Vierzehntes Capitel. - Mitternacht war vorüber, als Angelika selbst die Herzogin nach ihren Gemächern geleitete und von dieser mit einer Umarmung entlassen wurde...

Vierzehntes Capitel. Mitternacht war vorüber, als Angelika selbst die Herzogin nach ihren Gemächern geleitete und von dieser mit einer Umarmung entlassen wurde.

Nun, Angelika, fragte der Freiherr, als seine Gattin zu ihm zurückkehrte, wie gefällt Dir unser Gast?


Wie kann von Gefallen die Rede sein, rief die Baronin mit einer ihr ungewöhnlichen Lebhaftigkeit aus, wo man sich wie von einem Zauber umfangen fühlt? Ich hatte mir die Herzogin nach Deinen und des Caplans Schilderungen nicht schön gedacht, und schön ist sie auch nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Menge mit dem Worte verbindet; aber ich meine, wenn man einmal in diese sanften, blauen Augen geblickt hat, so kann man nicht mehr aufhören, sich nach ihnen hinzuwenden; sie sind so klug und dabei so mild, daß es mir leid that, wenn sie die Lider senkte und der dunkle Vorhang ihrer Wimpern mir die hellen, freundlichen Sterne entzog.

Der Freiherr lächelte. Du wirst dichterisch begeistert, meinte er, und ich habe Dich in der That noch nie für Jemanden so schnell und so entschieden günstig eingenommen gesehen. Uebrigens hat die Herzogin sich wirklich gut erhalten. Das ist ein Vorzug dieser feinen, kleinen Gestalten und der hellen Blondinen. Ihr Haar ist noch schön, selbst unter dem Puder, und der Contrast desselben mit den schwarzen Wimpern, der ihre Physiognomie reizend machte, als sie jung war, wirkt noch anziehend.

Und wie kleidet sie sich, wie spricht sie! rief Angelika mit der früheren Erregung. Es ist Alles Harmonie an ihr! Das schöne, weiche Haar, welches an ihrer Stirne herabfällt, und das weiche, graue Schleppkleid und ihr leises, sanftes Sprechen, Alles stimmt zusammen. Dieser Frau muß sich das Herz der Menschen öffnen, wie dem Frühlingslichte; diese Frau werde ich lieben, das fühle ich.

Der Freiherr hörte das mit Verwunderung. Er selbst war bewegt worden durch das Wiedersehen Margarethen’s. Ihre edle Bildung, ihre einfache Würde hatten ihm jetzt in ihrem Unglücke einen erhöhten Eindruck gemacht, aber er war weltgewohnter, hatte in sich doch immer den Vergleich zwischen der jetzigen und der früheren Erscheinung seiner Freundin zu machen, und da er überhaupt in seinen Urtheilen zurückhaltend war, wenn nicht eine leidenschaftliche Erregung seinen Sinn bewegte, so machte die außerordentliche Bewunderung, welche Angelika für die ihr noch fremde Frau an den Tag legte, eine entgegengesetzte Wirkung auf ihn. Er hätte nicht sagen können, weßhalb ihm die Begeisterung Angelika’s mißfiel, aber er glaubte sie bekämpfen oder ihr doch wenigstens Schranken setzen zu müssen, und während er die Baronin bisher stets für die Herzogin zu gewinnen und einzunehmen gesucht hatte, erinnerte er sie jetzt daran, daß es nicht weise sei, in ein neues Verhältniß mit hochgespannten Erwartungen einzutreten, weil man damit nicht nur sich selbst Enttäuschungen vorbereite, sondern auch demjenigen Unrecht thue, von dem man Außerordentliches erwarte, ohne zu wissen, in wie weit er gewillt und fähig sei, ein solches zu leisten.

Diese Mahnung betrübte die Baronin. Du weißt, sagte sie mit einem Anfluge von Empfindlichkeit, wie gern ich bereit bin, mich Deiner mir überlegenen Erfahrung unterzuordnen; aber mich dünkt, bisweilen wäre es großmüthiger von Dir, mich den Irrthümern meines Alters zu überlassen. Es ist ein solches Glück, eine recht volle, große Bewunderung zu fühlen, und daß die Herzogin mir Gutes bringt, dafür habe ich ein Zeichen.

Der Freiherr wollte wissen, worin dieses Zeichen bestehe; Angelika verweigerte neckend, es zu sagen, da sie bemerkt hatte, daß ihre nicht absichtslose Erwähnung des Altersunterschiedes zwischen ihr und ihrem Manne diesem nicht angenehm gewesen war, und als er dann, ebenfalls scherzend, mit Bitten in sie drang, legte sie die Arme über einander, blickte ihm in die Augen und sagte: O, frage mich nicht!

Sie hatte dabei Bewegung und Ton der Herzogin nachgeahmt, und das stand ihr vortrefflich, denn Frauen von ernstem Sinne, die immer nur in der Wahrheit leben, immer nur sie selbst sind, bekommen leicht etwas Strenges in ihrer Physiognomie und Haltung, und das war Angelika’s Fall. Sie verschmähte den Schein in jedem Betrachte, und doch ist der schöne Schein die eigentliche Form, in welcher der Mensch sein Wesen kund zu geben hat, wenn es nachhaltig wohlthuend und in jedem Augenblicke erfreulich auf Andere wirken soll. Auch das Höchste und Erhabenste kann der schönen, der durch Bildung und Achtsamkeit zur Natur gewordenen Form nicht entbehren, und es entzückte den Freiherrn, als er plötzlich gewahr wurde, daß Angelika, bestochen von der Anmuth der Herzogin, sich selber nicht mehr genügte, daß sie in neuer Weise ihm zu gefallen bemüht war, weil sie selbst ein lebhaftes Wohlgefallen empfunden hatte.

Er sagte ihr verbindlich, daß die kleine Coquetterie sie reizend mache, sie versicherte, daß er das Vergnügen, sie reizend zu finden, der Herzogin verdanke, und von Wort zu Wort, von Scherz zu Scherz fortgetragen, fanden die Eheleute sich in eine Art der Unterhaltung und in eine geistreiche Heiterkeit versetzt, wie sie nie zuvor zwischen ihnen Statt gefunden hatte. Als Braut war Angelika zu schüchtern dafür gewesen, und nach ihrer Verheirathung zu kummervoll. Dann hatte die Richtung auf das Religiöse sie gefangen genommen, und obschon der Baron sich in diese Richtung hineinziehen lassen, ja, zu Zeiten selbst Trost und Beruhigung aus ihr geschöpft hatte, so waren doch die alte Gewohnheit und Neigung des Welt- und Lebemannes nicht in ihm erloschen, und der Gedanke, daß Angelika zu ernst, zu streng, zu unjugendlich sei, war in ihm häufig aufgestiegen.

Er kam sich selbst verjüngt vor, und er schien auch Angelika jünger und liebenswürdiger, als sonst, da er sich in dem ihm natürlichen Tone freier Heiterkeit bewegen durfte, so daß er ihr aussprach, wie ihr Frohsinn ihn nicht nur um seinetwillen, sondern auch um ihres Knaben wegen freue.

Ich habe wirklich oftmals besorgt, sagte er, Deine ausschließliche Hinwendung auf das Ernste und Erhabene könne unserem armen Renatus, wenn er uns heranwächst, sein junges Leben trüben; und wenn ich mir vorstellte, daß mein Sohn, daß ein Arten ohne Freiheit, ohne Heiterkeit, ohne ein wenig Uebermuth und Tollheit, ohne die es nun einmal bei Unsereinem nichts werden kann, erzogen werden sollte, so habe ich wohl bisweilen den sündhaften Wunsch gehegt, Du möchtest unbedeutender und harmloser sein, und daran gedacht, den Caplan zu entfernen, wie hart mir das auch angekommen wäre. Denn ....

Denn Renatus geht Dir über Alles, schaltete Angelika ein, welche in der Stimmung war, selbst solche Aeußerungen ihres Mannes, da sie mit lachender Lippe und zärtlichem Auge gesprochen wurden, unbefangen aufzunehmen.

Ja, wiederholte der Baron, Renatus geht mir über Alles. Ist er nicht der Träger unseres Hauses und Dein Sohn?

Sie waren damit in das Nebengemach gegangen, in welchem das Kind in seiner Wiege schlief, und als die Wärterin die Gardine zurückschlug, damit die Eltern, wie sie es an jedem Abende thaten, den Kleinen noch einmal betrachten konnten, neigte sich die Mutter zu ihm hernieder, küßte sein Händchen, das auf der seidenen Decke lag, und sagte: Also Dir und Deinem Vater, Du lieber Engel, ist die gute Herzogin auch zu Hülfe gekommen! Nun, dafür wollen wir sie aber auch von Herzen lieben!

Sie hatte auch das wieder mit jenem ihr neuen Tone scherzender Coquetterie gesprochen, und sie gefiel sich darin selber. Noch ehe sie sich in das Schlafgemach zurückzog, gab sie ihrer Kammerfrau die Weisung, ihr für den Morgenanzug verschiedene Zierathen und Bänder zu beliebiger Auswahl bereit zu legen. Auch das war eine Neuerung. Die Huldigung und die Bewunderung, welche die Männer in der Residenz und am Hofe ihr gezollt, hatten sie völlig kalt gelassen, die bloße Erscheinung der Herzogin regte sie auf; denn sie gehörte zu jenen Frauen, die weniger durch die Neigung für den Mann als durch die Nebenbuhlerschaft mit ihrem eigenen Geschlechte in Bewegung gesetzt und geleitet werden, weil sie nicht einem Andern, sondern sich selbst genügen wollen, und die nicht lieben können ohne rückblickenden Vergleich auf sich, ja, die oft, ohne es zu wissen, sogar auf die Bewunderung eifersüchtig sind, welche sie einer Andern zollen.

Ueber dem Antheile, den man an der Herzogin nahm, hatte man ihres Bruders beinahe vergessen, obschon sich in dem Marquis das Bestreben, zu gefallen und die Aufmerksamkeit und Theilnahme der Andern auf sich zu ziehen, unverkennbar kund gab. Gelang ihm dies, so war er lebhaft und voll guter Laune, beschäftigte man sich nicht mit ihm, so versank er in eine Zerstreutheit, in eine Gleichgültigkeit, die es klar verriethen, daß er wohl die Rücksicht auf Andere, aber nie die eigene Befriedigung aus den Augen setzen könne.

Er war dreißig Jahre alt und sah noch jünger aus. Seine mittelgroße Gestalt war leicht und fein, sein Schritt vorsichtig wie der eines Hofmannes, und auf eine Laufbahn am Hofe hatte er es ursprünglich auch wohl abgesehen. Er sah ein wenig bleich, ein wenig ermüdet aus, aber er trug den Degen, den kleinen Haarbeutel und den seidenen Strumpf mit so viel Zierlichkeit, er scherzte und bewegte sich so heiter, daß man Mühe hatte, an seine Kränklichkeit zu glauben, von welcher die Herzogin stets sprach, oder ihre Sorgfalt für ihn so nothwendig zu glauben, als sie dieselbe darzustellen liebte.

Seine Befriedigung und sein augenblickliches Behagen waren ihm unverkennbar das Wichtigste auf der Welt. Selbst der politische Zustand seines Vaterlandes schien ihm bisher nicht viel Kummer gemacht zu haben. Er hatte, als der jüngste von mehreren Brüdern, kein Vermögen; die Herzogin hatte für ihn gesorgt, und er überließ ihr diese Sorge auch jetzt und für die Zukunft. Freilich war es eine selbstsüchtige Liebe, welche sie für den Bruder hegte, denn sie wünschte sich in ihm einen Gesellschafter zu erhalten, der ihr angehörte und ihr doch völlige Freiheit ließ; aber sie mußte es wenigstens verstanden haben, ihm die Bande leicht und die Abhängigkeit lieb zu machen, in denen sie ihn gefesselt hielt.

Er war ausgewandert, weil die Herzogin es so gewollt hatte, und diese war umsichtig genug gewesen, die Auswanderung rechtzeitig vorzubereiten. Bald nach dem Ausbruche der Revolution hatte sie bedeutende Capitalien flüssig gemacht und in sicheren Händen außer Landes niedergelegt. Weil man aber nach der Flucht aus Frankreich auf eine schnelle Rückkehr in die Heimath gerechnet, so hatte die Herzogin Anfangs auch in Deutschland das ihr gewohnte breite und fürstliche Leben fortgeführt, und der Augenblick war denn, da man an die Heimkehr nicht denken konnte, schnell genug gekommen, in welchem es sich absehen ließ, wann sie mit ihrem Bruder sich mittellos, wie so viele ihrer französischen Standesgenossen, aller Noth der Verbannung und Entbehrung anheimgegeben finden würde.

Da hatte sie zum ersten Male eine große Verzagtheit überfallen, und in ihren eigenen Verhältnissen und Verbindungen umherschauend, hatten ihre Gedanken sich auf den Freiherrn von Arten gerichtet. Daß sie bei diesem Manne sich keiner abschlägigen Antwort versehen durfte, wenn sie im Namen ihrer Stammesverwandtschaft seine Gastlichkeit und seinen Beistand in Anspruch nahm, davon hielt sie sich überzeugt, und ihre Erwartung hatte sie nicht getäuscht, ja, sie hatte dieselbe bei ihrem Empfange noch weit hinaus übertroffen gefunden. Nur in Einem Betrachte hatte die Herzogin sich geirrt: sie hatte die Bedeutung der Baronin unterschätzt und, nachdem sie dieselbe mit scharfem Blicke schnell erkannt, sich nicht der Hingebung versehen, welche Angelika ihr seit der Stunde ihrer Ankunft entgegenbrachte.

Die Baronin hatte den guten Geschmack, ihren Gästen nicht gleich in den ersten Tagen die Bekanntschaft der benachbarten Adelsfamilien, mit denen man, seit der Baron verheirathet war, ohnehin nur geringen Verkehr unterhalten hatte, anzubieten, oder besondere Zerstreuungen und Unterhaltungen für sie vorzubereiten. Denn wem man das Gute, das man besitzt, alles auf einmal und gleich bei seiner Ankunft darbringt, dem giebt man damit unwillkürlich zu verstehen, daß man ein langes Verweilen nicht von ihm erwarte; wem man aber die Zeit läßt, sich erst heimisch in dem Hause zu machen, dessen Gast er sein soll, wen man vor allen Dingen erst sich zu einem Hausgenossen einleben läßt, dem gewährt man die Möglichkeit, sich allmählich anzueignen, was ihm von dem Nächstliegenden wünschenswerth ist, und sich selbst nach demjenigen umzuschauen, was ihn von fern her lockend oder angenehm bedünkt.

Das Leben im Schlosse gewann nun auf diese Weise plötzlich einen neuen Mittelpunkt und das Alltägliche in demselben eine veränderte Bedeutung, weil man es mit dem Hinblicke auf die Gäste ansah und bedachte, und weil durch das Zusammensein einer größeren Menschenzahl dem schöpferischen Walten des Zufalls mehr Raum geboten wurde, als bisher. Der Freiherr und seine Gattin und der Caplan kannten einander so genau, Jeder wußte mit nie irrender Zuversicht, was er im gegebenen Falle von dem Anderen zu erwarten hatte. Was man besaß, hatte man genossen, und da man sich außerdem in der Lage befand, der Sorgen für des Lebens Nothdurft enthoben zu sein, so hatte man in der letzten Zeit im Schlosse, wenn nicht von Außen sich Anregungen boten, in einem Zustande der Ruhe gelebt, dessen Vorzüge man zwar zu würdigen wußte, der aber in seiner Einförmigkeit doch auch seine Gefahren barg.

Bei Personen von Bildung, wie die Schloßherrschaft und ihre Gäste, bei Menschen, die sich selbst zu achten verstanden, konnte es natürlich nicht leicht und nicht schnell zu jenen Mittheilungen über die eigenen Angelegenheiten kommen, welche bei Leuten, denen der Sinn für das Allgemeine abgeht, den eigentlichen Boden des gegenseitigen Antheilnehmens ausmachen. Aber da man die gleichen Ansichten über den Kampf hatte, der in Frankreich von dem Bürgerstande gegen den Adel und das von diesem getragene und ihn schützende Königthum ausgefochten wurde, da von dem Siege des Letzteren die Erhaltung der eigenen Vorrechte abhing, während durch seinen Sturz die eigene bisherige Existenz in Frage gestellt ward, so besaß man in diesen gemeinsamen Sorgen und Befürchtungen die erste sichere Annäherung und Verständigung, wenngleich der Freiherr und seine Gattin noch keinen Anlaß gefunden hatten, an eine ihnen und ihrem Vaterlande drohende Gefahr zu glauben.