Abschnitt 10 - Aber steigen wir eine Stufe höher hinauf, in die breite Schicht der sogenannten ...

Aber steigen wir eine Stufe höher hinauf, in die breite Schichte der sogenannten „Intelligenz“, zu der großen Menge der für ihren Beruf gebildeten und tüchtigen Männer, Kaufleute, Ärzte, Techniker u. s. w. - die wesentlich bestimmend sind für den Inhalt der öffentlichen Meinung und Bildung, kraft ihrer Zahl und Verbreitung und kraft der Autorität, die sie weithin vermöge ihrer Stellung und beruflichen Tüchtigkeit genießen. Hier nun finden wir im großen Durchschnitt - nur von diesem kann natürlich die Rede sein - zunächst erfreulicher Weise ein in früheren Jahrhunderten nie erreichtes Maß von naturwissenschaftlicher Bildung; Einsicht in den Bestand und die Wirkungsweise der Naturgesetze, höchste Achtung vor aller auf ihre Erforschung und praktische Verwertung gerichteten Tätigkeit, Verachtung jeglichen aus ihrer Verkennung beruhenden Aberglaubens, gepaart mit berechtigtem Stolz auf die technischen Errungenschaften der Neuzeit. Aber sofort schließt sich daran eine Anschauung, die wir oben als ein Kennzeichen politischer Unbildung hervorheben mußten, ich meine die gerade in den hellen Köpfen jener sogenannten „positiven Naturen“ so weit verbreitete Idee: unsere Zeit sei Gipfel und Krone der Weltgeschichte, das Zeitalter der Erfüllung, welchem gegenüber alle früheren, zumal das „graue“ Altertum und erst recht das „finstere“ Mittelalter nur als Vorstufen, wo nicht gar Vorverirrungen gelten dürfen. In einseitiger Verblendung erblicken sie den Maßstab der Kulturhöhe allein in dem Umfang menschlicher Herrschaft über die sogenannten Naturkräfte. Und dabei freilich kann das Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität nicht zu kurz kommen, obzwar (beiläufig bemerkt) immer noch eine grobe Überschätzung seiner Verdienste auf Kosten des Altertums vorliegt, denn Eisenbahn und Telegraph sind schöne Dinge, jedoch die uralten Erfindungen des Wagens und des Buchstabens sind größere Taten des menschlichen Geistes. Aber ist denn der Inhalt unseres Lebens allein bestimmt durch unsere Macht über die Natur? Schwer und unerquicklich mag es sein, aus unserem behaglichen Dasein alles hinwegzudenken, was wir seit Jahrhunderten den Fortschritten der Naturbeherrschung verdanken. Wir wären auf den Lebensfuß eines isländischen Fischerdorfes zurückgebracht; immerhin sehen wir da noch Menschen menschlich zusammen wohnen. Aber welch ein Abgrund eröffnet sich dem geistigen Auge, wenn wir versuchen wollen, die Schöpfungen unseres politischen Instinktes, was wir seit undenklichen Zeiten an rechtlichen und sozialen Ordnungen selbst erbaut oder überkommen haben, wodurch wir nicht die Naturkräfte, aber uns und unseresgleichen bändigen und zusammenschließen, auch nur für einen Augenblick als nicht vorhanden zu denken! Welch ein Zustand! Außerhalb aller Bedingungen eines lebenswerten Lebens, entblößt von all dem unsichtbaren moralischen Geräte, ohne welches nach Hobbes bündigem Ausdruck unser Dasein „einsam, tierisch, schmutzig und kurz“ wäre - und zwar trotz aller Erfindungen der Technik, soweit solche dann überhaupt möglich würden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber politische Bildung