Slawen

Sie bilden den größten Teil der Bevölkerung mit ihren Zweigen: Russen, Kosaken, Polen, Serbier, Bulgaren, Walachen, Moldauer, Litauer, Letten und Kuren.

Das allgemeine Ethnographische der Slawen in Bezug auf Russland ist hinlänglich bekannt, daher ich mich hier auf das beschränke, was mehr die Volksmedizin direkt berührt.


Die Volksmedizin dieses Stammes bietet uns in vielfacher Beziehung ein großes Interesse, wie wohl Alles das, was aus dem eigentümlichen Leben und Entwicklungsgang eines Volks heraustritt. Es kann nicht abgeleugnet werden, dass dieselbe ziemlich deutliche Andeutungen über die mehr oder weniger vorgeschrittene Kulturstufe liefert. Je mehr sie allgemeine Fortschritte gemacht hat, um so ausgebreiteter und begründeter finden wir dann auch das Vertrauen auf die ärztliche Kunst und also auch eine richtigere Würdigung des wahren wissenschaftlich gebildeten Arztes, des Quacksalbers und der auf Aberglauben und Leichtgläubigkeit begründeten sympathetischen Kuren. Der wahrhaft Gebildete wird den Wert des Arztes nicht allein nach dem Erfolge seines Handelns bemessen, sondern dabei nicht aus den Augen lassen, dass des Arztes Wirken und Mittel durch die Schranken des Endlichen beengt sein müssen.

Sind wir vertraut mit den verschiedenen Volksmitteln, so sind wir dadurch in den Stand gesetzt, einer unzweckmäßigen Anwendung derselben entgegen zu arbeiten, was um so wichtiger bei widersinnigen und heftig wirkenden Mitteln ist, da es eben bei diesen wesentliche Aufgabe bleibt: dass sie entweder gänzlich den Händen der Laien entzogen werden, oder doch nur unter der entsprechenden Vorsicht zur Anwendung kommen. Bei den direkt unschädlichen, aber auch so unwirksamen, können wir so dem Nichtstun gegen die Krankheit begegnen.

Gewiss ist aber gerade in Russland das Gesagte besonders zu beachten, wo die Bevölkerung aus so verschiedenen Völkermischungen zusammengesetzt ist und wo noch viele in der Kindheit der allgemeinen Bildung wandeln und schaffen.

Der gemeine Mann sucht sich bei Gesundheitsstörungen jeder Art selbst zu helfen, oder ruft doch zunächst den Beistand Seinesgleichen an; denn nicht allein der meist einfache Verlauf vieler Krankheiten, sondern auch die angeerbte Geduld im Ertragen, die mit der Muttermilch eingesogenen und dann großgezogenen Vorurteile, das Verharren auf veraltetem Herkommen schrecken ihn von der Hilfe eines wirklichen Arztes zurück und machen ihn eher geneigt, selbst die stärksten und gefährlichsten Mittel (Sublimat, Zinnober, Salpetersäure, Arsenik, Narcotica) auf Anraten Seinesgleichen zu verschlucken, als das einfachste vom Arzt verordnete Mittel zu gebrauchen. In allen Teilen des Reichs findet man unter den Russen, zumal aber auf den Dörfern, alte Weiber, welche neben der Kunst des Besprechens und der damit verbundenen lächerlichen Mittel und Weisen auch die Beseitigung von Krankheiten durch Arzneimittel betreiben , und namentlich durch rohe und unzeitige Manipulationen bei Kreisenden viel Unheil, sowohl für Mutter als Kind, stiften. Um den Abgang der Placenta zu beschleunigen , ziehen sie wohl an der Nabelschnur; veranlassen Nabelbrüche durch ungeschicktes Abbinden derselben; übergießen die eben Entbundene mit mehreren Eimern warmen Wassers; suchen durch Streichen und Kneten des Unterleibes materielle Störungen im Uterus, mit und ohne veränderte Lage, zu beseitigen. Gewiss würden sie noch mehr Unheil anrichten, wenn nicht die energische Naturheilkraft des gemeinen Russen in vielen Fällen glücklicherweise vermittelnd waltete. Bei Wunden, Geschwüren und sonstigen äußeren Krankheitszuständen ist der gemeine Mann geneigter die Hülfe eines Arztes zu beanspruchen. Es mag dieses seinen Grund darin haben, dass der Ungebildete meist die Überzeugung festhält, äußere Mittel griffen nicht in den inneren Organismus ein und könnten sonach auch keinen wesentlichen Schaden stiften; oder es mag auch daher rühren, weil er da die Wirkung des Mittels zu überwachen meint.

Eine wichtige Stelle bei den Russen aller Stände nehmen die sogenannten Knocheneinrichter ein, jedoch finden wir sie auch bei andern Volksstämmen , wie wir später sehen werden. Ihre Geschicklichkeit ist bekannt. Auch müssen sie so lange als eine Wohltat angesehen werden, bis nicht die große Masse das Vertrauen auf die ärztliche Kunst so durchdrungen hat, dass man in hierher gehörenden Zufällen unverweilt seine Zuflucht zu ihr nimmt. Zuweilen wird aber von diesen Volkschirurgen betrug geübt und eine Luxation oder Fraktur vorgeschützt, wo keine vorhanden ist. Ihre Behandlungsweise ist, wie ich mich selbst überzeugte, in der Regel geschickt und zweckmäßig und bei den großen Entfernungen der Ortschaften in Russland und der dadurch bedingten Schwierigkeit, jederzeit und überall schnell ärztliche Hülfe zu finden, ist das Bestehen derselben unter entsprechender Beschränkung wünschenswert.

Für ganz Russland charakteristisch ist, dass sobald man über ein Unwohlsein oder über eine Krankheit klagt, jeder mit Rat und unfehlbaren Mitteln zur Hand ist. Geschieht dieses in einer Gesellschaft von 100 Personen, so werden gewiss 99 davon zu Doktoren, die mit wahrer Naivität das Unfehlbare des empfohlenen Mittels durch Beispiele zu erhärten trachten. Das eben Angeführte bezieht sich eben so auf die höheren und höchsten Stände und es spiegelt sich daraus der wirkliche Grad von allgemeiner Bildung ab, den man zu erwarten hat.

In allen Teilen des Reichs findet man bald mehr, bald weniger den Glauben an Zauberei. Natürlich bezieht sich dieselbe entweder auf die Heilkunst, oder auf die Wahrsagerei und tritt nach den verschiedenen Bildungsstufen und den dadurch bedingten Anschauungsweisen bald mehr auf die Seite der einen oder der andern. Da dieser Wahn nicht weniger Nachteil ausübt, als der unzweckmäßige Gebrauch materieller Mittel, so muss eine genaue Kenntnis desselben auch seine Ausrottung erleichtern. Wer aber einer solchen nachstrebt, verfahre zwar konsequent, aber mit umsichtiger Berücksichtigung des individuellen Fassungsvermögens. Man hüte sich mit Vernunftgründen kämpfen zu wollen, wo man keinen Eingang für dieselben erwarten kann; meist wird nur die klar fassliche Darlegung und materiell durchgeführte Beweisstellung zum Ziele führen können. Am meisten dürfte dies seine Anwendung bei den Altgläubigen finden, die jede Krankheit als eine prüfende Schickung des Himmels ansehen, die also eigenmächtig zu beseitigen nicht erlaubt sein könne, am wenigsten aber durch einen der sich nicht zu ihrer Kirche bekennt.

Sehr verbreitet ist der Gebrauch von Zauberformeln noch im südlichen Sibirien. Soll ein körperliches Leiden gehoben werden, so nimmt der sibirische Russe seine Zuflucht zum Kundigen (Snachar) , der ganz denselben Einfluss ausübt, wie der Schamane bei den Nomaden des hohen Nordens. Dieser Kundige ist gleichzeitig auch Volksarzt und benutzt gegen Krankheiten natürliche und übernatürliche Mittel. Sowohl der Snachar als auch der Kranke müssen im Elias-Monat (Juli) Körper und Geist rein erhalten, vorzüglich kein geschlechtliches Vergehen sich zu Schulden kommen lassen, soll nämlich die Beschwörung Erfolg haben.

Häufig trifft man in Russland auf den Wahn, dass einzelnen Menschen eine besondere dämonische Gewalt innewohne, durch welche sie, selbst durch das bloße Anblicken, ja ohne bestimmtes Wollen , nicht nur Krankheiten hervorriefen, sondern auch jedem Unternehmen Misslingen brächten. Kommt es vor, dass ein Kind unruhig wird, oder viel schreit, so sucht man die Ursache nicht in den natürlichen Veranlassungen, sondern im „bösen Blick“ und beeilt sich auf gleich törichte Weise denselben unschädlich zu machen. Eben so eingewurzelt findet man den Aberglauben, dass Personen vermöge ihnen bekannter Worte und Sprüche die Gesundheit des Körpers und Geistes, so wie auch zeitliche Güter zu vernichten im Stande seien. Nur ausnahmsweise wird man einen Ort finden, wo nicht einer Person solche übernatürliche Kräfte zugeschrieben würden. Böswillige Menschen üben, auf diesen Wahn fußend, Lug und Trug. Außer dem moralischen Einflüsse auf die Einbildungskraft, der ja für sich allein bei Exaltation nervöser Personen, ohne genügende Erkenntnis und Willenskraft, zur Erzeugung der fixen Idee von Bezauberung hinreichend ist, benutzen sie wohl noch Mittel (Stramonium, Belladonna, Hyoscyamus etc.), die durch ihre spezifische Einwirkung auf Gehirn und Nervensystem ähnliche Erscheinungen hervorbringen, wie sie Geisteskrankheiten darbieten. Meist mischen sie den ausgepressten Saft, oder das Pulver in ein Getränk, oder veranstalten mit dem Mittel Räucherungen in der Badestube, oder sie legen die frischen Kräuter unter das Kopfkissen. Bei Ermittlung eines solchen Betrugs hat man sich allerdings an die Erscheinungen zu halten, welche die somatische Seite des Kranken darbietet, allein dabei nicht außer Acht zu lassen, dass auf solche Weise auch wirkliche Geistesstörung entstehen kann. Die Erscheinungen, welche solche Kranke gewöhnlich darbieten, sind: plötzlich eintretende Gemütsdepression, Insichversunkensein, Traurigkeit, Schlaf- und Appetitlosigkeit, zuweilen krampfhaftes, zeitweise sich wiederholendes, sehr abmattendes Lachen, aufgehobener Zusammenhang in ihren Gesprächen mit plötzlichen Sprüngen von Extrem zu Extrem, selbst bis zur Raserei.

Auch das männliche Unvermögen, welches zuweilen bei kräftigen gesunden Männern in der Hochzeitsnacht eintritt und nur einer Exaltation der Phantasie zuzuschreiben ist, wird von Behexung abgeleitet. Dieselbe Annahme findet man auch allgemein unter den Bewohnern der griechischen Inseln.

Die Espe spielt eine bedeutende Rolle im Aberglauben des gemeinen Mannes. Außer der Hülfe in Krankheiten soll auch ein aus ihr gemachter Pfahl Verbrecher und Zauberer im Grabe festhalten, ein Stück Espenholz in den Sauerkohl getan denselben unverdorben erhalten etc. Selbst bei äußeren Verletzungen spielt der Aberglaube seine Rolle. So kehrt derjenige, welcher sich den Fuß verstaucht hat, zu der Stelle zurück, wo der Unfall sich ereignete, um sich drei Male tief verneigend die Worte zu sprechen: „verzeih mir heiliger Ort.“

Unter den gebräuchlichen Amuletten findet man als Glück und Segen bringendes eine getrocknete Fledermaus. Bei Zahnschmerzen erfreut sich unter sehr vielen eins besonderen Rufs, welches aus einem mit einem Faden zusammengebundenen Päckchen besteht und einen gesunden Backenzahn enthält.

Die Russischen Frauen gemeinen Standes gebären häufig in einer hängenden Stellung: sie befestigen nämlich die beiden Enden eines Stricks an eine Querstange und bilden so eine Art Schaukel. Sobald sie die Wehen fühlen, hängen sie sich daran und erwarten in dieser halb sitzenden, halb liegenden Stellung die Niederkunft, suchen auch wohl durch Sprünge, die sie in dieser Stellung machen, die Geburt zu beschleunigen, gleichsam das Kind aus sich auszuschütteln. Natürlich ereignet sich dabei, leider nur zu oft, dass das Kind herausfällt, ehe es die Hebamme auffangen kann, oder dass die Nabelschnur abreißt, oder dass der Uterus mit herab, oder nach außen gezogen wird, was auch ebenso der Fall ist, wenn die Hebamme zu gewaltsam an der Nabelschnur zieht, um die Nachgeburt zu entfernen. Ist auf solche Weise der Uterus mit hervorgezogen worden, so bringt man die arme Frau in die Badestube, legt sie auf ein Brett und dieses auf die Stufen zur Dampfbank so, dass sich die Füße höher als der Kopf befinden; dann senkt und hebt man das Brett mit der Unglücklichen schnell mehrere Male, damit der Körper in derselben Richtung geschüttelt werde. Auf diese Weise meint man die Gebärmutter wieder in den Leib hineinzuschütteln, ungefähr wie ein Kissen in seinen Überzug.

Nach den Begriffen beim Volk kommen die Kinder gleichsam zerknüllt zur Welt und müssen also von klugen Frauen gerade gereckt werden. Die Hebamme und Badefrauen verrichten dieses Geschäft. Am zweiten, spätestens am dritten Tage nach der Geburt wird der kleine Säugling in den Ofen gesteckt, oder nach der Badestube gebracht, wo man ihn mit einem Birkenzweigbündel reibt und schlägt, mit Seife abwäscht und eine kluge Frau ihm den Kopf von allen Seiten drückt, mit Salz den Niederschlag aus dem Fruchtwasser auf der Haut, so wie die sogenannten Borsten (Anhäufungen wie bei Acne punctata) abreibt, die Nase in die rechte Form zieht, die Händchen und Füße reckt, und zwar so, dass sie ihn bei der linken Hand und am rechten Fuß fasst und nach der entgegengesetzten Seite zieht und dann mit der entgegengesetzten Hand und Fuße auf gleiche Weise verfährt. Dieses wird nun so lange fortgesetzt, bis alles in die vermeintliche Ordnung gebracht ist. Zuletzt fasst man noch den armen Schelm bei beiden Füssen, hebt ihn auf, so dass der Kopf herunter hängt und schüttelt ihn ziemlich stark und schnell mehrere Male nach einander, um auch die Eingeweide in die gehörige Lage zu bringen und von den Nieren die inneren Brüche abzuleiten. Die letztem sollen im Leibe eines jeden Kindes gleich wie ein Wurm nagen und als Ursache gelten, wenn der Neugeborene viel und heftig schreit. Übrigens gibt man gegen das letztere auch Ol. Juniperi.
Mutterliebe

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Russisches Bauernmädchen

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Kosaken

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Tscherkesse

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Mingerelier

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Ossete

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Kuban Kosaken

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