Abschnitt. 1 - In heitrer Vormittagsstunde, ...

In heitrer Vormittagsstunde, welche Erfurts ungemein mannichfaltig angenehme Umgebung, besonders den Steigerwald mit seinem vielbesuchten Lusthause, und das entferntere Schiesshaus, nicht minder die Gartenanlagen des beliebten Dreienbrunnen mit ihren Brunnkressklingern, auch nähere und fernere Rebenberge in anmuthigster Beleuchtung erscheinen liess, fuhren die Reisenden aus dem Brühler Thore Erfurts, über eine wohlerhaltene gothische Brücke; verliessen aber die nach Gotha führende Hauptstrasse, und schlugen den Thalweg ein, der zunächst unterhalb der wohlbefestigten Citadelle Cyriaksburg an einem ebenfalls gothischen Denkmale, einem uralten hohen Bildstock, dem Sibyllenthürmchen, vorbeiführte, um das sich manche örtliche Sage rankt.

Der Blick auf eine weite Flur, mit Dörfern wie besäet, ward frei, und malerisch traten aus ihr die Bergkegel der Gleichischen Burgen, während die Vorberge des Thüringer-Waldes den Hintergrund bildeten. Möbisburg mit hochgelegener Kirche wurde als die Stelle den Freunden von Otto bezeichnet, wo die Sage den altthüringischen Herrscher Merovig residiren lässt, daher Merovigsburg des Ortes alter Name sei. Schüttelt auch die strenge Geschichtforschung zu solcher Angabe bedenklich das Haupt, so deuten doch der Ortsname, wie alte Mauerfundamente auf das Vorhandengewesensein einer Burg hin. Der, schöne Fernsichten, wie die reichhaltigste Flora darbietende Steigerwald hat bei diesem Dorf und dem gräflichen Rittersitze Stedten ein Ende. Dort, wo ein Weg längs des in die Gera einfallenden Flüsschens Apfelstedt vom Thale der Gera abwärts nach den drei Gleichen zuführt, zeigte Otto rechts hinüber und sprach: „Da drüben liegt in fruchtbarer Ackerflur die friedliche Herrnhuterkolonie Neu-Dietendorf, die einzige evangelische Brüdergemeinde in Thüringen, und dort vor uns hebt sich schon Molsdorf mit seinem Schloss und dem grossen Garten, an Sommerfeiertagen als Rendezvous der Städter rund umher beliebt und besucht, vor unsern Blicken. Einst prangte dieser Garten im Gesehmacke von Versailles, hohe Buchen- und Taxusgänge schatteten, fabelhafte Gestalten von Buxs, Götterbilder von Stein verschönten ihn, Wasserkünste rauschten und sprangen. Graf Gotter führte hier mit Gleichgebornen und Gleichgesinnten ein freudenreiches Leben, der heiterste Gesellschafter, der liebenswürdigste Epikuräer. Noch sind in einer Portrait-Gallerie von Gotters Freunden und Freundinnen im Molsdorfer Schlosse die ungeschriebenen Memoiren dieser „schönen Tage von Aranjuez,“ an denen der Gothaische Hof vielfach Antheil nahm, zu lesen; freilich nur von dem Kundigen, der den Hieroglyphenschlüssel solcher physionomischen Geheimschrift in sich trägt. Wir eilen vorüber, da es einen weit unerfreulichern Eindruck macht, die verblühte und verlassene Herrlichkeit von Ehegestern zu überschauen, als das, was seit Jahrhunderten ernstvoll auf uns niederblickt.“


„Studien für den Rococostyl!“ spottete Lenz gegen Otto in des Schlosses und Gartens Nähe, während Wagners Blick wie gefesselt auf den Gleichen ruhte, die in immer wechselnder Erscheinung, je nach des Weges Wendungen, sich neben oder vor einander stellten. Bald war Ichtershausen erreicht, wo kurzes Verweilen beliebt wurde, um im Herzogl. neuen Schloss ein grosses und sehenswerthes Schlachttableau, angeblich von Rugendas: die Entsetzung Wiens durch Sobiesky, zu betrachten, dem ein zwar steifes, aber wahrscheinlich historischtreues Planbild der Schlacht bei Lützen im dreissigjährigen Kriege gegenüber hängt. Auch nannte Otto den Ort als die ehemalige Residenz des Ahnherrn des S. Meiningischcn Fürstenhauses, Herzogs Bernhard I.

Schon grüsste der grünbedachte Schlossthurm einer nahen Stadt; Burg Mühlberg trat in den Hintergrund, die steile Wachsenburg war jetzt in Stundenweite das nächste der unter dem gemeinschaftlichen Namen: die drei Gleichen begriffenen Nachbarschlösser, denen ein baldiger Besuch zugedacht wurde, und dem heitern Eindruck der romantischen Gegend und ihren stets wechselnden Bildern sich behaglich überlassend, langten die Freunde wohlgemuth in dem zwar nicht grossen, nur 800 Häuser zählenden, aber reinlichen und freundlichen Arnstadt an, das, wie der Weg, von Landleuten wimmelte, die der Wochenmarkt herbeizog.

Während im Gasthause zur Henne das Mittagsmahl eingenommen wurde, fand Otto Veranlassung, seinen Gefährten einige kurze Andeutungen über Arnstadts frühere Geschichte zu geben. „Diese Stadt,“ begann er: „ist eine der ältesten Thüringens, und kommt schon in Urkunden des achten Jahrhunderts vor. Sie war Königliche Villa, und wurde durch Kaiser Otto I. Eigenthum der Abtei Hersfeld, doch besassen auch die Grafen von Kefernburg, deren Stammschloss nur eine halbe Stunde von hier lag, einen Theil Arnstadts, welcher später an die Grafen von Orlamünde kam, von denen er an die von Schwarzburg überging, die nun den Hersfeldischen Antheil dazu erwarben. Die Arnstädter Linie dieser Grafen starb im vorigen Jahrhundert aus, Arnstadt fiel an Schwarzburg-Sondershausen, und hörte auf, Residenzstadt zu sein; doch blüht es erfreulich fort, gehoben durch Gewerbfleiss und Handel, welcher namentlich durch den Verkehr mit dem Walde ausserordentlich lebhaft ist. Arnstadt ist der Getraide- und Holzmarkt für einen grossen Theil Thüringens. Auch ist es als Hauptstadt der Schwarzburgischen Oberherrschaft Sitz einer Regierung, wie eines Consistoriums, und diente öfter und längere Zeit mehren Gliedern seines Fürstenhauses zur Residenz.“

In der That bestätigte ein Blick aus den Fenstern des Gasthofes auf das Rieth, einen marktähnlichen Platz, das, was so eben über den Handel erwähnt worden, denn in ununterbrochnem Zuge strömten Landleute, die vom Markt heimkehrten, dem nahen Thore zu, der Platz stand voll Holzwagen, und als bald darauf Otto seine Freunde an den mit bunten Freskobildern bemalten Häusern vorbei- und eine Strasse zum eigentlichen Markt emporführte, mussten sie sich durch das lebhafte Gewühl drängen. Dabei ergötzten sich Wagner und Lenz an den Volkstrachten, zumal der Frauen und Mädchen, darunter meist sehr hübsche und lebensfrische Gesichter erblickt wurden. Schon auf dem Wege von Ichtershausen her war den Fremden die besondre Nettigkeit des Anzugs der Dörferinnen aufgefallen, der sich auch durch einen eigentümlichen Luxus an gold- und buntgestickten Hauben, breiten schwarzen Spitzenbesatz und einer grossen Bänderfülle daran, auszeichnete, wie denn überhaupt sich ein gewisser Wohlstand fast überall kund that.

Es gewährte Vergnügen, dem Marktgewühl, das unter einem Portikus, die Gallerie genannt, am lebhaftesten war, eine Weile zuzusehen, dazu gab auch das stattliche Rathhaus, mit künstlich- beweglichem Uhrwerk und der Statue des ehemaligen Schutzheiligen Bonifacius, ein Objekt der Betrachtung ab. Otto aber säumte nicht, auch hier einem und dem andern Freunde seine Anwesenheit kund zu thun, und fand sowohl herzlichen Empfang, als offne Bereitwilligkeit, den Fremden zu Liebe, zur Beschauung der Merkwürdigkeiten zur Hand zu sein.

Unter diesen Merkwürdigkeiten steht, alles Uebrige fast in Schatten stellend, die Liebfrauenkirche oben an, und zu ihr wurde zunächst gewandelt, da es ohnedies nicht im Plane Otto’s lag, die Freunde auch in den, etwas verwaisten Schlossgarten zu den fast verschwundnen Ruinen des ehemaligen Schlosses, zur grossen und berühmten Günthersmühle, oder zur kleinen Kunstsammlung im Waisenhause, „Mon plaisir“ genannt, zu führen.

„Diese Kirche,“ – nahm, ihr nahend, Otto das Wort: „ist Arnstadts schönste Zier; lange ward sie vernachlässigt, missachtet, und erlitt in frühern Zeiten manche Entstellung, in spätern manche Zerstörung, namentlich in den letzten Kriegen, wo sie als Magazin und als Lazareth dienen musste. Doch wurde sie wieder gesäubert, und eine Zeitlang Frühgottesdienst in ihr gehalten.“

Bei der Kirche angekommen, sahen nun die Freunde bewundernd den schönen byzantinischen Bau, den gewölbten Kuppelthurm, der noch wohltönende Glocken trägt, und die beiden schlanken kunstreichen Thürme am westlichen Ende; alterthümliches, halbzerstörtes Bildwerk von aussen, und im bald geöffneten Innern gewahrten sie die löbliche Absicht einer zweckgemässen, ruhig fortschreitenden Restauration. Schon waren störende Uebelstände, morsche Emporen und verstaubtes Gerümpel entfernt. Die leider sehr destruirten, noch in ihrem Ruin schönen Glasmalereien waren gegen fernern Frevel und Staub gesichert, ein verdunkelnder, das Chor vom Schilfe trennender Bogen war hinweggebrochen und dadurch mehr Harmonie des Ganzen gewonnen worden, in welchem noch an guterhaltnen Altarschnitzereien, an Sculpturen, vornehmlich aber an kunstreichen Kenotaphien Günthers des Streitbaren und Günthers XXV. manches Merkwürdige gewahrt wird.

„Ich denke mir,“ sprach Wagner, aus der Kirche tretend, zu den Begleitern: „dieses schöne Gotteshaus wieder hergestellt, au einem festlichen Tage von Neuem geweiht, und eine andächtige Menge von harmonischem Glockengeläute hineingerufen. So will ich es, gleichsam prophetisch in die Zukunft schauend, in mein Skizzenbuch eintragen!“

Gesagt, gethan; die Freunde sahen ihn unter Wünschen für das Eintreffen solcher Vorhersagung eine Weile zeichnen, dann traten sie einstweilen in den freundlich angelegten, doch nicht öffentlichen Lustgarten des dicht an der Kirche liegenden Prinzenhofes ein.

Ein Pförtchen leitete in dieser Stadtgegend hinaus in das Freie, zu angenehm schattenden Alleen, und trauliche Pfade führten zum Schönenbrunnen, dem vielbesuchten Ziele der Freunde des gut und stark gebrauten Arnstädter Waizenbieres, zu den gut gelegenen Lokalen des Schiesshauses, endlich in ein enges und einsames Thal, wo eine schroffe Felswand, unter dem Namen des Jungfernsprunges bekannt, Echo einer vielfach begegnenden Sage wird. Von hier aus rückkehrend führten die Freunde ihre Besuchenden eine Strecke an dem dicht über Arnstadt sich südlich erbebenden Berge, die Altenburg empor, wo eine lachende Flur und die weite Ebene bis nach Erfurt hin überblickt ward, zur Linken die Gleichen, zur Rechten mannichfaltige Höhen, theils mit Ackerland, theils mit Waldung, näher aber mit Gärten und kleinen Villen bedeckt. Unten, dicht an des Berges Fuss gelagert, breitete sich die noch ummauerte Stadt anmuthig und gesichert aus. Von diesem Standpunkt aus ward auch der Hügel gezeigt, der vor alten Zeiten die Kefernburg trug.

Um aber noch weiteren Begriff von Arnstadts wahrhaft freundlicher Gegend zu geben, wurde der Spaziergang noch etwas verlängert, die forellenreiche Gera wurde überschritten und dem Vergnügungshause der Eremitage zugewandert, von wo aus unter und neben steilen Felsenhängcn, grünendem Gebüsch und passenden Anlagen sich eine reizende Aussicht nach Süden hin, auf einen Theil des Thüringer-Waldes, über welchen der Schneekopf langgestreckt emporragt, und in den Plauischen Grund, eröffnet.

Nicht wenig überrascht waren die Fremden, als Otto ihnen das Städtchen Plaue und die darüber liegende Ruine Ehrenburg zeigte, sich plötzlich wieder der Gegend so nahe zu wissen, die sie bereits in der Nähe Ilmenau’s von weitem erblickt; und indem ihr Führer sich erinnerte, ihnen dort auf jener Höhe einen vaterländischen Dichter, den Verfasser des Ardinghello, genannt zuhaben, unterliess er nicht, jetzt Neubeck’s zu gedenken, des Sängers der „Gesundbrunnen,“ der in Arnstadt geboren wurde, und im Beginn seines geschätzten Gedichts die „jungfräuliche Nymphe der Gera“ anruft, des mäandrischen Flusses, den man im Thalgrunde durch kräuterreiche Wiesen sich schlängeln sah. Was damals des Dichters Begeistrung im Zaubertraume der Poesie schaute und saug, erblickten die heimwärts Wandernden in der Wirklichkeit:

„Hinter den Waldungen sank hinab der scheidenden Sonne
Schwimmendes Gold, und heiter entstieg im Rosengewande
Einer bestrahlten Wolke der Abend dem thauenden Himmel.
Hesperus funkelte fern ob den Burgruinen der Gleichen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen