Achtzehntes Capitel. - In den Augenblicken, in welchen Angelika sich also mit ihrem Gewissen berieth und zweifelnd und bange auf ihr ganzes Dasein blickte, ...

Achtzehntes Capitel. In den Augenblicken, in welchen Angelika sich also mit ihrem Gewissen berieth und zweifelnd und bange auf ihr ganzes Dasein blickte, fühlte sich die Frau, welche die Baronin geneigt war als ihre mütterliche Freundin zu verehren, so heiter, wie sie es in Richten noch nicht gewesen war. Denn ein Zufall hatte ihr ganz plötzlich dargeboten, was sie bisher vergebens gesucht hatte: eine Handhabe zur Herrschaft über ihre jetzige Umgebung, eine Beschäftigung für ihre leere Zeit.

Das kühle und doch einschmeichelnde Wesen der Herzogin war zum Herrschen geschaffen, und sie hatte wie jeder Mensch das Bedürfniß, die Fähigkeiten zu brauchen, welche sie besaß. Während ihres Wanderlebens hatte der Wechsel ihrer Verhältnisse sie zerstreut, die Sorge sie gelegentlich gefangen genommen. Nun hatte das aufgehört, die Tage in dem Schlosse erschienen ihr sehr lang, und sie mußte sich doch sagen, daß es für sie gerathen sei, sich in demselben möglichst festzusetzen. Indeß sie hatte bisher keinen Boden für die Ausführung dieser Absicht entdecken können, so auffallend Vieles ihr in der Ehe ihrer Gastfreunde auch erschien. Sie sah den Freiherrn, den sie als einen Lebemann gekannt, völlig unter der Herrschaft einer jungen Frau, die sich kaum die Mühe gab, ihm zu gefallen oder ihre Vorzüge geltend zu machen. Sie hörte Angelika häufig von ihrem und ihres Gatten Gelöbnisse reden, und neulich, als sich bei der Tafel das Gespräch zufällig darauf gerichtet, hatte der Baron, der in seinem früheren Leben sich in mancher Verlegenheit befunden und ihr ruhig Stand gehalten, seine Fassung ganz und gar verloren. Nicht er, nein, Angelika hatte es übernommen, die unangenehme Scene zu beenden. Die junge Baronin fühlte sich also offenbar den Ereignissen, dem Geschehenen gegenüber freier als ihr Gatte, und unwiderleglich hatte sich an jenem Mittag in der Herzogin die Gewißheit festgesetzt, wie irgend ein Unrecht gegen das, was Angelika die Heiligkeit der Ehe nannte, den Anlaß zu dem Gelöbniß und der Baronin die Herrschaft über ihren Mann gegeben hatte.


Die Herzogin hatte sich des Lachens kaum erwehren können, als dieser Gedanke sich ihr aufgedrängt. Der Baron erschien ihr gegenüber der religiös-pedantischen Sittenstrenge seiner jungen Gemahlin beklagenswerth und komisch zugleich. Wie viele Kirchen hätte er gründen müssen, dachte sie, wenn er jede Gunst, deren er genossen, mit einem ähnlichen Gelöbnisse hätte bezahlen sollen. Wäre er noch der Alte gewesen, hätte in seinem Hause der Ton geherrscht, nach welchem er und die Herzogin in Frankreich einst mit einander verkehrt, so würde sie nicht angestanden haben, ihm augenblicklich dieses scherzende Wort zu sagen. Aber sie befanden sich in Deutschland, Angelika war, wie die Herzogin es nannte, eine fromme deutsche Schwärmerin, und die Fremde hatte die Sitten und den Brauch des Hauses schon aus Rücksichten der Klugheit so lange zu schonen – bis es ihr gelang, sie allmählich nach ihrem Bedürfnisse und nach ihrem Geschmacke umzuwandeln, wozu sie sehr entschlossen war. Noch ehe man sich an jenem Tage von der Tafel erhob, hatte sie beschlossen, dem Baron zu Hülfe zu kommen und ihren alten Freund, den liebenswürdigen frohen Genossen mancher schönen Tage und Stunden, aus der Knechtschaft seines Ehejoches zu befreien.

Sie war noch immer mit sich zu Rathe gegangen, wie dies zu machen sei, bis in dem stillen Beisammensein mit der Baronin die widerwilligen Aeußerungen, welche diese über den Baumeister aussprach, die Herzogin auf den Einfall brachten, gleich jetzt einmal die junge Frau an einen Scherz zu gewöhnen; denn nur als einen solchen hatte sie ihre Warnung vor Herbert ausgesprochen. Erst die Bestürzung und das Erschrecken Angelika’s erinnerten die achtsame Französin daran, wie viel damit gethan sei, wenn man einen Menschen in seinem Glauben an sich selbst erschüttert, wie schnell man in der Regel an das Ziel gelangt, wenn man die Personen, auf die man wirken will, selbst zu Werkzeugen und zu unbewußten Gehülfen für dasjenige macht, was mit ihnen und an ihnen gethan werden soll.

Noch während sie Angelika umarmte und küßte, hatte sie, über dieselbe in das Freie hinausschauend, bemerkt, daß der Baron den Billardsaal bereits verlassen und sich auf die Terrasse hinaus begeben hatte. In der Nähe der Baronin war für den Augenblick nichts mehr zu thun. Die Herzogin drängte es also, den Freiherrn zu sehen und zu erfahren, in wie weit bei ihm ihre Voraussetzungen berechtigt sein möchten.

Leichten Schrittes eilte sie durch die Gemächer, durch den langen Corridor, stieg dann die Treppe, welche aus dem Seitenflügel auf die Terrasse führte, hinunter, als käme sie graden Weges aus ihren Zimmern, und trat an den Baron mit der Frage heran, wo ihr Bruder sei.

Der Baron, welcher seinen Knaben auf dem Arme hatte, gab ihr Bescheid und wollte das Kind der Wärterin reichen, aber die Herzogin hinderte ihn daran. Nicht doch, nicht doch, rief sie ihm zu, Sie sehen prächtig mit dem Kinde aus, lieber Freund! Der schöne kleine René kleidet Sie vortrefflich! – Sie kam mit diesen Worten, leicht auf ihren kleinen Absatzschuhen einherschreitend, an den Freiherrn heran, nahm ihm den Kleinen ab, drückte ihn an das Herz und meinte: Es ist sonderbar, ich liebe die Kinder, ich liebe sie sehr, und doch habe ich es nie bedauert, kinderlos zu sein!

Ein Beispiel Ihres widerspruchsvollen Geistes! meinte der Baron.

Durchaus nicht, mein Lieber! Es ist nur ein Beweis dafür, daß ich mich und mein Herz wohl kannte. Ich war nicht edel, nicht tugendhaft genug, um glücklich zu werden durch eine Selbstverleugnung ohne Ende, um mein Leben lang immer eine gute Mutter zu sein!

Und doch erzogen Sie nach dem frühen Tode Ihrer Mutter den Marquis! wandte der Freiherr ein.

O, das war etwas Anderes, das war nur ein Bruder; das verpflichtete zu nichts, den konnte man aufgeben wie jeden Anderen, wenn man seiner überdrüssig war! Aber ein Kind, das bleibt, das ist unser eigen, das hat unabweisliche Forderungen an uns und ist eine bindende Fessel; gewiß eine süße, aber auch eine schwere Fessel – gerade wie die Ehe! rief sie und fügte lachend hinzu: Ihnen darf man das freilich nicht mehr sagen, denn Sie sind auch tugendhaft und ernsthaft geworden, sehr tugendhaft, sehr ernsthaft, und ich allein bin die Alte geblieben, das alte Kind einer jüngeren und fröhlicheren Zeit! – Sie wiegte dabei den Knaben tändelnd in ihren Armen und reichte ihn danach der Wärterin. Geh’, geh’, du reizendes, kleines Memento mori, sagte sie, und erinnere uns nicht mit deinen hellen Augen daran, daß du den Frühling noch schauen wirst, wenn uns längst sein grüner Teppich deckt!

Dann nahm sie den Arm des Barons, der sie mit Ueberraschung betrachtete, und fing an, langsam mit ihm auf der Terrasse umher zu wandeln, während sie das schwarze Spitzencapuchon ihres Entredeux über die Frisur zog, daß die Kanten auf ihr leichtgepudertes Gelock herniederfielen. Sie rühmte die anmuthige Lage des Schlosses, die gute Luft dieser Gegend und pries ihr Wohlbefinden in derselben. Sie sprach von ihrer Heimath, von ihren gemeinsamen Erinnerungen und Bekannten, und schien es lange gar nicht zu bemerken, daß sie allein die Unterhaltung führte. Auch der Baron beachtete es nicht; er hatte seine eigenen Gedanken.

Wie er so neben ihr einherging in aller seiner Stattlichkeit, die kleine, feine Gestalt am Arme führend, war es ihm, als komme mit der Berührung dieses Armes, der sich so weich und leicht dem seinen anschmiegte, ihm eine langvergangene Zeit zurück, eine Zeit, in der er voll Feuer, voll Hoffnung, voll jugendlicher Wünsche und zugleich mit einer Freiheit in das Leben getreten war, die ihm – wie er sich dagegen auch sträubte – jetzt noch reizend und begehrenswerth erschien. Er sehnte sich nach den Empfindungen der Leichtlebigkeit, die er in der letzten Zeit in sich zu bekämpfen gestrebt, und er konnte nicht anders, er mußte in seinem Innern der Herzogin darin Recht geben: die Ehe, wie nothwendig ihre strenge Beschränkung auch sein mochte, war eine Fessel, die wohl drücken konnte.

Was denken Sie? fragte die Herzogin ihn endlich.

Der Baron nahm sich zusammen. Ich freue mich daran, wie wenig Gewalt die Zeit über Sie und Ihren Geist gehabt hat! gab er ihr zur Antwort. Sie sind noch heute ganz dieselbe, die Sie in Vaudricour gewesen sind!

Und Sie, Cousin?

Können Sie mich das fragen? erwiderte er, und die Herzogin hütete sich, ihm schnell eine Entgegnung darauf zu machen. Sie schritt jetzt nur, als sei sie des Auf- und Niedergehens müde, die breite Treppe der Terrasse hinunter und wendete sich dann einer der Alleen zu, welche vom Schlosse aus den ganzen Park in langen Linien durchschnitten.

Die Bäume waren noch blätterlos, aber die Knospen hatten sich bereits stark gefärbt und begannen zu platzen und sich zu entfalten, daß es wie ein farbiger Duft hier bräunlich roth, dort gelblich, und daneben auf den anderen Gipfeln wie ein leichter, grüner Schleier anzusehen war. Die Sonne schien warm, nur hie und da wehte ein leichter, kühler Hauch durch die Luft, und wohin das Auge sich wendete, verkündete der helle frische Rasen das neue Werden der Natur.

Die Herzogin ging wie in stillem Genießen versenkt langsam fort und fort. Erst als sie sich eine Strecke vom Schlosse entfernt hatten, hob sie den Kopf zu ihrem Begleiter empor, sah ihm mit ihren sanften Augen, aus welchen der Frohsinn ganz entschwunden schien, prüfend in das Antlitz und sagte: Sie haben Recht, mein Freund; und einem Manne, der so viel Philosophie besitzt, wie Sie, kann man das wohl aussprechen, ohne ihn damit zu verletzen: Sie sind allerdings älter geworden, als Ihre Jahre, welche auch die meinen sind, es nöthig machen. Ich komme mir jünger vor, als Sie, aber mich dünkt, Sie tragen daran selbst die Schuld!

Von einem Anderen die Bestätigung eines Gedankens zu erhalten, der uns nicht angenehm ist und den man sich wegleugnen möchte, ist immer eine sehr peinliche Sache. Aber der Freiherr wollte sich nicht weniger philosophisch zeigen, als die Herzogin ihn nannte, und er fragte sie deshalb mit anscheinendem Gleichmuthe, in wie fern er nach ihrer Ansicht die Schuld an seiner Wandlung tragen könne.

Ich weiß nicht, meinte die Herzogin, ob ich mich irre. Es ist indeß mit uns Menschen wie mit den Pflanzen. Jedwede fordert ihr eigenes Erdreich, ihre eigene ihr angemessene Wärme und Behandlung, und auch wir sind nicht überall hin zu versetzen, nicht für jede Umgebung gemacht. Ich meine, Sie hätten sich nicht aus der großen Welt zurückziehen sollen.

Der Baron zuckte die Achseln. Ich war ihrer müde geworden, meinte er, und die Baronin ....

Die Baronin ist ein Engel, fiel die Herzogin ihm in die Rede, ein Engel an Güte und an Tugend! Sie besitzt in der That alle die Vorzüge, welche ein Mann wie Sie von einer Frau nur fordern kann, aber – denn eine alte Freundin darf ja wohl aufrichtig zu Ihnen sprechen? ....

Aber, rief der Freiherr in einem Tone, der nicht eben ermuthigend klang, den jedoch die Herzogin nicht zu beachten für gut fand.

Aber, sagte sie, mich dünkt, für Sie, eben für Sie, Cousin, war sie vielleicht nicht die glücklichste Wahl. Sie sind lebhaft, lebenslustig, beweglich, ein wenig eitel und ziemlich egoistisch. Solche Männer sind in der Regel nicht darauf gestellt, immerfort das Gleiche zu empfinden. Solche Männer wollen auch bewundert werden, wollen etwas zu erringen haben, und an dem Vollendeten bleibt ihm nichts zu erringen, nichts zu thun übrig, als fortdauernd zu bewundern und zu verehren. Die Baronin ist vielleicht zu gut für Sie!

Sie sprach das in einer Weise, die es ihm anheimstellte, ob er ihre Worte ernsthaft oder scherzhaft nehmen wollte. Auch zögerte der Baron, ihr zu antworten, und erst nach einer kleinen Pause erwiederte er: In gewissem Sinne könnten Sie Recht haben. Die Verehrung ist nicht immer ein Beförderer der Liebe, und Nachsicht finden, Nachsicht gewähren, Verzeihen und Verzeihung erhalten, kann sehr süß sein, kann die Herzen sehr nahe zusammenführen, sie sehr dauernd verbinden!

Er hatte das mit einer gewissen inneren Bewegung gesagt. Die Herzogin wußte jetzt, woran sie war; aber sie wollte auch hier nicht absichtlich, nicht zudringlich erscheinen, und sie beherzigte bei sich, daß man um zu herrschen nicht eilig sein, daß man verstehen müsse, zu warten, um sicher vorwärts zu kommen. Mit jenem spielenden Lächeln, das selten von ihren Lippen wich und das ihren feinen Zügen so wohl anstand, ging sie völlig wieder zum Scherze über. Nun, rief sie, in diesem Falle, mein Cousin, sind Sie durch reichliche Erfahrung competent! Zum Verzeihen haben Sie uns immerdar Anlaß gegeben und – ich rühme Ihnen das nach – Sie waren liebenswürdig, wenn man Ihnen Nachsicht zeigte!

Und bedurften Sie der Nachsicht weniger als ich, theure Herzogin? fragte der Baron, dem mit diesem Lächeln und diesem Tone seiner Begleiterin eine Vergangenheit wach wurde, deren zu gedenken er bisher der Herzogin gegenüber nicht gewagt hatte. Die Treue ....

Treue! Wer spricht davon? Ich habe das Wort nie leiden mögen.

Weil Sie sich nie entschlossen, es zu einer Wahrheit zu machen!

Als ob es Ihnen Vortheil gebracht hätte, wäre ich treu gewesen wie die Heldinnen der Fabliaux! Treu sein, heißt beschränkt sein, Nichts weiter! In Einem Menschen sein ganzes Leben lang die ganze Welt sehen, das heißt ja sich Augen und Ohren verbinden und Herz und Geist ertödten! Treue ist ein halber Selbstmord. Warum denn von Treue sprechen in einer Welt, in welcher Alles wechselt ....

Und Alles eigentlich so schön ist! unterbrach sie der Baron, der sich mehr und mehr erheiterte. Der Frühling hat seine Blüthen, der Sommer seine Blumen und seine heiße Gluth ....

Und der Herbst? fragte sie, indem sie ihm mit einem langen Blicke, dessen Wirkung sie früher oft genug erprobt, in die Augen schaute, und der Herbst?

O, rief der Freiherr, der Herbst hat seine klare, heitere Wärme, der Herbst hat oft das Licht des Frühjahres und den Duft des Sommers, und darüber hinaus die süße, erquickende Traube des Weines, dessen Feuer beständig ist und dessen Werth sich steigert mit der Zeit.

Er hatte den Arm der Herzogin fester an sich gezogen, und – war es der magische Glanz des hellen Sonnenlichtes, das seinen glühenden Schein über das Gesicht der Herzogin ergoß, oder war es der Reflex des dunkelrothen, kleinen Fächers, mit dem sie ihre Augen überschattete – sie kam dem Baron noch jung vor und er fand sie noch reizend. Freilich sah er die Fältchen in ihren Augenwinkeln, aber sie erhöhten nur die Freundlichkeit ihres Blickes. Er sah auch die feinen Furchen auf ihrer Stirn und die tieferen Züge, welche die Leidenschaft und die Jahre um ihren Mund gezogen hatten, aber er sah sie nur mit dem Bedauern, daß auch diese einst so anmuthvolle Bildung der Vergänglichkeit zum Raube fallen müsse, und obschon weit davon entfernt, jetzt noch ein Gefühl der Liebe für die Herzogin zu fühlen, wie er es einst vorübergehend auch für sie gehegt, hatte er sie doch nie höher gehalten, als eben in dieser Stunde.

Sie war ihm werth, unschätzbar werth! Er sprach ihr das aus. Er gestand ihr, daß er in diesem Augenblicke, in welchem er finde, was er so lange entbehrt, erst inne werde, wie schwer er einen Menschen, eine Freundin vermißt habe, die seine Erinnerungen mit ihm theile, die durch Menschenkenntniß, durch Welterfahrung ihm nahe stehe, die in sich selbst die Schwäche des Herzens und der menschlichen Natur erfahren habe, die ihm helfen könne, den zu ernsten Sinn Angelika’s zu erheitern, ihr Lust an den Freuden ihres Alters zu geben. Und, so schloß er, ich bin glücklich, theure Herzogin, daß ich in Ihnen, meine Freundin, jene Jugend des Geistes und des Herzens wiedergefunden habe, die auch mir noch nicht entschwunden ist, und die in meiner Angelika zu beleben mir sicherlich gelingen wird, wenn Sie, theure Margarethe, mir die Hand dazu bieten!

Er hielt ihr die Hand hin, sie reichte ihm die kleine zierliche Rechte, deren reichberingte Finger blendend aus dem schwarzen Halbhandschuh von Filet hervorsahen, und er führte sie an seine Lippen. Sie gefielen einander gar wohl in dieser Lage, denn sie betrachteten einander mit den Augen früherer Tage, und in den neuen Freundschaftsbund schlossen sie stillschweigend die einstige kurze Liebe mit ein.

Wie segne ich die Stunde, sagte der Baron, in welcher Sie sich entschlossen, uns hier aufzusuchen!

Machen Sie mir den Aufenthalt durch Ihre Freundschaft nicht zu werth, das Exil wird mir zu schwer und zu hart danach erscheinen!

O, rief der Freiherr, das muß feststehen zwischen uns, Cousine, daß Sie uns nicht verlassen, bis wir selbst Sie nach Vaudricour zurückgeleiten können! Ihr Wort darauf!

Was hilft Ihnen das Versprechen einer Treulosen, die obenein wetterwendisch ist wie alle alten Frauen? meinte sie mit guter Laune, während sie umlenkte, um den Rückweg nach dem Schlosse anzutreten.

Nun denn, so appellire ich an die Vergangenheit, um mir die Zukunft zu sichern, meinte der Baron. Wir haben es uns einst versprochen, Freunde zu bleiben und einander nicht zu fehlen, wo wir einander nützen können. Denken Sie noch daran, Margarethe?

Ich denke daran, erwiederte sie anscheinend gerührt, denn ich erinnerte mich dieses Versprechens in der Stunde der Sorge, und ich kam zu Ihnen.

Wohlan denn, Herzogin, an der Seite meiner jungen Frau fehlte mir immer meine alte Freundin Margarethe. Ich verlange von ihr, daß sie nicht von mir geht, ehe ich sie entbehren kann! Wird sie mir das versagen?

Nein, o nein, gewiß nicht, mein alter theurer Freund, mein lieber Vetter, rief die Herzogin, als überwältigten sie das Zartgefühl und die Großmuth des Barons, aber gewähren auch Sie mir eine Bitte!

Befehlen Sie, theure Freundin! Ihnen einen Wunsch zu erfüllen, wird mich glücklich machen!

Nun denn, Baron, gönnen Sie es mir, die Vermittlerin zwischen Ihnen und den Wünschen unserer lieben Angelika zu machen. Die fromme Seele hat ihr Herz einmal an den Bau der Kirche in Rothenfeld gehängt, geben Sie ihr darin nach. Sie wünschen die Gute ein wenig leichtlebiger, ein wenig fügsamer zu finden; gehen Sie ihr mit gutem Beispiele voran und fordern Sie Nachgiebigkeit um Nachgiebigkeit.

Wie gern, meinte der Baron, nur daß wir eines schönen Effectes entbehren, wenn wir den Vortheil nicht benutzen, welchen der Bau auf der Höhe uns bieten würde.

O, Cousin, das ist Monsieur Herbert’s Sache! Sie rühmen sein Genie, seine Erfindungsgabe; er wird einen anderen Vorschlag machen, er wird da oben eine Capelle, ein Kreuz errichten, und wenn die gute Angelika sich in ihrem heiligen Eifer genug gethan hat, nun, so wird sie allmählich auch ihren Sinn mehr den Freuden des Lebens und ihres Alters zuwenden und das beschämende Gefühl von unseren Häuptern nehmen, daß wir jünger, o, weit jünger sind, als unsere liebe junge Schwärmerin.

Sie lachte und wandte ihr Haupt ab; ihr Nacken und ihr Ohr waren noch zierlich und sehr hübsch. Wie haben Sie es gemacht, Cousine, so jung zu bleiben? fragte der Baron.

Ich habe meine Freiheit nicht darangegeben, nachdem ich sie durch den Tod des Herzogs einmal wiedergewonnen hatte, entgegnete sie.

Der Baron antwortete ihr nicht darauf, aber sie glaubte ihn seufzen zu hören.

Am Abende erklärte der Freiherr seiner jungen Gattin, daß er sich hinsichtlich des Baues ihren Ansichten und Wünschen füge. Sie war davon gerührt und überrascht. Aber sie ahnte nicht, daß sie die Gewährung ihres Verlangens einer fremden Frau verdankte, die wohl wußte, was sie damit gethan, als sie dem Freiherrn seinen und seiner Gattin Lebenswege als zwei von einander abweichende Pfade bezeichnet hatte.