Ueber politische Bildung

Rede gehalten bei Übernahme der Rektorswürde an der Wiener Universität 1892
Autor: Exner, Adolf (1841-1894), Erscheinungsjahr: 1892
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort zur dritten Ausgabe.
  1. Abschnitt 1 - Alter akademischer Sitte gemäß habe ich bei der feierlichen Übernahme des Ehrenamtes ...
  2. Abschnitt 2 - Unsere einzigen Arbeitswege sind Forschung und Lehren die eigentliche Erziehung, ...
  3. Abschnitt 3 - Wenn also die Quellen des Patriotismus so tief liegen, dann will es scheinen, ...
  4. Abschnitt 4 - Freilich gebildet sein heißt nicht patriotisch sein, aber es gibt eine Bildung, ...
  5. Abschnitt 5 - Wenn dem nun also ist, daß Bildung sich differenziert, indem sie ihre besonderen ...
  6. Abschnitt 6 - Einmal erweckt, schärft sich der Blick und gewöhnt sich an die Auffassung ...
  7. Abschnitt 7 - Die eine bezieht sich aus die Beurteilung vergangener Zeiten und ihrer Zustände. ...
  8. Abschnitt 8 - Politische Bildung also umschließt die Fähigkeit, der Vergangenheit gerecht zu werden. ...
  9. Abschnitt 9 - Der erste Teil dieser Behauptung bedarf keiner Erhärtung, allseitige freudige ...
  10. Abschnitt 10 - Aber steigen wir eine Stufe höher hinauf, in die breite Schicht der sogenannten ...
  11. Abschnitt 11 - Der einseitig naturwissenschaftlich Geschulte bleibt solchen Betrachtungen unzugänglich ...
  12. Abschnitt 12 - Wenn Chorführer verschiedener Richtungen der heutigen Geisteswissenschaft ...
  13. Abschnitt 13 - Hat denn nicht jeder von uns einmal in müßiger Stunde sich gefragt, worauf ...
  14. Abschnitt 14 - Aber eine Wendung der Dinge bereitet sich vor: ...
  15. Dieses zwanzigste Jahrhundert, an dessen Schwelle wir stehen, wird ein politisches Jahrhundert sein. Wer ihm gewachsen sein will, wird politischer Bildung bedürfen.
  16. Abschnitt 15 - Und hiermit kehren wir zum Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurück, ...
  17. Wenn wir also, indem wir in der kommenden Generation politische Bildung zu pflanzen bestrebt sind, Frieden und Fortschritt in der weitesten Volksschicht befördern, zugleich aber dazu beitragen, um die geistigen Spitzen der künftigen Gesellschaft aus der herrschenden Einseitigkeit zu befreien, sie zum Staate und zu einer politischen Weltanschauung zurückzuführen, sie zu waffnen für den ihrer harrenden sozialen Kampf: so dürfen wir getrost behaupten ein patriotisches Werk zu thun.
Vorwort zur dritten Ausgabe.

Nach der warmen Aufnahme, die das vorliegende Schriftchen einerseits gefunden und nach dem ungewöhnlich scharfen Widerspruch, den es andererseits erfahren hat, scheint dasselbe, über den engen Bereich seiner Gelegenheitsbestimmung hinauswirkend, einen empfindlichen Punkt des Zeitbewusstseins berührt und mancherlei Schlummerndes angeregt zu haben. Damit war sein Zweck erreicht. Indessen benütze ich gerne den Anlass einer Neuausgabe, um durch leichte Überarbeitung an der Form zu bessern und den Inhalt gegen missverständliche Angriffe zu schützen.

Unter diese rechne ich vor allem den Vorwurf einer Unterschätzung der Naturwissenschaft. Auf ihn war ich in der Tat nicht gefaßt und finde noch jetzt, daß er einer genauen Lesung des Gesagten nirgends Stand hält. Sollte wirklich ein über „die einseitige Befangenheit der Geister in naturwissenschaftlichen Denkformen“ gesprochenes Tadelswort diese Denkformen treffen können, oder trifft es die „einseitige Befangenheit“? Nur Jene durften sich durch ähnliche Sätze beunruhigt finden, welche laut sagen oder in der Stille voraussetzen, daß Naturwissenschaft die Wissenschaft sei, daß ihre Denkformen und Methoden auf allen Gebieten des Erkennens brauchbar, und wo sie versagen ein wirkliches Wissen nicht möglich sei. Solche Gemüter in ihrer gewiegten Sicherheit womöglich zu stören, lag allerdings mit in der Absicht des Verfassers, aber irgendwelche Verkleinerung der Naturwissenschaft - eine starke Zumutung, sich dagegen ausdrücklich verwahren zu müssen! - ist darin nicht enthalten. Im Gegenteil; wenn man gegenüber gewissen Strömungen in den heutigen Geisteswissenschaften rügend hervorhebt, diese hätten verkehrterweise die dem Wesen ihres Stoffes zuwiderlaufenden Methoden und Darstellungsweisen der Naturwissenschaft ergriffen, so stellt man ihnen die letztere als Muster und Beispiel hin: denn eben dadurch sind ja die Naturwissenschaften groß geworden, daß sie die ihrem Gegenstand adäquate Forschungsweise selbständig ausgebildet und seit Bacon mit Bewusstsein festgehalten haben. Der Historiker oder Jurist aber, welcher diese Methoden auf seinen Stoff überträgt, hat jenes große Beispiel nicht befolgt, sondern verkannt und missbraucht.

Anders verhält es sich mit der Empfindlichkeit, welche auf philosophischer Seite durch eine beiläufige Bemerkung gegen Ende der Rede erregt ist. Hier lag es wohl an der allzu flüchtigen Berührung eines wichtigen Punktes, wenn Missverständnis entstand. Ein jetzt hinzugefügter Satz soll klar stellen, wie es mit dem „Verfall der philosophischen Produktion“ gemeint war. Freilich, wer aus der Philosophie eine Fachwissenschaft machen will, wie Mineralogie oder Ägyptiologie, den wird das Gesagte nimmer befriedigen, mit ihm kann ich mich eben nicht verständigen. Auch müsste jeder Versuch dazu den Nahmen einer Kundgebung überschreiten, die sich selbst als ein „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet. Als ein solches macht die Rede überhaupt nicht den Anspruch, zu widerlegen und zu überzeugen, - sie wendet sich an die Gleichgesinnten und bescheidet sich, diesen zuweilen einen glücklichen Ausdruck bieten zu können für das, was sie eigentlich immer geglaubt haben. Ein kaum gehoffter Überschuss an Erfolg ergäbe sich, falls es gelungen wäre, hier und da Einen aus der großen Schaar derer, welche vor Bäumen den Wald nicht sehen, auf den Gedanken zu bringen, es möchten wohl etwa auch jenseits des Waldes Menschen wohnen und bemerkenswerte Dinge sich zutragen.
Schloss Matzen in Tirol, September 1892.
Adolf Exner