Bismarck über Heine und andere Episoden

„Die große Masse,“ äußerte sich Rottenburg ein andermal, „hat eine einseitige Vorstellung vom Fürsten. Sie sehen in ihm nur den Mann von Eisen. Ebensosehr war er aber auch ein Mann von feinster und universellster Bildung, wie ich sie niemals bei einem anderen Menschen in gleich hohem Grade angetroffen habe.

Und wie vorurteilslos konnte der Fürst sein!


In der Zeit, als der Streit um das Heine Denkmal in Deutschland tobte, wendete sich Kaiserin Elisabeth von Österreich an den Fürsten mit der Bitte, seinen Einfluss geltend zu machen, dass das Denkmal in Heines Vaterstadt Düsseldorf errichtet würde. Die Majorität des Düsseldorfer Stadtrats, aus klerikalen Zentrumsleuten bestehend, hatte ihr Votum gegen das Denkmal abgegeben. Ein Mitglied dieser Mehrheit übersandte dem Fürsten Bismarck eine anonym verfasste Denkschrift, in welcher der Protest gegen das Heine-Denkmal des langen und breiten motiviert war. Der Fürst bat Rottenburg, das Memorandum durchzulesen, und dieser trug ihm die wesentlichsten Punkte desselben vor.

Man klagte den Dichter an, dass er von Hohenzollerns Aar gesagt, es möchten ihm die Nägel beschnitten werden, da er so viel zusammengerafft hätte.

Da sagte Bismarck: „Hat denn Heine so unrecht gehabt? Können wir leugnen, dass der Rechtstitel Friedrichs des Großen auf Schlesien nicht einwandfrei war?“

Man klagte Heine an, dass er Napoleon I. verherrlichte. „Ich kann es ihm nicht verargen,“ meinte der Fürst. „Ich hätte, wäre ich an seiner Stelle gewesen, kaum anders gehandelt. Hätte es mir, wenn ich, wie Heine, als Jude geboren wäre, gefallen können, dass man um acht Uhr abends die Tore der Judenstadt abgesperrt, überhaupt die Juden unter die schwersten Ausnahmsgesetze gestellt hat? Ein Heine musste naturgemäß in dem Manne, der die französische Gesetzgebung in die Rheinlande brachte, die Ausnahmsgesetze insgesamt aufhob, einen Erlöser von martervollem Drucke preisen.“

Am Schlusse des Vortrags bemerkte der Fürst: „Und vergessen die Herren denn ganz, dass Heine ein Liederdichter ist, neben dem nur noch Goethe genannt werden darf, und dass das Lied gerade eine spezifisch deutsche Dichtungsform ist*)?“

*) Unter dem Titel „Bismarck und Heine“ finde ich diese Episode im Heine Kalender von 1912 (Leipzig im Xenien-Verlag) nach einer Mitteilung des „Literarischen Echos“ erzählt. Die Stelle ist aber ohne Quellenangabe der „Neuen freien Presse“ entnommen, wo ich sie veröffentlicht hatte.

So konnte sich Fürst Bismarck mit vollster Überzeugung auf die Seite der Kaiserin Elisabeth schlagen und für die Errichtung eines Heine-Denkmals eintreten. Das Vorurteil erwies sich freilich stärker, als selbst eine Kaiserin und ein deutscher Reichskanzler. „Heine,“ bemerkte Dr. v. Rottenburg, „hat — traurig genug — noch heute kein Denkmal in Deutschland,*) und das ihm in New York aufgerichtete ist von schnöden Buben nächtlicherweise beschädigt und besudelt worden.“

*) [Der Denkmalstreit um Heine-Denkmäler ist zum Glück lange vorbei. Es gibt inzwischen einige Denkmäler für Heinrich Heine in Deutschland, die Universität seiner Heimatstadt Düsseldorf trägt seit 1988 endlich den Namen Heinrich-Heine-Universität und seit 1994 steht auch vor der Universitätsbibliothek ein Denkmal von Heinrich Heine.]

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Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen. Rottenburg hatte durch sein zehnjähriges beständiges Zusammensein mit dem Fürsten Bismarck in seinen Gewohnheiten etwas von dem gewaltigen Kanzler übernommen.

Eines Tages besuchte ich ihn in seiner Norderneyer Wohnung in der Villa Oterentorp. Der Bonner Kurator wohnte hier der Villa Fresena, dem Wohnsitze des Grafen Bülow, schräg gegenüber, und konnte dem Reichskanzler fast ins Konzept sehen, wie er zehn Jahre lang seinem großen Vorgänger ins Konzept geblickt hatte. Rottenburg saß gerade am Schreibtisch. Er zeichnete mit einer merkwürdigen, mir bis jetzt unbekannt gebliebenen Art von Feder seine ebenso festen wie anmutsvollen Schriftzüge hin. Da stellte er mir seine Feder als eine solche aus Holzzellulose vor und fugte hinzu: „Ich kann so wenig wie Fürst Bismarck mit Stahlfedern schreiben und ziehe diesen noch die großen breitspitzigen Gänsefedern vor. Der Fürst schrieb nie anders als mit einem Gänsekiel. Er begründete dies mir gegenüber mit den Worten: „Solch eine Gans sperrt sofort das Maul weit auf und setzt in ausdrucksvoller Festigkeit den Gedanken in die Schrift um.“

Rottenburg schrieb gerade einen Kondolenzbrief. „Was soll man machen?“ bemerkte er, „man muss immer einige Worte bei solcher Gelegenheit zur Stelle haben.“ Als ich beim Fürsten war, überließ er es mir bisweilen, in seinem Namen Glückwünsche und Beileidsschreiben abzufassen. Einmal galt es, einer hohen Persönlichkeit zu kondolieren. Da sagte der Fürst: „Rottenbürg, schütteln Sie sich ordentlich — vielleicht fällt noch eine Phrase ab.“

Der Fürst war bezaubernd, wenn er scherzte.

Dr. v. Schlözer, der Gesandte bei der Kurie, weilte als Gast in Friedrichsruh, und der Fürst war, nachdem er dem Diplomaten, der am Morgen abreisen sollte, die letzten Aufträge für Rom mitgegeben, im Begriffe, schlafen zu gehen. Da erinnerte er sich, dass Schlözer ihm von dem unwirschen und störrischen Gehaben eines Kardinals erzählt hatte, der sich Preußen gegenüber manche Unfreundlichkeit erlaubte. Der Fürst meinte: „Schlözer, sagen Sie dem Kardinal, dass er ein Flegel ist. Sie sagen es ihm doch in meinem Namen.“

„Gewiss, Durchlaucht,“ erwiderte Schlözer, „ich werde nicht verfehlen, Ihren Auftrag zu erfüllen.“

Der Fürst hatte sich bereits zur Tür gewendet. Dann aber kehrte er nochmals zurück und meinte: „Wie werden Sie es ihm denn in italienischer Spradie sagen?“

Schlözer war etwas verdutzt und wusste nicht zu antworten.

Da bemerkte der Fürst: „Sehen Sie, Sie wollen ihn in meinem Namen einen Flegel nennen und wissen nicht, wie Sie es auf Italienisch anstellen sollen.“ Worauf Schlözer etwas verlegen entgegnete: „Die italienische Sprache besitzt kein Wort für Flegel, und das erklärt sich daraus, dass es in Italien eben keine Repräsentanten des Genus Flegel gibt.“

Einmal geschah es, dass der Fürsts kein Frühaufsteher, schon zeitig morgens im großen Erdgeschossraume in Friedrichsruh, in welchem sonst gespeist wurde, mit Rottenburg zusammen arbeitete. Die Fürstin, die noch nicht gefrühstückt hatte, kam, sich nach dem Fürsten umzusehen, störte ihn so bei der Arbeit und sagte ihm mit Rücksicht auf eine helle Halsbinde, die er zum erstenmal angelegt hatte: „Ottochen, wie gut dir doch die Binde steht. Du siehst wirklich wunderhübsch aus.“

Da meinte der Fürst: „Ja, ja, bisweilen kommt es mir wie eine Ungerechtigkeit Gottes vor, dass er mir nicht nur soviel Verstand, sondern auch eine berückende Schönheit verliehen hat . . . Aber, nun trinke deinen Morgenkaffee und lass dich nicht weiter durch meine Schönheit darin stören.“

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Die Fürstin war stets stark im Glauben. Einmal jedoch schien derselbe sie verlassen zu haben. Es war nach des Fürsten Sturze im Jahre 1890. Rottenburg war zu Besuch in Friedrichsruh und hörte, wie die Fürstin sich leidenschaftlich über diejenigen äußerte, die an dem Sturze des Fürsten gearbeitet oder ihn verlassen hatten, wie die Ratten das sinkende Schiff. Da suchte Rottenburg sie milder zu stimmen, indem er sie daran erinnerte, wie glaubensstark sie sich stets gezeigt hätte; ihr Glaube sollte sie auch jetzt über Undank, Untreue und Wechsel des Schicksals hinweg bringen. Worauf die Fürstin ihm antwortete: „Das können Sie gar nicht verstehen; das kann nur die Frau des misshandelten Mannes begreifen.“

Auch von den Lippen des Fürsten fielen die härtesten Worte.

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Wie schalkhaft wusste Rottenburg zu pointieren, und wie unendlich reizvoll war die Mitteilsamkeit dieses preußischen Würdenträgers, in dessen Geist Staatskunst und Gelehrsamkeit zugleich ihr Nest aufgerichtet zu haben schienen. Wenn man ihn hörte, wusste man in der Tat nicht, was man an ihm mehr bewundern solle: das stupende Wissen und eiserne Gedächtnis oder das Liebenswürdige, in allen Seelen Heiterkeit auslösende, die Lachmuskeln der Zuhörer anregende Erzählertalent.

Stunden lang pflegten wir um ihn herum in Strandkörben oder in bunt gestreiften Zelten oder zu seinen Füßen in dem feinen blanken Sande zu lagern.

Auch über die Leute aus der Umgebung des unsterblichen Kanzlers wusste dessen einstiger Vertrauter allerhand zu berichten.

Eines Tages erschien Fürst Bismarck in heiterer Laune beim Frühstüch und erzählte: „Der alte X. war bei mir. Seine historischen Kenntnisse waren meines Wissens nie ganz einwandfrei. Wenn ich nicht irre, ließ er die Kleopatra über den Rubikon gehen. Mit seiner klassischen Bildung haperte es. Als ich ihn fragte: „Was halten Sie eigentlich von Z.? Ist der Mann integer?“*) antwortete er: „Integer? Durchlaucht! — teger ist er, teger im höchsten Grade.“

*) [moralisch einwandfrei, aufrichtig, rechtschaffen, unbescholten, unbestechlich]

Die ersten Jahre, während deren sich Rottenburg in unmittelbarer Nähe Bismarcks aufhielt, waren ausgefüllt von angestrengtestem Schaffen. Oft wurde bis 1 Uhr nachts gearbeitet. Als aber Dr. Schweninger Leibarzt des Fürsten wurde, bestand er darauf, dass dieser seinen Lebenswandel änderte. Er ordnete an, dass der Fürst zwischen 9 und 10 Uhr zu Bette ginge, und daran hielt sich Bismarck fortan.

Der Fürst war unendlich gründlich und bereitete dadurch seinen Mitarbeitern manche Qual.

Einmal geschah es, dass er im deutschen Reichstage das Wort Cäsars angeführt hatte: „Lieber im Dorfe der erste — ich habe den Namen des Dorfes augenblicklich nicht im Gedächtnis — als der zweite in Rom.“ — Als er am späten Abend beim Durchlesen des stenographischen Protokolls an diese Stelle kam, ließ er Rottenburg rufen und bat ihn, den Namen des Dorfes ausfindig zu machen, auf das Cäsar Bezug genommen hätte.

„Ich will nicht,“ fugte er hinzu, „dass die Leute mich der Unwissenheit zeihen, wenn sie in meiner Rede die nähere Bezeichnung des Dorfes vermissen.“

Rottenburg meinte, das Dorf wäre seines Wissens nicht bekannt und könnte wohl auch nicht bekannt sein, da Cäsar jene Bemerkung hätte fallen lassen, als er auf dem Wege nach Spanien an einem hoch in den Bergen gelegenen, ihm völlig fremden Dorfe vorbeizog. Cäsar werde wohl, auf dies Dorf hinweisend, das berühmte Wort gesprochen haben. Der Kanzler erwiderte, er entfdnne sich aus seiner Schulzeit, dass man dem Dorfe einen Namen gegeben habe. Da Rottenburg sich aus den in der Reichskanzlei vorhandenen Büchern keine Auskunft verschaffen konnte, fuhr er noch in der Nacht zu einem Freunde, der auf dem Gebiete der geflügelten Worte eine Autorität war; aber auch dieser vermochte den Namen nicht anzugeben. Und ebensowenig der Staatssekretär des Reichspostamtes, Herr v. Stephan, der längere Zeit nach dem Dorfe geforscht hatte . . . Einige Jahre später kam Rottenburg Mommsen gegenüber darauf zu sprechen, und dieser bestätigte ihm, dass der Name des fraglichen Dorfes nicht bekannt wäre. So quälte der unermüdliche Fürst sich und andere.

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Oft hatte der Fürst den Wunsch ausgesprochen, es möchte ihm vergönnt sein, sich von den Geschäften zurückzuziehen, bevor er zu alt würde und ohne dass der Staat darunter litte. Bei einer solchen Gelegenheit erzählte er, Graf Andrassy hätte sich niemals glücklicher gefühlt, als an dem Morgen nach seiner Entlassung. In der Nacht hatte der Graf schwer geträumt, er müsste zu dem und jenem Botschafter gehen und hätte den und jenen Botschafter zu empfangen, und wie bei ihm einer dem andern die Türklinke reichte und ihm die Zeit zu wenig fehlen für all die vielen einander drängenden, teilweise recht unangenehmen Geschäfte — es lag wie ein Alp auf ihm, und da erwachte er plötzlich und rieb sich den Schlaf aus den Augen, und in freudiger Erregung sagte er sich: „Du bist ja gar nicht mehr Minister und brauchst nicht mehr den russischen Botschafter so dringend aufzusuchen und den englischen nicht minder dringend zu empfangen. Als ich mich,“ meinte Andrassy, „so frei fühlte, empfand ich ein unglaubliches Wohlbehagen.“

Der Fürst schätzte die Begabung und den natürlichen Verstand des Grafen Andrassy, mit dem er den Bündnisvertrag abgeschlossen hatte.

Auch hegte er Sympathien für Beaconsfield, zu dem er gelegentlich des Berliner Kongresses in freundliche Beziehungen getreten war. Er unterhielt sich mit dem Lord, der des Französischen nicht recht mächtig war, auf Englisch. Der Fürst beherrschte die englische Sprache vollständig, sprach sie aber in den letzten Jahren langsam, weil er nur selten Gelegenheit zu englischer Unterhaltung hatte. Der „Punch“ brachte eine Zeichnung, auf der Bismarck und Disraeli, Arm in Arm in den Kongresssaal schreitend, dargestellt waren, mit der Überschrift: „I say what is the french for compromise?“ — eine Frage, die der englische Staatsmann an Bismarck stellte. In späteren Jahren gedachte der Fürst wiederholentlich Disraelis und fand immer ein anerkennendes Wort für den geistvollen und liebenswürdigen Engländer.

Nicht so günstig urteilte er über Gladstone; wohl schätzte er an ihm manche Seite, wie etwa seine hervorragende Kenntnis der Finanzen, missbilligte aber häufig seine äußere Politik, unter anderem auch sein laxes Vorgehen in Ägypten. Bei der Nachricht von dem Bombardement Alexandriens, die den Fürsten in Varzin traf, rief dieser aus: „Na endlich. Das ist etwas, was längst hätte geschehen sollen.“

Im Reichstage hatte der Kanzler von dem Premierminister als von seinem „englischen Kollegen“ gesprochen. Bei Tische bemerkte nun einer der Gäste: „Durchlaucht, mich hat gewundert, dass Sie Gladstone, dessen Politik, soviel ich weiß, Sie nicht immer gutheißen, mit der vertraulichen Bezeichnung „Kollege“ benannt haben.“ Der Fürst erwiderte lächelnd: „Kollege“ meine ich mit Bezug auf unser beiderseitiges Verhältnis zum Walde: „Ich kultiviere und ziehe die Bäume auf und Gladstone schlägt sie ab.“ (Gladstone liebte es, Bäume zu fällen.) . . .

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Bekannt ist, dass Fürst Bismarck einigemal mit Ferchnand Lassalle zusammengetroffen war und den scharfen Geist und seinen Witz des Sozialistenführers geschätzt hat. Der Fürst soll einmal gesagt haben: „Ich wäre froh gewesen, einige solche Gutsnachbarn zu haben.“

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Eines Tages sprach man in Europa davon, dass Gambetta, der eine Reise durch Deutschland unternommen, irgendwo in Pommern eine Zusammenkunft mit dem damals in Varzin weilenden Bismarck gehabt hätte. Es wurde darüber viel in deutschen Zeitungen sowohl wie in französischen diskutiert.

Fürstin Johanna versuchte dem Fürsten auf den Zahn zu fühlen und meinte: „Es kann doch nicht sein, dass du mit Gambetta zusammengetroffen bist; ich müsste doch deine Abwesenheit gemerkt haben.“

Da erwiderte der Fürst lächelnd: „Johanna, so genau kontrollierst du mich doch nicht, dass du über jeden meiner Schritte Bescheid wüsstest. Ich bin doch in der letzten Zeit stundenlang ausgefahren. Wie kannst du denn wissen, ob ich nicht auf einer solchen Ausfahrt mit Monsieur Gambetta tatsächlich zusammengekommen bin?“

„Die Glaubensfähigkeit der Menschen,“ bemerkte Rottenburg, „ist unbegrenzt. Welche Gefahr wäre Gambetta gelaufen, wenn er eine Zusammenkunft mit dem Fürsten gehabt hätte, und andererseits, welchen Gewinn hätte er denn daraus ziehen können? Wäre die Sache bekannt geworden, so hätten seine Gegner in Frankreich ihn moralisch tot gemacht.“

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So vielen Gerüchten über den Fürsten gab die Tagespresse Raum. Zu ihr hatte er nicht ausschließlich das Verhältnis des Mannes der Tat, dem es nur oblag, zu handeln, um von den einen gelobt, von den anderen getadelt zu werden. Der Fürst schrieb vielmehr selbst für ihm nahestehende Zeitungen oder gab wenigstens die Grundzüge für manche Artikel an, und dabei holte er gern, dank seiner außerordentlichen Kenntnis Shakespeares, Analogien aus dessen Dramen. Einmal hielt die Figur des Richters Schaal her. Oder es war ein Bild Hogarths, an das Bismarck in reizvollster Weise anknüpfte. Er wollte die Opposition eines Gegners der Regierung charakterisieren und tat es in der Art, dass er von jenem prächtigen Bilde Hogarths sprach, auf dem eine Sau mit ihren Ferkeln dargestellt ist, wie sie gierig an den Brüsten der Mutter saugen. Nur eines der Ferkel steht traurig abseits — es ist zu spät gekommen und hat keine Zitze mehr frei gefunden, um seinen Durst daran zu stillen. Eine Anspielung auf Bismarcks Gegner — ich glaube, der Artikel richtete sich gegen Eugen Richter — der grollend abseits stünde, weil er keinen Ministerposten für sich gefunden.

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Rottenburg ist wiederholt mit Bismarck in der Sommerfrische gewesen, und wenn es auf Reisen ging, packte der Geheimrat interessante Lektüre in den Koffer. Er suchte den Fürsten für Darwins Werke zu interessieren. Der Fürst, der eine Vorliebe für Naturwissenschaften hatte, bemerkte auf einem Spaziergange in Kissingen, als die Unterhaltung die Deszendenztheorie betraf: „Ich verstehe nicht, was dabei gottlos sein soll. Ob Darwin recht hat, ist eine andere Frage, aber jedenfalls ist seine Theorie der großartige Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung der Entstehung der Arten.“ Als bei einer andern Gelegenheit erwähnt ward, dass Max Müller die Sprache für die absolute Scheidewand zwischen dem Menschen und dem Tier erklärte, meinte Fürst Bismarck: „Müller war wohl nie Jäger, sonst wüsste er, dass die Tiere sehr wohl Mittel haben, um einander Mitteilungen zu machen, zum Beispiel einander vor einer drohenden Gefahr zu warnen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Bismarck bis Bülow