Siebentes Capitel. - Wären Aeußerungen wie diejenigen, welche Angelika bei Frau von Uttbrecht vernommen, in dem Hause ihrer Eltern, in den Tagen ihrer glücklichen Unbefangenheit an sie herangekommen, ...

Siebentes Capitel. Wären Aeußerungen wie diejenigen, welche Angelika bei Frau von Uttbrecht vernommen, in dem Hause ihrer Eltern, in den Tagen ihrer glücklichen Unbefangenheit an sie herangekommen, so würde sie dieselben nicht sonderlich beachtet oder sie als die Erzeugnisse einer thörichten Phantastik von sich abgewiesen haben. Jetzt aber, in einer auf das Romantische und Phantastische gerichteten Umgebung, wirkten sie beängstigend auf sie ein, und als sie vollends aus dem Munde ihres Gatten eine Annahme bestätigen hörte, die sie noch vor Kurzem als Ausgeburt des Aberglaubens verspottet haben würde, war es ihr, als lege sich ein unsichtbares Netz um sie. Sie hätte den Baron um Auskunft, um Erklärung bitten mögen, und wagte nicht, es zu thun. Sie wollte nichts wissen, was sie beirren, nichts hören, was sie an der vorurtheilsfreien Einsicht ihres Gatten zweifeln machen konnte. Sie wollte an keine Wunder glauben, weil ihr dies als eine Folge des Katholicismus erschien, den sie zwar respectirte, da es der Glaube ihres Mannes war, den sie aber für ihr Theil nicht zu bekennen sich innerlich vorgenommen hatte; denn sie war fest entschlossen, ihren protestantischen Glauben und die Aufklärung ihres Vaterhauses in sich zu erhalten. Und doch über lief es sie eiskalt, doch blickte sie ängstlich um sich, als sie bei der Heimkehr den Fuß in das Gemach setzte, in welchem Fräulein Esther sich gewöhnlich aufgehalten hatte, und das jetzt Angelika’s Wohnzimmer geworden war.

Sie war froh, daß sie an diesem Abende nicht mehr lange in demselben zu verweilen brauchte, denn es war Zeit sich zur Ruhe zu begeben. Sie war müde und benommen von dem Halblichte und von den starken Wohlgerüchen, welche immer in den Zimmern der Frau von Uttbrecht herrschten, und an die Unterhaltung denkend, die sie bei der Cousine vernommen hatte, schlief sie ein.


Es war mitten in der Nacht, als ein herzzerreißender Schrei von den Lippen ihres Gatten sie erweckte. Sie fuhr auf, rief ihn beim Namen, ergriff seine Hand, aber der Traum mußte ihn sehr fest umfangen, denn er stieß sie von sich und rief mit dem Tone des äußersten Entsetzens: Fort, fort! Klammere Dich nicht so an mich! Komm nicht herauf! – Die starren Augen! Die starren Augen!

Angelika klopfte das Herz in furchtbarer Angst, ihre Glieder bebten. Sie neigte sich zu ihm, sie rief ihn nochmals dringend an, da richtete er sich empor, sah verwirrt umher, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und sagte endlich, als habe er Mühe, sich ihre Anwesenheit zu erklären und sich zu fassen: Habe ich Dich erschreckt? Vergieb! Ich hatte einen bösen Traum!

War es Tante Esther? fragte sie leise.

Nein, entgegnete er ihr, nein! Denke nicht weiter daran, mein Kind. Es war nichts. Die heutige Unterhaltung hat mich nur aufgeregt; man sollte in der Gesellschaft solche Gespräche vermeiden.

Er legte sich darauf abermals zur Ruhe nieder; aber Angelika konnte nicht schlafen, und bei dem Scheine der Lampe sah sie, daß auch der Baron noch lange wach blieb und daß er einmal seine Augen trocknete.

Von ihren Gedanken gepeinigt, lag die junge Frau auf ihrem Lager. Das Haus war todtenstill, ihr Gatte endlich wieder ruhig eingeschlafen. Sie hörte seine leisen Athemzüge, sie konnte das Heben und Senken seiner Brust bemerken. Er sah milder aus, als sie ihn je gesehen hatte, aber sehr traurig. Ihr Auge verweilte mit großer Liebe auf seinem Angesichte. Sie faßte zum ersten Male den Gedanken an die ganze, ihr fremde Vergangenheit ihres Mannes als ein Feststehendes auf; sie hielt sich überzeugt, daß irgend eine traurige Erinnerung aus den Tagen der Vergangenheit ihn noch belaste, und ohne zu wissen, welch einen Schritt sie damit auf dem Wege der Entsagung vorwärts that, beklagte sie es, so jung und unerfahren zu sein, daß sie ihm nicht helfen konnte. Sie sehnte sich nach Jemand, der ihr rathen, ihr sagen möchte, was sie thun müsse, ihrem Manne die frühere Ruhe und seine alte, gleichmäßige Selbstzufriedenheit wieder zu verschaffen, die er neben ihr verloren hatte. Sie hatte schon oftmals den Vorschlag gemacht, den Caplan in die Stadt kommen zu lassen oder auf das Land hinaus zu gehen, damit der Baron seinen gewohnten Gesellschafter nicht länger zu entbehren brauche; aber Beides hatte der Freiherr abgelehnt. Wie des Menschen Ideen und Gedanken aber ihre wunderlichen Wege nehmen, wenn sie sich in das Unbestimmte verlieren, so fiel ihr plötzlich ein, es wäre am Ende gar nicht so schlimm gewesen, wenn Fräulein Esther noch hier im Hause gelebt hätte, wenn sie und der Baron von Anfang an nicht so allein in dem Hause gewesen wären.

Kaum aber hatte sie das gedacht, als sie plötzlich einen starken Lavendelgeruch zu spüren glaubte. Sie richtete sich auf, blickte umher, die Thüren waren geschlossen, die Damastvorhänge vor denselben herabgelassen, es regte sich kein Lüftchen im Zimmer, die Nachtlampe brannte ohne alle Bewegung. Sie legte sich also wieder in die Kissen zurück, und abermals strömte der Lavendelgeruch, den Fräulein Esther vorzugsweise geliebt hatte, und den man noch vielfach in den Schränken und Schubladen bemerken konnte, über Angelika’s Antlitz hin. Sie überlegte, woher der Duft jetzt eben kommen könne, und als sie im Zimmer umhersah, bemerkte sie, daß von der großen Bronce-Vase, welche auf dem Kamine stand, der Deckel verschoben war. Das fiel ihr auf, denn sie hatte nie gesehen, daß die Vase zu öffnen sei, sondern sie für eine jener alterthümlichen Zierathen von Bronce gehalten, die eben nur als Zierath dienen. Behutsam stand sie auf, warf ihr Morgengewand über und ging an den Kamin, um den Inhalt der Vase kennen zu lernen. Als sie den Deckel abhob, fand sie auf einer dicken, weich wattirten Unterlage, die mit welken Lavendelblättern überstreut war, ein uraltes, kleines katholisches Gebetbuch, in Sammet gebunden, ein elfenbeinernes Crucifix und einen Rosenkranz von emaillirten Goldkugeln, der an einem kostbaren antiken Betringe befestigt war.

Wie man diese Gegenstände hier habe unbeachtet liegen lassen können, wenn sie Fräulein Esther im Gebrauch gehabt hatte, konnte Angelika sich nicht erklären. Sie trat an die Lampe heran, zu sehen, ob sich vielleicht ein Name oder ein Wappen auf dem Ringe befinde; es war aber nichts der Art vorhanden. Nur in dem Gebetbuche standen unter dem Bilde des Heilandes in kaum leserlicher Schrift, als habe ein Kranker sie mit zitternder Hand geschrieben, die Worte: „Mein Freund in der Noth! Der Stab, der mich hielt, da ich schwankte, die Stütze, an der ich mich erhob, das Licht, dessen Leuchten mir einst die lange Nacht erhellen wird! Möge es zu rechter Stunde in die rechten Hände fallen und Segen bringen, wie es mir Segen gebracht hat! Das ist das kostbarste Vermächtniß, das ich zu hinterlassen habe. Mein Gebet wird bei Dir sein in der Stunde Deiner höchsten Noth, bete auch Du für meine Seele, wenn ich nicht mehr bin.“

Angelika las die Worte wieder und wieder; sie erschütterten sie durch ihre einfache und innerliche Kraft. Sie hatte nie zuvor ein Crucifix und einen Rosenkranz in Händen gehalten. Unwillkürlich legte sie ihre Hände zum Gebet zusammen, und es bewegte ihr das Herz, daß sie mit ihrem Glauben nicht zu ihrem Manne gehörte.

Sie mußte immerfort an Esther denken, und das Bild der Verstorbenen, welches ihr bisher durch seinen kalten Ausdruck so unheimlich gewesen war, übte plötzlich eine solche Anziehungskraft auf Angelika aus, daß sie ein lebhaftes Bedauern darüber fühlte, die Tante nicht gekannt zu haben, daß sie Verlangen trug, von ihr zu hören und zu wissen.

Sie konnte den Morgen kaum erwarten, um dem Baron ihre Entdeckung mitzutheilen. Auch er war überrascht. Es war ihm auffallend, daß er diese werthvollen Gegenstände bei Lebzeiten seiner Tante nie gesehen, daß er nie von ihnen gehört hatte. Angelika fragte, ob es Esther’s Handschrift sei; der Baron verneinte es. Er glaubte eher die Handschrift seiner Schwester darin zu erkennen, aber die Züge waren so weit ausgedehnt, die Buchstaben durch das Zittern der Hand entstellt, und wie diese Sachen hierher gekommen waren, wenn sie seiner Schwester angehört, war ihm eben so unklar, da seine Mutter Alles, was Amanda besessen, wie Heiligthümer aufgehoben hatte.

Man ließ also Mamsell Marianne rufen; man befragte sie, und diese kannte die Gegenstände allerdings, aber sie schien selbst überrascht, sie wieder einmal zu sehen, und wußte auch nichts Näheres darüber anzugeben. Mein gnädiges Fräulein, sagte sie, hat sie freilich einmal vor sich liegen gehabt, als ich in das Zimmer getreten bin; das ist aber viele Jahre her, und ich habe die Sachen seitdem niemals wieder zu Gesicht bekommen. Dazu werden der gnädige Herr sich auch erinnern, daß das Fräulein Tante nicht gefragt zu werden liebten, wenn sie nicht von selber sprachen. Benutzt hat mein Fräulein den Rosenkranz und das Crucifix niemals. Sie hat immer nur mit dem kleinen goldenen Crucifix gebetet, das sie schon auf der Brust getragen hat, als ich vor dreißig Jahren zu ihr kam, und das hat sie auch in der Hand gehalten an dem Morgen, an welchem wir sie eingeschlafen gefunden haben.

Aber warum machten Sie mich nicht aufmerksam darauf, daß diese werthvollen Andenken in der Vase lägen? fragte die Baronin.

Mamsell Marianne entgegnete, sie habe das selbst gar nicht gewußt. Ich habe die Vase ja alltäglich beim Abstäuben in der Hand gehabt, obschon sie schwer genug zu rücken ist, fügte sie hinzu, aber ich habe nie gehört, daß sich irgend etwas darin bewegte. Den Deckel aufzumachen, dessen Feder sich schwer öffnete, hatte ich natürlich keinen Grund, eben weil ich sie für leer hielt.

So mußt Du, Liebe, gestern beim Auskleiden, als Du an dem Kamine beschäftigt warst, zufällig die Feder des Schlosses aufgedrückt haben, sagte der Baron gleichmüthig, indem er den Rosenkranz betrachtete und die schöne Arbeit des Betringes mit Kennerblick besah. Der Ursprung dieser Kostbarkeiten blieb trotz alles Untersuchens auch ferner in ein Dunkel gehüllt, das Angelika’s Phantasie lebhaft beschäftigte, während der Freiherr bald den Vorgang vergessen zu haben schien. Als Angelika später das Verlangen äußerte, den Fund zu besitzen, bewilligte ihr Gatte ihr denselben ohne Weiteres. Sie legte den Rosenkranz und das Crucifix in einen besonderen Kasten und schloß diesen bei ihren werthvollsten Angedenken ein, denn das Auffallende des Vorganges, weit entfernt, sie zu beunruhigen, gab ihr ein tröstliches Gefühl. Sie kam sich nicht mehr so fremd in dem Hause vor, in welchem der Zufall ihr in einer schweren Stunde so wunderbar günstig gewesen war. Es freute sie, etwas Besonderes erlebt zu haben, das doch wieder mit dem Hause und seiner verstorbenen Bewohnerin in einem nahen und geheimnißvollen Zusammenhange zu stehen schien; und wenn sie bisher eine Scheu vor der Erinnerung an Fräulein Esther getragen hatte, so dachte sie jetzt mit immer wachsender Neigung an die Tante, bis sich die Vorstellung in ihr festsetzte, daß die Selige ihr mit jenem Funde ein Zeichen ihrer Theilnahme, ihrer Wünsche habe geben wollen, daß Esther ihr mit diesem Rosenkranze und diesem Crucifixe die Weisung ertheilt habe, auf welchem Wege für Angelika die volle Uebereinstimmung mit ihrem Gatten, nach welcher sie sich sehnte, zu finden sei.

Mit ihrer Scheu vor Fräulein Esther verschwand auch das geheime Abmahnen, welches sie gegen Mamsell Marianne gehegt hatte, und diese begann, sich allmählich der neuen Herrin des Hauses zu nähern und zu fügen, seit sie von derselben öfter und immer antheilvoller um Auskunft über Fräulein Esther angegangen wurde. Sie kam freilich Anfangs nur auf besonderen Befehl zu der Baronin herab, indeß sie fing doch an, dienstbarer und hülfreicher zu werden, je länger die junge Baronin in dem Hause weilte, und da die Letztere bald nach Neujahr unpäßlich wurde und das Haus und ihr Zimmer nicht verlassen durfte, erwies Mamsell Marianne sich plötzlich als eine so unermüdliche und erfahrene Pflegerin, daß es sich für die Baronin erklärte, wie unschätzbar die treue Dienerin für das oft kränkelnde Fräulein Esther gewesen sein müsse.

Nun war Mamsell Marianne plötzlich wieder an ihrer rechten Stelle. Sie hatte sich alt werden lassen, so lange sie einer alten Dame gedient hatte; jetzt schien sie sich zu verjüngen, um der jungen Baronin nicht unbehülflich zu dünken, und je mehr man ihr Herrschaft über die andere Dienerschaft einräumte und zugestand, um so hingebender bewies sie sich gegen diejenigen, welche sie als ihre Herren erkannte, und denen sich unterzuordnen sie als ihre wahre Ehre ansah.

Die Baronin gewahrte es mit Erstaunen, daß Mamsell Marianne die alten, steifen Hauben ablegte, welche sie auf Befehl von Fräulein Esther die ganzen dreißig Jahre lang getragen, während welcher sie in deren Dienst gestanden hatte; sie konnte es kaum glauben, daß Marianne noch nicht fünfzig Jahre alt sei, und es war auch in der That nicht leicht, in der jetzt so rührigen Aufseherin und Pflegerin die alte, steife, wort- und blicklose Castellanin wiederzuerkennen, als welche sich dieselbe der Baronin bei ihrer ersten Ankunft dargestellt hatte.

Inzwischen hatten die Festlichkeiten des Carnevals in der Residenz ihren Anfang genommen, und da sich der Baron der ihm zusagenden zerstreuenden Geselligkeit desselben nicht gern entziehen wollte, machte er jetzt selbst den Vorschlag, den Caplan zu einem Besuche in der Stadt aufzufordern.

Angelika begrüßte die Ankunft des bewährten Mannes mit Freude. Seine Ruhe und sein Ernst, seine Milde und seine Duldsamkeit hatten ihr bei den früheren Begegnungen Zutrauen zu ihm eingeflößt, und sie konnte nicht umhin, von seiner Anwesenheit sich Gutes für sich und ihren Gatten zu versprechen.

Der Caplan war denn auch noch nicht zwei Tage in der Stadt, als er es bemerkte, wie die Stimmung des Freiherrn verändert und daß die junge Frau nicht glücklich sei; ja, es dünkte ihn bald, der Baron bereue es, seine Gegenwart gefordert zu haben. Er war schon wieder über die Verfassung hinweg, in welcher er sich in den Tagen vor seiner Hochzeit, und nach dem Tode Paulinen’s befunden hatte. Er dachte nicht mehr daran, eine neue Lebensrichtung einzuschlagen. Er fühlte kein Bedürfniß mehr, zu sühnen und zu büßen, er hatte, wenn ihn seine bösen Träume auch noch öfter quälten, die Hoffnung gewonnen, vergessen zu können; und wie er in den Stunden seiner Zerknirschung das Alleinsein mit dem alten Freunde gesucht, so vermied er es jetzt geflissentlich. Er fragte auch gar nicht nach dem Ergehen des Knaben, dessen Versorgung ihm doch vor wenig Monaten so sehr am Herzen gelegen hatte; indeß man hatte nicht nöthig, den Freiherrn so lange zu kennen, als dies bei dem Caplan der Fall war, um zu sehen, daß im Grunde sein Inneres nicht geheilt war und daß er sich nur zu übertäuben suchte.

Was ihn von der Baronin entfernte, was dieser den Frieden genommen hatte, war nicht minder leicht zu ergründen. Aber schonend und vorsichtig, klug und erfahren zugleich, hütete der Caplan sich wohl, diese Einsicht, die er gewonnen hatte, irgend kund zu geben. Er ließ den Freiherrn unbehindert seinen Weg verfolgen; er hielt sich bei Angelika auf, so oft sie es begehrte, und war man bei den Mahlzeiten oder in den frühen Abendstunden bei der Baronin zu Dreien zusammen, so wußte er dem Gespräche freundlich die Wendung zu geben, welche die Eheleute von sich selber abzog und es ihnen nicht fühlbar machte, wie weit sie von einander entfernt worden waren.

Eines Abends, als Sturm, Schnee und Hagel das Haus recht winterlich umsausten, erschien der Baron, zu einem Hof-Concerte gekleidet, früher als gewöhnlich bei seiner Gattin. Man hatte die Thüre, um die Baronin gegen den Zugwind zu schützen, mit Schirmen verstellt, auf denen, nach dem Geschmacke jener Tage, langzöpfige Chinesen mit ihren Schönen unter Palmen und wunderlichen Thürmen einherspazierten, während Diener ihnen mit großen Fächern Kühlung zuwehten und buntes, reich gefiedertes Gevögel sich in goldenen Ringen unter den Zweigen der Bäume schaukelte.

Schnell und sich die Hände reibend trat der Baron in Angelika’s Zimmer ein. Er fragte nach ihrem Befinden, und auf die Antwort, daß es ihr nicht übel gehe, versetzte er: Nun, wenn Du Dich sonst leidlich fühlst, so kann man Dich heute um die Ruhe und um die freundliche Wärme Deiner Zimmer beneiden, denn es ist ein Wetter, das mir einmal wieder recht lebhaft die nie erloschene Sehnsucht nach dem Süden wachruft.

Er erinnerte darauf den Caplan, wie wenig diesen zu Anfang der Charakter des Südens angemuthet habe, rühmte sich der Einsicht, mit welcher er gleich bei dem Eintritt in Italien die richtige Schätzung des Landes und des Volkes besessen, und kam dadurch auf das Thema von der Gewalt und der Bedeutung der ersten Eindrücke zu sprechen, auf die er, wie seine Zuhörer es wußten, ein großes Gewicht legte. Er pries dabei seine Menschenkenntniß, nannte dieselbe eines der schätzenswerthesten Güter, welche das reife Alter vor der Jugend, der Mann in der Regel vor der Frau voraus habe, und schloß diese Bemerkung mit dem Geständnisse, daß er diese Menschenkenntniß den Besitz Angelika’s verdanke; denn Sie, lieber Caplan, fügte er hinzu, Sie können es nicht leugnen, Sie haben die Baronin Anfangs nicht mit dem günstigen Vorurtheile angesehen, wie ich.

Der Caplan lächelte, und mit jener Würde und Sicherheit, die es weiß, daß sie solchen Anschuldigungen die Stirne bieten kann, sagte er: Den Werth der Frau Baronin zu unterschätzen, konnte mir wohl nicht begegnen, mein Bedenken gegen Ihre Wahl lag auf einer anderen Seite, Herr Baron!

Angelika wußte, was damit gemeint sei. Sie wurde verlegen, und wie man in solchen Augenblicken leicht etwas Ungehöriges thut, um nur von sich selber abzukommen, sprach sie lächelnd: Man darf aber doch in keinem Falle den ersten Eindrücken zu viel Bedeutung einräumen, denn hätte ich das gethan, so wäre ich jetzt auch nicht hier.

Nicht hier? fragte der Freiherr; was meinst Du damit, meine Liebe?

Ich meine, daß ich dann nicht Deine Frau geworden sein würde. Denn ich entsinne mich ganz deutlich, daß, als ich Dich, lieber Franz, zuerst gesehen habe, mir Deine Erscheinung zwar sehr imponirte, daß ich aber doch eine Art von Unbehagen, von Scheu, von innerem Abmahnen Dir gegenüber fühlte.

Der Baron wurde ernsthaft. Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, so würde ich Dich gemieden haben! sagte er.

Bester, rief die Baronin erschrocken aus, wie kannst Du das nur denken, wie kannst Du das nur sagen!

Warum nicht? fragte der Baron sehr ernsthaft. Es handelt sich hier, ganz abgesehen von uns, um ein Princip, um eine Erfahrungs- oder Ueberzeugungssache. Der Mensch hat, das ist keine Frage, nichts so sehr zu beachten, auf nichts so zuversichtlich zu bauen, als auf die Stimme seines Innern, auf diesen geheimnißvollen, weisen, ahnungsvollen Rathgeber, der ihn, nach meinen Erfahrungen, fast niemals trügt.

Lieber Mann, rief die junge Frau noch einmal und erhob bittend ihre Hände zu ihm, strafe mich nicht so hart für das thörichte Aussprechen einer kindischen Empfindung!

Ich Dich strafen, entgegnete er, wie käme ich dazu? Wie käme ich dazu eben jetzt, da mich die Sorge erfüllt, daß ich Dir doch noch Unheil bringen könne.

Der Caplan machte eine abwehrende Bewegung mit dem Haupte. Wie oft, gnädiger Herr, sagte er, haben Sie auch schon die gegentheilige Erfahrung an sich selbst zu machen die Veranlassung gehabt, daß der geheime Zug, der Menschen auf einander hinzuweisen oder sie von einander fern zu halten schien, Sie täuschte!

Die habe ich niemals gemacht! versicherte der Baron, der nur auf Widerspruch zu stoßen brauchte, um sich in einer Vorstellung zu befestigen.

Niemals? fragte der Caplan mit Bedeutung.

Niemals! wiederholte der Freiherr sehr bestimmt.

So waren Sie glücklicher, als ich es glaubte, bemerkte der Geistliche gelassen.

Vielleicht war ich nur achtsamer, meinte der Freiherr, denn man hat sich sehr davor zu hüten, nicht irgend eine augenblickliche Aufwallung oder einen sinnlichen Anreiz für jenen wundervollen Zug der Sympathie zu halten, den schon die Alten kannten und verehrten.

Er brach damit plötzlich ab, wendete sich freundlich zu der Baronin und fragte, indem er ihre Hand ergriff: Und was hattest Du denn eigentlich gegen mich, Du Kind?

O, weßhalb willst Du das wissen? versetzte die Baronin. Es hieße ja nur einen Irrthum eingestehen, und seiner Irrthümer hat man sich zu schämen!

Der Caplan wünschte diese Unterhaltung nicht weiter fortsetzen zu lassen, weil er wußte, wie leicht die Eitelkeit des Freiherrn zu kränken und wie sehr er dann geneigt war, das Unschuldigste zu mißdeuten. Er nahm also die letzten Worte Angelika’s auf und sagte: In solch scherzhaften Dingen ist das Eingestehen oder Verschweigen eines Irrthums an und für sich etwas ganz Gleichgültiges, bei ernsthaften Anlässen ist es aber ein Anderes. Einen Irrthum vor Anderen eingestehen, heißt erst, ihn förmlich von sich abthun, ihn förmlich überwinden; denn das gesprochene Wort hat eine loslösende und befreiende Kraft. Ein Irrthum, den Sie schweigend und ohne Eingeständniß an einen Andern in sich bekämpfen, bleibt immer noch mit Ihnen im ausschließlichen Zusammenhange, bleibt immer noch Ihr Irrthum. Sobald Sie ihn aber vor einem Andern ausgesprochen haben und dieser Unbetheiligte Ihnen in der Erkenntniß und Beurtheilung Ihres Irrthums beistimmt, so ist eine Rückkehr in denselben Irrthum für Sie nicht mehr leicht möglich, wenn Sie eine solche nicht absichtlich ausführen wollen, was doch zu den Seltenheiten gehört.

Gewiß, sagte der Baron; auf diese Wahrheit von der befreienden Kraft des Wortes gründet sich die Taktik aller der Menschen, welche sich vor Andern ihrer Fehler anklagen, weil sie sich dadurch auf eine bequeme Weise ihres sie drückenden Bewußtseins zu entäußern hoffen.

Alles Vertrauen überhaupt, bemerkte der Geistliche, läßt sich auf die jedem Menschen bewußt oder unbewußt innewohnende Ueberzeugung von der befreienden Kraft des gesprochenen Wortes zurückführen; und als komme ihm das zufällig in den Sinn, fügte er noch hinzu: Darauf beruht ja auch die erlösende Kraft der Beichte in unserer Kirche, welche der Protestantismus ohne alle Kenntniß des menschlichen Herzens, ohne Mitleid für den Schuldbeladenen, den Bedrückten und den Irrenden, einem abstracten Princip, dem Mißtrauen gegen die Gewalt und den Einfluß der Geistlichkeit, zum Opfer gebracht hat.

Er ging aber auch über diese Aeußerung schnell hinweg, denn er wußte, daß ein sicher gestreutes Samenkorn, wenn es auf den rechten Boden fällt, seine Frucht trägt; und es war ihm daher unlieb, daß der Baron sich mit diesen Erörterungen nicht genügen ließ, sondern noch einmal auf den Ausgangspunkt der Unterhaltung zurückkam und nun bestimmt die Frage that: was seine Frau für ein Abmahnen gegen ihn gefühlt habe.

Sie wehrte sich abermals, es zu bekennen, und erst als er mit Bitten und mit scherzendem Zureden in sie drang, sagte sie: Es war, als ich Dich zum ersten Male sah, von irgend welchen eben geschehenen Wundern die Rede, deren Wahrheit Du aufrecht erhieltest; ich konnte mir nun gar nicht denken, daß ein Mann wie Du an Wunder zu glauben vermöge, und ....

Und? fragte der Freiherr.

Und so hielt ich Dich halbwegs für einen Heuchler, ohne begreifen zu können, weßhalb Du heucheln solltest! sagte sie schnell, als wolle sie damit fertig sein.

Sie hatte erwartet, einen Scherz oder einen Tadel zur Antwort zu bekommen, aber keines von beiden traf zu. Der Baron blieb ernsthaft und ruhig und fragte nur, was sie unter dem Worte Wunder verstanden haben wolle.

Nun, zum Beispiel jene auf der Erde wahrnehmbare Fortdauer der Verstorbenen, sagte Angelika, von welcher man auch bei Frau von Uttbrecht als von einer Thatsache zu reden liebt, und an die man doch nicht im Ernste glauben kann.

Du irrst, sprach der Freiherr mit großer Bestimmtheit, und es ist also, wie ich sehe, noch ein wesentlicher Ueberzeugungssatz zwischen uns unaufgeklärt, was mir wirklich leid ist. Ich glaube an die wahrnehmbare Fortdauer der Geschiedenen so gewiß, als ich an die Unsterblichkeit unserer Seele und an unsere persönliche Fortdauer nach dem Tode glaube. Nur ein unlogischer Kopf, so dünkt mich, kann auf den Einfall gerathen, daß eine Wesenheit, die sich von ihrem ersten Keime an in strenger Folgerichtigkeit zur Individualität entwickelt, plötzlich und mit Einem Schlage als Individualität zu sein aufhören könne. Abgesehen aber davon, so hat ja Christus uns die persönliche Fortdauer, ja die Auferstehung des Fleisches verheißen, und der Caplan wird Dir nachweisen können, daß in alter und neuer Zeit bevorzugte Menschen der unwiderleglichsten Offenbarungen, Ermahnungen und Tröstungen durch das Erscheinen Verstorbener gewürdigt worden sind.

An der Unsterblichkeit unserer Seele zweifle ich gewiß nicht! betheuerte Angelika, eingeschüchtert durch den Ernst des Freiherrn. Ihr protestantisches Bewußtsein ließ sich jedoch so leicht nicht zur Ruhe bringen, und wenn auch zaghaft, fragte sie dennoch: was haben aber die Geistererscheinungen mit unserer Unsterblichkeit gemein?

Der Baron blickte sie an, als komme ihm eine solche Frage sehr auffallend vor, dann entgegnete er belehrend: Allmähliches Werden und Vergehen ist das Gesetz aller Organismen. Es tritt nichts plötzlich in die Erscheinung, es verschwindet nichts plötzlich aus ihr; und wie der Mensch im Schooße seiner Mutter allmählich werdend zum sichtbaren Dasein erwächst, so verschwindet er, das ist mir zweifellos, auch nur allmählich von der Erde, von der Stätte, die er geliebt, und aus dem Gesichtskreise derjenigen, in deren Leben er seine eigentliche Heimath gehabt hat. Erst wenn diese Loslösung, die sich je nach den verschiedenen Persönlichkeiten in längerer oder kürzerer Zeit vollzieht, ganz und gar beendet ist, kann vernunftgemäß der Läuterungsproceß der Seele beginnen, den unsere Kirche als ein Dogma aufstellt und der die Seele endlich für die reine Atmosphäre der ewigen Seligkeit vorbereitet.

Er sprach das mit der Bestimmtheit aus, mit welcher ein Mathematiker seine Formel hinstellt. Sicherheit aber hat, wenn wir ihr bei einem Menschen begegnen, dem wir sonst Bedeutung zugestehen, immer etwas Bannendes und Beherrschendes. Er erwartete auch offenbar, Glauben bei Angelika zu finden, und nur, als gebe er noch eine ganz überflüssige Notiz, fügte er hinzu: dieser Glaube von dem allmählichen Verschwinden des Menschen aus dem Bereiche der Sichtbarkeit liegt ja übrigens, wie alle großen und unumstößlichen Wahrheiten, als ein Eingeborenes in dem menschlichen Geiste. Die Spur davon findet sich bei den rohesten wie bei den cultivirtesten Völkern aller Welttheile und aller Zeiten. Von Zoroaster bis zu Plato, von den ältesten jüdischen Traditionen bis zu Origines, von dem wüsten Heidenthume der Wilden bis zu den erhabensten Vorstellungen unserer Kirche geht derselbe Zug, derselbe Glaube an ein vermittelndes Zwischenreich; und selbst Euer Martin Luther, so sehr er aller feineren geistigen Erkenntniß durch seine grobsinnliche Organisation verschlossen war, konnte sich jener Einsicht nicht ganz entziehen, wenn er bei seiner bäuerisch plumpen Natur auch nichts Anderes zu erkennen vermocht, als die Erscheinung eines ihn plagenden Teufels.

Der Baron erhob sich bei den Worten mit der Selbstzufriedenheit eines Professors, der sein Collegium beendet hat, und daß seine Zuhörer beide schwiegen, steigerte seine Genugthuung. Er sah nach der Uhr, es war Zeit für ihn, sich zu entfernen. Er schellte dem Kammerdiener, befahl den Wagen vorfahren zu lassen, und als er dann das Zimmer seiner Frau verließ, die ganz gedankenvoll geworden war, sagte er zu dem Geistlichen gewendet: Sie müssen die Baronin durchaus gewöhnen, lieber Freund, recht scharf über geistige Dinge nachzudenken. Es ist bei ihr – und das liegt in ihrer Jugend, die ein großer Vorzug ist – noch Alles Gefühl, noch Alles Empfindung; aber es kommt ja für sie hoffentlich bald die Zeit, in welcher sie Andern Rechenschaft über ihr Denken geben, Andern ein Führer werden muß, und ich möchte, daß diese Zukunft sie einig mit sich selbst und recht im Einklange mit mir finden möge. Trachte danach, Geliebteste, diesen Standpunkt zu erreichen.

Er umarmte hierauf seine Frau, küßte ihr die Hand, gab auch dem Caplan die Hand, und verfügte sich in bester Laune an den Hof, dem Concerte beizuwohnen.