Wanderungen durch Thüringen

Das malerische und romantische Deutschland
Autor: Bechstein, Ludwig (1801-1860) deutscher Schriftsteller, Bibliothekar und Archivar, Erscheinungsjahr: 1838

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: ludwig bechstein, wanderungen durch thüringen, harz, Natur, Wald, Bäume, Friedrich Gottlob Wetzel
Schluss

Anfangs der Rückfahrt mehr nach innen als nach außen gekehrt, und mehr in Gedanken verkehrend mit der nächsten Vergangenheit und nächsten Zukunft als den sich darbietenden Gegenständen der Außenwelt und Gegenwart, saßen die Freunde Ottos im Wagen, und dieser störte ihren stillen Gedankenflug auf keine Weise; vielmehr senkte er sich selbst in Nachdenken über das wunderbare Walten einer Macht, die immer verborgen rätselhaft wirkend erscheint, nenne sie nun der Gläubige Vorsehung, Führung, der Ungläubige Zufall, Schicksal, Fatum, der naturphilosophische Denker Weltordnung. Es mussten hundert und aber hundert Zufälligkeiten vorhergehen und zusammentreffen, dass zweimal zwei Menschenleben, verschiedenen Ländern entstammt, verschiedenen Zielen nachstrebend, sich liebend an einander ketteten; und doch war dabei nichts Ungewöhnliches, nichts Seltsames, und kann dergleichen sich schon hundertmal ereignet haben. So wenig romanhaft war diese Liebe, so frei von Hindernissen, gewaltsamen Erregungen, Kämpfen und Tränen, und dennoch entbehrte sie nicht eines romantischen Interesses, noch weniger des tiefsten, innigsten Gefühls.

Im Weiterfahren spann sich indess bald wieder freundliche Unterhaltung, trauliche Mitteilung an. Der Sommertag war hell und schön, das Tal bot manche anziehende Partie. Drei Dörfer, welche den Namen Breitungen führen, und nahe beisammen liegen, erscheinen von weitem gesehen wie eine Stadt. Herrenbreitungen, auf Churhessischem Grund und Boden, hieß früher Burgbreitungen; das Meiningische Frauenbreitungen hieß Königsbreitungen und war Villa der deutschen Könige, als welche es schon in Urkunden des zehnten Jahrhunderts vorkommt. Das erstere war ein Mönchs-, das zweite ein Nonnenkloster.

Von Breitungen nur eine Stunde entfernt liegt auf einer Anhöhe dicht an der Straße ein altes burgähnliches Rittergut, die Todtenwart, dessen Mauern von freundlichen Gartenanlagen umgeben sind. Unter schattenden Lindenbäumen, von denen einer sich durch besondre Größe und Stärke auszeichnet, nahmen die Freunde ein mitgebrachtes Frühstück ein, während der Kutscher nach dem am Bergesfuße gelegenen Gasthaus hinabfuhr. Auf der Höhe ist eine sehr freundliche Aussicht talabwärts, wie talaufwärts eröffnet, und einer der geeignetsten Ruhepunkte für Alle die, welche zu ihrem Vergnügen reisen, und denen Stimmung und Verhältnisse betrachtendes Verweilen gestatten.

Dort wurde vor Allem den geliebten, nun geschiedenen Gefährtinnen aus vollem Reisebecher ein Lebewohl, ein Lebehoch getrunken, und dann auf die glücklichste Zukunft noch manches Glas geleert. Die Freunde machten noch einmal im Geiste die ganze Reise, gedachten scherzend kleiner unwesentlicher Unfälle und Hemmungen, wie ertragener Mühen, erfreuten sich aber dabei des reinen und ungetrübten Bildes von Thüringen, das fest in ihrer Erinnerung stand. Das Skizzenbuch ward prüfend durchblättert, und Otto konnte sich nicht enthalten, gegen Wagner zu bemerken: ,,Du hättest doch noch mehr zeichnen sollen, und Manches von andern Standpunkten aus,“ worauf Jener sich lächelnd entschuldigte, sprechend: ,,Mir muss nun das Gesammelte genügen; was ich nicht habe gewinnen können, komme auf Rechnung meiner Bequemlichkeit; doch glaube ich genug zu besitzen, um damit das Buch schmücken zu können, in welchem Du unsre Reise beschreibst, denn solches wirst Du schwerlich unterlassen können!“

Auch Lenz sprach ähnliche Meinung aus, und Otto erwiederte, den Scherz der Freunde von der ernsten Seite aufnehmend: „Wenn ich mir eine Reise, wie wir sie gemeinsam unternahmen, von meiner Hand geschildert denke, überfällt mich ein gewisses Zagen. Wie vieles Schöne hat nicht Thüringen noch neben dem Geschauten, Bereisten, dem ich euch nicht zuführen konnte?! Selbst der Wald — nach jeder Richtung hin Interessantes, Malerisches darbietend, konnte von uns nur fragmentarisch überblickt und gewürdigt werden, bedeutende Städte, ich nenne nur Langensalza, Mühlhausen, Nordhausen, blieben mit ihren Gebieten ganz außer dem Bereich unsrer Tour. Und dann — die Schilderung selbst — wie Vieles würde in einen engen Raum zusammen zu drängen, wie oft würde ich müssen darauf bedacht sein, mehr zu verschweigen, als zu sagen, und am Ende doch nicht dem Vorwurf allzugroßer Redseligkeit entgehen? Dabei würde ich dennoch nach Vollendung des Ganzen die Empfindung haben, die sich aufdringt, wenn man in eines lieben Freundes Nähe war, von ihm schied, und nun fühlt, ihm dies und das, was man ihm sagen wollen, doch nicht gesagt zu haben, weil es viel Mehr und Andres zu plaudern gab. Endlich möchten die verschiedenartigsten Anforderungen des kritischen Teiles unsers Publikums zu bedenken, wenn auch nicht zu fürchten sein, wiewohl es wirklich einige Individualitäten darunter gibt, deren allzu jugendliche Phantasie ihren Verstand überredet, man müsse sonderlich auf ihre Weisheit achten, ihr Urteil fürchten und ihre eingebildete geistige Superiorität scheuen, während der Billige und Verständige ruhig ihrem nur leider oft zu gewaltsamen Ringen nach Autorität zusieht und ihnen von Herzen erwünschtes Emporkommen gönnt.“

„Hast Du Muße und Lust zu schreiben,“ nahm Lenz das Wert: ,,so kümmre Dich um nichts und um Niemand und schreibe. Schildre nach eignem Ermessen , schmeichle nirgends und übertreibe nie. Jedes Buch ist gut, das aus innerlich empfundener Wahrheit hervorgeht. Die Anforderungen der Kritik sind stets so mannigfaltig, dass Alle zu befriedigen durchaus unmöglich ist. Einer liebt Charakteristiken, Persönlichkeiten; ein Zweiter möchte politische Zustände der Völker und Staaten geschildert, Mängel beleuchtet und aufgedeckt sehen; ein Dritter würde alles Historische hervorgehoben und mit gründlichster und tiefster Forschung vor Augen gelegt wünschen, während einem Vierten wünschenswert erscheinen dürfte, die poetischen Grundstoffe in Mähr und Sage weitläufig zu müßiger Unterhaltung versponnen zu finden.“

,,Dies Alles zu berücksichtigen ist schier unmöglich für einen Einzelnen, für ein Einzelwerk,“ fuhr Otto fort: ,,darum hat man sich hier und immer dem Publikum auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Kritik, wenn sie acht und ehrlich, und es ihr nicht darum zu tun ist, eines Autors Charakter und Persönlichkeit anzutasten oder zu verleumden, wird ihren Scharfsinn überall an dem Vorhandenen üben, nicht an dem, was mangelt. Wir aber eilen heiter und wohlgemut, lebensfroh und harmlos unsern Heimatorten wieder zu, und singen da, wo wir ausgingen und die Wanderung begannen:

Wanderstab,
Dankend legen wir dich ab!
Weil es muss geschieden sein
Raste nun und ruhe fein.
Glücklich sei, wer dich ergreift,
Mit dir in die Weite schweift,
Über Tal und Höhen streift!
Wanderstab!
Erst am Pilgerziel, am Grab,
Legen wir dich ab.“
Inhaltsverzeichnis
  1. Einleitung.
  2. Meiningen.
  3. Der Dolmar.
  4. Thal der Lichtenau.
  5. Suhl.
  6. Oberhof.
  7. Der Schneekopf.
  8. Ilmenau.
    1. Wer jemals in einer der heitern Thüringerwald-Städte süssruhend vom Kuss des Morgens geweckt wurde ...
  9. Schleusingen.
    1. Herrlich ist der Thüringerwald, wenn im Sonnenkuss eines heitern Sommermorgens die hohen Berghäupter erglühen, ...
  10. Die Hessberger Thierfährten.
  11. Das Meininger Oberland.
  12. Saalfeld.
  13. Blankenburg.
  14. Paulinzelle.
  15. Schwarzburg und das Schwarzathal.
  16. Rudolstadt.
  17. Orlamünde.
  18. Jena.
  19. Dornburg.
  20. Rudelsburg und Saaleck.
  21. Schulpforta.
  22. Naumburg.
  23. Freyburg.
  24. Memleben.
  25. Der Kiffhäuser.
  26. Weimar.
  27. Erfurt.
  28. Arnstadt.
  29. Die drei Gleichen.
  30. Gotha.
  31. Wartburg.
  32. Waltershausen und Tenneberg.
  33. Reinhardsbrunn.
  34. Der Candelaber.
  35. Der Dietharzergrund.
  36. Felsenthal und Inselberg.
  37. Liebenstein.
  38. Die Liebensteiner Höhle.
  39. Altenstein.
  40. Salzungen.
  41. Schluss.
Motto

Thüringen ist und bleibt nach den Rheingegenden mir der liebste Strich in Deutschland. Es ist so etwas Heimisches, Befreundetes in dem Boden; wie ein alter herzlicher Jugendfreund heisst er den Wandrer willkommen. Wenn man durch die freudenleere leipziger Fläche sich müde und matt hindurchgearbeitet hat, dann empfängt den Pilger das freundliche Land mit seinen tausendfach wechselnden Reizen. Die Natur entfaltet sich mit jedem Schritte immer reicher, kühner, üppiger. Ich sagte Dir schon, die Bäume bekämen ein ganz andres Grün, so wie man Thüringens Boden betritt. Herrliche Berge krönen das Land mit unverwüstlichen Wäldern; romantische Gründe laden zu fröhlichem Lebensgenuss; kühne gigantische Felsen predigen mit ewiger Begeisterung die Allmacht der Natur und enthüllen auf kolossalen Blättern die urälteste Geschichte der Erde und das tiefe Wunder ihrer ewigen Metamorphose. Einfältig, treu und bieder, wie seine Natur, ist das Volk; in den Thälern des herrlichen thüringer Waldes wohnt noch der alte deutsche Kerngeist, Gastlichkeit, unverdorbener Sinn, heilige Treue. Wenn draussen auf dem platten Lande der Bauer nahe an der Dumpfheit des Thieres lebt, so tönet hier fast in jeder Hütte Musik. Noch wandeln hier im heiligen Schatten majestätischer Wälder die Geister der alten deutschen Romanze; noch wohnen die süssen einfältigen Weisen aus guter alter Väterzeit lebendig auf den Lippen des Volks, und in den Gesellschaften der Bauern wird noch manch kindlich herzlich Lied gehört, das eines weitern Kreises würdig wäre. Noch herrscht hier das wunderbare Reich der Geister und äussert seinen geheimen Einfluss auf die Gemüther der Menschen. Wo Berge sind, ist Gott; auf dem platten Lande hauset der Teufel.

Ueber dem ganzen Lande schwebt der Geist der Vorzeit annoch mit hörbarem Flügelschlag und mit prophetischen Stimmen; das Werk der Gewaltigen ist nicht dahin, in himmelanstrebende Bäume und Felsen ist es aufgegangen, aus den schauervollen Ruinen redet noch Heldenkraft und Ritterliebe in vernehmlichen Tönen. Manche Quadratmeile thüringer Boden ist mehr werth, ist denkwürdiger, als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommerland.

Friedrich Gottlob Wetzel.

00 Weimar

00 Weimar

01 Suhl

01 Suhl

02 Meiningen

02 Meiningen

03 Schleusingen

03 Schleusingen

04 Die Sorbenburg bei Saalfeld

04 Die Sorbenburg bei Saalfeld

05 Die Stadt Blankenburg & Ruine des Schlosses Greifenstein

05 Die Stadt Blankenburg & Ruine des Schlosses Greifenstein

06 Paulinzelle

06 Paulinzelle

07 Schwarzburg

07 Schwarzburg

08 Schwarzatal

08 Schwarzatal

09 Rudolstadt

09 Rudolstadt

10 Jena

10 Jena

11 Dornburg

11 Dornburg

12 Die Rudelsburg und die Saale

12 Die Rudelsburg und die Saale

13 Schulpforte

13 Schulpforte

14 Der Dom zu Naumburg

14 Der Dom zu Naumburg

15 Memleben

15 Memleben

16 Der Kiffhäuser

16 Der Kiffhäuser

17 Der Dom zu Erfurt

17 Der Dom zu Erfurt

18 Arnstadt

18 Arnstadt

19 Die drei Gleichen

19 Die drei Gleichen

20 Gotha

20 Gotha

21 Die Wartburg-Kapelle

21 Die Wartburg-Kapelle

22 Waltershausen & Tenneberg

22 Waltershausen & Tenneberg

23 Reinhardsbrunn

23 Reinhardsbrunn

24 Der Candelaber

24 Der Candelaber

25 Felsental am Inselberg

25 Felsental am Inselberg

26 Burgruine Liebenstein

26 Burgruine Liebenstein

27 Die Höhle zu Liebenstein

27 Die Höhle zu Liebenstein

28 Altenstein

28 Altenstein

29 Salzungen

29 Salzungen