Dreizehntes Capitel. - Entschlüsse, welche man unter dem Einflusse einer augenblicklichen Gefühlserregung faßt, sind bei den meisten Menschen wie ein Rausch, ...

Dreizehntes Capitel. Entschlüsse, welche man unter dem Einflusse einer augenblicklichen Gefühlserregung faßt, sind bei den meisten Menschen wie ein Rausch, dem eine abspannende Ernüchterung folgt, und nachdem man am andern Morgen die Zimmer ausgewählt und eingerichtet hatte, welche die Herzogin mit ihrem Bruder bewohnen solle, begann sich in dem Baron wie in Angelika, ohne daß sie es einander eingestanden, eine gewisse Besorgniß in Bezug auf die am verwichenen Abende mit so froher Zuversicht erwarteten Hausgenossen zu regen.

Der Baron, welcher die Herzogin seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte, dachte unwillkürlich an die Veränderung, die durch einen solchen Zeitraum in ihrem wie in seinem Aeußern hervorgebracht sein mußte, und ihm bangte vor dem Spiegel, welchen ihr Altwerden ihm entgegen halten konnte. Er erinnerte sich mit Vergnügen an den heitern Ton leichter Galanterie, in welchem er mit ihr zu verkehren pflegte, aber er mußte sich sagen, daß Angelika für denselben kein Verständniß besitze, daß ihr derselbe mißfallen habe, wo immer sie ihm begegnet war. Er hingegen dachte noch gern an jenes Federballspiel des Geistes und des Witzes, in welchem die französische Gesellschaft Meister gewesen war; er fand noch jetzt Vergnügen daran, und es fiel ihm plötzlich auf, daß er einen Theil seiner Fähigkeiten zu brauchen aufgehört, daß er an jener Liebenswürdigkeit, die man sonst an ihm bewundert, Abbruch gelitten habe, seit er sich der Führung des Caplans und der ernsten Richtung seiner jungen Frau überlassen hatte. Er ward dadurch verstimmt, denn er mochte sich nicht eingestehen, daß er die große Welt und ihre erheiternde Gesellschaft vermisse, und während er sich selbst in seiner jetzigen Gestalt wie ein Fremder erschien, that es ihm weh, sich auch die Herzogin als eine gebrochene und gewandelte Frau denken zu müssen.


Von dem Marquis hatte er nun vollends keine Vorstellung. Er war vor fünfzehn Jahren ein hübscher junger Mensch gewesen, mit aller Keckheit und Frühreife eines Provençalen, ein wenig prahlerisch, ziemlich unbesonnen und sehr verliebt; und obschon der Baron trotz seiner Hinwendung zur Kirche in seinen Urtheilen nachsichtig genug gegen diejenigen zu sein pflegte, welche auf dem von ihm neuerdings verlassenen Wege gingen, so war ihm doch die Aussicht, einen jüngeren Mann von leichten Sitten, dem mancherlei Vorzüge nicht fehlen konnten, zum Hausgenossen zu bekommen, nicht eben erwünscht. Freilich zweifelte er durchaus nicht an der Tugend seiner Gattin, aber an der weiblichen Natur und Kraft im Allgemeinen. Weil er oft genug den Widerstand weiblicher Strenge besiegt hatte, machten seine eigenen Erfolge ihn vor den Erfolgen Anderer bange, und er litt jetzt unter dem Gedanken an früheres Glück, unter dem allgemeinen Mißgeschick der Lebemänner.

Nicht minder bedenklich als ihr Gatte fühlte sich Angelika. Sie war zur Eifersucht geneigt, war sich dessen bewußt, und der Blick, der sich ihr in die Vergangenheit ihres Mannes eröffnet, war nicht danach angethan, ihr dieselbe werth zu machen. Sie hatte sich in die Anschauungen eingelebt, daß Gott sie mit ihrem Gatten zusammengeführt habe, damit er sich mit ihr vereint zu einem reinen und heiligen Leben erhebe und in einer makellosen und würdigen Zukunft seine Jugendsünden und die Fehltritte seines Mannesalters sühne. Sie hatte sich der Hoffnung hingegeben, daß er selbst jetzt mit Widerstreben in seine Vergangenheit zurückblicke, daß er abgeschlossen habe mit den Tagen, welche vor ihrer Ehe mit ihm lagen, und sie fand nun plötzlich, daß dem nicht so sei, sondern daß er sich ihrer und aller ihrer kleinen Einzelheiten mit einer Wärme erinnerte, welche eine noch ungebrochene Jugendlichkeit und Schnellkraft der Empfindung voraussetzen ließen.

Das beunruhigte Angelika. Sie fing an, es sich zum Vorwurfe zu machen, daß sie so schnell und so ohne weitere Ueberlegung in die Aufnahme der fremden Frau gewilligt hatte. Es fiel ihr ein, wie natürlich es gewesen wäre, der Herzogin das Haus in der Residenz wenigstens für die Dauer des Winters zum Aufenthalte anzubieten. Dann hätte man sie später zu einem Besuche in Richten auffordern, hätte sich gegenseitig kennen lernen mögen; und wenn es sich auf solche Art erwiesen, daß man zu einander passe, so wäre es ja dann noch immer an der Zeit gewesen, sie zu einem verlängerten Aufenthalte einzuladen, den man ihr jetzt in gewissem Sinne wie eine Wohlthat zugestand. Indeß Angelika verschwieg dem Freiherrn ihre Bedenken. Auch er hielt zurück, was sich Zweifelndes in ihm regte, und nur an den Caplan wendete sich die Baronin, um von ihm zu erfahren, was er von der Herzogin dachte und wußte.

Alles, was er von ihr berichten konnte, stammte aber aus der Zeit, in welcher der Caplan noch Reisebegleiter des jungen Freiherrn gewesen war. Er rühmte an der Herzogin ihre sichere Haltung bei völliger Freiheit des Betragens, ihre zuvorkommende Rücksichtnahme auf Andere bei einer entschiedenen Neigung zur Selbstbestimmung und bei einer gewissen Herrschsucht, welche mit ihrer Fröhlichkeit in Widerspruch zu stehen geschienen hätten. Er erzählte mit Wohlgefallen, wie einnehmend sie gewesen sei und wie sehr sie es verstanden habe, ihre Gäste an sich zu fesseln, obschon sie ihnen volle Freiheit gegönnt. Das klang Alles äußerst bestechend, machte aber der Baronin doch kein sonderliches Vergnügen, und auch der Caplan schien nicht grade erfreut über die Aussicht auf den bevorstehenden Besuch.

Er kannte noch besser als sie selbst den leicht beweglichen Sinn des Freiherrn und die Ansprüche, welche Angelika an die Gesinnungstreue der Menschen machte. Er dachte des schweren Zerwürfnisses, welches zwischen den Eheleuten Statt gefunden und das kaum noch Zeit gehabt hatte, auszuheilen; und obgleich er sich sagte, daß es sein Bedenkliches habe, wenn zwei sehr ungleiche Charaktere lange ausschließlich auf einander angewiesen blieben, und daß die Gegenwart zwischen ihnen stehender Personen oftmals einen Zusammenstoß verhindere, der sonst nicht wohl ausbleiben könne, so war es ihm, wenn er an das freiherrliche Ehepaar gedachte, doch zweifelhaft, ob eben die Herzogin dazu geeignet und wie weit ihr Bruder dazu gemacht sein würde, diese wohlthätige Wirkung auszuüben.

Indeß auch er behielt seine Besorgniß vorsichtig für sich und da sowohl der Freiherr als Angelika hülfreichen Herzens waren, so schämten beide sich innerlich der halben Abgeneigtheit gegen die erwarteten Gäste, Ja, sie zeigten sich eben deßhalb doppelt bemüht, es an keiner Vorsorge und Rücksicht für sie fehlen zu lassen, und für ihren Empfang und Aufenthalt Alles in einer Weise vorzubereiten, welche den eigenen Wohlstand und Rang, den Geschmack der Hausfrau, die dankbare Erinnerung des Barons und zugleich die Verehrung und den Antheil ausdrücken sollte, welche man für die unglücklichen und sich selbst getreuen Standesgenossen hegte. Man war alltäglich mit der Vorsorge für sie beschäftigt. Der Baron und Angelika wußten immer noch irgend eine kleine Bequemlichkeit, eine Zierath in die Gemächer zu schaffen, die man schon jetzt als die Zimmer der Herzogin bezeichnete, bis man sich an dem Tage, an welchem die Fremden zu erwarten standen, sagen durfte, daß man jetzt das Mögliche mit bestem Willen für sie gethan habe.

Die ganze Woche hindurch hatte es sehr scharf gefroren, am Morgen war nach langer Zeit wieder einmal Schnee gefallen, und gegen den Abend hatte ein scharfer Nordwind, der eisig über die Felder und durch die Wälder hinsauste, die Wolken verjagt, so daß die Sterne an dem Himmel flimmerten und man trotz der Dunkelheit es aus den Fenstern sehen konnte, wie die weiße Fläche sich weithin ausbreitete und die mächtige Linden-Allee, welche zum Schlosse führte, ihre gewaltigen beschneiten Aeste zum Himmel erhob.

Draußen wurde der Wind immer heftiger. Bald zog er in langsamem Stöhnen über die Gegend hin, bald rang sich aus dem Stöhnen ein plötzlicher Sturmstoß hervor, unter dessen Wucht die Aeste der Bäume knarrten, die Wetterfahnen auf dem Schlosse sich kreischend auf ihren Stangen herumdrehten, und die Krähen, welche sich zur Nachtruhe darauf niedergelassen hatten, erschreckt aufflogen und krächzend eine neue Ruhestätte suchten. Einmal schlug eine Thüre zu, die man in dem Seitenflügel des Schlosses, in dem sich die Wirthschaftsräume befanden, offen gelassen hatte; dann hörte man, wie mühsam bei dem Froste das Rad am Ziehbrunnen sich bewegte und wie der Ruß in den Kaminen und Schloten leise klingend herniederrieselte.

Es mochte sieben Uhr sein. Um diese Zeit konnte die Herzogin eintreffen, und schon seit einer halben Stunde hatte man am Anfange der Allee die Pechtonnen angezündet, deren Feuer dem Gaste ein erstes Willkommen in die Ferne zurufen und die Nähe der befreundeten Wohnung anzeigen sollten. Unten in der Halle und auf den Treppen und Gängen war Alles festlich erleuchtet. Die Dienerschaft hatte ihre Galalivreen angelegt, Windlichter standen bereit, um bei dem ersten Peitschenknalle des Kutschers der Herzogin entgegengebracht zu werden, und oben in ihrem Wohnzimmer ging die Baronin auf und nieder, hier in müßiger Unruhe ein Buch zurecht legend, dort ein Bild grade richtend, bis sie sich ermüdet an dem Kamine niederließ, von dem sie sich bald wieder erhob, um an das Fenster zu treten und in die dunkle Nacht hinauszuschauen.

Der Baron hingegen saß ruhig lesend an dem Tische, der mitten in dem Zimmer stand. Nur von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf Angelika, wenn sie eben an ihm vorüberkam, und sah nach der Uhr hinüber, die in großem, vielschnörkligem Gehäuse auf dem Simse des Kamines stand, hell von den Kerzen der schweren Armleuchter beschienen.

Das verdroß Angelika, denn die Aufgeregte fühlte sich durch die Ruhe ihres Mannes getadelt, und als sie wieder eine Weile am Fenster gestanden hatte, wendete sie sich um und sagte: Ich fürchte, wir jagen der Herzogin einen Schreck mit unserm Freudenfeuer ein. Der Sturm erstickt es wieder und wieder, und der Qualm allein wird ihr entgegenkommen. Ich gäbe viel darum, wenn sie einen freundlicheren Abend für ihre Ankunft getroffen hätte.

Ja! versetzte der Freiherr, das Wetter ist sehr rauh! und nach der Fensterseite blickend, fügte er hinzu: Die Feuer scheinen aber doch eben jetzt erträglich zu brennen! Dann wendete er sich gelassen zu seinem Buche.

Indeß Angelika mochte des Schweigens müde sein, denn sie bemerkte: fremd, wie der Norden der Herzogin sei, müsse dieselbe doppelt widerwärtig von der Kälte berührt werden. Der Freiherr entgegnete, daß auch in der Provence heftige Winterstürme wütheten, und daß die Herzogin doch bereits zwei deutsche Winter durchlebt habe. Und wieder herrschte eine Weile das frühere Schweigen, und wieder ging Angelika auf und nieder, bis sie nicht ohne einen Anflug von übler Laune die Frage aufwarf: ob der Freiherr sich etwa vorgenommen habe, das Buch, mit welchem er sich beschäftige, noch vor der Ankunft ihres Gastes zu beenden.

Nein, o nein! antwortete der Freiherr, indem er sich erhob und das Buch zusammenlegte; ich liebe es nur nicht, mich unnöthig in den Zustand eines Wartenden zu versetzen.

Als ob man das in seiner Gewalt hätte! wendete Angelika ein.

Ich wüßte wirklich nicht, meinte der Baron, was so völlig von uns selber abhängt, nichts, was uns so schmählich um die Zeit betrügt, als jenes Warten, das mit seiner Ungeduld das Herankommen eines bevorstehenden Ereignisses beschleunigen möchte. Man verwandelt auf diese Art einen Zustand, in welchem wir uns nothwendig leidend verhalten müssen, in einen gewisser Maßen thätigen, und man wird durch diese fruchtlose Anstrengung, die sich von Minute zu Minute steigert, so gequält, daß man dem erwarteten Ereigniß oder der erwarteten Person, eben um deßhalb meist überreizt oder abgespannt, also jedenfalls nicht in wünschenswerther Verfassung entgegentritt.

Kann es denn Jemanden verletzen, fragte Angelika, ungeduldig und lebhaft erwartet worden zu sein?

Gewiß, meine Beste! denn es ist nicht angenehm, zu erfahren, wie man seinen Wirthen ein Unbehagen verursacht habe, und noch weniger angenehm, es gleich zum Willkommen betheuern zu müssen, daß man die Schuld der verzögerten Ankunft nicht trage. In allen Lebensverhältnissen sind ein gemächliches Gehenlassen und eine gewisse anspruchslose Gleichgültigkeit vortreffliche Unterlagen für ein behagliches Zusammenleben.

Soll das eine Anmahnung für mich sein? fragte die Baronin.

Ja! entgegnete er, eine Anmahnung für Dich, an die Du mich erinnern sollst, wenn Du sie mir nöthig findest; denn in rechter Weise Gastfreundschaft zu üben, ist eine schwere Kunst, ist eine Selbstprüfung, der nur wenige Familien gewachsen sind. Und ich würde angestanden haben ....

Angelika blickte betroffen zu ihm empor, aber es blieb ihnen keine weitere Zeit für diese Erörterungen.

Das sind sie! rief der Baron, als fern im Dorfe ein Hund anschlug.

In demselben Augenblicke meldete ein Diener, daß die Herrschaften kämen, man könne bereits das Licht in den Wagenlaternen blinken sehen.

Angelika trat an das Fenster, es war im Hofe plötzlich lebendig geworden. Das Bellen der Hunde, das Zurückschlagen der großen eisernen Gitterthüren, die Stimme des Haushofmeisters ließen sich vernehmen. Im unteren Corridore öffnete man hier und dort ein Zimmer; der Kammerdiener des Barons hatte ihm den Hut und den pelzverbrämten Sammetrock herbeigeholt und stand wartend an der Thüre.

Angelika und ihr Gatte sahen zum Fenster hinaus. Er hatte den Arm um ihren Leib geschlungen, ihre Hand ruhte auf seiner Schulter und sie sprachen beide nicht. Endlich hörte man das Knallen der Peitschen; der Vorreiter, den man den Gästen des Schneefalles wegen bis zur nächsten Station entgegengesandt hatte, ritt in den Hof, und der Baron trat in das Zimmer zurück, um seinen Pelz anzulegen und der Herzogin entgegen zu gehen.

Da faßte Angelika schnell seine Hand. Franz, sagte sie, mich überfällt plötzlich eine kindische Angst!

Vor der Herzogin? fragte der Baron lächelnd und wollte dem Diener folgen, der sich eben entfernt hatte.

O, lache nicht! rief sie, so wie jetzt, ist mir in meinem Leben nicht gewesen, und könnte ich mit den schwersten Opfern es verhindern, daß die Fremden mit uns leben, ich wollte diese Opfer bringen! – Die Thränen kamen ihr dabei in die Augen und ihre Aufregung war unverkennbar.

Der Freiherr war erschrocken, aber es war keine Zeit zu verlieren.

Ich beschwöre Dich, Kind, verbanne diese Gedanken! bat er dringend. Komm, gieb mir die Hand; sind wir doch Eins, waren wir doch Eins in der Ueberzeugung, daß wir der befreundeten fürstlichen Frau hier eine Zufluchtsstätte bereiten müßten – woher also diese Aufregung? Woher dieses thörichte, thörichte Bangen, Du liebes, zaghaftes Weib?

Er nahm sie in seine Arme, er küßte sie, und er liebte Angelika, weil sie ihn oft schwach gesehen hatte, stets am meisten, wenn sie sich hülfsbedürftig an ihn lehnte. Weine nicht, sei schön und heiter, bat er, als er dann eilig von ihr ging. Aber die Heiterkeit wollte ihr nicht kommen, und bangen Herzens schaute sie in den Hof hinunter, in welchen eben jetzt die Kutsche einfuhr.

Wenn jetzt ein Stern herniederschießt, sagte sie, plötzlich in die Höhe blickend, so soll mir das ein Zeichen sein, daß ich guten Muthes sein darf und daß es Freunde sind, die mir nahen!

Sie schaute empor, zur Rechten, zur Linken – es blieb Alles dunkel. Das bedrückte ihr das Herz, und eben wollte sie sich vom Fenster entfernen, um die Herzogin zu empfangen, da wandte sie den Kopf noch einmal zurück, und hell und strahlend schoß ein Lichtstreifen vom Zenith quer zum Horizont hinab. Gottlob! rief Angelika, und mit hellem Auge und freudiger Bewegung eilte sie auf die Herzogin zu, welche eben jetzt am Arme des Barons in das Zimmer eintrat.