnte zu langsamen gemessenem Schritt mit dem Gruss der Tyroler-Alpengänger: „Zeit lassen!“ und so stiegen die Wandrer gemächlich empor. Plötzlich rief Lenz erfreut: „Sieh da, ein Ammonshorn!“ und hob seinen Fund auf. In einer gewissen Region des Muschelkalkplateaus, welches sich über Utendorf sanft zum Berg emporzieht, finden sich Ammoniten ziemlich häufig, nur am Wege sind sie meist aufgelesen. Je näher man dem steil aufsteigenden Gipfel kommt, desto mehr bedecken Basaltstücke die Felder, bis zuletzt der Basalt ganz vorherrscht, der hier meist in rundlichen Stücken, welche zum Theil Olivin und Hornblende enthalten, zu Tage kommt. Der Führer leitete die kleine Gesellschaft nicht gleich zum umfangreichen Gipfel des Berges, sondern führte sie zum Dolmarbrunnen, wo man sich auf weichen Rasen lagerte. Dieser Brunnen liegt so hoch am Berg, dass man nur wenige Minuten braucht, ihn vollends ganz zu ersteigen. Eine entzückende Fernsicht breitet sich vor dem staunenden Auge des Beschauers aus, die reichlich des Steigens Mühe lohnt, doch es ist wohlgethan, erst durch Ruhe und einige Erquickung Geist und Körper zu stärken, ehe man die Seele in dem herrlichen Landschaftgemälde schwelgen lässt. Diesen Rath befolgten auch die Freunde, dann wurden die Fernrohre zur Hand genommen, und das reizende Panorama betrachtet, das die Natur in vollendeter Schönheit hier darbeut.

Zu den Füssen der Schauenden breitet sich ein frischgrüner Laubwald aus, der eine sanftgewölbte Matte umkränzt, und über diesen Waldkranz zieht sich in bunter Abwechselung ein Theil der Kette des Thüringer-Waldes.

„Dieser Theil der Dolmaraussicht“ nahm Schaubach das Wort: „ist der schönste, pittoreskste; wie ein Amphitheater liegt das Gebirge vor uns mit seinen reizendsten und mildesten Parthien. Das Wälder- und Wiesengrün der hohen Bergterrassen wandelt sich immer mehr in sanftes Blau, bis die fernsten Höhen in mattvioletten Duft am Horizont verschwimmen. Richten wir den Blick auf den Mittelgrund, so heben sich an dieser Stelle zwei Punkte ganz besonders malerisch hervor; dort der lange Marktflecken Steinbach-Hallenberg, über welchem auf einer schroffen rothen Porphyrklippe der Ruinenthurm der alten Hallenburg hängt; nicht weit davon, zur Rechten, schimmern friedlich die rothen Dächer und der Kirchthurm des Dörfchens Herges hervor, über welchem gerade der felsgekrönte Donnershauk den Horizont begrenzt – und dann die schroffe Felsenwand des Hundsteins, die wie die Ruine einer Titanenburg sich emporgipfelt. Auf das Anmuthigste wechseln hier dichte Waldungen mit dem Grün der Matten und dem wogenden Meere junger Saaten. – Haben wir nun den Reiz der näher liegenden Landschaft eingesogen, so wollen wir vollends zum Dolmargipfel hinaufsteigen und seine Ebene umwandelnd, das grossartige Rundgemälde betrachten, das diese vor den Thüringer-Wald riesig hingebaute 2184 Pariser Fuss über der Meeresfläche*) erhabene Bergwarte gewährt.“



*) Die Höhenangaben des Dolmars sind nicht weniger verschieden, als die über andere und bedeutendere Berge des Thüringer-Waldes. Wenn wir im Allgemeinen bei deren fernerer Angabe dem neuesten, oben angeführten Handbuche vom Professor Dr. Völker folgen, so darf hier nicht unbemerkt gelassen werden, dass nachfolgende zwei Schriften vielfach als Quellen benutzt wurden, und eben so verdienstlich als instruktiv über diesen Gegenstand sind:
Höhen-Messung einiger Orte und Berge zwischen Gotha und Coburg, durch Barometerbeobachtung vermehrt und den in der siebenten Jahresversammlung zu Berlin vereinigten Naturforschern dargebracht von K.C.A. von Hoff, Ritter des weissen Falkenordens u.s.w. Gotha 1828. Fol. – Und:
Höhen-Messungen in und um Thüringen, gesammelt, verglichen und mit einigen Bemerkungen begleitet, von Demselben. Gotha 1833. 4.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen