Zwölftes Capitel. - Am Morgen des Hochzeitstages schien die Herbstsonne hell über das Thal und über Schloß Richten. Es waren viele Gäste im Hause. ..

Zwölftes Capitel. Am Morgen des Hochzeitstages schien die Herbstsonne hell über das Thal und über Schloß Richten. Es waren viele Gäste im Hause. Der Fürstbischof war gekommen, von seinen Vicaren begleitet, und auch die beiden Agnaten des Freiherrn waren gekommen, der Feier beizuwohnen. Es waren zwei alte, unvermählte Herren. Das Geschlecht stand in diesem Augenblicke nur auf sechs Augen, die Geburt eines Erben wurde sehr ersehnt.

Angelika war die Heldin des Festes. Liebe, Verehrung, Freundschaft und Theilnahme umgaben sie, wohin sie blickte. Ganz früh in der Stille ihres Gemaches hatte sie eine lange Unterredung mit dem Caplan gehabt. Er hatte ihr, nachdem sie ihm gedankt für die Belehrung und die Stütze, die er ihr gewährt, für die tragende Freundschaft, die er ihrem Manne bewiesen, einen peinlichen Auftrag auszurichten. Er sollte ihr die Absichten ihres Gatten in Bezug auf Paul, den Sohn Paulinen’s, mittheilen und ihr die Erfüllung der Wünsche des Barons an das Herz legen. Der Freiherr wünschte den Knaben unter seinen Augen im Schlosse erziehen, ihn ebenfalls zum Katholicismus übertreten zu lassen, und ihn der Kirche zu weihen.


Bereitwillig, wie sich Angelika seither den Bedürfnissen und Verlangnissen ihres Mannes gezeigt hatte, lehnte sie doch diesen Vorschlag gleich und sehr entschieden ab. Es dürfe, sagte sie, im Hause ihres Gatten nicht ein Zeugniß seines Fehltrittes, ein Zeugniß seiner Schuld erhalten bleiben, das in seinen rechtmäßigen Kindern die unbedingte Verehrung für den Vater beeinträchtigen könne. Sie bat den Caplan, ihren Mann dahin zu bestimmen, daß für des Knaben Zukunft gewissenhaft gesorgt und seine Erziehung einem bewährten Manne übergeben werde; aber sie wies jede Gemeinschaft mit dem Kinde ein für alle Mal von sich ab, und der Caplan, der ohnehin ihrer Ansicht gewesen war, versprach ihr, die Zustimmung des Freiherrn für ihre Wünsche zu gewinnen, noch ehe man zu der heiligen Handlung schreiten werde.

Die Capelle des Schlosses war auf das reichste mit Blumen geschmückt. Die Decken, welche die verstorbene Mutter und die Schwester des Freiherrn mit eigener Hand gearbeitet hatten, zierten den Altar. Trotz des hellen Tages brannten die Kerzen auf den silbernen Leuchtern, als um zehn Uhr der Bischof, gefolgt von seinen beiden Vicaren, in die Capelle eintrat. Gleich darauf führte der Freiherr seine Gattin herein. Sie war weiß gekleidet und trug einen Strauß von weißen Rosen vor der Brust. Amanda’s Rosenkranz und Crucifix hingen an ihrem Arme. Sie hatte das Gebetbuch, das ihr zu ihrer Erweckung geholfen hatte, in der Hand.

In tiefer Andacht verrichtete sie ihr Gebet. der Caplan, als Hausgeistlicher, las die Messe, der Fürstbischof selbst fungirte bei den Ceremonien in Bezug auf die Neubekehrte, welche, ernst und bleich, das schönste Bild einer jungfräulichen Mutter, die geweihte Kerze aus der Hand des Bischofs empfing. Sie erhielt die Firmung, das Chrisma, die weiße Stirnbinde, welche das heilige Tauföl vor der entweihenden Berührung der Hände bewahrt, wurde ihr umgelegt, der Caplan dankte in einer Rede, welche für den Freiherrn und seine Frau noch eine besondere, nur ihnen verständliche Bedeutung hatte, dem Herrn des Himmels und der Erde für die Gnade, welche dem freiherrlichen Hause durch die Bekehrung der Freifrau widerfahren sei, und Angelika’s Lippen bebten nur leise, als sie sich mit einem Eide von ihren bisherigen Glaubensgenossen für immer schied.

Aufgelöst in begeisterter Erhebung, empfing sie gemeinsam mit dem Freiherrn die Absolution und das Abendmahl, und als sie sich so weit gesammelt hatten, um Herr über ihre Haltung zu werden, begab man sich nach Rothenfeld, um den Grundstein zu dem Gotteshause zu legen und einzuweihen.

Alles war schon am Tage vorher dafür vorbereitet worden. Die Maurer hatten ihr Werk gethan, der Platz war vom Schloßgärtner mit jungen Bäumen abgesteckt, mit Blumen verziert. Aber die Gutsleute und die Bauern hielten sich fern. Sie sahen, wie der Zug in den vier Wagen durch das Dorf fuhr. Neugierig standen einige Frauen und die herzu gelaufenen Kinder, und starrten das bischöfliche Kreuz und den Bischof in seinem Ornate und die Vicare und den Caplan und den Meßner und die Chorknaben an, welche hier auf offener Straße die silbernen Weihrauchfässer schwangen und die lateinischen Gesänge und Gebete ertönen ließen. Es war Niemandem in den Dörfern wohl dabei zu Muthe.

Der Freiherr und seine Frau und der Caplan kamen den Leuten in der fremden Umgebung auch wie Fremde vor, und dem Freiherrn selber gefielen an dem Tage die Blicke nicht, mit denen man an ihm vorüberging. Aber er hatte nicht viel Zeit, daran zu denken; die Anerkennung, welche die geistlichen Herrschaften ihm zollten, die sichtliche religiöse Befriedigung Angelika’s und die innere Genugthuung, welche er bei diesem Acte der Selbstherrlichkeit empfand, nahmen ihn völlig dahin.

Man speiste nach der Grundsteinlegung in dem großen Saale des Schlosses, der nur bei besonderen Festen geöffnet wurde. Noch während der Tafel mußte die Baronin sich erheben. Sie befand sich übel, ihre Stunde war gekommen, ihr höchster Wunsch erfüllte sich früher, als sie geglaubt hatte.

An demselben Tage, an welchem sie in die Gemeinschaft der katholischen Kirche aufgenommen ward, an dem sie sich im Glauben ihrem Manne neu verbunden hatte und der Grundstein zu der Kirche gelegt worden war, gebar sie ihm den Sohn, den er ersehnt hatte.

Jetzt ist der letzte Schmerz von mir genommen! rief der Baron am Lager seiner Gattin niederknieend; jetzt sehe ich, daß mir verziehen ist! Ich bin neu geboren durch Dich und Deine Liebe, ich bin erlöst durch Dich! Dieses Kind ist mir das Pfand dafür – und Renatus Salvator soll er uns heißen!

Noch ehe der Bischof Schloß Richten verließ, ward an dem Neugebornen das Sacrament der heiligen Taufe vollzogen, und mit stolzer Freude blickte der Freiherr auf den Sohn, auf den Erben seiner Güter und seines Namens nieder.

Was konnte ihm neben diesem Kinde, neben dem jungen Freiherrn von Arten-Richten, neben dem Erstgebornen seiner Angelika jetzt noch der Knabe sein, der fern von ihm mit fremdem Namen aufwuchs und an dessen Mutter er nicht mehr zu denken hoffte?

Das Kind, welches hinter den goldenen Fenstern des stolzen Schlosses spielen, das hier seine Heimath und seine Zukunft haben sollte, schlummerte in seiner Wiege, wohl gebettet, wohl versorgt. Der Knabe Paul hatte seinen eigenen Weg zu suchen in der Welt, die nirgends eine Heimathstätte, nirgends ein Vaterhaus für ihn umschloß.

Die Bekehrung und der Uebertritt der Baronin von Arten bildeten, nachdem man dieselben erfahren hatte, eine Weile den Gegenstand der Unterhaltung in den Kreisen, welchen die Familien von Berka und von Arten angehörten; aber die Zeit war zu bewegt, die Menschen waren zu mächtig von den großen Ereignissen, welche sich jenseit des Rheines immer deutlicher und entschiedener entwickelten, erschüttert und hingenommen, als daß die Vorgänge in einer einzelnen Familie, wie angesehen dieselbe auch in ihrer Heimath sein mochte, nicht darüber hätten in den Hintergrund treten und bald vergessen werden sollen.

Was man in der nächsten Umgebung, auf den Gütern des Freiherrn davon dachte, wie die Gutsleute die Bekehrung der Baronin und den beabsichtigten Kapellenbau ansahen, darüber erfuhr man im Schlosse nichts Gewisses, und man kümmerte sich auch zuerst nicht viel darum. Allerdings hieß es, daß der protestantische Pfarrer in Neudorf, dessen Patron der Freiherr war, gegen seine vorgesetzte Behörde des beklagenswerthen Ereignisses Erwähnung gethan und die Weisung erhalten habe, nur um so eifriger für das Seelenheil der ihm anvertrauten Gemeinde zu sorgen; aber wenn er sich dessen auch gegen seine benachbarten Amtsbrüder und gegen den Amtmann, der seinen Wohnsitz in Rothenfeld hatte, vielleicht auch gegen den Schulzen berühmte, so fand sich doch Niemand, der sich berufen gehalten hätte, diese Nachricht auf das Schloß zu bringen; und von den Tagen, in welchen Eisenbahnen und pfeilschnelle Telegraphen die Vorgänge aus den entlegensten Gegenden in die Zeitungen und mittelst derselben durch die ganze Welt verbreiten, war man damals noch weit entfernt. Die Zeitungen beschäftigten sich in jenen Tagen fast ausschließlich mit den Angelegenheiten der Potentaten, mit den eigentlichen Staatsactionen. Sie erschienen nur ein Paar Mal in der Woche, wurden von der Post nur ein Mal in der Woche nach der Kreisstadt befördert, aus welcher der reitende Bote des Freiherrn sie nach Richten abholte, und hatte man sie im Schlosse gelesen, so wanderten die kleinen Löschpapierblätter durch die Wohlgeneigtheit des Gutsherrn zu dem Pfarrer und zu dem Amtmann, kamen danach in die Hände des Schullehrers, des Schulzen und des Krügers, um endlich in das Schloß zurückzukehren, wo sie, nach Jahrgängen wohl geordnet, in dem Nebenzimmer des prächtigen Bibliotheksaales unter andern zurückgestellten Drucksachen ihre Ruhestätte fanden. Mochte man also auf den Gütern denken, was man wollte: im Schlosse ging Alles seinen ruhigen und würdigen Gang, seit die Gemüthsverfassung des Barons sich wieder gefestigt, und die Baronin ihr Kindbett überstanden hatte.

Der Winter, welcher im verwichenen Jahre die Eheleute ohne inneren Einklang in dem Hause von Fräulein Esther gefunden hatte, sah sie diesmal in jener Vereinigung und Lebensweise, welche der Baron für sich gehofft hatte, als er die Zusage von Angelika’s Hand erhalten; und die Besitzesfreude, welche sich in ihm und in seiner Frau geregt, als sie in der Erwartung eines Erben von der Residenz auf ihre Güter zurückgekehrt waren, hatte jetzt, da der Knabe trefflich gedieh, erst ihre volle Kraft für beide Eltern gewonnen, eine Kraft, die sie zu rüstigem Schaffen, zum Säen, Bauen und Erhalten antrieb.

Alles, was man bisher geplant und gewünscht hatte, nahm man jetzt in Angriff und wollte man schnell vollenden. Man bedurfte jener Entsagung nicht, mit welcher der Besitzlose sein Tagewerk bewältigt, weil seine Vernunft ihm sagt, daß die Leistung eine für das Allgemeine und darum auch für ihn selber geforderte sei, wennschon er vielleicht nicht dazu berufen ist, ihre Frucht ausgiebig zu genießen. Man befand sich in der glücklichen Lage, mit dem Herzen schaffen, sich und den Seinen da eine Genugthuung, einen Erfolg, eine Glücksvermehrung sichern zu können, wo der weniger Begünstigte eine Pflicht erfüllt; und bei Allem, was man vornahm, erhöhte der Gedanke, daß es Renatus und seinen Kindern einst zu Gute kommen werde, den Eifer und den Aufwand, mit welchem man zu Werke ging.

Vor Allem war es natürlich die Gründung des Gotteshauses, welche der Baronin am Herzen lag, und da man an der Schwelle des Winters den Bau nicht mehr hatte in Angriff nehmen können, so beschäftigte man sich an den langen Abenden nur noch mehr mit den Planen für denselben. Dem Freiherrn erwuchs daraus eine vielseitige Anregung und Beschäftigung. Kunstliebend und prachtliebend wie er war, wollte er nicht nur einen dauerhaften Bau hinstellen, sondern zugleich in dieser Kapelle etwas Ansehnliches und Schönes schaffen, und auch die Baronin wünschte, daß das katholische Gotteshaus, welches man auf den Gütern begründete, schon in seiner äußeren Erscheinung jenen zugleich Ehrfurcht erweckenden und freundlich entgegenkommenden Charakter an sich tragen sollte, welchen sie in dem Geiste des Katholicismus für sich so beglückend kennen gelernt hatte. Man zog Baumeister, Bildhauer und Maler zu Rathe, ließ Zeichnungen und Kupferstiche kommen, änderte bald Dies, bald Jenes an dem ersten Plane, bis über dem vielen Sehen und Vergleichen des Bedeutendsten und Schönsten der erste Entwurf, welcher auf eine hübsche Kapelle, auf ein mäßiges Gotteshaus angelegt gewesen war, mehr und mehr zusammenzuschrumpfen und den Erbauern kleinlich zu dünken begann.

Erst hatte man sich gesagt, daß man, weil man keinen Thurm zu errichten beabsichtigte, die Kapelle mit einer würdigen Fronte ausstatten, daß man ihr eine angemessene Größe geben, sie mit einigen Säulen und einer Statue von außen schmücken müsse, und daß man ihr innen die Zierde eines guten Bildes über dem Altare nicht versagen dürfe. Nach einiger Zeit kam man zu der Ansicht, daß mit diesen Ornamenten auch ein größerer Bau ansehnlich zu verzieren sein würde, und da die Baronin sich an dem Gedanken zu erfreuen schien, so überraschte der Freiherr sie am Weihnachtsabende, an welchem sie die Trennung von ihren Eltern schmerzlicher als sonst empfinden mußte, mit dem Anerbieten, den ersten Bauplan völlig aufzugeben und statt der Anfangs beabsichtigten Kapelle lieber gleich eine Kirche zu errichten, deren Thurm weithin sichtbar und durch Jahrhunderte ein Zeuge für die Bedeutung des Geschlechtes werden sollte, das ihn aufgerichtet hatte. Freilich mußte man sich daran erinnern, daß eine Kirche eine Gemeinde fordere und daß eine solche unter den protestantischen Landleuten nicht vorhanden sei. Aber da man es überhaupt nicht auf ein gemeinnütziges Werk, sondern lediglich und ausschließlich auf eine Selbstbefriedigung abgesehen hatte, so ließ man sich durch den Gedanken an die einsame Kirche nicht abschrecken. Die Baronin sah im Gegentheil eine Hoffnung aus dem Baue empor keimen, der sie sich als Neubekehrte willig überließ, und sie wurde nicht müde, es sich vorzustellen, wie das goldene Kreuz des Thurmes, einst zum Ernste mahnend, über der Gegend leuchten und wie die zur Messe rufenden Glockenklänge dann heimathlich und ladend durch das Land ertönen würden.

Natürlich galt es nun, sich mit dem Architekten in ein neues Einvernehmen zu setzen. Es mußten ein neuer Plan, neue Kostenanschläge gemacht werden, und diese letzteren stiegen nach dem neuen Entwurfe fast um das Sechsfache; aber bei den Mitteln, über welche der Freiherr gebot, brauchte man davor eben nicht zu erschrecken. Wenn man die Summe auf die sechs Jahre vertheilte, welche der Architekt zur Vollendung des Baues gefordert hatte, so war es kaum nöthig, sich irgend welche wesentliche Beschränkungen aufzulegen, und der Freiherr hob dies gegen Angelika ganz besonders hervor, weil er eben in diesem Augenblicke eine Veranlassung zu ausgedehnter Gastfreiheit zu haben glaubte.

Es war zu Ende des Januar, an einem scharfen, kalten Winterabende, als man dem Baron unter den Zeitungen und Postsachen, welche der Bote aus der Stadt abgeholt hatte, einen Brief überbrachte, dessen Handschrift und Wappen er zu kennen schien. Auf der Adresse stand die Weisung, daß der Brief durch einen Expressen nach Schloß Richten zu bestellen sei, und der Baron mußte die Schreiberin des Briefes – denn derselbe stammte offenbar von einer Frauenhand – werth und in Ehren halten, weil es ihn so unmuthig machte, daß man trotz der ausdrücklichen Anweisung zu besonderer Beförderung, derselben nicht Folge geleistet und den Brief mehr als vierundzwanzig Stunden hatte liegen lassen. Er stampfte ärgerlich mit dem Fuße, und noch ehe er das Siegel eröffnete, schellte er seinem Schreiber, gab ihm in kurzen Worten den Befehl, den Postmeister sofort bei seiner Behörde zu belangen, und rief, als der Schreiber sich entfernte, ihm noch ausdrücklich nach, es dem Postmeister anzuzeigen, daß man eine Klage gegen ihn eingereicht habe. Er war es eben nicht gewohnt, auf Unpünktlichkeit und Versäumniß zu stoßen, wo er zu befehlen hatte.

Dann ließ er sich an dem kleinen Marmortische nieder, welcher vor dem Kamine stand, erbrach das Schreiben, und Angelika, welche, mit einer Filetarbeit beschäftigt, an der entgegengesetzten Seite des Tisches saß, bemerkte an den Mienen ihres Gatten, daß der Inhalt des Briefes ihm nahe ging und offenbar seine ganze Theilnahme in Anspruch nahm. Er schüttelte während des Lesens ein paar Mal leise das Haupt, seufzte danach und reichte endlich, nachdem er ihn beendet hatte, den Brief mit dem Ausrufe: Die arme Frau! der Baronin hin.

Von wem sprichst Du? fragte Angelika.

Von der Herzogin, entgegnete der Baron; aber lies nur selbst, denn die ruhige, würdevolle Fassung ihres Briefes wird Dir, ich weiß es, den gleichen Eindruck machen, wie mir.

Der Brief war in französischer Sprache geschrieben.

„Mein theurer Baron!“ hieß es in demselben: „Trotz der langen Zeit, welche seit unseren letzten Spaziergängen in den friedlichen Gärten meines schattigen Vaudricour verflossen ist, haben wir sicherlich beide nicht aufgehört, mit jener Freundschaft und jener Achtung an einander zu denken, welche zu den unschätzbaren Gütern gehören, die kein äußeres Ereigniß uns zu rauben vermag; und Sie werden, wenn Sie sich meiner erinnerten, sicherlich nicht geglaubt haben, daß ich in einem Lande geblieben sein könne, welches in den Grundvesten seiner religiösen, seiner politischen und seiner moralischen Existenz so gewaltig erschüttert, so völlig vernichtet worden ist, wie mein unglückliches Vaterland.

Ich habe Frankreich seit fast zwei Jahren verlassen, habe, weil ich den Ereignissen, welche nicht ermangeln können, sich in Frankreich zu vollziehen, nahe zu bleiben wünschte, zuerst in Coblenz, dann in Hannover und in Dresden gelebt. Aber die Zeit des Wartens, wie kurz oder lang sie sein mag, ist immer traurig und schwer zu tragen, und wennschon ich überzeugt bin, daß von Deutschland her unserem unglücklichen Könige jetzt endlich Hülfe und Befreiung, unserem Vaterlande Erlösung aus den Händen jener Rotte von gottlosen Empörern kommen wird und muß, welche es nicht scheuen, ihre Hand zerstörend an das Heiligste zu legen, so macht das Zögern mit dieser Hülfe mich doch sorgenvoll und oftmals so verzagt, daß ich mich nach der Nähe eines Freundes sehne, dessen Theilnahme mich trösten, dessen gleiche Weltanschauung mich im Hoffen und Ausharren ermuthigen kann.

Graf Veuilletot, der das Vergnügen gehabt hat, Sie im vorigen Jahre zu sehen, sagte mir in Dresden, daß Sie sich in Berlin niedergelassen, daß Sie sich verheirathet und an der Seite Ihrer jungen und edeln Gattin ein seltenes Glück gefunden hätten. Das gab mir zuerst den Gedanken, Sie und Ihre Nähe aufzusuchen und mit Ihrem Rathe nach irgend einem Asyle auszuspähen, in welchem ich mit meinem Bruder – denn der Marquis hat mich natürlich nicht verlassen – die Zeit bis zur Herstellung der Ordnung und Gesetzlichkeit in Frankreich, in einsamer Zurückgezogenheit erwarten kann.

Ich verließ also Dresden, um Sie wieder zu sehen. In Berlin erfuhr ich aber, daß Sie, des Stadtlebens bald müde geworden, Ihren Aufenthalt wieder auf Ihren Gütern genommen hätten, und wie sehr es mich auch schmerzte, Sie nicht in der Residenz zu finden, so freute ich mich doch an dem Gedanken, daß die Baronin trotz ihrer Jugend zu jenen Ausnahmenaturen gehöre, welche das zurückgezogene Leben an der Seite eines verehrten Gatten den Zerstreuungen und dem Geräusche der großen Welt vorzuziehen wissen.

Eine solche Frau wird einer Verwandten, einer alten Freundin ihres Mannes seine Freundschaft, wird einer aus ihrer Heimath Vertriebenen das Weilen in der Stille seines Schlosses nicht mißgönnen. Eine Frau wie die Baronin wird es fühlen, wie man sich nach einem langen Wanderleben auf ein Ausruhen unter einem friedlichen Dache sehnt, und ich frage daher ohne Weiteres bei Ihnen an, mein theurer Freund und Vetter, ob Sie mir und dem Marquis Ihre Gastfreundschaft gewähren wollen, bis wir in Ihrer Nähe in ländlicher Stille eine zeitweilige Heimath für uns gefunden haben werden. – Freilich bin ich nicht mehr die lebensfrohe Margarethe, die Sie einst in Vaudricour gekannt haben! Das Unglück hat mich schnell und früh gealtert, aber ich bringe Ihnen doch ein Herz mit, das noch nicht verlernt hat, sich an fremdem Glücke zu erfreuen.

Alles, wonach ich jetzt verlange, ist Ruhe! Deßhalb sende ich Ihnen meinen Brief durch einen Expressen und erwarte Ihre Antwort sobald als möglich. Haben Sie ein Obdach für mich und meinen Bruder, und ist die Baronin nicht unwillig, die Verwandten ihres Gatten kennen zu lernen, so folgen wir Ihrer Zusage auf dem Fuße, und wie Sorge und Kummer und Jahre mich auch verändert haben mögen, so werden Sie hoffentlich in mir stets wieder erkennen Ihre Freundin und Cousine

Margarethe, Herzogin von Duras,

geborene von Lauzun.“

Angelika faltete den Brief, nachdem sie ihn gelesen hatte, wieder zusammen, steckte ihn in sein Couvert und sagte, indem sie ihn dem Freiherrn hinreichte: Welch ein Schicksal, heimathlos zu werden mit einem der schönsten Namen Frankreichs!

Und heimathlos zu werden, fügte der Freiherr hinzu, wenn man in dem anmuthigsten der Schlösser, unter dem sonnig milden Himmel des südlichen Frankreichs gelebt hat! Ich vermag mir die Herzogin in ihrer jetzigen Lage kaum vorzustellen, so sehr ist ihr Bild in meiner Erinnerung mit der ganzen edelen und schönen Umgebung verschmolzen, in welcher ich sie sonst gesehen habe.

Er öffnete den Brief noch einmal, sah nochmals nach dem Datum desselben und bemerkte darauf: Wer mir es gesagt hätte, daß ich Margarethe von Duras hier in Richten als eine Flüchtige, als eine Heimathlose aufzunehmen haben würde; oder wer es unserm Urgroßvater hätte prophezeien wollen, daß eine Enkelin seiner Erdmuth, deren Verbindung mit den Duras ihn so sehr erfreute, einst nach Deutschland kommen würde, um Schutz zu suchen unter dem Dache ihres mütterlichen Geschlechtes!

Er versank in Schweigen, auch die Baronin war innerlich bewegt. Sie kannte die Herzogin nicht, aber sie hatte von ihr bisweilen sprechen hören, wenn der Baron sich seiner ersten Reisen erinnerte oder wenn gelegentlich von den Familienbeziehungen des Arten’schen Geschlechtes die Rede gewesen war. Sie wußte, daß eine Großtante ihres Mannes einen Herzog von Duras geheirathet, der einst in außerordentlicher Mission an einem der deutschen Höfe gelebt und das schöne Freifräulein in einem deutschen Badeorte kennen gelernt hatte. Ihr Nachkomme, der Herzog Edmund, hatte ein Fräulein von Lauzun geheirathet, war kurz nach seiner Hochzeit gestorben und hatte die Herzogin Margarethe als eine junge und kinderlose Wittwe zurückgelassen, die klug genug gewesen war, die Vorzüge ihrer Stellung zu würdigen und sie vorsichtig zu benutzen.

Als Baron Franz seine erste Reise gemacht hatte und auf dieser nach Frankreich gelangt war, hatte er von seinem Vater die Weisung erhalten, sich dort auch der verschwägerten herzoglichen Familie vorzustellen, und da man von beiden Seiten gern bereit war, eine Verwandtschaft anzuerkennen, von der man keinerlei unbequeme Ansprüche zu befahren hatte, während das verwandtschaftliche Verhältniß mancherlei Erleichterungen für den Verkehr darbot, so hatte die Herzogin sich den jungen deutschen Vetter gern gefallen lassen, ohne zu berechnen, in wie fernem Grade er zu ihr gehörte. Der Baron aber war entzückt gewesen, bei seiner Cousine eine so freundliche Aufnahme zu finden, ohne daran zu denken, daß mit dem Tode des jungen kinderlosen Herzogs der Zusammenhang der Herren von Arten mit den Herzogen von Duras eigentlich völlig erloschen war. Er hatte danach in seiner ersten Jugend einige sehr genußreiche Wochen in dem Schlosse der Herzogin zugebracht, man hatte sich auch später, als er abermals nach Paris gekommen war, in der Hauptstadt und am Hofe wiedergesehen und gelegentlich einen Brief mit einander gewechselt. Aber dieser Verkehr war allmählich seltener geworden und hatte endlich völlig aufgehört, obschon der Freiherr sich stets mit Vergnügen und mit Antheil der Herzogin erinnerte. Er liebte es, zu erzählen, wie sie fast immer Vaudricour bewohnt habe, wie selten sie nach Paris gekommen sei, obschon ihr, einer Duras-Lauzun, die beste Aufnahme und eine einflußreiche Stellung sicher gewesen wären, und wie sie es verstanden habe, ihr Schloß zu dem Sammelplatze alles dessen zu machen, was damals in Frankreich auf Jugend und Geist, auf Rang und Bildung Anspruch erheben dürfen.

Auch jetzt wieder war es eine Erinnerung an die Vergangenheit, welcher der Freiherr zuerst Worte gab. Die Herzogin war neunzehn Jahre, sagte er, als ich sie zum ersten Male sah, und schon damals geizte man nach dem Ruhme, ein Gast der Herrin von Vaudricour zu sein. Ich weiß ....

War die Herzogin schön? unterbrach ihn die Baronin.

Nein! entgegnete der Freiherr, aber sie war mehr als das, sie hatte in ihrer ganzen Erscheinung den Adel ihrer Geburt und die sichere Anmuth, welche dieser ihr verlieh. Sie war eine Fürstin im vollsten Sinne des Wortes.

Und Du bist Willens, sie zu uns einzuladen? fragte Angelika.

Der Freiherr schien durch diese Frage überrascht. Es fiel ihm etwas auf im Tone seiner Frau, aber er wollte das nicht beachten, und erwiderte nur: Hast Du für möglich gehalten, es nicht zu thun?

Nein! versetzte Angelika. Ihr Schicksal würde ihr einen bestimmten Anspruch an unsere Gastlichkeit geben, auch wenn sie keine Verwandte unseres Hauses wäre; aber die Schilderung, welche Du mir stets von ihr und ihrem Vaudricour gemacht hast, beunruhigt mich, mein theurer Franz! Ich fürchte, Deine Verwandte wird erwarten, was sie hier nicht finden kann, und wie warm und bereitwillig wir sie auch willkommen heißen, wir werden ihr den leichten Frohsinn ihres Volkes und den schönen Himmel ihrer Heimath nicht ersetzen können.

Der Freiherr lächelte. Deine Jugend macht Dich den Verlauf der Zeit vergessen, sagte er. Die Herzogin ist nicht mehr die junge Chatelaine von Vaudricour, und die Zeit war ernsthaft genug, auch ihre Heiterkeit in Ernst zu verwandeln. Ich höre in jedem Worte ihres Briefes den Ton einer tiefen Traurigkeit, und wer sollte diese in ihrer Lage nicht empfinden? Laß uns darauf denken, Beste, wie wir ihr beweisen, daß wir sie schätzen und ihr Unglück ehren! Ich möchte, sie würde es recht gewahr, daß sie hier in ihrer Familie von Freunden und Gesinnungsgenossen empfangen wird, und ich werde Dir es danken, wenn Du ihr hier bei uns vergiltst, was sie mir einst in ihrer Heimath gewährt hat! fügte er abschließend hinzu.

Angelika versprach, ihr Bestes mit Freuden zu thun. Ein Aufruf an ihre Großmuth war immer sicher, eine gute Statt bei ihr zu finden, und man kam daher überein, daß der Freiherr, um die Versäumniß des Posthalters möglichst auszugleichen, noch an diesem Abende einen Boten mit dem Antwortschreiben nach der Poststation senden solle, damit der Brief dann so schnell als möglich seine Weiterbeförderung finde. Der Freiherr, welcher in allen Dingen sich großer Pünktlichkeit befleißigte, rechnete es genau aus, wann die Herzogin auf diese Weise seine Antwort erhalten könne. Er gestand ihr die schickliche Zeit zum Aufbruch zu, er gab ihr auf das Genaueste den Weg, die Stationen, die Orte an, welche sie zu passiren hatte und an welchen sie übernachten sollte, er schrieb an die Gasthofsbesitzer, bei denen er abzusteigen gewohnt war, um für seine Cousine, die Frau Herzogin von Duras, das Quartier im Voraus zu bestellen, meldete ihr, daß sie für die letzte Tagereise an den geeigneten Orten Relaispferde aus seinen Stallungen finden werde, und schließlich bat er sie mit einnehmender Wendung, sie möge sich von dem Augenblicke ab, in welchem sie die Residenz verlasse, als seinen Gast und überhaupt als ein Familienmitglied ansehen, so lange sie ihm die Ehre erzeige, unter seinem Dache zu verweilen.

Mit einer Empfindung, die aus Rührung und Selbstzufriedenheit gemischt war, durchflog er den Brief und las ihn dann Angelika vor, die auf seinen Wunsch noch einige Worte herzlicher Einladung dazu schrieb und sich im Voraus der Freundschaft ihres künftigen Gastes empfahl.

Beide, der Freiherr sowohl als Angelika, empfanden, indem sie einer Flüchtigen ihr Haus anboten, das Glück, welches sie in ihren wohlbegründeten und unangetasteten Verhältnissen besaßen. In das Mitleid, welches die gegenwärtige Lage der erwarteten Gäste ihnen einflößte, mischte sich unmerklich eine gewisse Eitelkeit, der es erwünscht war, eine Herzogin zur Verwandten zu haben und diese Verwandte beschützen zu können, und der zornige Widerwille gegen diejenigen, welche in Frankreich die Herrschaft des Königs gebrochen und einen Theil des Adels dahin gebracht hatten, seinen Besitzungen und seinem Vaterlande den Rücken zu kehren, war von dem Freiherrn und von Angelika niemals mit so viel persönlicher Bitterkeit empfunden worden, als jetzt. Je mehr man aber mit der Welt unzufrieden war, um so besser war man mit sich selbst zufrieden, und in diesem Wohlgefühle war man sehr geneigt, sich von der Anwesenheit der Gäste die mannigfachsten Genugthuungen zu versprechen.