Fünftes Capitel. - Berka, Halle, geschäftige Dienerschaft, Herzbeklemmung, Gemühtsbewegung, Toilette, Kammerdiener, Gräfin, trefflicher Gesellschafter, Berlin, Reisewagen.

Fünftes Capitel. Die ganze gräfliche Familie war bereits im Schlosse beisammen, als der Baron in Berka eintraf. Der Schwiegervater, die neuen Vettern, kamen ihm bis in die Halle entgegen. Bei dem Scheine der Windleuchter, welche die geschäftige Dienerschaft herbeigetragen, hieß man ihn mit aller Feierlichkeit willkommen, und dem Baron war jeder Aufenthalt, war Alles erwünscht, was ihm die Veranlassung zum eignen Handeln ersparte, was die erste Begegnung mit seiner Braut, wenn auch nur für Minuten, hinausschob.

Oben in seinen Zimmern, in die man ihn geführt hatte, um ihm Zeit für seine Umkleidung zu geben, warf er sich erschöpft auf das Canapé, und die Herzbeklemmung, die er den ganzen Tag ertragen und überwunden hatte, machte sich in Thränen Luft.


Gut geschult, verließ sein Kammerdiener ihn, sobald er die Gemüthsbewegung seines Herrn gewahrte, und es dauerte eine Weile, ehe der Baron demselben schellte, um sich ankleiden zu lassen. Er war sonst äußerst sorgsam für seine Toilette, heute blieb dieselbe gänzlich dem Kammerdiener überlassen.

Der Baron beachtete es nicht, in welcher Weise jener ihm die vollen Seitenlocken puderte; er sprach kein Wort, während der Diener ihm das Haar flocht und die Schleifen des breiten Bandes an dem Haarbeutel befestigte. Er merkte es kaum, als er ihm das kleine, goldene Messer reichte, den Puder von der Stirne fortzubringen, und wäre der Diener nicht selbst stolz gewesen auf die vornehme Erscheinung seines Herrn, so hätten die weißseidenen Strümpfe sich ziehen können, wie sie mochten, und weder die kantenbesetzte weiße Halsbinde, noch das Jabot und die Spitzenmanschetten würden die rechten vollen, vornehmen Falten geworfen haben. Erst als der Baron das Zimmer verlassen wollte, um sich zu seiner Braut zu verfügen, und der Diener ihm den Parfümerie-Kasten hinreichte, damit er für sein Taschentuch den Parfüm nach Wohlgefallen wählen könne, erlaubte sich derselbe die Anfrage, ob der gnädige Herr nicht in den Spiegel sehen wolle, und sein zufriedenes Lächeln schien von diesem Vorschlage Erheiterung für den Baron zu erwarten. Indeß der Blick desselben wendete sich kalt von dem Spiegel ab, nachdem er ihn flüchtig darauf gerichtet hatte, und mit einem Seufzer, den er nicht zu unterdrücken vermochte, verließ er das Zimmer.

Er hatte keine Sylbe gesprochen, er hatte es nicht einmal für nöthig gehalten, dem Diener Verschwiegenheit zu befehlen. Er kannte sich und seine Leute. Er wußte, daß sie treue Diener waren, weil er sie immer empfinden ließ, daß er ihr Herr sei.

Langsam und schwerer, als es seine Art war, schritt er die Treppe hinab, durch die Vorzimmer, an der theils wartenden, theils beschäftigten Dienerschaft vorbei, bis die Flügelthür des Saales vor ihm geöffnet wurde. Aber das Licht, das helle Licht, welches ihm aus demselben entgegenstrahlte, war ihm unangenehm. Es blendete ihn heute zum ersten Male in seinem Leben und erinnerte ihn damit, wie heiße Thränen er geweint hatte. Indeß es blieb ihm keine Zeit, an sich zu denken. Er hatte seine Braut zu begrüßen, er mußte ihr sagen, was er in diesem Augenblicke leider ganz und gar nicht empfand, daß er glücklich sei, sie wiederzusehen.

Wie hold sie ist! hörte er ausrufen, als Gräfin Angelika ihm mit unverhehlter Freude und Zärtlichkeit entgegenkam.

Die schlanke Gestalt sah so leicht aus in dem Kleide von rosenfarbener Seide. Das schöne Haar, nur von einem rosa Bande gehalten, puffte sich hoch über ihrer schmalen Stirne empor und fiel hinter beiden Ohren in langen Locken weich und schwer auf ihren Hals und ihren Busen hinab.

In jedem anderen Momente würden ihre Jugend und ihre Schönheit dem Baron eine Entzückung bereitet haben; heute bewegten sie ihn nicht, obschon er sie gewahrte. Er küßte Angelika’s Hand und umarmte sie, aber sie mußte die Begrüßung nicht gefunden haben, wie sie dieselbe erwartet hatte, denn es legte sich ein Schatten über ihr Gesicht und ihr Auge blieb ängstlich auf den Baron gerichtet, als man sich nach kurzer Zeit in den Speisesaal verfügte.

Die Unterhaltung belebte sich an der Tafel schnell. Man befand sich noch in den Zeiten, in welchen Männer und Frauen es kein Hehl hatten, daß sie in die Gesellschaft gingen, um einander zu treffen und daß sie einander zu gefallen wünschten. Die Geselligkeit, die Unterhaltung wurden noch als eine Kunst betrachtet, in welcher geübt und geschickt zu sein für einen Gebildeten als eine Ehrensache galt. Der Baron, als trefflicher Gesellschafter gerühmt, hatte seinen Ruf aufrecht zu erhalten und hätte ihn selbst in seiner gegenwärtigen Stimmung, in dem Kreise seiner neuen Familie und unter den Augen seiner Braut nicht einbüßen mögen. Er nahm sich also zusammen, und da man für den Moment durch Ueberreizung seiner Kräfte ihre Abspannung am leichtesten besiegt und verbirgt, so steigerte er sich allmählich zu einer Lebhaftigkeit, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn richtete und ihn zum Mittelpunkte des ganzen Kreises machte.

Er kam aus der Stadt, war vor nicht langer Zeit in Berlin gewesen und hatte viel Gutes von den Freunden zu erzählen, welche er an beiden Orten gesehen. Er konnte, weil ihm die hervorragendsten Persönlichkeiten des Hofes und der Diplomatie bekannt waren, genaue Auskunft über den Stand der Welthändel geben, welche damals noch nicht so offen und so schnell vor aller Leute Augen gebracht wurden, als in unsern Tagen, und was die Literatur anbelangte, an der man zu jener Zeit in der guten Gesellschaft weit mehr Antheil nahm als heute, so führte er als das Neueste und Bedeutendste in seinem Reisewagen außer Goethe’s Geschwistern noch die ersten veröffentlichten Bruchstücke des Don Carlos mit sich. Er mußte vom Könige erzählen, von der Gräfin Lichtenau, deren Charakter und deren Thun und Treiben seit der neuerdings erfolgten Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Zweiten eine noch größere Wichtigkeit bekommen hatten, und wie sehr er die Abneigung seiner Zuhörerinnen gegen die königliche Maitresse auch berücksichtigte und schonte, konnte er doch nicht umhin, sie als eine Frau von Geist, von Geschmack und von Kunstsinn zu bezeichnen. Hier und da verrieth ein Blick, ein Wort es den Männern, daß er noch mancherlei Besonderes zurückbehalte, was den Vertrautesten mitzutheilen sich wohl eine gute Stunde finden lassen werde, und selbst die Frage der Damen nach den neuen Moden in Kleidung und Wohnungseinrichtung freundlich zu befriedigen, ließ der Baron sich gefällig herbei, bis alle Anwesenden voll von seinem Lobe waren, bis er selbst sich fortgehoben hatte über seinen verstörten Sinn. Er hatte die Gesellschaft für sich eingenommen und sich durch die Betrachtung erheitert, wie viel Herrschaft er über sich habe und über welche Mittel er gebiete, sich die Neigung und Bewunderung der Menschen zu gewinnen; das genügte ihm für den Augenblick und half ihm vorwärts.

Nur Eine Person in der Gesellschaft schien die allgemeine Zufriedenheit und den allgemeinen Frohsinn nicht zu theilen, nur Comtesse Angelika blieb ernst und schweigsam. Das fiel dem Baron auf, und, besorgt und ein wenig empfindlich zugleich, fragte er sie: Fehlt Ihnen etwas, meine Beste, oder was ist geschehen, das Lächeln von Ihrem lieben Antlitze zu verscheuchen?

Da richteten sich ihre sanften Augen ruhig forschend auf die seinen, und mit leiser Klage sagte sie: Sie erzählen so viel Schönes, aber Sie sagen mir Nichts!

Der Scharfblick des jungen Mädchens erschreckte, der Vorwurf traf ihn, indeß schnell gefaßt neigte er sich zu ihr und sprach flüsternd: Wollen Sie, daß ich hier inmitten der Familie und der Gäste die Selbstbeherrschung verliere, die mir Ihnen gegenüber, Süßeste, zu behaupten so schwer wird, daß ich, um Herr über mich zu bleiben, mich mit Plaudern beschwichtigen muß? Was soll ich Ihnen sagen, das Sie nicht wüßten, meine holde Braut?

Sie lächelte und erröthete, ohne jedoch durch seine Schmeichelrede beruhigt zu werden. Sagen Sie mir, daß Sie sich freuen, bei mir zu sein, daß ich Ihnen gefalle! bat sie mit einem Tone, der scherzend sein sollte, der aber ihre Besorgniß nicht verbergen konnte.

Angelika, rief der Baron und sah sie mit einem Blicke an, vor dem sie erglühend die Augen senkte, bestes, theuerstes Mädchen, was ficht Sie an, wie kommt Ihnen dieser Zweifel? Ich begreife Sie nicht!

Sie lächelte verwirrt, sie schalt sich selbst ein verwöhntes Kind, sie bat ihren Verlobten, ihr zu verzeihen, und reichte ihm die Hand hin, die er zärtlich drückte; aber er wußte jetzt, daß er sich vor Angelika zu hüten habe, und seine Stimmung ließ ihm heute nur Einen Weg, auf dem er sich behaupten konnte.

Er hatte bis dahin seine Braut mit all der strengen Zurückhaltung behandelt, welche Reinheit und Unschuld von dem Manne zu fordern berechtigt sind. Jetzt, da er im Innersten erschüttert und bedrängt, keiner freien Empfindung mächtig, seine Braut beunruhigt und zum Argwohn geneigt sah, jetzt mußte der Schein der Leidenschaft und des Verlangens ersetzen, was Angelika an ihm vermißte, und es fiel dem erfahrenen Frauenkenner nicht schwer, das Herz des jungen Mädchens lebhaft zu beschäftigen. In den folgenden Tagen gab es der Zerstreuungen, welche ihm zu Hülfe kamen, auch mancherlei, denn die große Familie, welche jetzt im Schlosse zusammen lebte, nahm beide Verlobten sehr in Anspruch. Das neue Eintreffen des einen oder des anderen noch fehlenden Gastes brachte immer neue Zwischenfälle, welche dem Freiherrn seine Haltung wesentlich erleichterten, und da Angelika, aus ihrer friedlichen Ruhe aufgeschreckt, das Alleinsein mit ihm zwar suchte, aber es eben so schnell wieder floh, so verfloß die ganze Woche ohne besondere Störungen. Die Männer zogen in der Frühe auf die Jagd, man speis’te gemeinsam und am Abend vereinigten Unterhaltung und Spiel die Gesellschaft in verschiedenen Gruppen, während die Jüngeren hier und da zum Tanze ihre Zuflucht nahmen.

Am Vorabende der Hochzeit hatte man länger als gewöhnlich bei der Mittagstafel verweilt und sich dann in das Nebenzimmer begeben, um dort den Kaffee einzunehmen. Der Baron stand, den Rücken gegen die Stubenthüre gekehrt, die kleine Tasse von meißener Porzellan in der Hand, mit einigen Herren in lebhafter Unterhaltung an dem Kamine. Man sprach von Diesem und Jenem, man neckte den Baron damit, daß er zerstreut sei, weil die bevorstehende Hochzeit ihm im Sinne liege; und der Gedanke an dieselbe führte die Männer, welche zum Theil Jugendfreunde und Lebensgenossen des Freiherrn waren, auf die Erinnerungen an ihre eigenen Hochzeiten und auf manches gemeinsame Erlebniß zurück. Es fehlte dabei nicht an einer Menge jener kleinen Züge, welche man einander, vorsichtig nach den Frauen hinüber schauend, mit Lächeln und Flüstern erzählte, und wie das zu geschehen pflegte, waren die Männer, welche am ruhigsten das friedliche Joch ihrer Ehe ertrugen, unter denjenigen, die am eifrigsten gegen den Zwang der Beständigkeit protestirten und sich am dreistesten des Uebermuthes berühmten, mit dem sie die Tage ihrer Freiheit und Ehelosigkeit genossen haben wollten.

Sie waren der Klügste von uns Allen, Baron! sagte einer seiner Verwandten, der mit ihm gleichen Alters war. Sie haben sich Ihre Freiheit nach Gebühr zu Nutze gemacht, und nun, da ich armer Thor bereits meines Sohnes Erstgebornen aus der Taufe gehoben habe, nun führen Sie, als ob das eben so sein müßte, das schönste Mädchen des Landes heim, um das die ganze Schaar unserer jungen Edelleute sich vergebens bemühte. Ihre Frau wird großes Aufsehen machen, wenn Sie sie am Hofe präsentiren.

Das könnte sein, versetzte der Baron, ich habe aber nicht die Absicht, an den Hof zu gehen, und meine Braut hat vollends keine Neigung für das Leben in der Residenz.

Weil sie es nicht kennt! meinte einer der jüngern Männer, denn ich halte es für unmöglich, sich nicht von dem schwungvollen Sinne, von dem Geiste und von der Bildung gefesselt zu fühlen, welche sich dort zur Verschönerung des Lebens und zum Genuß desselben verbinden.

Schon die große Zahl von Franzosen und Engländern, von Fremden überhaupt, machen den Hof jetzt anziehender, als er seit lange gewesen ist, bemerkte der Edelmann, der zuerst gesprochen hatte, und sich zu dem Freiherrn wendend, sagte er: und nicht allein Fremde erscheinen dort, auch Geister lassen sich sehen. Was haben Sie denn über die Sache erfahren?

Sie meinen die Erscheinung des Grafen von der Mark, welche man dem Könige bereitet hat? fragte der Freiherr.

Eben diese! versetzte der Andere, und der Freiherr berichtete, was er davon gehört und wie sehr der König sich durch den Anblick dieses von ihm geliebten und als Kind verstorbenen Sohnes erschüttert gefühlt haben sollte.

Einige der Männer, feste, alte Voltairianer, zuckten mitleidig und verächtlich die Achseln, als die Unterhaltung sich nach dieser Seite wendete. Indeß die Geisterseherei war Mode geworden, Jeder hatte seine Meinung über ihre Möglichkeit, und die Frauen, deren weichem Herzen der Tod ja fast immer als eine Grausamkeit erscheint, sprachen sich zum Theil sehr lebhaft für eine Ansicht aus, welche ihnen einen fortdauernden Zusammenhang mit ihren dahingegangenen Lieben in Aussicht zu stellen versprach.

Der Baron, dessen Meinung man zu verschiedenen Malen herausgefordert hatte, vermied es, sie zu äußern. Er war zurückhaltender, als er es sonst über ähnliche Materien zu sein pflegte, und weil sich Niemand in der Gesellschaft befand, der die Unterhaltung verständig leitete und beherrschte, verlor sich dieselbe, je mehr die Dämmerung hereinbrach, immer tiefer in das Gebiet des Geheimnißvollen und Sentimentalen. Man erzählte die Erfahrungen, die man selbst von dem Uebergreifen der Geisterwelt in den Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren gemacht zu haben glaubte, man erinnerte an die damals vielbesprochene Geschichte der jungen Schauspielerin, der ihr verrathener Geliebter sich auf die wundersamste Weise kundgegeben haben sollte.

Das Für und Wider äußerte sich noch einmal und noch lebhafter, als zuvor, bis einer der älteren Edelleute, welchem diese weichlich mysteriöse Unterhaltung nicht behagen mochte, ihr mit einem Scherze ein Ende zu machen beschloß.

Man könnte sich es schon gefallen lassen, sagte er, einer ungetreuen Schönen zu einem allgegenwärtigen und unvermeidlichen Memento mori zu werden, wenn man nur vor Repressalien sicher wäre! Stellen Sie sich doch aber vor, meine Herren, was sollte aus uns Ehemännern und aus dem Frieden unseres Hauses werden, wenn jedes hübsche Lärvchen, das uns einmal das Herz gerührt hat, so ganz ad libitum in unserem häuslichen Kreise erscheinen und unsere eheliche Eintracht stören könnte? Unsere Damen, die jetzt so sehr für diese neue Weltanschauung schwärmen, würden ja die Ersten sein, um Gottes willen gegen einen solchen sichtbaren Zusammenhang mit der Geisterwelt zu protestiren.

Man lachte, man belobte hier und da den gesunden, heiteren Einfall des alten Herrn, man sagte, daß der rechte Frohsinn jetzt nur noch bei den Alten zu finden sei, und stachelte damit den Ehrgeiz des jungen Grafen Gerhard auf, den Witz und die Heiterkeit der Jugend kund zu thun. Unglücklicher Weise waren aber Maß halten und ruhiges Ueberlegen nicht eben seine Sache. Der reichlich genossene Wein hatten ihn heute noch unbesonnener und kecker als gewöhnlich gemacht, und sich an seinen Schwager wendend, dessen Ernst und dessen Schweigen ihm aufgefallen sein mochten, rief er: Der Onkel Kammerherr hat wahrhaftig Recht! Stellen Sie sich doch vor, Baron, was aus Ihnen werden sollte und was Angelika sagen würde, wenn alle die Frauen, denen Sie um Angelika’s willen das Herz gebrochen, Ihnen erscheinen sollten? Stellen Sie sich vor, wenn – er wies mit dem Kopfe nach dem Eingange des Zimmers und der Baron und die Anderen folgten unwillkürlich seinem Winke – wenn dort sich zum Beispiel plötzlich die Thür öffnete und ...

Ein Schauer durchflog die Glieder des Barons, denn die Thüre that sich wirklich wie mit Einem Schlage plötzlich auf, ein blendendes Licht strömte herein, und mit krampfhafter Bewegung den Arm des ihm Nächststehenden ergreifend, sank der Baron auf den Sessel am Kamine nieder.

Aber nur wenige wurden das gewahr, denn die Diener brachten eben jetzt die vielarmigen Leuchter in das Zimmer, deren helles Licht die Mehrzahl der Anwesenden blendete, und der Eintritt des Caplans, dessen Ankunft man kurz vorher gemeldet hatte, nahm die Anderen in Anspruch. Der Graf und die Damen des Hauses bewillkommten den neuen Gast, und der Baron gewann inzwischen Zeit, sich zu sammeln und sich zu erholen. Dennoch neckte man ihn mit seiner Ueberraschung, mit seinem Schrecken; man wollte wissen, welche Erscheinung er gehabt habe, indeß der Baron entzog sich mit guter Art und großer Selbstbeherrschung allen darauf zielenden Fragen und Neckereien, und mitten in der allgemeinen Unterhaltung, zu der er sich genöthigt fand, fragte er, als der Caplan an ihn herangetreten war, denselben leise und beklommen: Hat man sie gefunden?

Alle Mühe war vergeblich! antwortete jener ebenso.

Und Paul? fragte der Baron mit derselben Dringlichkeit.

Ist fürs Erste wohl aufgehoben in der Stadt.

Wer brachte ihn dorthin?

Ich selbst! versetzte der Caplan.

Der Baron drückte ihm schweigend die Hand, andere Personen traten mit Ansprache und Bewillkommung dazwischen, der Abend verging in bewegter Geselligkeit und der Baron fand sich erst wieder mit seinem Hausgenossen zusammen, als dieser ihn am späten Abende noch in seinen Gemächern besuchte. Er traf den Baron, der sonst noch vor dem Schlafengehen lange in seinem Zimmer zu lesen pflegte, bereits im Bette.

Wundern Sie sich nicht, daß ich mich schon niedergelegt habe, redete der Baron den eintretenden Caplan an, ich bin sehr müde. Der Stand eines Bräutigams ist an und für sich eine Unnatur und legt uns eine abgeschmackte Rolle auf. Wenn ein fertiger Mann ein Mädchen zur Frau begehrt, so sollte man es ihm geben und ihn mit der Erwählten ziehen lassen. Was soll dieses wartende Verlangen von der einen und von der anderen Seite? Es ist so viel Zwang und Heuchelei darin, ja, es liegt im Brautstande, wenn man von einer Gesellschaft umgeben ist, wie die hier im Schlosse versammelte, sogar eine Art von Cynismus, der mich beleidigt. Ich wollte, wir wären zwei Tage weiter und fort von hier. – Er machte eine kleine Pause und warf dann die Bemerkung hin: Ich schlafe auch schlecht! Am Tage Ermüdung, in der Nacht wenig Schlaf und während desselben quälende Träume! Wahrhaftig, man könnte .... er vollendete den Satz nicht, fuhr mit der Hand, wie es seine Gewohnheit war, ein paar Mal über Stirn und Gesicht und stieß dann ein Ach! hervor, in welchem sich sein ganzer Zustand offenbarte.

Der Caplan fand ihn übel aussehend, auch die Stimmung des Barons kam ihm bedenklich vor. Weil es spät war und er die Weise seines Freundes kannte, sich möglichst lange auf Umwegen von dem Gegenstande fern zu halten, den zu erörtern er Scheu trug, kam er ihm zuvor, indem er ohne Vorbereitung davon zu sprechen begann.

Sie fragten mich heute, hob er an, wo Paul sich befinde, und ich sagte Ihnen, daß ich selbst ihn nach der Stadt gebracht habe. Da es an dem Morgen nicht gelang, die Mutter aufzufinden, so machte ich mich noch am Abende mit dem Knaben auf den Weg, weil ich ihn nach dem Vorgegangenen nicht eine Stunde unnöthig in Rothenfeld verweilen lassen wollte. Unentschieden, wo ich ihn unterbringen solle, da er bei seinem Alter noch für kein öffentliches Pensionat geeignet ist, fiel es mir ein, mich, weil ich keine Zeit zu verlieren hatte, an Herrn Flies zu wenden.

Und Sie sagten ihm, wem der Knabe gehöre? unterbrach ihn der Baron.

Ich hatte das nicht nöthig, obschon er Anfangs mit der Zurückhaltung, welche Sie an ihm rühmten, nicht merken ließ, was der erste Anblick des Knaben ihm verrathen hatte.

Also Sie finden auch, daß der Knabe mir so ähnlich sieht? fragte der Baron in einer Weise, die schwer erkennen ließ, welcher Empfindung sie entsprossen war, und ohne des Caplans Antwort abzuwarten, wollte er wissen, ob sein Sohn sich jetzt bei dem Juwelier befinde.

Nein, entgegnete der Andere; ihn dauernd in einer jüdischen Familie zu lassen, wäre doch nicht wohl thunlich gewesen, und ich zweifle auch, daß Herr Flies sich dazu verstanden haben würde, ihn aufzunehmen, da ....

Und Ihr Vetter, der früher in dem Flies’schen Hause wohnte? unterbrach ihn der Baron; ich habe an Ihren Vetter und dessen Frau gedacht ....

Die Leute sind kinderlos, bemerkte der Caplan.

Eben deshalb! meinte jener lebhaft.

Meine Verwandten sind so sehr an eine ruhige Häuslichkeit gewöhnt, daß eine Störung derselben ihnen durch Nichts aufgewogen werden könnte, sagte der Caplan ablehnend.

Der Baron verstand ihn, das bewies das unwillkürliche Zusammenpressen seiner Lippen; der Caplan ließ ihm aber zu seiner Mißempfindung nicht lange Zeit, denn er berichtete, wie der Juwelier Rath geschafft und ihn an die Familie gewiesen habe, welche jetzt den dritten Stock seines Hauses als Miether bewohnte.

Wer sind die Leute? fragte der Baron dazwischen, der sich im Bette aufgerichtet und den Kopf auf die weiße, wohlgepflegte Hand gestützt hatte, die vornehm aus den Spitzenmanschetten des weitärmeligen Nachthemdes hervorsah.

Eine ebenfalls kinderlose Beamtenfamilie, wie meine Verwandten. Die Frau zeigte sich ohne Weiteres bereit, auf den Vorschlag einzugehen, da das Gehalt des Kriegsrathes nur beschränkt und die Familie doch zu einem gewissen Aufwande genöthigt ist. Eine Vermehrung der Einnahmen schien ihr also sehr erwünscht. Der Kriegsrath hatte Bedenken, sie wurden aber von der Gewandtheit des Juweliers ohne all mein Zuthun besiegt.

Bedenken? wiederholte der Baron mit einem Anfluge jenes empfindlichen Stolzes, der sich wundert, wenn sich Jemand seinen Wünschen nicht gefügig zeigt.

Sie galten der Herkunft des Knaben, der möglichen Ungelegenheit, welche dieselbe verursachen könnte, und endlich auch der Sicherheit der Pensionszahlungen, für die Herr Flies sich dann natürlich alsobald verbürgte, während er zugleich auf die Förderung hin deutete, welche dem Kriegsrathe durch Ihre Vermittlung zu Theil werden könnte.

Sie glauben also, daß der Knabe dort gut aufgehoben ist? fragte der Baron, über die Antwort des Caplans leicht hinweggehend.

Der Juwelier versicherte es mir, und eilig, wie ich war, fand ich es am besten, ihn in dem Hause zu lassen, da Herr Flies und seine Frau ein Auge auf ihn zu haben versprachen.

Der Baron nickte zustimmend. Ich danke Ihnen, sagte er, Sie haben mir einen Dienst geleistet; ich bin über den Knaben beruhigt, wenn Flies ihn in seiner Nähe und Aufsicht behält. Wollte Gott, ich könnte mich auch sonst beruhigen! Man hätte vielleicht der Unglücklichen Zeit lassen, Sie hätten ihr nachgeben, ihr gestatten sollen, den Winter oder wenigstens noch einige Wochen in Rothenfeld zu bleiben. Ich beurtheilte Pauline richtiger, als Sie!

Der Caplan war, wie er den Baron kannte, darauf vorbereitet gewesen, daß er es zu seiner Selbstberuhigung versuchen würde, dem Freunde einen gewissen Antheil an dem Unheile aufzubürden, welches er selber angerichtet hatte. Er ließ also diese Aeußerungen absichtlich unbeachtet, und dadurch genöthigt, sich weiter kund zu geben, sagte der Baron, von dem Thatsächlichen der traurigen Angelegenheit abbrechend:

Gewisse Erfahrungen muß man an sich selber ma chen, und so theuer man sie erkauft, bezahlt man sie doch wahrscheinlich nicht zu hoch. Sie werden sich künftig, mein werther Freund, über mich nicht mehr zu beklagen haben!

Der Caplan bat um eine Erklärung dieser Worte.

O, versetzte jener, mich dünkt, darüber könnten Sie nicht in Zweifel sein! Ich habe wohl sonst Ihre strengen Morallehren als unnatürliche Beschränkungen, Ihre ganze Weltanschauung und Lebensführung als die Frucht eines furchtsamen Aberglaubens angesehen, und Sie in meinem Innern beklagt, daß Sie sich in Folge Ihrer Gelübde nicht zu genießen erlaubten, was uns zum Genusse ladet und für denselben geschaffen ist. In den letzten Tagen, sagte er mit einem schweren Seufzer, habe ich mich aber oftmals des Gedankens nicht erwehren können, daß Sie jetzt der Glücklichere von uns beiden sind. Ja, ich habe Sie recht eigentlich um Ihre Gemüthsruhe, um Ihren Seelenfrieden beneidet und oft gedacht, daß man schon aus Selbstsucht und Berechnung ein einfaches, reines Leben führen müßte. Wenn ich daher in meiner Ehe mit Gräfin Angelika Kinder haben sollte, so will ich sie Ihnen und Ihrer Führung ausschließlich anvertrauen, und Sie sollen mich an diese Stunde erinnern, lieber Freund, wenn ich gegen dieses Versprechen handle. Es ist sicher ein köstlich Ding um ein unbeflecktes Gewissen und um die Möglichkeit des Glaubens und des Gebetes!

Der Geistliche sah ihn prüfend an. Er wußte, welcher schnell wechselnden Ansichten der Baron fähig war, und pflegte deßhalb auf seine Aeußerungen, sofern sie aus einer ungewöhnlichen Stimmung hervorgingen, kein großes Gewicht zu legen. Es däuchte ihm aber, als sei es Pflicht des Christen und vor Allen des Geistlichen, einem Schwerbeladenen und Niedergebeugten, und ein solcher war der Freiherr jetzt in jedem Betrachte, in der Stunde der Noth die Hand zu reichen, und ihm den Trost zu bieten, an welchem man sich in der eigenen Ohnmacht gehalten und an dem man sich aufgerichtet hat.

Haben Sie es denn versucht, fragte er ihn deßhalb sanft und ernst, sich einmal innerlich Ihr ganzes bisheriges Leben darzulegen? Haben Sie es versucht, recht in sich zu gehen und sich mit dem Gedanken an die Folgen Ihres Handelns Rechenschaft über dasselbe zu geben, als wäre diese Rechenschaft von einer Macht gefordert, die den Zusammenhang der Dinge besser kennt, als wir? Haben Sie sich denn in letzter Zeit wohl jemals der Religion mit dem Bedürfniß um Erlösung zugewendet?

Sie wissen, bester Freund, sagte der Baron zögernd und mit Bedauern, daß dies leider nicht geschehen ist. Bei meinem lebhaften Sinne und einem starken Selbstgefühle ist mir die Religion seit lange nur als eine Stütze und ein Heilmittel erschienen, deren der Gesunde und Kräftige entrathen und nach denen mich persönlich niemals verlangen könne. Indeß die Erfahrungen, welche ich jetzt an mir und in dem Leben überhaupt gemacht, und ein Eindruck, eine räthselhafte Erscheinung, die ich gehabt, eben heute gehabt habe – Er brach ab und sagte: Ich wiederhole Ihnen, ich wollte, ich könnte heute glauben und beten wie Sie, mein Freund, und mir damit das Herz entlasten.

Und was hindert Sie daran? fragte der Caplan, ihm fest ins Auge blickend.

Mir fehlt die Zuversicht, der Glaube, daß Gebet mich trösten könne, daß für mich auf diesem Wege die begehrte Hülfe zu finden sei, wendete der Freiherr mit einer Weise ein, die sehr von jener Leichtigkeit abwich, mit welcher er solche Materien sonst zu behandeln gewohnt war.

Der Caplan schwieg eine Weile wie im Nachdenken versunken, dann sprach er ernsthaft und bewegt, wie man eine tiefe Ueberzeugung, eine an sich selbst erprobte Erfahrung kund giebt: Mich müßte Alles trügen, oder Sie stehen auf einem jener Wendepunkte des Lebens, Herr Baron, auf welche der Mensch, nach meiner festen Ueberzeugung, nur dann gestellt wird, wenn das Einschlagen eines völlig neuen Weges für ihn das einzige Rettungsmittel geworden ist. – Er machte darnach wieder eine Pause und sagte endlich, als habe er lange nach der Form gesucht, in welcher er seinen Glauben dem Freiherrn zugänglich machen könne: Sie haben vor nicht langer Zeit selbst gegen mich über die mystische Grenze gesprochen, welche in unseren Handlungen das freie Wollen von dem Müssen und Erleiden scheidet, und ich erinnere Sie an diese Ihre eigene Ansicht, um in derselben Ihnen ein Gleichniß und in gewissem Sinne auch die Erklärung für Ihren jetzigen Zustand zu bieten. Ist irgendwo eine solche mystische Grenze zwischen der Freiheit des Menschen und der Führung des Höchsten vorhanden, so offenbart sich dieselbe, wenn wir Ihr Leben einheitlich überschauen, an Ihnen. Alles, was Sie unternahmen, sich eine höchste Befriedigung im weltlichen Sinne zu schaffen, erfüllte den Zweck nicht, Sie innerlich wahrhaft zufrieden zu stellen. Da fallen Sie auf einen Gedanken der Menschenliebe, aber auch ihm liegt ein weltliches Element zu Grunde. Sie machen ein Geschöpf Gottes, das Ihnen durch eine Verknüpfung von Umständen zur Pflege zugeführt wird, nicht zu einem Gegenstande Ihrer selbstlosen Sorgfalt, sondern zu einem Spiele Ihrer Phantasie, zu einem Glückspfande, und nur zu bald wird das arme Wesen Ihr Opfer, wird durch Sie um Unschuld, Glauben und Hoffnung gebracht. Jetzt kommt der Augenblick, in welchem Sie selbst das Bedürfniß fühlen, sich ein neues und geläutertes Leben in Ihrem Hause aufzuerbauen, und nun erwächst Ihnen aus Ihrer Vergangenheit, aus früherem Verschulden ein Unheil, das Sie selbst wie einen Fluch empfinden, vor dessen Anmahnung Sie sich nicht zu bergen, gegen dessen Last Sie sich nicht zu wehren und vor dem Sie keine Rettung zu finden wissen, von dem Sie auch nirgends Rettung und Erlösung finden werden, als an der Quelle, aus welcher alle Erlösung und alle Gnade quillt. –

Er machte eine Pause. Der Baron hatte noch immer das Haupt auf den Arm gestützt und sah, in tiefes Sinnen versunken, vor sich nieder. Der Caplan wartete, ob Jener zu sprechen beginnen würde, indeß nur die Traurigkeit und Weichheit seiner Mienen verrieth, was in seinem Herzen vorging, und der Caplan hielt es für seine Pflicht, dem Bereuenden weiter entgegen zu kommen.

Sie sind in diesem Augenblicke, sagte er, wie der verlorene Sohn, wie der Sohn, der im Uebermuthe seiner Kraft es verlernt hat, sich als Kind in seines Vaters Arme zurück zu flüchten. Sie wissen, Sie kennen den Weg, der Sie an das Ziel Ihrer Sehnsucht führen kann, aber Sie scheuen sich, ihn zu betreten, weil Sie verlernt haben, ihn zu gehen. Sie möchten beten können; heißt das nicht beten? Sie möchten sich zu Gott, zu Ihrem Erlöser wenden; heißt das nicht zu ihm gewendet, zurückgekehrt sein zu ihm? Sie verlangen nach Hülfe, nach Beistand, nach Gnade – aber die göttliche Gnade ist so unerschöpflich, daß das bloße brünstige Verlangen nach ihr, wenn es ein fortgesetzter Zustand der Seele wird, schon die Bürgschaft für ihre Gewährung in sich trägt, denn der Allhelfer fehlt dem Menschen niemals, wenn es von ihm ist, daß man Hülfe und Erlösung erwartet.

Der Freiherr hatte den Kopf erhoben; er sah den Caplan forschend an, und mit dem unverkennbaren Verlangen, eine Widerlegung seines noch nicht überwundenen Zweifels zu erhalten, fragte er: Könnte Unglauben so rasch zum Glauben werden?

Moses schlug voll Glaubens gegen den Fels, und aus dem harten, verschlossenen Gestein sprang die helle Flut des Lebens hervor, sein ganzes Volk zu erquicken. – Der Caplan rückte bei diesen Worten seinen Sessel nahe an den Baron heran, neigte sich zu ihm und sagte, indem er mit sichtlich bewegtem Herzen die Hand desselben ergriff: O, könnte ich Ihnen doch klar und eindringlich machen, was als feste, erhebende Ueberzeugung in mir lebt! Der Glaube, der Ihren Vater, Ihre Mutter durch das Leben leitete, der Ihre verklärte Schwester in einer Weise sterben machte, welche ihrem Leben erst die volle Weihe verlieh, dieser Glaube hatte Sie verlassen, und so nahe wir beide durch alle die Jahre neben einander lebten, Herr Baron: wir standen einander ferner, als es zwischen so alten Lebensgenossen hätte sein sollen! Aber glauben Sie mir, mein Freund, wie gering der Antheil auch gewesen ist, den Sie mir bisher an Ihrem Seelenleben g?nnten, ich habe nicht aufgehört, um dasselbe zu sorgen; ich habe nicht aufgehört, zu hoffen, daß der Erlöser Sie zu finden wissen werde! Und nun, da das Entsetzliche hereinbrach, habe ich mit Ihnen gelitten Tag für Tag, ich habe für Sie gedacht, für Sie in meinem Herzen gebetet und in die Zukunft zu blicken gestrebt, nach Beruhigung für Sie! Da ist mir der Gedanke an die wunderbaren Wege und Fügungen des Himmels tröstlich zu Hülfe gekommen! Wer von uns will es ermessen, ob Gott nicht das junge Weib, ob er nicht Pauline, die das Opfer Ihrer Sinnlichkeit geworden war, sich ausersehen hat als ein Werkzeug zu Ihrer Bekehrung? Ob nicht Pauline sterben mußte, das eigene Vergehen zu büßen und Sie hinzuführen an die Gnadenquelle, aus der das Geschlecht, welches fortzupflanzen Sie morgen Ihre Ehe schließen, sich erquicken und erstarken soll zu neuem Glauben, zu neuem Wandel auf dem rechten Wege?

Der Baron hatte dem Freunde mit steigender Erschütterung zugehört. Weichherzig wie er war, hatten schon die tiefe und ernste Bewegung, die fromme Liebe und die feste Treue des alten Lebensgenossen ihn gerührt und aufgerichtet, aber bei des Caplans letzten Worten erhellten die ganzen Mienen des Barons sich wundersam. Der zuversichtliche Glaube an die räthselhaften Wege einer allweisen Vorsehung, welcher dem Caplan den Gedanken eingegeben hatte, daß Pauline nach Gottes Rathschluß habe sterben müssen, um den Freiherrn und sein Haus dem Glauben wiederzugeben, trug für den Letzteren schon eine halbe Erlösung in sich und leuchtete ihm ein, da er seiner persönlichen Eigenliebe wie dem Stolze auf sein Geschlecht plötzlich in der erwünschtesten Weise entgegenkam. Er war, nach solcher Annahme von den Fügungen des Himmels, nicht mehr völlig und ausschließlich verantwortlich für seine That und ihre schwere Folge. Er war nicht mehr der allein Schuldige, der Frevler, welcher Pauline in den Tod gestürzt. Nur ein Werkzeug war er gewesen, wie sie, in der starken Hand des Herrn. Nicht mehr ein Sünder war er, der sich demüthigen mußte, um die Verdammung von sich abzuwenden, er war ein Auserwählter, ein Begnadigter; denn Gott hatte das Leben eines armen Weibes bestimmt und darangegeben zum Opfer für ihn und sein Geschlecht, und erleichterten Herzens und nach Beruhigung dürstend, fragte er: Und hegen Sie den Glauben, daß Reue ganz versöhnt?

Ja, ich hege diese Zuversicht! rief der Caplan mit festem, innig vertrauendem Glauben. Ja, ich hege die Zuversicht, daß Reue, daß büßende und zugleich fruchtbar thätige Reue eine Erlösung in sich verbürgt! Wollten Sie sich in dumpfem Schmerze der Erinnerung an das von Ihnen verschuldete Unglück überlassen, so würde damit sicher Nichts geholfen, Nichts gebessert sein. Aber wenn Sie die Möglichkeit der erlösenden Versöhnung nicht nur auf sich selbst beziehen, wenn Sie dieselbe zugleich als eine Aussöhnung mit dem eigenen Bewußtsein betrachten; wenn Sie sich sagten, ein Mädchen, das mich liebte, ist untergegangen durch mich, dafür soll das Weib, das ich mir erwählte, um so glücklicher werden; wenn Sie mit Selbstvergessenheit für die Frau, für die Familie zu leben versuchten, welche sich um Sie her bilden wird, wenn Sie die Seelen, welche die Vorsehung Ihnen anvertraut, im Glauben und in Heiligung erziehen – mich dünkt, mein Freund, das würde so viel Licht über Ihr Dasein ausbreiten, daß davor die Schatten, welche jetzt Ihr Leben umdüstern, allmählich weichen können. Gebet und Reue sind erlösend, wenn sie eine Selbsterkenntniß und ein Gelöbniß, zugleich demüthig und muthig sind.

Der Caplan hielt inne, denn der Baron hatte sonst immer eine große Ungeduld bewiesen, wenn sein geistlicher Freund ähnliche Gespräche oder ähnliche Erörterungen herbeizuführen gesucht hatte. Heute war das anders. Es that ihm wohl, die Stimme des Freundes und seinen ermuthigenden Zuspruch zu hören, denn sie waren milder, als sein eigenes Gewissen, und fast bittend sagte er: Sie sind nicht zu Ende, enthalten Sie mir Nichts vor, mein Freund!

Was könnte ich noch hinzufügen, entgegnete der Caplan, das nicht in dem Gesagten schon enthalten wäre, das Ihr eigenes Herz Ihnen nicht kund giebt? Jede Sünde ist eine Verfehlung gegen das Gute und gegen das Recht! Machen Sie sich von diesen Verfehlungen frei, stellen Sie sich als Sünder Ihrem Schöpfer, als tadelloses Familienoberhaupt, als tadelloser Gutsherr den Menschen gegenüber, und ich zweifle nicht, daß sich zwischen diesen beiden Polen für Sie der Weg und die Mittel zu einer Befreiung Ihres Herzens und Ihres Gewissens finden lassen werden, daß Sie eines Glückes theilhaftig und einer dauernden Zufriedenheit fähig werden können, von der Ihre Vergangenheit Ihnen noch kein Bild gegeben hat!

Der Freiherr athmete auf. Er richtete sich empor, er sah die Möglichkeit vor sich, wieder erhobenen Hauptes zu leben, da er den Vorsatz hegte, sein Haus im Geiste des Christenthumes aufzubauen. Er konnte in diesem Augenblicke selbst an Pauline wieder denken, ohne die herzzerreißenden Gewissensbisse zu empfinden, welche ihm seit ihrem Tode keine Ruhe mehr gelassen hatten. Er versank noch einmal in ein tiefes Sinnen. Der Caplan, dessen innere Wahrhaftigkeit in diesem Falle die Selbsttäuschungen des Freiherrn nicht voraussah, saß ihm, seinen eigenen ernsten Betrachtungen nachhangend, schweigsam gegenüber. Seine ganze Seele war Gebet. Endlich reichte der Baron dem Geistlichen die Hand.

Ich danke Ihnen, sagte er, ich danke Ihnen von Herzen, und Sie haben Recht! Ja! Sie haben Recht! Es ist eine große Wohlthat des Himmels, er brauchte diesen Ausdruck mit Selbstgenuß, es ist ein Segen von Gott, einen Freund, wie Sie in der Nähe zu haben, sich mit einem Freunde wie Sie recht von Herzen aussprechen zu können; und wie selten habe ich mir in der Zerstreutheit der vergangenen Jahre diese Befriedigung gewährt! – Er bog sich ein wenig nach hinten über, dehnte Brust und Rücken, und meinte: Ich glaube in der That, diese Nacht werde ich schlafen können. Ich fühle mich ruhiger, freier als in den verwichenen Tagen. Nur der Gedanke an Richten quält mich unaufhörlich; und ich gäbe viel darum, wenn ich es jetzt noch nicht wiederzusehen, es noch nicht mit meiner Frau wiederzusehen brauchte.

Und giebt es dafür keinen Ausweg? fragte der Caplan, dem die Beruhigung seines Freundes, von welcher er sich die sittliche Erhebung desselben versprach, lebhaft am Herzen lag. Sie haben ja das Haus, welches Fräulein Esther Ihnen hinterlassen hat, eigentlich noch gar nicht bewohnt. Wie wäre es ....

Wenn wir nach der Residenz gingen? fiel der Baron ihm in die Rede, daran habe ich selber schon gedacht; nur daß Alles, wie Sie wissen, auf unsern Aufenthalt in Richten angelegt und angeordnet war und daß in der Stadt gar Nichts für unsere Aufnahme vorbereitet ist. Ich habe das Haus meiner Tante, als ich es bei meinem letzten Aufenthalte in der Residenz übernahm, doch recht vernachlässigt und traurig gefunden, und man würde es vollständig erneuern müssen, um es angenehm und uns angemessen zu machen. Indeß davon zu reden wird morgen Zeit sein, mein lieber Freund! Für heute wünsche ich gesammelt zu bleiben und noch eine Weile mit mir allein zu sein. Schlafen Sie wohl! Gewiß, ich hoffe auch endlich wieder eine gute Nacht zu haben.

Er gab dem Geistlichen nochmals die Hand und dieser verließ ihn mit dem beruhigenden Bewußtsein, gethan zu haben, was ihm oblag. Er hatte den Zerknirschten nicht mit harter Verdammung niedergeschmettert, sondern ihn aufzurichten gesucht, da er seine Erhebung anstrebte und ersehnte; und es eröffnete sich ihm jetzt dafür die Aussicht, der Kirche ein ihr entfremdetes Glied, das Haupt einer einflußreichen und vornehmen Familie, dem Glauben und der Sitte einen Menschen von vielen Gaben und von einem an sich guten Herzen wieder zuzuführen, während ihm selbst der Freund zurückgegeben zu werden schien, an dem er immer mit warmer Neigung gehangen hatte, seit der Baron einst sein Zögling gewesen war.

Der Caplan betete also an dem Abende noch länger und noch inniger als sonst, und der Freiherr schlief seit Paulinen’s Tode in dieser Nacht den ersten traumlosen und ruhigen Schlaf. Das setzte ihn wieder völlig in den Gebrauch seiner Kräfte ein. Er fühlte sich erfrischt und befreit, er erschien sich verjüngt, als er sich im Spiegel betrachtete, und er sah mit wachsender Spannung und freudiger Bewegung der bevorstehenden Ceremonie entgegen.

Am Mittage wurde die Trauung des Barons mit der Gräfin Angelika, wie es in den Ehepacten festgesetzt worden war, nach katholischem Ritus vollzogen. Der Baron hatte am Morgen noch eine lange Unterredung mit dem Caplan gehabt, und beide waren bemüht gewesen, sich auf dem Wege zu erhalten, auf welchem der Freiherr gestern die erste trostreiche Beruhigung gefunden. Er hatte dem Caplan die feierliche Zusage gegeben, dahin zu wirken, daß auch seine Töchter, falls er deren haben sollte, in der katholischen Kirche auferzogen würden, und er war danach während der Trauung ernster und feierlicher gestimmt, als die Gesellschaft, welche ihn im Schlosse umgab, es von ihm erwartet hatte. Die Eltern der Braut erfreuten sich dessen als einer Bürgschaft für das Glück der Tochter; die junge Gräfin selber war gegenüber der Innigkeit, mit welcher ihr Gatte sich gegen sie bezeigte, voll demuthsvoller Zärtlichkeit und Liebe, und es war sicherlich Niemand unter den anwesenden Gästen, welcher diesem von dem Schicksal so vielfach bevorzugten schönen Paare nicht eine glückliche Zukunft vorausgesagt hätte.

Bei der Tafel, als eine der Tanten den Schmuck bewunderte, mit welchem der Baron seine Braut zur Hochzeit beschenkt hatte, erklärte dieser, daß er seiner Frau noch ein anderes Angebinde, oder vielmehr noch eine Ueberraschung vorbereitet habe, welche ihr, wie er hoffe, willkommen sein werde. Er bat sie, zu errathen, was er für sie im Sinne führe, aber sie traf das Rechte nicht, und endlich fragte er: wie würde es Dir gefallen, meine Beste, wenn wir morgen, statt unsern Weg nach Richten einzuschlagen, uns nach der entgegengesetzten Seite wenden und nach der Residenz begeben würden, um dort den Winter zuzubringen?

Der Vorschlag erregte bei Allen ein großes Erstaunen, denn seit der Verlobung hatte man es festgesetzt gehabt, daß die Neuvermählten das erste Jahr ihrer Ehe in Richten verleben sollten. Alle Plane des Barons waren darauf begründet, alle seine Briefe voll gewesen von der Schilderung der Annehmlichkeiten, welche er sich von dieser Einrichtung versprochen hatte. Nun sollte das plötzlich Alles anders werden. Man wußte sich nicht gleich in eine so unerwartete Veränderung hineinzudenken, wußte sich ihre Ursache nicht zu deuten, und besonders Angelika vermochte bei diesem Vorschlage des Barons, der ihren Neigungen und Hoffnungen gleichmäßig widersprach, vollends keine Freude zu empfinden.

Die gräflich Berka’sche Familie gehörte zu jenen alten guten Adelsgeschlechtern, welche das Leben im eigenen Hause und auf eigenem Grund und Boden als die einem Edelmanne am meisten zuständige Lebensweise erachteten. Nur einmal und nur für eine kurze Zeit hatte Angelika in der Stadt verweilt, als eine Krankheit der Mutter die Berathung eines dortigen berühmten Arztes nothwendig gemacht hatte. In der Residenz war sie niemals gewesen, und an ein ruhiges Dasein, an eine einförmige Folge der Tage gewöhnt, reizte das Neue sie weniger, als das Fremde sie beunruhigte. Alle die idyllischen Hoffnungen, welche sie für ihre nächste Zukunft gehegt, sanken vor dem neuen Plane ihres Gatten in Nichts zusammen, und rasche Uebergänge aus einem Gedanken- und Vorstellungskreise in den andern zu machen, war ihr nicht gegeben. Ihre Mienen verriethen daher nichts weniger als Freude bei der Eröffnung des Barons, und als er ihr im Besondern die Frage vorlegte, ob er ihrer Neigung mit seiner Absicht begegnet sei, verneinte sie es mit der Bemerkung, es schmerze sie, daß ihr auf diese Weise das erste ruhige Beisammensein mit ihm verkümmert und ihr die Gelegenheit genommen werde, sich ihm in der neuen Heimath als Hausfrau angenehm und lieb zu machen.

Er suchte ihr das auszureden, er bemühte sich, ihr begreiflich zu machen, daß sie in gewissem Betrachte in der Residenz weit mehr auf einander angewiesen sein würden, als in Richten, wo Familienbesuche sie vielfach beansprucht und ihnen die Zeit einsamen Verkehrs beschränkt haben würden, und sie ließ das endlich gelten. Aber der Baron hatte bei diesen Auseinandersetzungen zum ersten Male Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß seine Frau zwar ihre liebsten Hoffnungen freundlich seinen Wünschen unterzuordnen wußte, daß es jedoch nicht leicht sei, sie ihren Sinn ändern zu machen oder ihr fremde Gedanken unterzuschieben.

Man speiste lange, man tanzte nachher. Die Braut fand allmählig ihre Heiterkeit wieder, sie war lieblicher und anmuthiger, als je zuvor, und der Baron sah schön aus in der freudigen Erregung, die ihn durchglühte. Die Töne der Gavotte und der Quadrille à la Reine erklangen noch immer, nachdem er schon lange seine junge Gattin in den stilleren Theil des Schlosses entführt hatte, in welchem die Zimmer für die Neuvermählten eingerichtet worden waren.

Ihre Abreise sollte am nächsten Mittage vor sich gehen. Nach der Gewohnheit des Hauses frühstückten die Gäste auf ihren Zimmern. In dem Wohngemache der gräflichen Hausherrin war das neue Ehepaar mit den Eltern und dem Grafen Gerhard, dem jüngsten Bruder der Braut, beisammen; der ältere Bruder und Majoratserbe befand sich bei einer Gesandtschaft außer Landes. Man wünschte, sich der scheidenden Tochter noch einmal in Ruhe zu erfreuen.

Der Graf sah es mit Vergnügen, wie zärtlich sein Schwiegersohn der jungen Frau begegnete, wie er vor Entzücken aufflammte, wenn sein Auge sich auf die schöne Gattin richtete. Die eigene Erinnerung wurde ihm dabei lebendig, er war dadurch mit der Gräfin auch liebevoll und zärtlich, und er verargte es derselben ganz entschieden, daß ihre Blicke so ängstlich und so fragend auf die Tochter geheftet blieben. Er verargte es der Tochter, daß sie so schweigend da saß, daß sie die liebevolle Zuvorkommenheit ihres Mannes nicht wärmer aufnahm, sie nicht ein einziges Mal erwiderte.

Sie ist nicht wie ihre Mutter! dachte der Graf, und in seinem Innern sagte er ihr jene völlige Herrschaft über den Baron voraus, welche kalte Frauen über warmherzige Männer stets gewinnen. Aber er hatte Angelika nicht für so kalt gehalten, er hatte erwartet, sie am ersten Tage ihrer Ehe eben so heiter und zärtlich zu finden, als der Baron sich bezeigte.

Je näher der Augenblick der Trennung kam, je weniger verbarg sich die Schwermuth der beiden Frauen. Keine von ihnen sprach sich über ihre Empfindungen aus; indeß die Mutter hatte von jeher so klar in dem Herzen der Tochter gelesen, daß sie wußte, der trübe Ernst in dem Auge derselben, die festgeschlossenen Lippen müßten noch etwas Anderes zu verbergen haben, als den Schmerz des Scheidens von dem Vaterhause, den einzugestehen Kindespflicht und Dankbarkeit ihr fast geboten. Angelika aber bedurfte des Wortes von dem Munde ihrer Mutter nicht, um sich von ihr verstanden zu fühlen. Was geschehen sei, vermochte die Gräfin nicht zu enträthseln; nur das stand für sie fest, ihre Tochter sah anders aus, wenn Glück und Zuversicht aus ihren Mienen lächelten.

Endlich schlug die zur Abreise angesetzte Stunde. Mitten aus dem Kreise der nächsten Familie und der männlichen Gäste, welche der Tochter des Hauses bis hinab auf die Rampe das Geleite gaben, hob der Baron seine Frau in den Wagen. Noch ein letzter Blick von dem Auge der Mutter, noch ein Zuruf von Vater und Bruder, noch Grüße und Grüße von der alten, treuen Dienerschaft, noch ein Peitschenknall durch die frische Luft, ein kräftiger Ansatz der vier feurigen Rosse, und das Vaterhaus war verlassen für immer. Die Baronin von Arten hatte fortan auf eigenen Wegen zu gehen, Angelika hatte sich eine Heimath in dem Hause und in dem Herzen ihres Mannes zu errichten.

Aber still und traurig, wie sie den ganzen Morgen hindurch gewesen war, saß sie in dem Reisewagen an der Seite ihres Gatten, und all seine Zärtlichkeit, all seine Betheuerungen, daß er für sie leben, daß er sein Glück darin suchen wolle, sie glücklich zu machen, waren nicht im Stande, die Schwermuth von ihrer Stirne zu bannen oder den Zug des Schmerzes von ihrem Munde zu vertilgen. Es war umsonst, daß der Baron sich damit tröstete, die Trauer einer Tochter bei dem Abschiede von den Eltern sei natürlich; umsonst, daß er sich sagte, diese starke Liebe für die Eltern verspreche ihm Gutes. Es beschlich ihn eine Unruhe, es bemeisterte sich seiner eine Ungeduld, die ihn allmählig verstimmten; und als am Nachmittage die Sonne sank und der Abend sein bleiches Grau über die weiten, kahlen Flächen des Landes auszubreiten begann, war das Herz ihm beklommen, und sein niedergedrückter Geist hatte Mühe, sich von den Erinnerungen fern zu halten, denen er seit der Unterredung mit dem Caplan entfliehen zu können gehofft hatte.

Eine geraume Zeit war vergangen, in welcher weder der Baron noch Angelika ein Wort gesprochen hatten, als diese ganz plötzlich mit anscheinender Ruhe die Frage that: Heißt Jemand Pauline unter den Frauen, die Du kennst?

Den Baron traf es wie ein Stich durch’s Herz, das Räthsel begann sich ihm in erschreckender Weise zu lösen. Pauline? wiederholte er, den Schauer niederkämpfend, der ihn beim Aussprechen dieses Namens überfiel, wie kommst Du zu der Frage, Geliebteste?

Angelika war unsicher, ob sie antworten solle, endlich sagte sie: Weil Du mich mehrmals so genannt hast.

Es war ein Glück, daß die Laternen des Wagens noch nicht angezündet waren und daß Angelika die Blässe und den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen konnte, als er sich bemühte, sie an einen Irrthum, an ein Mißhören von ihrer Seite glauben zu machen. Aber obschon sie schwieg, war er gewiß, sie nicht überzeugt zu haben, und in die Nothwendigkeit versetzt, ähnlichen Möglichkeiten vorzubeugen, sagte er: Es kann wohl sein, daß ich den Namen ausgesprochen habe, denn eine Frau, die ihn trug, ist mir einst werth gewesen, und es ist leicht möglich, daß in Deiner lieben Nähe die Erinnerung an sie mich unwillkürlich überschlich. Aber Du hast von dieser Erinnerung nichts mehr zu fürchten, fügte er mit einem schweren Seufzer hinzu, und Du, meine Angelika, bist zu vernünftig, bist zu klug, als daß Du hättest hoffen können, die Gedächtnißtafeln eines Mannes so rein und unbeschrieben zu finden, als die Deinen es zu meiner Freude sind, Du süßes Weib!

Die Baronin sah ihn an, der Schein der Laternen, die man inzwischen mit Licht versehen hatte, zeigte ihr seine Mienen ruhig und gefaßt. Und wer ist diese Pauline? wo lebt sie? fragte sie, um Beruhigung bittend.

Sie lebt nicht mehr! antwortete der Baron, und wieder überflog der Schauer des Entsetzens seine Glieder. Sie lebt nicht mehr! laß Dir das genügen. Meine Zukunft ist Dein, Dein ausschließlich, das gelobe ich Dir! so wahr ein Gott über uns waltet. Die Vergangenheit, die nicht Dein war, ist nicht mehr, und es ruht allein in Deiner lieben Hand, sie mich völlig vergessen zu machen.

Er sprach das mit großer Aufrichtigkeit, mit fester Zuversicht; indeß er sah, daß er Angelika nicht befriedigt hatte, und es war ihm ein ungewohntes und peinliches Gefühl, sich für alle Zeiten gebunden zu denken, sich eingestehen zu müssen, daß in der That das Glück und der Friede seiner kommenden Jahre von dem Willen und den Eigenschaften einer jungen Frau abhingen, von welcher man bis dahin kaum die Wahl der eigenen Kleidung und sicherlich keine ihrer eigenen Handlungen abhängig gemacht hatte. Ohne daß er es verrieth, drückte ihn der erste Ring der Fessel, mit welcher er sich gebunden hatte. Es wäre ihm sehr erwünscht gewesen, jetzt ein freundliches Wort von der Baronin zu vernehmen, und daneben verdroß ihn die Bemerkung, daß er eben auf ein gutes Wort zu warten sich genöthigt fand. Angelika jedoch blieb in sich gekehrt in ihrer Ecke sitzen, und weil sie dabei so gar traurig aussah, nahm er sie in seine Arme, schloß sie an sein Herz und fragte sie, ob sie ihm denn nicht glaube, nicht vertraue?

Ja! versetzte sie, o ja! ich glaube Dir, aber –

Aber? wiederholte er besorgt.

Sie wollte sprechen und fand den Ausdruck nicht, bis sie, in Thränen ausbrechend und in Scham erglühend, mit einer ihr fremden Hast die Worte hervorstieß: Sie stehen zwischen mir und Dir, diese unglückseligen Erinnerungen, und ich kann und kann es nicht vergessen, wenn Du mich in Deine Arme, an Dein Herz nimmst, daß schon Andere an Deiner Brust geruht, an welcher ich meines Lebens heilige Zufluchtsstätte zu finden hoffte!

Sie schien sich in diesem Augenblicke wirklich so unglücklich zu fühlen, daß sie dem Baron Mitleid einflößte. Er bedauerte sie, er bedauerte auch sich selbst und dachte mit aufrichtiger Reue an seine Vergangenheit zurück; aber vor Allem machte der Vorgang ihn doch verdrießlich. Die reine Seele seiner Frau und ihre Wahrhaftigkeit waren ihm achtungswerth und erfreulich, nur mußten sie ihn nicht belästigen; und wie er es auch vorhatte, ein gewissenhafter Ehemann zu werden, so war ihm die Aussicht, daß Angelika zur Eifersucht geneigt sein könne, vollends unbehaglich.

Er hatte Ruhe, Frieden, Erheiterung, Zerstreuung nöthig, hatte sie von dieser Reise mit seiner jungen Frau erwartet, und sollte nun als Angeschuldigter da sitzen, sollte sich rechtfertigen, Trost sprechen und Vernunft predigen! Das dünkte ihn bald widerwärtig und bald lächerlich. Er fühlte sich in einzelnen Augenblicken zu dem Wunsche, den er sich selbst als einen lästerlichen bezeichnete, veranlaßt, daß er eine weniger sittenstrenge Gattin besitzen möge, vorausgesetzt, daß sie nur leichtlebiger und fröhlicher sei; denn als der Baron sich zu verheirathen beschloß, hoffte er, nicht nur zufrieden gestellt zu werden, sondern auch zufrieden zu stellen; und er hatte nach seiner Meinung ein Recht, dies als eine nothwendige Ausgleichung für seine aufgegebene Ungebundenheit und Freiheit zu begehren.

Er schwankte, ob er sich gegen Angelika erzürnt zeigen oder ob er sie besänftigen solle, aber die ernsten und guten Vorsätze, welche er für seine Ehe gefaßt hatte, trugen den Sieg davon. Er machte seiner Frau einige von jenen allgemeinen unbestimmten Bekenntnissen über seine Vergangenheit, welche Nichts verriethen und doch hinreichten, einer liebevollen und sittenreinen jungen Frau Gelegenheit zum Beklagen des Schuldigen, zum Verzeihen gegen den Bereuenden zu bieten; und als das unerfahrene, liebende Herz der Baronin den geliebten Mann nur beklagen und ihm verzeihen und eine zärtliche Versöhnung mit ihm genießen konnte, war es für den Augenblick gar leicht beschwichtigt und über seine Zweifel fortgetragen.