Siebzehntes Capitel. - Mehrere Tage waren in Verhandlungen und Berathungen vergangen, ohne daß man zu einem Abschlusse gelangt wäre. Da saßen an einem Nachmittage, ...

Siebzehntes Capitel. Mehrere Tage waren in Verhandlungen und Berathungen vergangen, ohne daß man zu einem Abschlusse gelangt wäre. Da saßen an einem Nachmittage, als man sich eben auch wieder von der Tafel erhoben hatte und die Herren ihr Billard spielten, die Damen allein in dem Wohnzimmer der Gräfin. Sie hatten dem Fenster gegenüber Platz genommen und eine Weile über das zeitige Beginnen des Frühlings gesprochen, welches dem kleinen Renatus, den seine Wärterin unten auf der Terrasse im warmen Sonnenscheine umhertrug, so wohl zu Statten komme. Indeß die Unterhaltung wollte nicht gedeihen. Es währte nicht lange, so saß Angelika schweigend an dem Stickrahmen, auf welchem sie eine Altardecke für die Kirche arbeitete. Die Herzogin parfilirte ein Stück golddurchwirkten Seidenzeuges und legte die ausgezogenen Fäden so vorsichtig und gleichmäßig neben einander, als gälte es wirklich eine Arbeit und nicht einen müßigen Zeitvertreib. Dabei sah sie unter ihren dunklen Wimpern von Zeit zu Zeit nach Angelika hinüber, als erwarte sie, daß diese zu sprechen beginnen werde. Endlich, da sie bemerkte, daß die junge Frau leise seufzend den Kopf emporhob, sagte sie mit heiterem Tone: Was haben Sie, Beste? Sie seufzen! Und unseres Volkes Sprüchwort sagt: „Ein Herz, das seufzt, hat nicht, was es wünscht!“ Mich dünkt, das Seufzen sollten Sie uns alten Frauen überlassen!

Es war das erste Mal, daß die Herzogin sich im Gespräche als eine alte Frau bezeichnete, und sie hatte in der That nicht Grund dazu. Angelika würde ihr dies in jedem anderen Augenblicke auch gesagt haben, sie war aber so verstimmt, daß sie sich unfähig fühlte, auf den Ton des Scherzes einzugehen, den die Herzogin angeschlagen hatte.


Ach, sagte sie, ich wollte, ich wäre älter, als ich bin!

Das ist ein Wunsch, den wenig junge Frauen mit Ihnen theilen werden, meinte die Herzogin lächelnd, und es müssen besondere Verhältnisse obwalten, wenn ein solcher Wunsch nicht Sünde sein soll, die – sie hielt inne und nahm ihren Goldbrocat wieder in die Hand.

Ihr plötzliches Abbrechen und Verstummen that seine beabsichtigte Wirkung. Sie hatte stets gefühlt, daß Angelika, die an den Umgang mit ihrer Mutter gewohnt gewesen war und diesen jetzt entbehren mußte, sich nicht selbst zu genügen vermochte; indeß sie wollte sich ihr nicht zur Vertrauten anbieten, denn sie wußte, daß man nur das schätzt, was man sich selbst erworben hat, oder doch erworben zu haben meint.

Während die Herzogin sich also wieder an das Parfiliren machte, ließ die Baronin ihre Nadel ruhen, und mit ihren ernsten Augen die Herzogin anblickend, fragte sie: Sie brachen so plötzlich in Ihrer Rede ab, meine theure Herzogin, weßhalb vollendeten Sie nicht?

Weil ich mir das Recht nicht zuerkenne, Ihnen einen Vorwurf zu machen, liebe Angelika! – und auch Angelika hatte die Herzogin sie nie zuvor genannt.

O, ich versichere Sie, es kann mir Niemand härtere Vorwürfe machen, als ich selbst! Aber ich habe so wenig Menschenkenntniß!

Worauf beziehen Sie das? fragte Jene verwundert, denn sie war auf nichts weniger als auf diese Wendung gefaßt gewesen.

Ich hätte es mir denken können, sagte die Baronin, daß von einem Manne, der selbst kein eigentlich religiöses Empfinden hat, der, wie dieser junge Architekt, nicht einmal unserer Kirche angehört, für unsere Zwecke nicht das richtige Verständniß zu erwarten sei, und ich hätte es von dem Baron verlangen müssen, daß er einen anderen Baumeister, einen Katholiken für unsern Bau gewählt. Ich kann nicht sagen, wie dieser junge Mann mir mißfällt. Sein selbstbestimmtes, herausforderndes Wesen, sein Beharren auf seiner Meinung, sein ganzer Ton, ja, selbst seine Kleidung und sein Blick beleidigen mich, so daß ich im Stande wäre, aus bloßem Widerwillen gegen seine Anmaßung auf meinem Vorsatze zu beharren, selbst wenn unser Gelübde uns in dieser Beziehung nicht zur Beharrlichkeit verpflichtete.

Sie hatte das sehr lebhaft ausgesprochen; die Herzogin wußte nicht recht, was sie von Angelika’s Worten denken sollte, und weil sie noch nicht entschlossen war, ob sie dies der Baronin sagen sollte oder nicht, schüttelte sie nur leise ihr Haupt.

Angelika fragte, was der Herzogin auffallend oder bedenklich an ihrer Aeußerung erschienen sei.

Auffallend ist mir nichts in Ihren Worten erschienen, bedenklich Manches, entgegnete die Herzogin mit feinem Lächeln, und ihr anmuthig mit dem Finger drohend, sagte sie scherzend: Seien Sie auf Ihrer Hut, liebe Freundin!

Auf meiner Hut? Und weßhalb? Wogegen?

Gegen Ihr allzu zorniges Herz! bedeutete die Französin, noch immer im Tone des Scherzes, obschon eine plötzlich auftauchende Idee sie zu beschäftigen und ihre Phantasie zu erregen begann.

Gegen mein Herz? Was hat denn das Alles mit meinem Herzen zu schaffen? fragte Angelika, die sich in ihrer Strenge durch den leichten Ton und den Blick der Herzogin verletzt fühlte.

Aber die Herzogin legte ihre Hand freundlich auf Angelika’s Arm, und mit plötzlichem Entschlusse zu einem gewissen Ernste übergehend, sprach sie: Ich habe Sie heute nicht umsonst daran erinnert, daß ich im Vergleich zu Ihnen eine alte Frau bin, meine theure Angelika, und daß ich also das traurige Vorrecht mannigfacher Erfahrung vor Ihnen voraus besitze. Ich habe viel geirrt, viel gefehlt, viel geliebt und viel gelitten! Ich habe viel verloren und nur Eines gewonnen – ich habe sehen gelernt, wo ich mit dem Herzen sehe!

Sie bog sich bei den Worten zu der Baronin hinüber, und sie zärtlich anblickend, sagte sie: Wenn der gute Wille, zu vermitteln, auszugleichen und zu rathen, Ihnen und meinem theuren Vetter, denen ich so tausendfach verpflichtet bin, für Dank gelten kann, so bin ich dankbar! Sie haben Recht, theure Angelika! Sie sind sehr jung und – ich fühle das – Sie haben nie geliebt, Sie sind nicht glücklich, armes Kind! Darum seien Sie auf Ihrer Hut! Ein so heftiger Zorn, wie Sie ihn gegen den Architekten fühlen, ist oft die Knospe, in welcher ganz andere Empfindungen sich verbergen. Denken Sie daran!

Sie küßte die Baronin auf die Stirn und verließ das Zimmer.

Angelika aber blieb zurück, ohne recht zu wissen, was ihr geschehen war. Alle ihre Vorstellungen, alle ihre Gedanken waren unklar und drängten sich wirr durch einander. Sie fragte sich, was sie denn gesagt habe, um die Herzogin zu solchen Aeußerungen zu ermächtigen. Sie besann sich, ob sie jemals etwas über ihre Erlebnisse ausgesprochen oder von wem die Herzogin etwas über jene Vorgänge erfahren haben könne, welche ihren Uebertritt zur katholischen Kirche veranlaßt hatten. Indeß sie fand keinen Anhalt zu einem Vorwurfe gegen sich, keinen Anhalt für den Rath und die Ermahnung, welche ihr geworden war. Daneben klangen ihr immer wieder die Worte in den Ohren: „Sie sind nicht glücklich, Sie haben nie geliebt!“ und ein plötzlicher, bitterer Schmerz in ihrer Seele gab diesen Worten Recht.

Ja, sie hatte im Grunde nie geliebt. Das Wohlgefallen, die Bewunderung, die dankbare Zärtlichkeit und die erwachende Sinnlichkeit, welche sie ihrem Gatten gegenüber gefühlt und die sie in ihrer Unschuld damals für Liebe gehalten hatte, das Alles hatte den Namen der Liebe nicht verdient. Jetzt wußte sie es lange schon, daß sie wohl einer anderen Liebe fähig gewesen wäre. Aber der Gedanke, daß in ihrem Herzen, in der Brust der verheiratheten Frau noch einmal jene große, starke Liebe, wie sie die Dichter schilderten und deren Darstellung sie immer bis zu Thränen rührte und entzückte, erwachen, für einen Andern erwachen könne – dieser Gedanke hatte ihr völlig fern gelegen, und sie erschrak vor der Vorstellung, welche die Herzogin in ihr heraufbeschwor.

Sie tröstete sich damit, daß es ein Scherz der Herzogin gewesen und daß sie eine Thörin sei, demselben irgend eine Bedeutung einzuräumen. Sie wollte darüber lachen, sich darüber erzürnen, sie wollte sich verspotten, und mußte sich doch immer wieder fragen, wie die Herzogin denn auf den Einfall gerathen sei, ihr eben Herbert gegenüber eine solche Warnung zu ertheilen. Sie fühlte sich aufgeregt und wußte sich ihr Empfinden nicht zu deuten. Eine schmerzliche Sehnsucht wachte in ihr auf und unwillkürlich drängten sich ihr die Worte auf die Lippen: Wenn ich meine Jugend wieder hätte!

Da fiel ihr Auge auf das Bild Amanda’s und auf Amanden’s Ring, den sie am Finger trug, und sie richtete sich empor. War es denn nicht Gottes Fügung gewesen, die sie zu dem Baron geführt hatte? War es nicht Gottes Fügung gewesen, die sie und ihn der heiligen Mutter Kirche wiedergegeben? Wie durfte sie sich unglücklich fühlen, während sie das Werkzeug einer höheren Macht gewesen war, deren Einwirkung sie ja unablässig anerkannt und empfunden hatte! Und war es vielleicht der Wille dieser höchsten Fügung, daß eben jetzt in jenem jungen Manne, in Herbert eine Versuchung an sie herantrat? Wollte der Himmel sie prüfen, sie kämpfen, sie unterliegen oder siegen lassen?

Wie sehr sie sich dagegen sträubte, immerfort sah sie ihn vor sich, hoch aufgerichtet, stolz und schön und trotzig. Und was hatte er denn im Grunde genommen verbrochen? Er hatte eine Meinung geäußert, die abzugeben er als Fachmann verpflichtet war. Man bezahlte ihm sein bestes Wissen, er mußte es also für diejenigen nutzen, denen zu dienen er sich anheischig gemacht hatte. Sie aber hatte ihm gleich Anfangs mit Herbigkeit widersprochen, ihn beleidigend behandelt, nur weil ihr seine Tracht unangenehme Vorstellungen erweckt, oder weil sie gefürchtet hatte, in ihren Gästen durch dieselbe unangenehme Erinnerungen erzeugt zu sehen. Sie fing an, sich vor sich selbst zu schämen. Sie gestand sich’s ein, daß sie dem Architekten ein Unrecht zu vergüten habe. Aber mitten in der Ueberlegung, wie sie das anstellen solle, mitten in der Frage, was sie thun und ihm sagen und wie er das aufnehmen und dabei aussehen würde, erfaßte sie der Gedanke: Woher kommt es, daß du dich so viel mit ihm beschäftigst? Ist das nicht schon jenes Gefühl, das jetzt Sünde für dich ist? Beginnt die Prüfung, welche der Himmel dir auferlegt hat, schon jetzt? – Und sie schlug an ihre Brust und gelobte sich, fest und stark zu bleiben und es der Herzogin nie zu vergessen, daß dieselbe sie wie eine Mutter treu gewarnt. Jetzt wußte sie es, jetzt wußte sie es zuversichtlich, daß die Sterne ihr nicht gelogen, als sie ihr in der Herzogin eine Freundin verheißen hatten!