Sechstes Capitel. - Die Erfahrung, welche der Baron an dem ersten Tage seiner Ehe gemacht hatte, ward ihm eine Anmahnung zur Selbstbeherrschung, ...

Sechstes Capitel. Die Erfahrung, welche der Baron an dem ersten Tage seiner Ehe gemacht hatte, ward ihm eine Anmahnung zur Selbstbeherrschung, aber grade die Nothwendigkeit derselben ließ ihn erkennen, wie sehr er durch Paulinen’s Tod erschüttert war, und während die anmuthigste und liebenswürdigste Frau an seiner Seite saß, von deren Tugend und Bildung er selbst sich ein reines Glück erhoffte, konnte er das Bild des unglücklichen Geschöpfes nicht verscheuchen, das ihm in willenloser Leidenschaft, in ausschließlicher Liebe zu eigen gewesen war und, durch ihn selbst von jedem andern Anhalte losgelöst, keinen Ausweg für sich gefunden hatte, als den Tod, da er sich von ihr abgewendet.

Der Wagen führte ihn vorwärts, aber alle seine Gedanken gingen nach Richten und in die Vergangenheit zurück, und obschon er mit großer Anstrengung die Heiterkeit und Zufriedenheit zur Schau trug, welche jeder herzensfreie Mann an der Seite Angelika’s empfunden haben würde, die sich wieder zutrauensvoll und fröhlich an ihn zu schließen begann, hätte er bisweilen viel darum gegeben, eine Stunde des Alleinseins, eine Stunde zwanglosen Leidens und Ausruhens genießen zu können. So drückend ihm der Gedanke an die Rückkehr nach Richten Anfangs auch gewesen war, er fand, daß er nicht klug gethan habe, indem er sich in seiner gegenwärtigen Stimmung zu dem unausgesetzten Beisammensein mit seiner Frau verdammt hatte, und er erschrak doch vor sich selber, als er sich eben dieser Empfindung bewußt ward.


Dazu hatte er die Fahrt nach der Residenz auf kurze Tagereisen anlegen müssen, um dem vorausgesandten Kammerdiener Zeit zu den unerläßlichsten Vorkehrungen in dem Hause von Fräulein Esther zu lassen, und obgleich die Tage noch sehr hell und freundlich blieben, war die Jahreszeit doch schon weit vorgerückt. Die Abende waren lang, die Orte, in denen man zu rasten hatte, boten keine Zerstreuungen, die Gasthöfe nicht einmal eine gewisse Behaglichkeit dar. Ohne die Anspruchslosigkeit und den jugendlichen Sinn der Baronin, die niemals gereist war und die daher in manchen Dingen noch einen Reiz und eine Belustigung zu finden vermochte, welche ihrem Gatten nur als Unbequemlichkeiten erschienen, wäre diese Fahrt nach ihrem neuen Aufenthaltsorte nicht danach angethan gewesen, der jungen Frau als eine ihr von ihrem Gatten gewährte Ueberraschung oder Vergünstigung zu erscheinen.

In der Regel aber steigert sich die Erwartung, mit welcher wir einem unbekannten Zustande entgegen gehen, durch die Dauer der Zeit wie durch die Mühe, mit welcher wir zu demselben zu gelangen haben, und besonders die Jugend, welche noch an ein nothwendiges Gleichgewicht zwischen Mühe und Erfolg glaubt, hält sich berechtigt, ihre Hoffnungen und Ansprüche je nach der Zeit des Wartens höher zu spannen. Die erste Ankunft in der Residenz war jedoch nicht dazu geeignet, den Vorstellungen zu entsprechen, mit welchen die Baronin ihr in den letzten Tagen und Stunden entgegen gesehen hatte.

Es war ein unfreundlicher Nachmittag, an welchem der Reisewagen des Barons durch das Frankfurter Thor in Berlin einfuhr und nach langem Wege vor dem Hause von Fräulein Esther Halt machte. Nach mehreren Wochen des schönsten, hellsten Wetters hatten Regen und Nebel des Herbstes sich ganz plötzlich eingestellt und fielen deshalb um so widerwärtiger auf. Das Haus lag in einer Straße, welche zu den vornehmsten gezählt hatte, ehe die Erweiterung der Stadt hier wie überall die schöne Welt nach dem Westende übersiedeln machte, und die dunkeln Mauern sahen bei der trüben nassen Luft noch grauer als gewöhnlich aus.

Breit für seine Höhe, auf weitem Hofe hingestreckt, mit eisernem Gitter gegen die Straße abgeschlossen und von den Bäumen des Gartens überragt, übte das Haus auf die Baronin eine überraschende Wirkung aus, indeß der Verfall desselben drängte sich ihr trotz der beginnenden Dämmerung deutlich auf, und das Innere des Gebäudes entsprach dem Aeußern nur zu sehr.

Die öde, mit schwarzen Fliesen ausgelegte Eintrittshalle, die breiten Steintreppen mit den altersgeschwärzten Eisengallerien, die hohen, mit stumpffarbigen Seidenstoffen und gepreßtem Leder tapezierten Gemächer, der Hausrath, dem man es ansah, daß er seit gar langen Jahren nicht erneuert worden war, hatten etwas Trauriges. Die Brocatüberzüge der Möbel, die Gardinen und Thürvorhänge waren farblos, die reichen Vergoldungen ohne Glanz, die prächtigen Spiegelgläser waren blind geworden. Die gestickten Tischdecken, die Teppiche und Polster sahen fahl aus, und von den Oelgemälden und Pastellbildnissen, deren sich eine große Anzahl in den Zimmern vertheilt befanden, waren die Farben ebenfalls verblichen, daß sie blaß und gespenstisch auf die Eintretenden herniederschauten.

Zwar brannten in den herabhängenden altmodischen Messing-Laternen der Halle die Lichter, und in den Räumen, welche man zu ebener Erde auf die ganz unerwartete Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Barons geöffnet und für ihn hergerichtet hatte, flammten die Feuer lustig in den großen Kaminen, aber trotz der Mühewaltung des vorausgesandten Dieners war und blieb der melancholische Hauch, der über dem Hause lag, unzerstörbar.

Das widerwillige Bellen der beiden alten Hunde, welche den fremden Eindringlingen den Eingang verwehren zu wollen schienen, erschreckte die Baronin, und die steifen Verbeugungen und Knixe der in dem Hause waltenden Kammerfrau von Fräulein Esther, die mit kaltem Auge, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort des herzlichen Willkomms zu äußern, ehrerbietig und feierlich wie der Aufseher eines Grabgewölbes Zimmerthüre um Zimmerthüre öffnete, waren vollends niederschlagend.

Dem Baron war selbst dabei nicht wohl zu Muthe. Das Hôtel kam ihm fremd und wie verwandelt vor, da er es jetzt mit dem Auge seines jungen Weibes und als dessen nächsten Aufenthalt betrachtete. Er war des Hauses und seiner ganzen Einrichtung von seiner ersten Kindheit an gewohnt gewesen; seitdem hatte sich nichts in demselben verändert, und er hatte daher, wenn er Tante Esther sonst aufgewartet, kaum noch auf ihre Umgebung geachtet. Alles hatte, so wie es da war, mit der blassen, stolzen Greisin zusammengehört, Allem hatte das alte Fräulein seinen Charakter aufgeprägt, und so einheitlich lebte Esther’s Bild mit diesem Hause in dem Geiste ihres Neffen fort, daß er immer meinte, wenn er den Kopf zurückwende, werde Tante Esther in dem steifen, schwarzen Kleide, mit dem schwarzen Spitzentuche über der thurmhohen Frisur wieder an dem Kamine sitzen, unwillig darüber, daß der Baron sich unterfangen habe, die fremde, junge Frau ohne ihre besondere Erlaubniß hierher zu führen, und daß er daran denke, in dem Hause seiner Tante Anordnungen zu treffen, ehe er deren Meinung darüber eingeholt. Es fehlte nicht viel, so hätte er Angelika gebeten, sich von dem Sessel am Kamine zu erheben, weil die Tante es niemals geduldet hatte, daß Jemand anders sich ihres Armstuhles bediente oder sich auf einem der Plätze niederließ, auf denen sie gewöhnlich zu sitzen pflegte.

Jetzt erst, da er in der Residenz zu leben und das Haus nach seinen Bedürfnissen umzugestalten dachte, wurde ihm die Herrschaft der Verstorbenen, die ihm bis dahin nur in komischem Lichte erschienen war, drückend und lästig. Er hatte nichts dagegen, daß sie ihrem Erben die Verwerthung dieses Hauses, welches mit seinen Gärten in der aufblühenden Stadt ein bedeutendes Vermögen darstellte, durch ihr Testament wesentlich erschwert hatte. Er war reich und hatte den Sinn des Edelmannes, dem der liegende Besitz, das eigentliche Haben, neben dem Genießen die Hauptsache ist. Aber der Eigenwille der alten Dame, welche nicht nur ihrer Kammerfrau, sondern auch ihren Hunden und Katzen ein fortdauerndes Asyl in ihrem Hause gesichert hatte, ohne seinem jetzigen Besitzer auch nur die Möglichkeit einer Ablösung dieser Last zu gestatten, sofern er sie nicht nach Richten übersiedelte, empörte ihn; und die Verpflichtung, die alten Bilder und gewisse Zimmer und Möbel für immer unverändert zu belassen, so lange das Haus in seinem Besitze blieb, hemmte daneben den Baron bei den Planen für die Umgestaltung desselben mehr, als er es erwartet hatte. Es war in dem Hause Alles stets so ausschließlich auf Fräulein Esther und auf deren Bedürfnisse und Gewohnheiten berechnet gewesen, daß der Bann, den ihre Willkür bei ihrer Lebzeit um sie her verbreitet hatte, auch jetzt noch auf dem Hause lastete, nachdem sie selbst es bereits mit der stillen Ahnengruft ihrer Familie in dem Garten von Schloß Richten hatte vertauschen müssen.

Der Baron befand sich in einer sehr unangenehmen Lage. Seit Monaten hatte er sich damit beschäftigt, das schöne Stammschloß seiner Familie zu würdiger Aufnahme der jungen, schönen Herrin einzurichten. Mündlich und schriftlich war zwischen ihm und seiner Braut vielfach darüber verhandelt worden, und obschon er ihr die Art der Einrichtung mehrfach geschildert, hatte er doch gehofft, sie durch den heitern Glanz der kunstgeschmückten Räume, in welchen sie künftig zu leben hatte, angenehm zu überraschen. Statt dessen hatte er sie in die Residenz gebracht, und er begriff es jetzt kaum, wie der vorsichtige und kluge Freund ihm diesen Vorschlag habe machen und wie er selbst darauf habe eingehen mögen.

Wo er Freude zu erregen beabsichtigte, rief er unabweislich eine trübe Stimmung hervor. Statt in breitem Behagen sorgenfrei und leicht mit seiner jungen Frau zu leben, sollte und mußte sie jetzt nothwendig mancherlei Mühen und Arbeiten übernehmen, und statt des Dankes, den er von ihr zu ernten gewünscht, hatte er wegen einer plötzlichen Abänderung des festgestellten Planes, für die sich nicht der geringste haltbare Grund anführen ließ, Entschuldigungen zu machen und um Vergebung zu bitten.

Er konnte nicht aufhören, sich diese Uebelstände zu wiederholen, und doch vermochte er es nicht einmal völlig zu ermessen, wie sehr Angelika von ihrer neuen Umgebung litt, und wie der Hauch der Vergänglichkeit, der hier Alles umwitterte, auf die Phantasie einer jungen Frau wirken mußte, die mitten in ihren Glücksträumen ihren ersten großen Schmerz, ihre erste bittere Erfahrung in sich zu überwinden gehabt hatte.

Angelika fühlte sich in dem Hause wie in der Verbannung, wie in der Gefangenschaft. Es war das ihrige geworden, ohne daß sie sich gewöhnen konnte, es als solches zu betrachten, denn überall, in welches Zimmer sie kam, fand sie entweder das Bild der Tante mit dem verschleierten, weltabgeschlossenen Blicke, oder eines jener verblichenen Portraits von Esther’s Freunden, die nach der Testaments-Vorschrift an ihren Plätzen verbleiben mußten. Verließ sie diese Zimmer, so begegnete ihr auf der Treppe bald die schleichende Katze, bald das altersgraue Windspiel, bald der schwerfällige Mops des verstorbenen Fräuleins, oder es kam ihr gar Mamsell Marianne entgegen, die, in das obere Stockwerk des Seitenflügels verwiesen, aus demselben nur herunterstieg, um hier und da mit mißvergnügten Blicken die beginnende neue Einrichtung und das erneute Leben im Hause zu betrachten und krittelnd zu mustern.

Angelika konnte sich eines Schreckens nicht erwehren, wenn Mamsell Marianne, die es abgelehnt hatte, in die Dienste der neuen Haushaltung zu treten, plötzlich wie aus der Erde gewachsen vor ihr stand. Dieses Wesen, das nicht Herr, nicht Diener war, das kein Mitlebender sein wollte und das man doch nicht verbannen konnte, verleidete der Baronin das Haus nur noch in höherem Grade, während die neue Dienerschaft eine wirkliche Furcht vor Mamsell Marianne empfand und von dem Glauben nicht abzubringen war, daß es überhaupt in dem Hause nicht richtig sei, und daß Fräulein Esther allnächtlich, ja, selbst bis zum hellen Tage, in demselben umgehe. Der Eine wollte es gesehen haben, wie das Fräulein noch im Morgengrauen auf dem Lehnstuhle am Kamine gesessen und ihre Hunde und Katzen um sich gehabt habe; ein Anderer wollte ihr begegnet sein, wie sie mühsam athmend um Mitternacht nach der Stube von Mamsell Marianne hinaufgestiegen war, und daß es ihre Bilder wie mit unsichtbaren Händen an den Mauern festgehalten, als man sie habe abnehmen wollen, um sie nur zu säubern, das ließen sämmtliche Arbeiter und Dienstboten sich nicht ausreden.

Angelika schämte und schalt sich, wenn sie solchen Gerüchten Gehör gab. Aber sie selbst konnte ihr Auge nicht von den verschiedenen Bildern der Tante abwenden, und je öfter sie auf denselben verweilte, um so lebendiger erschienen sie ihr. Es war ihr, als ob das Bild ihr mit seinen großen, schwarzen Augen folgte; es ließ ihr selbst im Schlafe keine Ruhe. Sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Tante noch in ihrem Hause weile und daß sie mehr Herrschaft in demselben besitze, als Angelika und ihr Gemahl.

Indeß diese unheimlichen Empfindungen begannen theilweise zu weichen, je weiter die Erneuerung der Einrichtung gedieh, und Angelika und der Baron beeilten sich, sie zu vollenden. Diese Beschäftigung war den Eheleuten heilsam. Die kleinen gemeinsamen Sorgen und Mühen für ihren Haushalt führten sie auf die natürlichste Weise zusammen. Der Baron konnte dabei die angenehme Erfahrung machen, daß es seiner Frau an Umsicht und Gewandtheit nicht gebreche. Der sichere Besitz, die berechtigte Liebe zeigten sich ihm bald als etwas sehr Bequemes, und die Jugend und Schönheit seiner Frau erfreuten ihn doppelt, da man sie nach ihrem Eintritte in die Gesellschaft und in die große Welt auch in dieser auszeichnete und bewunderte. Sein Herz, sein Verstand, sein Ehrgeiz und seine Eitelkeit fanden sich in gleichem Maße durch seine Frau befriedigt; er gefiel sich darin, sich der Wahl zu rühmen, die er getroffen hatte, und sich ein Verdienst aus den Eigenschaften seiner Erwählten zu machen.

Dazu kam er hier in der Residenz in eine Gesellschaft, die ihm vertraut und lieb war und in der er lange mit Erfolg gelebt hatte. Der Menschenkreis, der sich am Hofe und um den Hof bewegte, war ihm bekannt. Wie in einer zweiten Heimath empfingen ihn dort die Genossen seiner früheren Jahre, so männliche als weibliche, mit Vergnügen, und daß er eben jetzt noch zu dem eigenen reichen Besitze das ansehnliche Vermögen und Haus seiner Tante ererbt hatte, in welchem seine junge Frau die Wirthin machen sollte, gereichte ihm bei seinen Freunden nur zum Vortheil.

Der Baron hatte ausgebreitete Verbindungen in allen Kreisen der Gesellschaft, er fand in jedem derselben etwas, das einer oder der andern Seite seines Wesens entsprechend war, und Angelika sah sich dadurch bald in eine endlose Reihe von Zerstreuungen gezogen, die ihr jedoch, nachdem der erste Rausch der Ueberraschung vorüber war, schon darum keinen Genuß gewährten, weil dieselben sie von ihrem Manne fern hielten, auch wenn sie beide daran Antheil nahmen. Sie war überhaupt in ihren Anlagen und Neigungen eigentlich der völlige Gegensatz von dem Wesen ihres Gatten. Sie war weder eitel noch vergnügungssüchtig, sondern eine ganz innerliche, zum Ernst und Nachdenken geneigte Natur. Für ein abgeschlossenes Leben in der Familie erzogen und durch geistige Bildung für die Genüsse einer beschaulichen Zurückgezogenheit vorbereitet, war es eben die Bildung des Barons gewesen, welche das junge Mädchen zuerst an ihm schätzen lernte, und als Angelika seine Braut geworden war, hatte sie nach dem Ausspruche ihres Verlobten eine häusliche Ehe wie die ihrer Eltern mit ihm zu führen gehofft. Von dem Allem wurde ihr das Gegentheil geboten, und ihre Liebe für ihren Mann ließ sie dies als einen Nachtheil betrachten.

Die Menschen, unter denen sie zu leben hatte, waren ihr kein Ersatz für den stillen Verkehr mit ihrem Gatten; sie waren und blieben ihr fremd, und der unter ihnen herrschende Ton war nicht danach angethan, einem jungen, reinen Weibe Beifall abzugewinnen. Wenn sie ihr Mißfallen an den freien Sitten äußerte, von denen sie sich umgeben sah, wenn sie es als eine Demüthigung und eine Unwürdigkeit empfand, wie man sich vor den beiden erklärten Maitressen des Königs beugte und die Frauen, welche die gleiche Stellung ohne diesen Titel einnahmen, mit besonderem Eifer suchte und mit besonderer Zuvorkommenheit behandelte, so stimmte der Baron ihr darin bei; aber er gab ihr daneben zu bedenken, daß die Welt nicht überall ihrem Vaterhause gleichen könne, daß man nicht überall die strengen Grundsätze desselben voraussetzen und als Maßstab nehmen dürfe. Er forderte Duldsamkeit von Angelika, und er vergaß, daß die Jugend nicht duldsam sein kann, weil nur die Erfahrung jene Nachsicht mit der Schwäche des Menschen und jene Weltklugheit erzeugt, die in den meisten Fällen schon ein Abweichen von dem Moralgesetze in sich schließt. Angelika hätte von sich selbst abzufallen geglaubt, wenn sie duldsam gegen das Unrecht gewesen wäre, und sie konnte nicht aufhören, sich die Frage vorzulegen, was ihren Gatten bewogen haben möge, eben jetzt, da sie seine Frau geworden war, mit ihr eine Gesellschaft aufzusuchen, deren Sittenlosigkeit so offenkundig war, und in welcher keine ihr bekannte Ursache sein Verweilen forderte. Er büßte dadurch in ihren Augen einen Theil der Würdigkeit ein, unter welcher er ihr bisher erschienen war, und sie wußte es ihm keinen Dank, daß er sie ruhig der galanten Bewerbung der Männer überließ, daß er ihr im Vertrauen auf ihre Jugend große Freiheit für ihr Handeln gewährte, ja, es schien ihr dies eine Gleichgültigkeit zu verrathen, welche sie betrübte.

Was man daneben in der zur Gewohnheit gewordenen Leichtfertigkeit jener Tage, selbst im Beisein der jungen Frau, von dem früheren Leben und von den Abenteuern des Barons bald erzählte, bald errathen ließ, verstimmte oder verletzte sie eben so sehr. Sie sah, daß er auch jetzt noch um die Frauen bemüht war, daß sie seine Huldigungen mit Vergnügen aufnahmen, daß sie ihm mit Zuvorkommenheit begegneten und daß er sich daran erfreute; und sie hatte leider Niemanden in ihrer Nähe, der es ihr begreiflich gemacht hätte, wie viel dem älteren Manne, ganz abgesehen von seiner angeborenen Neigung zur Galanterie, daran gelegen sein mußte, seinem jüngeren Weibe darzuthun, daß er auch anderen Frauen noch zu gefallen und überall noch Beifall zu erringen vermöge.

Indeß jedes Alter trägt seine Bedingungen in sich, und der glänzenden Erscheinung, welche der Baron noch immer in der Gesellschaft machte, stand die unausbleibliche Abspannung in der Ruhe des Hauses bedenklich gegenüber. In Gegenwart von Fremden stets heiter angeregt, überfiel ihn oft plötzlich eine tiefe Niedergeschlagenheit, wenn er sich mit Angelika allein befand, und mehrmals, wenn er sich von ihr unbeachtet glaubte, nahm sie einen Ausdruck von Kummer und Schmerz in seinen Mienen wahr, vor dem sie erschrak. Mit all der Liebe, welche sie für ihn hegte, bemühte sie sich, den Grund dieses Wechsels zu erkennen, aber dieses gutgemeinte Bestreben verbesserte den Zustand nicht, sondern machte den Baron in der Regel nur noch trüber, ja, es beunruhigte ihn offenbar. Er zwang sich dann zu einer Heiterkeit, welche ihn ermüdete, ohne Angelika zu täuschen, und wie sehr sie es sich wegzuleugnen wünschte, konnte sie es sich nicht verbergen, daß sie nicht den ihr gebührenden vollen Antheil an dem Leben ihres Mannes besitze. Sie sah, daß er einen Kummer hatte, den er ihr verschwieg; ihn erheiterten Vergnügungen, für welche ihr der Sinn gebrach, ihn zogen Menschen an, von denen sie sich zurückgestoßen fühlte; er suchte Gesellschaft, sie wünschte ihn für sich allein zu haben, und der Gedanke, daß sie ihm jetzt ferner stehe, als vor ihrer Hochzeit, drängte sich ihr oftmals entmuthigend auf.

Sie wurde dadurch irre an sich selbst. Sie beneidete die Frauen, welche er ihr als seine früheren Bekannten bezeichnete, welche es so trefflich verstanden, ihn bei guter Laune zu erhalten, und doch mißfielen sie ihr, doch mißfiel ihr selbst die spielende Weise, in welcher ihr Gatte mit ihnen verkehrte. Eine Abneigung gegen den Hof, gegen die große Welt und gegen die Frauen in derselben erfüllte Angelika’s Herz. Sie waren es, davon hielt sie sich überzeugt, welche zwischen ihr und ihrem Manne standen; auf sie, auf Eine von ihnen mußten sich die Erinnerungen und das Geheimniß beziehen, die den Freiherrn bedrückten, und die Frage, ob eine der Damen dieser Gesellschaft und welche von ihnen Pauline heiße oder eine Verwandte dieses Namens habe, war stets die erste, die ihr bei jeder neuen Begegnung mit fremden Frauen in den Sinn kam.

Der Baron bemerkte die Veränderung, welche sich in Angelika’s Seele vollzogen hatte, aber er fand es nicht gerathen, sich gegen sie darüber zu äußern. An ein Uebel, dem man keine Abhülfe zu bringen im Stande ist, müsse man, meinte er, nicht rühren, und da er sich ohnedem der Hoffnung hingeben durfte, daß die Zeit ihm für seine Reue Linderung bringen, daß er allmählich aufhören werde, daran zu denken, wie Pauline umgekommen sei, und daß Angelika ihn dann gleichmäßiger finden und die alte volle Hingebung sich zwischen ihnen wieder feststellen werde, so war er nur darauf bedacht, seiner jungen Gemahlin so wenig Zeit als möglich für ihr einsames Brüten und Grübeln frei zu lassen.

Die Residenz war damals voll von Fremden, denn der König liebte das Vergnügen und war nichts weniger als schwierig in der Wahl desselben. An einem Hofe aber, an welchem die größte Unsittlichkeit und ein phantastischer Wunderglaube sich die Hand reichten, an dem jeder ernste Gedanke gemieden und jedes Spiel mit dem Geheimnißvollen eifrig aufgesucht wurde, konnte es nicht fehlen, daß ein betäubender, hastiger Lebensgenuß als die höchste Aufgabe der Gesellschaft angesehen wurde. Feste folgten den Festen, kleine, vertraute Zusammenkünfte füllten die Pausen aus, und innerhalb der großen, bunt durch einander wirbelnden Gesellschaft, die sich um den König gebildet hatte, trugen die verschiedenen engeren Zirkel jeder ein besonderes Gepräge, je nach der Person, die in ihnen hervorragte.

Ein solcher kleiner Zirkel, in welchem der Baron seit langen Jahren heimisch war, kam an jedem Dienstage bei einer seiner entfernten Verwandten, der immer noch schönen Frau von Uttbrecht, zusammen. Sie hatte viele Reisen gemacht, sprach fremde Sprachen mit großer Leichtigkeit und galt bei aller Welt für eine ausgezeichnete, geistvolle und dabei höchst liebenswürdige Frau, weil sie ganz ohne eigene Ansichten, ganz ohne bestimmten Charakter und darum im Stande war, sich der Meinung eines Jeden gefällig anzupassen. Freigeistig und devot, leichtfertig und splitterrichterisch, je nach der Stimmung derer, mit welchen sie eben verkehrte, hatte sie sich in den letzten Jahren, wie sie es nannte, einer Beschäftigung mit ernsten Dingen hingegeben, und der große Gedanke von einer nothwendigen Wiedergeburt des Menschen zu seiner eigenen Erlösung und zur Veredlung der ganzen Menschheit, welcher damals angefangen hatte, die Geister edelgesinnter Menschen zu bewegen, war auch in den Sälen der Frau von Uttbrecht auf das Register der beliebten Unterhaltungen gesetzt worden. Da man aber sehr gesellig war und da Frau von Uttbrecht vollends das Alleinsein nicht ertragen konnte, so dachte man sich auch die Selbsterlösung nicht als eine That, die der Mensch an sich allein und allmählich zu vollziehen habe, sondern man verband sich zu Gemeinschaften, man legte einander seine Schwächen und Fehler, so weit man es für gut befand, in schriftlichen Bekenntnissen vor, man vereinte sich, wenn sich eben ein begeistertes Gemüth in dem Kreise befand, zu Gebeten für den Irrenden, und man umarmte sich in gerührter Erhebung, wenn man des überirdischen Glückes gedachte, dessen die befreiten Seelen einst theilhaftig werden müßten. Man war viel zu aufgeklärt, um nicht gegen die Rosenkreuzer und Illuminaten, viel zu gut protestantisch, um nicht gegen die Jesuiten und, wenn keine Katholiken in der Gesellschaft waren, auch gegen den Katholicismus zu eifern. Man glaubte aber an den Mesmerismus, man war, wie der Baron selber, von der geheimnißvollen Wechselwirkung der Menschen auf einander überzeugt, und fast Jeder versicherte, mancherlei Erfahrungen in dem eigenen Leben und in dem Leben seiner Freunde gemacht zu haben, die auf geheimnißvolle Kräfte in der Menschenseele schließen ließen, und vor denen man sich respectvoll einer Prüfung enthielt, da sie, wie man behauptete, keine befriedigenden Erfolge gewähren konnte.

Angelika liebte Frau von Uttbrecht nicht. Die Gefühlserregtheit, die unablässige Beobachtung aller seelischen Zustände, wie dieselbe sie an den Tag legte, kamen ihr zu absichtlich und deßhalb beängstigend vor. Sie war von aller Ueberspannung, von allem Aberglauben frei, und bei dem gesunden Sinne ihres Vaterhauses waren ihr religiöse Zweifel eben so fremd geblieben, als überschwängliche Gefühlsseligkeit und Mysticismus. Man hatte auf Schloß Berka in herzlicher Liebe und Eintracht ein ruhiges Leben geführt, hatte die Pflichten gegen einander, ohne darüber viel nachzudenken, in Freundlichkeit geübt, an jedem Tage das Nothwendige vollbracht, hatte sich daneben an den Werken der großen Dichter, deren hell leuchtendes Doppelgestirn damals strahlend an dem Horizonte Deutschlands aufgegangen war, mit dankbarer Erhebung erfreut, und wenn man sich dann am Ende der Woche sagen konnte, daß man in der Familie das Seinige geleistet habe und daß den Bewohnern der Güter, wie den Dienstleuten des Hauses, das Zukömmliche nicht gefehlt, so war man an den Sonn- und Feiertagen heiter und zufrieden, und mehr oder weniger gesammelt in die Kirche gegangen. Der wöchentliche Gottesdienst hatte einen Theil des gewöhnlichen Familienlebens ausgemacht, wie die würdige Haushaltung, wie die ausgebreitete Gastfreundschaft und die stattliche Repräsentation, die man eben auch als etwas sich von selbst Verstehendes zu betrachten gewohnt war.

Angelika hörte es daher nur mit Widerstreben an, als Frau von Uttbrecht, nachdem man eines Abends, an welchem man ebenfalls bei ihr versammelt war, eine Weile von den gleichgültigsten Dingen gesprochen hatte, plötzlich von der Erbauung zu reden anfing, welche sie in dem einsamen Gebete finde.

Wenn ich dem Heilande alle Falten meines Herzens eröffne, sagte sie, damit er klar hineinschauen kann, wenn ich mir alle meine Fehler deutlich mache und ihn anflehe, mich von ihnen zu erlösen, so erwächst mir daraus eine wahrhaft himmlische Ruhe. Nach solchen Momenten habe ich die beglückendsten Träume. Fast immer sehe ich dann meine gute Mutter vor mir, aber nicht hinfällig und krank, wie sie in den letzten Jahren unter uns geweilt hat, sondern jung und schön, und doch ohne alle Erdenschwere, ohne die starke Farbe, welche in der Sinnenwelt den Dingen anhaftet. Ich sehe sie auch nicht eigentlich mit dem körperlichen Auge. Es ist eine feinere, edlere Art der Wahrnehmung. Der Geist berührt den Geist, und wäre es nicht zu kühn, so würde ich sagen: so müssen die Jünger den Heiland erkannt haben, als er nach seiner Auferstehung wieder unter ihnen zu wandeln begann.

Und spricht sie zu Ihnen? fragte einer der Anwesenden.

Ja, Gottlob! rief Frau von Uttbrecht und hob die schönen, reich beringten Hände andächtig gefaltet empor, während ihre seelenvollen Augen sich dankbar gen Himmel richteten. Ja, Gottlob, sie spricht zu mir, aber ihre Rede ist mir oft im ersten Augenblicke nicht deutlich. Später erst habe ich es bisweilen an meinen Erlebnissen erkannt, daß es Worte der Verkündigung gewesen sind, die sie zu mir geredet hatte. Wenn aber meine Seele sich nicht ganz frei gerungen hat, so vermag ich die Selige nicht zu erschauen, und nur in einer Ahnung, in gewissen unbeschreiblichen Gefühlen kann ich dann empfinden, daß sie auch ungesehen in Liebe neben mir verweilt.

Man pries Frau von Uttbrecht glücklich, solch feiner Empfänglichkeit fähig zu sein. Jeder gab danach seine geheimnißvollen Beobachtungen zum Besten, nur der Baron schwieg, bis man ihn ausdrücklich aufforderte, sich über seine Ansicht von diesen Materien auszusprechen.

Er wich Anfangs einer bestimmten Antwort aus. Ich finde es auffallend, sagte er, daß Sie fast Alle diese besonderen Wahrnehmungen den allgemeinen Wahrnehmungen als etwas davon ganz Verschiedenes oder gar als etwas Uebernatürliches entgegensetzen.

Und sind sie das nicht? Sind sie nicht etwas von unserem gewöhnlichen Leben völlig Getrenntes, etwas durchaus Uebernatürliches? fragte eine der Damen.

Gewiß nicht! erwiederte der Baron. Der Kurzsichtige könnte die Beobachtungen des Fernsichtigen mit dem gleichen Rechte als übernatürliche Wahrnehmungen bezeichnen. Wenn das Wort Uebernatürlich nur bekunden soll, daß ein bestimmtes Etwas über das Maß der Fähigkeit einer bestimmten Menschennatur hinausgeht, so giebt es unzählige übernatürliche Dinge für den Einzelnen. Wollen Sie mit jenem Worte aber andeuten, daß es wahrnehmbare Erscheinungen giebt, welche der Menschennatur im Allgemeinen nicht zugänglich sind, so müssen wir uns vor Allem dahin verständigen, daß es keine allgemeine, keine abstracte Menschennatur giebt, wohl aber Menschen von den verschiedensten Begabungen, denen also auch ein sehr verschiedener Grad der Wahrnehmungen zuzuerkennen sein wird.

Das Gespräch bewegte sich in dieser theoretischen Weise eine Weile fort. Alle Anwesenden betheiligten sich daran, und da man sich zwischen lauter Lehrsätzen und Problemen hielt, ohne einander feste Anhaltspunkte zu bieten, so blieb es jedem überlassen, sich die Lehren auf seine Weise auszudeuten.

Angelika allein hatte nichts zu sagen, nichts mitzutheilen. Der Baron bemerkte das, und weil ein Schweigender in der Mitte einer Gesellschaft von Erzählenden sich in doppeltem Sinne im Nachtheile befindet, so lenkte er aus dem Bereiche der Geisterwelt geschickt in das Alltagsleben ein und hatte bald das Gespräch auf die völlige Umwandelung gebracht, die er genöthigt gewesen sei, in dem von seiner Tante ererbten Hause vorzunehmen. Er wollte seiner Frau damit die Gelegenheit geben, sich geltend zu machen und aus der Vereinsamung hervorzugehen. Weil sie sich aber in einer ihr ganz fremden Atmosphäre befand, fühlte sie sich verwirrt und befangen, und wußte sich nicht gleich zurecht zu setzen. Frau von Uttbrecht gewann dadurch Zeit, die Bemerkung zu machen, sie wundere sich, daß der Baron und seine Frau, die beide doch fein organisirte Menschen wären, es über sich gewonnen hätten, die Heimath einer Gestorbenen so schnell und so gewaltsam zu verändern, und sie damit für die Gestorbene zur Fremde zu machen.

Angelika wurde stutzig. Sie wußte, wie großen Werth ihr Gatte auf das Urtheil ihrer Wirthin legte, und wünschte also nicht, ihr offen zu widersprechen; sie wollte dieselbe auch nicht gern an ihrer feinen Organisation und Empfindung irre werden lassen, und bemerkte also nur freundlich, es sei doch sehr natürlich, daß man es sich bei aller Liebe und Ehrfurcht für seine Vorfahren in den vier Wänden behaglich zu machen suche, in denen man zu leben habe.

O, natürlich ist’s gewiß, versetzte Frau von Uttbrecht darauf, indem sie sich langsam fächelte und mit ihren halbgeschlossenen Augen träumerisch umhersah, natürlich ist’s gewiß, in so fern als die Natur grausam und unbarmherzig ist. Der Mensch aber, der denkende und empfindende Mensch, der es weiß, daß er selbst sterblich ist, sollte nicht so grausam sein wie die Natur, sollte nicht so unbarmherzig gegen seine Todten sein wie jene. Ich könnte nicht in diesen Räumen leben, wüßte ich, daß meine verklärte Mutter sich hier in ihrem Hause nicht mehr heimisch fühlte.

Der Baron nahm diese Aeußerung nicht gut auf. Unbarmherzigkeit und Egoismus, das sind zwei schlimme Fehler, sagte er, und wir, die wir uns derselben nach Ihrer Meinung jetzt schuldig gemacht haben, müßten versuchen, uns gegen Ihre Anschuldigung zu vertheidigen, wenn ich mich nicht überzeugt hielte, Cousine, daß es mit Ihrem Ausspruche so ernstlich nicht gemeint war.

Sie irren sich, bester Vetter, es war mein völliger, auf innerste Ueberzeugung gegründeter Ernst! entgegnete Frau von Uttbrecht, und ich bin gewiß, daß einst eine Stunde kommen wird, in der Sie mir beipflichten und Ihre Härte selbst bereuen werden.

Aber von welcher Härte sprechen Sie, liebe Cousine? fragte Angelika, mehr und mehr betroffen von dem Ernste, mit welchem Frau von Uttbrecht ihre Behauptung aufrecht erhielt.

Von der Härte, welche Sie und Ihr Herr Gemahl gegen die arme Tante Esther begangen haben, indem Sie dieselbe so gewaltsam der irdischen Fortdauer beraubten, die sie sich in einem richtigen Drange ihrer armen Seele, dort, wo sie gelebt hat, zu sichern gewünscht. Jung und lebensfrisch, wie Sie es sind, beste Angelika, hätten Sie der armen, alten Verwandten wohl die Zeit vergönnen mögen, sich allmählich von dem Orte loszulösen, mit welchem lange Gewohnheit und innige Vorliebe sie verbunden hatten. Wäre mir das Haus der Tante zugefallen, nicht einen Stuhl hätte ich verrücken lassen. Ich hätte mich beschieden, ihr Gast zu sein, bis irgend ein Zeichen es mir kund gegeben hätte, daß ihr Geist sich von dem Hause abgewendet habe und daß mir damit ein freies Schalten in demselben wohl verstattet sei.

Sie sprach das völlig wie einen Vorwurf und einen Tadel aus. Angelika, viel jünger als ihre Wirthin, wagte nicht, ihr entgegen zu treten, und wartete darauf, ob der Baron es nicht für sie thun werde. Indeß zu ihrem größten Erstaunen sagte er:

Es bestimmt zu leugnen, daß die menschliche Seele sich nur allmählich von dem Körper und von der Körperwelt loslöse, möchte unmöglich sein. Und ohne mich zu der Zahl unserer modernen Geisterseher zu rechnen, räume ich ein, daß ein Reich der Mitte, daß ein über den Tod fortgesetzter Zusammenhang der Geschiedenen mit den Lebendigen denkbar ist, aber ....

Das glaubst Du, das glaubst Du, lieber Franz? rief Angelika mit erschreckendem Erstaunen.

Ich habe ganz unleugbare Beweise dafür in meinem Leben gehabt! antwortete er ihr mit großer Sicherheit und Bestimmtheit.

Angelika verstummte, denn sie stellte ihren Mann hoch über sich und war es nicht gewohnt, ihm entgegen zu treten, wo er so bestimmt eine Meinung geäußert hatte. Frau von Uttbrecht aber fragte, ob der Freiherr seine Erfahrungen nicht mittheilen könne.

Unmöglich! versetzte er, und es kam Angelika vor, als überlaufe ihn ein Schauer, denn er zuckte zusammen bei seinen eigenen Worten. Die Anwesenden mußten das auch bemerkt haben; es entstand eine Pause, die Gespräche nahmen eine andere Richtung, und man ging zeitig auseinander, ohne noch einmal auf die vorher angeregten Gegenstände zurückgekommen zu sein.