Finnen

Nur die Finnländer, Liven und Esten haben feste Wohnsitze, wogegen ihre Verzweigungen im hohen Norden Nomaden, Jäger und Fischer sind. Die mehr südlich wohnenden beschäftigen sich auch mit Ackerbau und Viehzucht und leben dann in Dörfern. Als Zweige haben wir zu nennen: Lappen am weißen Meere; Wogulen an beiden Seiten des Ural; Ostjaken am Ob und weiter nach Osten; Tscheremissen, Wotjäken, Tschuwaschen an der Wolga; Mordwinen an der Oka und Wolga; Tipteren, offenbar ein gemischter Stamm, besonders aber aus Finnen und Tataren.

Viele Volksstämme, die vor der Eroberung Sibiriens unabhängig lebten, zogen sich nachmals weiter nach Osten und sind in Folge von Vermischung, inneren Kriegen und Krankheiten untergegangen, z. B. die Schelagi, Aniujily, Omoki etc. Nachdem die Russische Regierung den Einwohnern ein Recht auf ein bestimmtes Gebiet, insoweit solches möglich, gesichert hat, kann man deutlich aus den Angaben über die allgemeine Zunahme der Ureinwohner ersehn, dass wenigstens deren Gesamt-Zahl nicht in der Abnahme fortschreitet.


Was die Bewohner des hohen Nordens überhaupt anlangt, so ergibt sich, dass diejenigen, welche das Nomadenleben aufgaben und sesshaft wurden und so mehr mit Russen in Berührung kamen, ungeachtet deren Einfluss auf Religion, Sitte und Lebensweise , immer doch noch deutliche Spuren des ehemals geführten Lebens darbieten. Ja selbst der Russe wird durch das Klima und sonstige Naturverhältnisse gezwungen, sich in Hinsicht der Wohnung, Kleidung und Ernährung den Stämmen zu nähern, in deren Nähe er lebt. Das Los der sesshaft gewordenen Stämme im hohen Norden ist dadurch nicht günstiger geworden, denn nur der Nomade mit seinen Herden ist im Besitz desjenigen, was das Leben dort sichern und behaglich machen kann.

Im Allgemeinen haben alle Bewohner des hohen Nordens eine kleine Statur mit breiten Schultern, kräftigen Muskeln und kleinen Händen und Füssen. Der Kopf ist unverhältnismäßig groß, das Gesicht breit abgeplattet, die Backen, welche einen großen Teil desselben beanspruchen, drücken den Mundteil so zusammen, dass er mehr eine runde Form annimmt, das Haar ist struppig und schwarz, die Augen tiefliegend, klein und ohne besonderen Ausdruck und Feuer. Das eisigstarre Klima mit dem durch dasselbe bedingten Kampf um die Existenz drückt dem Menschen seinen Typus auf. Auch die geistige Entwicklung und der Charakter des Polarmenschen gleicht der Natur. Der Blutkreislauf ist langsamer, das Herz schlägt ruhiger, die Gefühlswelt in halber Erstarrung, nur das körperliche Gemeingefühl, ohne Aufschwung zum geistigen , ist tätig. Daraus ist auch eine eigentümliche Reizbarkeit der Nerven abzuleiten, die fast bei allen im hohen Norden wohnenden Stämmen gefunden wird, besonders aber bei den Ostjaken, Lappen, Samojeden, Kamtschadalen, Aleuten etc. Selbst den Koloschen und Creolen der Russisch-Amerikanischen Kolonien ist sie eigen, jedoch bei den ersteren weit seltener als bei den letzteren.

Was die Volksmedizin anlangt, so ist sie bei allen im hohen Norden wohnenden Stämmen fast ein und dieselbe; den wesentlichen Teil bildet der Schamanismus mit seinen Beschwörungen. Anders verhält sich dieses bei den nach dem Süden zu wohnenden Tataren und Mongolen Nomaden, wo wir bei weitem größere Kultur vorfinden.

Die Nomaden mit ihren Herden und durch diese versehen mit den nötigen Subsistenzmitteln, sind weit seltener Krankheiten unterworfen, als die von ihnen sesshaft gewordenen. Von den letzteren leiden vorzüglich die Ärmeren, da sie teils aus lokalen Verhältnissen, teils auch in Folge von Indolenz mit Entbehrung und Mangel zu kämpfen haben. Die vorzüglichsten Krankheiten sind: catarrhalische rheumatische Fieber, bedingt durch Klima und Witterung; gastrische und nervöse Fieber, durch übermäßigen Genuss von Nahrungsmitteln, durch Mangel, oder Gebrauch von verdorbenen Nahrungsmitteln neben klimatischen Einflüssen hervorgerufen. Ferner entzündliche Zustände der Respirationsorgane, Rheumatismus , chronische und akute Hautausschläge, Scorbut, Scropheln, Syphilis, vorzüglich durch sekundäre und tertiäre Formen verderblich. Sucht auch der Einzelne die Hilfe des wirklichen Arztes, immer wenden sich die meisten zu den Schamanen.

Wir wollen hier einige allgemeine Bemerkungen über den
                        Schamanismus
vorzüglich Nord- und Hochasiens *) anreihen. Übrigens trägt er überall ein und dasselbe Hauptgepräge mit wenigen Modifikationen. Der Schamanismus unterscheidet sich von jedem andern Religionskultus wesentlich dadurch, dass er nur sehr wenige wirkliche Traditionen und keine eigentlichen Dogmen hat. Es fehlt folglich den Schamanen der innere Verband durch Mittheilung und Unterweisung nach festgestellten Prinzipien, daher sie auch nicht als eine Kaste anzusehen sind **). Das Treiben und der Glaube der einzelnen Schamane erhält seine Impulse nur aus der eignen inneren Anschauung, nach der Eigentümlichkeit des Individuums und nach den äußeren Verhältnissen und den daraus hervorgehenden Eindrücken. Die äußeren Verhältnisse und der geistige Gesichtskreis, in diesen Gegenden fast überall gleich, müssen daher auch bei den verschiedenen Individuen eine große Gleichförmigkeit in Bezug auf ihre gegenseitige Einwirkung äußeren.

*) Obgleich die mongolischen Volkszweige dem Lamaismus angehören, die Kirgisen Muhamedaner und die Tataren im Jeniseikschen Gouvernement griechische Christen sind, so dauert doch der Glaube an den Schamanismus unter ihnen fort.
**) Im Russischen Amerika erbt die Schamanenwürde vom Vater auf den Sohn, oder vom Großvater auf den Enkel, allein nicht jeder kann Schaman werden, denn nicht in allen lebt die dazu erforderliche bewegliche Phantasie.


Ein jedes fühlt zwar für sich, aber die Spiegelbilder der Phantasie und der daraus aufwachsende Glaube müssen doch so ein und dieselbe Hauptfärbung tragen und bei aller Freiheit keine wesentlichen Widersprüche darbieten. Man kann nicht ableugnen, dass unter den Schamanen die Mehrzahl bewussten Betrug übt, allein es kommen unter ihnen doch auch solche vor, die ausgestattet mit einem reizbaren Nervensystem, beweglich-glühender Phantasie, unter dem Wunderglauben am Schamanismus aufgewachsen, fortgerissen und beherrscht von ihren übernatürlichen Visionen, sich mit voller reiner Hingebung in das Mystische versenken und ihren wahren Beruf im Schamanismus gefunden zu haben wähnen. Solche, müssen als Ausnahmen von der Mehrzahl gelten. In ihrer Phantasie, angeregt durch die Naturumgebung, werden sie von selbst zur Erforschung des Übernatürlichen hingedrängt. Einsamkeit, Fasten und narkotische Mittel unterstützen die an- und aufgeregte Phantasie, bis diese sich eine Geisterwelt mit solchen Bildern vorspiegelt, wie sie die eigene Erinnerung fest gehalten hat, und diese beherrschen dann seine Überzeugung so, dass sie für ihn zur Wahrheit werden.

Die Weihe zum Schaman bringt keine vermehrten Kenntnisse; seine innere Anschauungswelt bleibt dieselbe. Nur der äußere Mensch erleidet eine Zeremonie. Sein Denken, Fühlen und Handeln ist immer nur das Resultat der eignen inneren geistigen Anschauung. Unter den Schamanen gibt es Männer und Frauen *). Im gewöhnlichen Leben gemessen sie keine Vorrechte. Der Schaman hat Frau und Kind, eine Jurte und Herden; er mäht Heu, fällt Holz und sorgt wie alle übrigen für die nötigen Vorräte. Er lebt wie alle Anderen, nur dass er sich zur Unterscheidung das Haupthaar abscheert. Nach der Anschauungsweise der dem Schamanismus Huldigenden kommt jedes Ungemach und Unglück, Krankheiten und Viehseuchen etc. durch den Zorn eines beleidigten mächtigen bösen Geistes, der versöhnt werden muss, und zwar nur durch die Vermittlung des Schaman.

*) Bei den Buräten findet man zweierlei Schamane: weiße und schwarze. Die erstem stehen mit guten Geistern in Verbindung, rufen diese an unter allgemeinen Opfern, heilen Kranke und verhindern vorausgesehenes Missgeschick oder Unglück durch Versöhnung des erzürnten Geistes. Die schwarzen Schamane stehen mit den bösen Geistern in Verbindung, bald heilen sie Krankheiten durch ihr Gebet an den bösen Geist, bald wieder halten sic die Menschen durch Bedrohung eines Unglücks von Seiten derselben in Furcht und die letztere bringt ihnen eine Verehrung, die als erzwungen zu betrachten ist.

Sobald derselbe eingeladen ist, findet er sich mit seiner eigentümlichen Kleidung und den zur Beschwörung nötigen Geräten in der Jurte ein. Die Art und Weise, die Beschwörung durchzuführen, ist zwar nicht bei allen ein und dieselbe, jeder hat seine eigene und seine ihm eigentümlichen Kunstgriffe, allein bei alledem tragen sie doch ein gemeinsames Gepräge. Das Nächste, was in der Jurte geschieht, ist, dass man den Schamanen bewirtet. Darauf bekleidet derselbe sich, nach Ablegung seiner gewöhnlichen Kleidung, mit einem kurzen Kaftan, an welchem eine große Zahl von Schellen , kurze Riemen, Eisenbleche, Klappern befestigt sind. Im Vordergrund der Jurte lässt sich der Schamanen auf einen auf dem Fußboden ausgebreiteten Teppich, Satteldecke etc. nieder, versinkt anfänglich in tiefes Nachdenken, gähnt, dehnt Arme und Füße und murmelt leise vor sich hin, dann immer lauter und lauter, bis er zuletzt seine Stimme bis zum Gebrüll steigert. Jetzt greift er nach der Zaubertrommel, oder Geige, springt auf, stürmt hin und her durch die Jurte, schlägt die Trommel, streicht die Geige, stößt unverständliche Laute aus und stürzt endlich, nachdem er die Trommel zwischen seinen Beinen hinter sich geworfen hat, nieder auf den Boden. Nachdem er einige Minuten und länger scheinbar völlig bewusstlos dagelegen, erhebt er sich und verkündet den Ausspruch des Geistes, z. B. bei den Jakuten, dass er einen Stier etc. als Opfer verlange, mit der genauen Angabe seines erforderlichen Alters, der Farbe und der besonderen Abzeichen. Nach dem Ausspruch sucht man unter den eignen Herden nach dem verlangten Opfertier, oder wenn es da nicht aufzutreiben ist, wendet man sich an fremde Fluss, wo dann der Eintausch des aufgefundenen gegen ein anderes Tier keine Schwierigkeiten findet, da jeder zufrieden ist, ein Tier los zu werden, welches ein erzürnter Geist gefordert hat. Dann und wann ereignet es sich auch, dass der Schamane das ihm zugeführte Tier als untauglich erklärt und ein anderes fordert. Ist das entsprechende Tier herbeigeschafft, so wird auf einer bestimmten Stelle ein auf vier Pfosten ruhendes Gerüst errichtet. Der Schamane fasst, nachdem er seinen Kaftan angetan hat, das Tier mit beiden Armen um den Bauch, geheimnisvolle Worte murmelnd. Das Tier, so zusammengepresst, brüllt ängstlich, und wirft sich dabei nach allen Seiten; die Jakuten aber glauben, dass dieses durch die Besitznahme des Opfers von Seiten des Geistes geschehe. Nun schlachtet man das Tier, das Fleisch wird auf das Gerüst gelegt und das Fell über zwei Pfosten ausgespannt; man macht Feuer an, kocht das Fleisch und verzehrt es, nachdem man zuvor ein fettes Stück in die Flamme geworfen hat. Die Knochen werden auf dem Opferaltar aufgeschichtet.

Wird der Kranke nach einer solchen Beschwörung gesund, so ist diese beendet, beim Gegenteil behauptet der Schamane, der Geist sei mit dem dargebrachten Opfer nicht zufrieden und verlange ein zweites. Man ruft dann wohl einen zweiten, einen dritten etc. Schamanen und es werden bei langwierigen Krankheiten durch die wiederholten Opfer Reiche zu Armen. Man opfert lieber sein ganzes Eigentum, als dass man an der Wahrhaftigkeit des Beschwörers zweifelt. Gelingt die Beschwörung, so erhält der Schamane eine Belohnung; stirbt der Kranke, so fällt dieses dem Schamanen nicht zur Last, sondern man schreibt es dem Eigensinn und der Gier des Geistes zu.

Bei den Beschwörungen laufen nun verschiedene Gaukler- und Taschenspielerkünste mit unter. So stößt sich der Schamane scheinbar ein Messer durch den Körper, oder er versetzt sich Messerstiche, wo aus einem mit Blut gefüllten Darm, welcher unter dem Kaftan verborgen gehalten wird, reichlich Blut fließt; oder sie lassen aus dem Munde den Kopf einer Ente oder eines anderen Vogels herausragen etc. etc.

Da nach dem Glauben der Schamane sich ihre Seelen nach dem Tode in Geister verwandeln, so werden diese häufig bei den Verschwörungen angerufen und ihr Andenken erbt sich von einem auf den andern fort. — Aus Allem ergibt sich übrigens, dass der Schamane durch den Geist einwirkt. —
Lappen-Familie auf dem Marsch

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Lappen-Familie, Mann mit Axt

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Lappe-Jäger mit Speer (2)

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Lappen-Hochzeitspaar

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Lappen-Frauen, traditionell

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Lappen-Ehepaar mittelalt

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