Ueber den Ursprung der Preußischen Artushöfe

Aus: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde
Autor: Hirsch, Theodor (1806-18881) deutscher Historiker, Erscheinungsjahr: 1864
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Ritter, Artussage, Tafelrunde, Ritterspiele, Lanzenstechen, Tourniere, Hofleben, Bruderschaften, Kreuzzüge, Christentum, Ritterpoesie, Ritterroman, Waffenübungen, Ruhm und Ehre, Rittertugenden, Zweikampf, Helden, Heldenverehrung, Minnedienst, Rittertreue, Ritterwesen, Ritterkönig Richard Löwenherz, Ritterrüstung, Schild und Schwert, Lanzen
Immerhin mögen andere Städte, denen eine tatenreiche und ruhmvolle Vergangenheit fehlt, in der Zerstörung ihrer alten Erinnerungen und in der Aneignung der Formen der Neuzeit ein Mittel erkennen, sich eine bessere Zukunft zu schaffen; Danzig, der alte Hort deutschen Lebens an der Weichsel, hat nicht nur volle Ursache auf ein über drei Jahrhunderte hindurch selbstständig durchgeführtes staatliches Leben mit Stolz zurückzublicken, sondern es hat auch hier der bessere Sinn der Bürgerschaft zu allen Zeiten mit liebevoller Vorsorge die Denkmäler dieser großen Vergangenheit gegen gedankenlose oder leichtfertige Neuerungssucht in Schutz genommen. Dieser Vorsorge ist es zu verdanken, dass die Artushöfe und die Artusbrüderschaften, eines der eigentümlichsten Institute unserer Preußischen Städte im Mittelalter, dadurch, dass in Danzig allein das Gebäude, welches dem Institute zum Mittelpunkt diente, in seiner ursprünglichen Form aufrechterhalten ist, hier noch in ihrer ganzen Eigentümlichkeit erkannt werden können, ja zum Teil noch jetzt im Leben der Bürgerschaft fortwurzeln. Noch erkennt man in der stattlich gewölbten Halle die durch große Wandgemälde und andere künstlerische und groteske Schaustücke gesonderten Plätze, wo sich jeden Tag, sobald die Bierglocke das Zeichen gegeben, die Bürgerschaft, d. h. die Kaufleute, die Schiffer, die Brauer, die Krämer und Gewandschneider (Tuchhändler) mit ihren Gästen aus der Fremde zur Erholung von den Mühen des Tages versammelten, in sechs Bänke, die ebenso viele selbstständige Genossenschaften bildeten, abgeteilt, in denen Bankvögte in Verbindung mit den Alderleuten des Hofes unter Oberaufsicht der von der Stadtregierung dazu bestellten Hofherren für Aufrechthaltung der alten Gesetze dieses Hofes Sorge tragen.
Versetzt man sich in eine Zeit, wo die Leidenschaften der Menschen, noch wenig durch Bildung gezügelt, nur zu oft in wilden Ausbrüchen ihre Befriedigung suchten, und wo der Staat nur in mangelhafter Weise dem Rechte Schutz und Geltung zu verleihen im Stande war, so können wir nicht hoch genug von dem Geiste der Stifter dieses Institutes denken, welche durch die sittlichen Momente, die sie zunächst in diesen dem geselligen Lebensgenuss gewidmeten Kreisen zur Übung brachten, eine gute Gewohnheit zur Geltung kommen ließen, die auch im Ernste der Tagesgeschäfte nicht ohne heilsame Wirkung bleiben konnte. Noch im 16. Jahrhunderte, wo das Institut sich bereits dem Verfalle zuneigte, nennt Erzbischof Johann Stor von Upsala die Artushöfe an der Ostseeküste eine Schule der edelsten Sittsamkeit. In der Tat ist es der Geist der Ehrbarkeit und sittlichen Zucht, der zunächst in den naiven Formen derselben uns so wohltuend entgegentritt. Sowie der Besuch des Hofes allen denen verboten ist, auf denen ein sittlicher Makel ruht, etwa, wie es im Statute heißt, weil sie ein berüchtigtes Weib zur Ehe haben, oder einem Manne zu seinem Rechte nicht haben verhelfen mögen, oder verbotene Reisen gefahren sind oder noch eines Geleitbriefes bedürfen, um nicht als rechtlos zu gelten, oder als Kläffer, Aushorcher und Lügner sich bewiesen haben, welche ehrliche Leute ohne Beweis verleumden, so sind bestimmte in Lasten Biers zu entrichtende Gesellschaftsstrafen für diejenigen angeordnet, welche durch unziemliche Reden, durch Unmäßigkeit oder Streitsucht das brüderliche Beisammensein stören. Die Freuden, die dafür geboten werden, sind einfacher Natur; die täglichen Zusammenkünfte werden durch das Spiel der Hofpfeifer und Trompeter belebt, welche jedoch nebst den übrigen Hofgenossen um 10 Uhr den Saal verlassen müssen; dann finden auch besondere Festlichkeiten statt an den großen kirchlichen Festtagen, wo auch die Frauen teilnehmen, Tänze aufgeführt werden und Seiltänzer ihre „Mordsprünge“ sehen lassen, zu Pfingsten und Fastnacht, wo Stechspiele mit Preisverteilungen hinzukommen, an den Wahltagen der Bankvögte, die mit der Vogtmahlzeit der Bankgenossen gefeiert werden, und endlich bei der großen Kollation und Nachkollation, die einmal im Jahre stattfindet, wenn der Rat der Stadt von den Alderleuten in den Hofkeller geladen wird, wo gleichfalls das vorgeschriebene Maß: einerlei Wein, einerlei Gewürzkuchen (Krude), Bier, Brot, Heringe und Rettig, und bei der Nachkollation gar nur Heringe, Brot und Bier bei Strafe nicht überschritten werden darf.

Diese Zusammenkünfte harmloser Freude erhalten nun eine ernstere Bedeutung durch ihre enge Beziehung zur Religion und Kirche. Jede der sechs Hofbänke hat nicht nur ihren Schutzheiligen, sondern auch in einer der Stadtkirchen eine diesem Heiligen geweihte Kapelle oder einen Altar, an welchem 2 bis 3 Priester den Gottesdienst der Brüder leiten, und in deren Umkreise die Begräbnisstätte der Brüder sich befindet. Hier wird insbesondere der verstorbenen Brüder in täglichen Seelmessen gedacht, am Tage des Heiligen während des Hochamtes die Kapelle mit Kerzen erleuchtet, am Tage Johannes des Evangelisten (27. Dezember) ein bitterer Wermutwein als Johannistrunk auf des Evangelisten Lieb und Segen geweiht und gekostet, vor allem aber am Aller-Seelentage (2. November), zu dessen Vorfeier schon einige Tage vorher Spenden von Brot und Fleisch teils in der Kapelle an Hilfsbedürftige verteilt, teils den Armen im Krankenhause zugesandt wurden, „vor de leven seelen to beden, de ut unser broderschop verstorffen sin“, in Gegenwart aller Brüder ein Totenamt für die während des letzten Jahres verstorbenen Genossen abgehalten. Auch die Reformation hat in diesen kirchlichen Festen nur so viel geändert, dass die Brüder durch Abschaffung der Priester und der Messen größere Mittel zur Unterstützung Notleidender gewonnen haben. Die Verbindung mit dem Schutzheiligen ward aber auch im weltlichen Verkehr fortgesetzt und gestaltet sich hier zu einem Verhältnis naiver Vertraulichkeit. Bei der S. Reinholdsbank schmückt die geschnitzte Holzstatue des Heiligen, wie er das Haupt des von ihm getöteten Karlmanu am Spieße trägt, in gleicher Weise das Gesimse der Wand, an der die Brüder schmausen, als den Altar, vor dem sie beten; das Bildnis des Heiligen, wie er mit den andern 3 Haimonskindern auf dem Rosse Bayard davoneilt, ist den Trinkgeschirren wie dem Kapellengerät aufgeprägt; die Kasse der Brüder heißt S. Reinholds Schatzspind, der Prunkpokal S. Reinholds Willkomm; ja im Geschäftsverkehre der Brüder wird der Heilige als Vermittler des Geschäfts und als Bürge für die redliche Erfüllung der geschehenen Zusage hinzugezogen und erhält dafür seinen Lohn. „So das geschieht“, heißt’s dann im Vertrage, soll S. Reinhold erhalten 2 Pfund Wachs und einen Ungarischen Gulden zur Vergoldung seines Kelches; und in entsprechendem Scherze wird einmal das schriftliche Gelöbnis getan: Wenn Otto Angermünde ein echtes Weib nimmt, so will Andreas Klepper S. Reinhold 6 Pfund Wachs geben; oder es machen 4 Junggesellen unter einander aus, wer von ihnen zuerst heirate, soll jedem der andern ein Hosenlaken und einen Ungarischen Gulden geben, S. Reinhold aber ein Pfund Wachs.

Mit dieser religiösen Richtung eng verschwistert erscheint endlich als ein nicht minder erfreuliches Zeichen des in diesen Artushöfen waltenden Geistes die in einem frischen Bewusstsein des Schönen wurzelnde Neigung, den Aufenthalt der Erholung durch Werke der bildenden Künste auszuschmücken. In der Tat wüsste ich keine ähnlichen Zwecken gewidmete Halle in unser so weit vorgeschrittenen Zeit zu nennen, in welcher der äußere Schmuck der Kunst in so sinniger Weise angewandt wäre, um dem Geiste des Frohsinnes, der hier herrschen sollte, einen edlen über das Gemeine erhabenen Ausdruck zu verleihen. Groteske Schiffsmodelle mit phantastischen Wimpeln und Abzeichen, seltene Waffen und Rüstungen über und neben den Bänken, von einzelnen Brüdern als Geschenke aufgestellt, erinnerten an wichtige Erlebnisse in See- und Kriegsgefahren, der kostbarste Gewinn des Waidwerks, die Geweihe erlegter Tiere werden dem Kopfe des riesigen Schutzpatrons Christophorus aufgesetzt, oder ragen aus dem großen Jagdgemälde hervor, in welchem der heidnische Jäger Acteon in einen Hirsch umgewandelt wird; Büsten und Statuen von Helden aller Zeiten, von Camillus und Themistocles herab bis auf Kaiser Carl V. stärkten und kräftigten den kriegerischen Sinn zu einer Zeit, wo der Kaufmann seinen Erwerb stets mit dem Schwerte zu verteidigen gerüstet sein musste; auch patriotische Beziehungen fehlten nicht; an der Marienburgerbank verherrlichen zwei Bilder die Taten Danziger Bürger vor Marienburg, während unter den unvergleichlich schönen Triumphzügen, die an den Pannelen der Wände sich hinziehen, einer in charakteristischen Zügen die bewaffneten Bürger darstellt, welche aus der zerstörten Jungstadt mit ihrer Beute heimziehen. Wenn endlich an einer Stelle neben den bunten Darstellungen weltlichen Treibens das gewaltige Bild vom jüngsten Gerichte auch auf das Himmlische hinweist, so ist es mit besonderer Absicht an einer Stelle aufgerichtet, vor der allwöchentlich die Schoppen einmal Gericht über Leben und Tod halten.

Neben der lebendigen Hinweisung auf so achtungswerte Eigentümlichkeiten des bürgerlichen Lebens bewahrt aber der Artushof eine andre nicht minder schätzenswerte Erinnerung, wenn sie gleich nicht so ungesucht wie das Erwähnte dem Beobachter entgegentritt; er gewährt uns eine interessante Anschauung von der Art, wie ebendiese Vorfahren fremdländische Einrichtungen und Lebensverhältnisse, welche insbesondere durch die Heidenfahrten, der westlichen Völker Europas nach Preußen im Verlaufe des 13. und 14. Jahrhunderts ihnen zugeführt worden, durch Beseitigung dessen, was der vaterländischer Sinnes- und Gefühlweise widerstrebte, dem Heimischen anzupassen wussten. Man gelangt zu dieser Anschauung, wenn man den Namen des Gebäudes und die Bedeutung, die demselben in andern Ländern beigelegt worden ist, nähere Aufmerksamkeit zuwendet. Da begegnet uns zunächst die Frage: Was hat der alte Britische Heidenkönig Artus, der selbst in Deutschland höchstens den Kreisen der Ritterschaft und zwar mehr in der Poesie als im Leben nahe trat, mit diesen bürgerlichen Zusammenkünften zu schaffen; und doch ist der Name: König Artushof, nicht etwa Junkerhof der diesen Gebäuden eigentümliche und ursprüngliche. Man fragt aber zweitens: Wie kommt es, dass trotz des Namens an keinem unserer Preußischen Artushöfe, weder an dem Gebäude noch in seinen zahlreichen Darstellungen irgend eine Beziehung auf den Britischen Helden oder einen Genossen seiner Tafelrunde zu finden ist, und daran schließt sich die dritte Frage: Warum hat sich in unfern Preußischen Städten allein der Name und das Institut der Artushöfe behauptet?

Was bis jetzt zur Lösung dieser Fragen vorgebracht ist, entbehrt jedes haltbaren Grundes. Denn wenn schon ein Königsberger Dichter des 16. Jahrhunderts, Johann Hasentödter in seiner naiven Weise sagt:

Ein König war in Engellandt
Arturus oder Artus genandt,
Ein gar weiblicher tapferer Heldt
All seine Feind hat er gefälldt.
Seine Tugend ist in manchem Landt
Auch an der Ostsee wol bekannt,
Die Höff’ und Gärten er fundirdt,
Drin eß gar ehrbar gehalten wird.
Da ist kein Zank noch Hauhen, Stechen
Mit Frieden thut ein Jeder zechen etc.

so sind das Behauptungen, die mit ebenso geringer Wahrscheinlichkeit den ritterlichen Helden zum Gründer friedlicher Bürgerversammlungen machen, als sie überhaupt jedes historischen Beweises ermangeln. Ebenso wenig aber genügen die Erklärungsversuche Bartholds, welcher es unentschieden lässt, ob der Held der romanisch-keltischen Sage seinen Namen den Waffenübungen lieh, welche die wehrhaften Kaufherren in ihrem Kaufhause anstellten, oder ob das fröhliche Zechen und das übliche Erzählen aus dem Gebiete der Ritterpoesie demselben die romantische Bezeichnung beilegte, weil es gleichsam in ihm so hoch und lustig herging, wie in König Artus Tafelrunde. Auch hier ist der Erklärer sowohl den Beweis dafür, dass die Artushöfe Kaufhäuser oder Schauplätze für Waffenübungen gewesen, als dafür, dass man dort Ritterpoesie vorgetragen habe, schuldig geblieben. Die Lösung jener Fragen, welche ich im Folgenden darlegen will, darf allerdings für die ermittelten Resultate nicht eine vollgültige Beweiskraft, wohl aber, wie ich hoffe, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen. Ich sehe mich dabei gezwungen dem Leser zuzumuten, dass er auf einem etwas weiten Umwege durch scheinbar fremdartiges Gebiet mir folge. Zur Beurteilung der dürftigen Nachrichten nämlich, welche sich über den Ursprung der Preußischen Artushöfe erhalten haben, scheint es mir vor Allem notwendig über die sehr verschiedenartige Bedeutung, welche dem Fabelkönige Artus und den an ihn sich knüpfenden Artushöfen oder Tafelrunden in den verschiedenen Perioden des Mittelalters nicht sowohl in der Poesie als im Leben beigelegt wurde, ein richtiges Verständnis) zu gewinnen.

Ein Turnierteilnehmer stellt sich vor

Ein Turnierteilnehmer stellt sich vor

Mittelalterlicher schweizer Söldner

Mittelalterlicher schweizer Söldner

Lanzenstechen

Lanzenstechen

Begrüßung eines Turnierteilnehmers

Begrüßung eines Turnierteilnehmers

Lanzenstechen

Lanzenstechen

Mittelalterliche Burganlage

Mittelalterliche Burganlage

Turnierteilnehmer

Turnierteilnehmer

Beim Lanzenstechen am Hals getroffen

Beim Lanzenstechen am Hals getroffen

Beim Lanzenstechen an der Hüfte getroffen

Beim Lanzenstechen an der Hüfte getroffen

Anreise der Turnierteilnehmer per Schiff

Anreise der Turnierteilnehmer per Schiff

Siegerehrung

Siegerehrung

Beim Lanzenstechen man Oberschenkel getroffen

Beim Lanzenstechen man Oberschenkel getroffen

Huldigung

Huldigung

Angriff auf eine Burg

Angriff auf eine Burg

Rittermahl

Rittermahl

Beide Kämpfer am Boden

Beide Kämpfer am Boden

Beratschlagung

Beratschlagung

Beim Lanzenstechen am Hals getroffen

Beim Lanzenstechen am Hals getroffen