Abschnitt. 1 - Am frühen Morgen trug ein leichtes Fuhrwerk ...

Am frühen Morgen trug ein leichtes Fuhrwerk die Reisenden auf etwas schlechten Feldwegen den Gleichen und zunächst der noch im bewohnbaren Zustande erhaltenen Wachsenburg zu. Die Stadt hüllte sich den Blicken der Rückwärtsschauenden bald in Duft, der Weg bot nichts Anziehendes dar, und niedrige Höhenzüge beschränkten zu beiden Seiten die Fernsicht; daher suchte Otto die Aufmerksamkeit seiner Gefährten um so mehr auf das zunächst zu betretende Gebiet zu lenken. „Der vulgäre Name dieser Nachbarburgen,“ begann er: „ die drei Gleichen, ist durchaus unrichtig, denn einmal war nur eine derselben Gräflich Gleichische Veste, und hiess Gleichen, und dann sind sie weder von gleicher Höhe, noch gleicher Entfernung von einander; indess sie scheinen letzteres von gewissen Standpunkten aus gesehen, zu sein, und der volkstümliche Gebrauch mag die Benennung rechtfertigen, welche absolut verdrängen zu wollen, eben so zwecklos als thörigt wäre. Das nichts weniger als malerich sich von hier ausnehmende, hinter die Mauern sich verkriechende Haus auf dem steilen Berge vor uns ist die Wachsenburg, die höchste ihrer Schwestern, von einem Commandanten noch bewohnt, und durch ihre Schicksale, wie durch ihre Räume, an denen die Beschaffenheit so vieler in Ruinen liegenden Bergschlösser erkannt werden mag, nicht ohne Interesse. In früher Zeit stand ein Kloster auf diesem Berge, das später auf den Walpurgisberg bei Arnstadt verlegt wurde, jene Felsenhöhe, unter welcher wir am gestrigen Tage, bei der Eremitage, weilten. Später liessen die Territorialherren, die Aebte von Hersfeld, zur Sicherung ihres Gebietes, hier eine Burg erbauen. Von jenen Besitzern gelangte die Veste an die Grafen von Kefernburg und Schwarzburg, und einige der Letztern sahen sich genöthigt, die Burg zu verkaufen. Von zwei Liebhabern dazu, der Stadt Erfurt und den thüringischen Landgrafen, erlangten, nicht ohne Gewalt, die Letztern die Veste, und behaupteten sie fortwährend, so dass sie endlich auch dem Hause Wachsen zufiel und bis jetzt noch S. Gotha gehört. Während die Sachsenburg Landgrafeneigenthum war, wurde sie dem berüchtigten Apel von Vitzthum verpfändet, und als dessen blutigrother Stern unterging, entstand noch ein harter Kampf um dies alte Nest; es hielt eine dreiwöchentliche Belagerung aus, wurde tüchtig beschossen und endlich mit Hülfe eines von Bergleuten angelegten Stollens erobert. Die Erfurter thaten dabei das Beste, und gewannen nicht nur grosse Beute, sondern auch für ihre Stadt politische Vortheile. Unter Herzog Ernst dem Frommen wurde sie zu einem Zucht- und Waisenhause eingerichtet, doch ging Beides wieder ein, und die Burg diente später nur noch bisweilen zu einem Staatsgefängniss.“

Im Dorfe Holzhausen, am Fusse des Burgberges, musste der Wagen halten und die Freunde stiegen zu der steilen Höhe hinauf. Vor dem Burgthore, welch ein schöner, zum Verweilen einladender, lindenumgrünter Platz! Weithin vermögen die Blicke zu streifen und überall, wie honigdurstige Bienen, von der blühenden Aussicht zu kosten. Dort grüsst Arnstadt freundlich herüber, dort leuchten Erfurts Festungsmauern, ragen der Dom und die Thürme des Severistifts. Dort ruhen Molsdorf und Ichtershausen mit ihren Gartenwaldungen, grüne Punkte, und die reinlichen Häuser des fleissigen Neudietendorf sind sichtbar, nebst zahllosen andern Dörfern und Höfen. Mühlbergs graue Warte schaut über den Bergrücken, dessen Endpunkt sie bildet; Schloss Gleichen winkt nahe zu sich hinüber, in seine romantischen Trümmer. Weiter westlich hebt sich auf kalkigem Bergrücken die Sternwarte Seeberg, prangt das gothaische Residenzschloss Friedenstein – und fern am äusersten Horizont ragt die hehre Wartburg empor. „Hier liegt vom Buche Thüringen eine der herrlichsten Stellen vor uns aufgeschlagen,“ sprach Otto: „diese Burgen, jene Städte, selbst jener jetzt nackte Hügel hinter Arnstadt, darauf einst die Kefernburg herrschend stand, geben dem des Stoffes zum Nachdenken genug, der diese Stelle commentiren möchte. Wir aber klopfen jetzt an und läuten, drinnen erschallt lautes Rüdengebell, endlich erscheint ein Pförtner oder eine Pförtnerin und lässt uns ein, durch einen schmalen Zwinger in den geräumigen, die Burg ganz umziehenden Hof führend.“


Zunächst wurde der sehr tiefe, in Felsen gegrabene Brunnen besehen, dann das Haus, zu dessen Innern ein zweites Thor führt und in welchem freundlich nette Zimmerchen die Wohnung des Commandanten bilden, während noch ausser diesen die (neuere) Kirche, das Staatsgefängniss (eine Stube mit vergittertem Fenster), verschiedene Gewölbe- und winkelvolle Gänge gezeigt werden. Gern aus der beklemmenden Enge des alten Baues wandte man sich wieder heraus zum luftigen, zum Theil in Gartenland verwandelten Hof, und liess die Augen an den Aerntefeldern, den lichtgrünen Wiesen, der bunten Färbung des Bodens, der ausgebreitetsten Aussicht sich ergötzen. Der Himmel war rein und klar geworden, es war möglich, die Conturen des fernen Harzes zu erkennen, und das graue Haupt des dreizehn Meilen entfernten Brocken zu grüssen.

Befriedigt wandelten die Freunde bergab; da die Fahrwege in dieser Gegend nichts weniger als einladend sich darstellten, so hiess Otto das Geschirr nach Mühlberg vorausfahren und führte die Begleiter den vorhin erwähnten, nicht hohen bewaldeten Bergrücken, „die Leite,“ hinan, welchen überwandelnd, die Landschaft in immer vollerem Reiz erblickt wurde. Anziehend stellte sich weiter zur Linken auf öder, die Fernsicht begrenzender Hochebene die Ruine einer gothischen Kapelle: Heiligkreuz, dar.

Ehe die Wanderer es dachten, lag Mühlbergs einsame Trümmer ihnen ganz nah. Der 70 Fuss hohe Thurmgigant schien eine Steinkrone zu tragen, und er ist es vorzüglich, der dieser Ruine den malerischen Reiz verleiht. Otto musste bedauernd gegen die Begleiter erwähnen, dass er die Hoffnung, sie von den hohen Zinnen herab die Gegend überschauen zu lassen, so eben gescheitert sehe, indem früher im Thurme vorhandene Leitern, auf denen er einst hinan geklimmt, nicht mehr da waren. Aus den noch vorhandnen Ruinen lässt sich wenig auf die ehemaligen Gebäude schliessen, aber hie und da aufgähnende Höhlungen lassen zahlreiche und tiefe Kellergewölbe vermuthen. Der Blick hinab auf den theilweise noch umwallten und ummauerten Flecken Mühlberg ist angenehm, nicht minder macht hie und da eine Maueröffnung den natürlichen Rahmen reizender Landschaftbilder, besonders öffnet sich ein solches gegen Arnstadt und die Wachsenburg hin, das wirklich geeignet wäre, Zeichner anzulocken. Während nun Wagner in der That sich angezogen fühlte, diese Partie seinem Album einzuverleiben, lagerten sich Lenz und Otto auf Fels und Trümmergestein und duftenden Quendel, und der Letztere gedachte im Gespräch des geschichtlichen Dunkels, in welches Mühlbergs Erbauung fällt, die von den thüringischen Chronisten ungemein frühzeitig angegeben wird. Aus diesem Dunkel treten später urkundlich beglaubigte Grafen von Mühlberg, deren Geschlecht aber auch schon im dreizehnten Jahrhundert erlischt, worauf ihre Veste an die Landgrafen von Thüringen fiel und später die Eigenthümer mannichfach und wunderlich wechselte. Geschichtlich Denkwürdiges trug sich auf diesem Mühlberg nichts zu, Fehden und Belagerungen fehlten jedoch nicht, und eine derselben feiert sogar ein altes, noch vorhandnes Gedicht.

Wann die Burg zur Ruine ward, weiss man nicht; ein viereckiger Thurm, angeblich höher, als der noch stehende über dem Thore, stürzte 1768 zusammen.

Nach Mühlberg ging es nun mehr kletternd, als auf gebahntem Wege wandelnd, um eine besonders schöne, auch sagenbekränzte Quelle dieses Ortes in Augenschein zu nehmen, den Spring, dessen Nymphe aus voller Urne Segen dem Orte zuströmen lässt. Man schaut auf einen tiefen goldgrünen Grund; sieht, wie Münzen oder Steine auf unsichtbar emporquellender Fluth geschaukelt, langsam und alsbald grünglänzend zu Boden sinken und unter Conferven verschwinden, die wie Nixenhaar sich auf- und abwärts sanft bewegen. Wenn man lange hinabschaut, ist es, als blicke man der deutschen Sagenpoesie in das sehnsüchtige Auge, in das melancholische Herz.

Rasch trug der Wagen hierauf die Freunde nach Freudenthal. Mit aufmerksamem Auge beobachtete Wagner während der Fahrt die Situation der Schwesterburgen, bis er einen passenden Punkt gefunden zu haben glaubte, sie zu zeichnen. Er wählte ihn mitten in der Feldflur, durch welche in ziemlicher Krümmung der Weg leitete, und belebte aus eigner Phantasie das leere Feld des Vorgrundes mit einer Jagdscene. Er, der Maler, liebte es, den Bildern aus alter Zeit, gleichsam symbolisch, herbstliche Staffagen zu geben, oder der idealen Färbung, die Otto durch das bunte Glas der Poesie und Sage an den Landschaftsbildern erblicken wollte, eine materielle, durch Darstellung ergiebiger Obstärnten, Jagden, oder Heerden – selbst Wurst und Schinken verheissender Schweine – einen Gegensatz aufzudrücken, woran Lenz sich höchlich ergötzte, und wodurch manch heitres, gegenseitig neckendes Gespräch veranlasst wurde.

Im Forsthause Freudenthal, das zugleich mit leiblichen Erquickungen oft einsprechende Fremde zu bewirthen im Stande ist, und an die Stelle einer ehemaligen zur Burg gehörenden Kemnate erbaut wurde, fanden die Reisenden solcher Fremden eine grosse Anzahl, und es schien deren Anwesenheit auf etwas Besondres hinzudeuten. Von allen Seiten kamen sie an, zu Wagen und zu Fusse, doch führte Otto nun seine Gefährten aus dem lauten Gedränge bergempor. Bald sahen sie hohes und starres Gemäuer den Bergscheitel rings umziehend vor sich aufragen, die Thorflügel knarrten in rostigen Angeln, und der grüne Rasen des Burghofes lachte in sonniger Helle die Wanderer an. Der Führer hatte Sorge getragen, dass dieser zum „Tischlein decke dich“ des Mährchens wurde; man gedachte in behaglicher Ruhe hier oben zu schmausen, und lagerte an schattiger Stelle, wohlgeborgen vor der Mittagssonnengluth.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen