Die historische Person des Artus

Die historische Person des Artus ist bekanntlich eine geringfügige. Alte Elegieen aus der Heidenzeit, in denen die Briten der unglücklichen Kämpfe gegen die Angelsachsen gedenken, durch welche sie zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert größtenteils der Heimat oder der Freiheit beraubt wurden, nennen unter andern Helden ihres Volkes, dem Owen, dem Urien und seinem Sohne Owain, Geraint, Peredur u. A., einen König Artus, der im südwestlichen England in der Burg Gelliwic in Cornwallis wohnte, ohne ihm die erste, oder auch nur eine besonders hervorragende Stelle in diesen Kämpfen anzuweisen; erst 300 Jahre nach seinem Tode wissen Britische Chroniken, dass er mit wunderbaren Waffen ausgerüstet glänzende Siege über die Angelsachsen erfochten habe und als Pilger nach Jerusalem gewallfahrtet sei, noch später erst wird seines Zerwürfnisses mit seinem ungetreuen Weibe Ginevra gedacht, doch ist er auch da zu Anfang des 11. Jahrhunderts in den einheimischen Quellen keineswegs Mittelpunkt der Sage.

Früher dagegen und glänzender erblühte sein Ruhm außerhalb Englands in der Bretagne. Hier schufen sich die in der Heimat bedrängten Briten, indem sie in massenhaften Zügen während mehrerer Jahrhunderte hierher auswanderten, neue und glücklichere Wohnsitze. Der abgelegene Winkel Frankreichs, den sie besetzten, reizte die Umwohner nicht zu Eroberungskriegen; die Nachbarschaft vorgeschrittener Völker milderte ihre rohen und unsittlichen Neigungen, ohne die Eigentümlichkeiten ihrer Nationalität zu zerstören; glücklich bestandene Kämpfe befestigten in ihnen mit der äußern Selbstständigkeit das Selbstvertrauen, und ließ ihnen auch die aus der Heimat mitgebrachten Traditionen in glänzenderem Lichte erscheinen. Das verlassene Vaterland Avalon, d.i. die Insel der Apfelbäume, verwandelte sich bei ihnen in einen Aufenthalt von Dämonen und Feen oder ein Elysium der Seligen, während die leeren Namen der alten Britischen Helden mit einem Körper romantischer der jetzigen Stimmung entsprechenden Sage umkleidet wurden. Nun war aber die dichterische Kraft dieser Lettischen Barden eine einseitige und beschränkte; eine ungeregelte Phantasie und eine gewisse Stumpfheit des Gefühls leitete sie dahin, ihre Gebilde in eine sinnlose Mystik einzuhüllen oder in eine Märchenwelt zu verwandeln, die durch ihre Ungeheuerlichkeiten und Übertreibungen anziehen sollte, in der Regel aber das Zartgefühl aufs Tiefste verletzte; das Abenteuer schließt in der Regel damit ab, dass der Held den Gatten oder Vater seiner Geliebten erschlägt und sich dann mit ihr verbindet.


Dass aber unter den von ihnen gefeierten Helden Artus von Cornwallis Mittelpunkt aller Herrlichkeit wurde, hatte seinen natürlichen Grund darin, dass die Briten in Cornwallis, die Kerne, sowie sie der Bretagne am nächsten wohnten, so auch an der Auswanderung dorthin vornehmlich teilgenommen hatten, und überdies unter der Bevölkerung der von ihnen besetzten Landschaft Cornouaille die dichterische Tätigkeit am größten war. Auch die Person des Artus verwandelte sich hier bald in einen menschlichen Helden, dem riesenhafte Taten angedichtet werden, bald in ein symbolisch mystisches Geschöpf, dem man namentlich Unsterblichkeit und Wiederkunft zur Herstellung eines goldenen Zeitalters beilegte.

Diese Schöpfungen der Bretagnischen Barden kehrten nun im 11. Jahrhundert in einer günstigen Zeit in die Britische Heimat zurück, um dort eine neue Umbildung zu erfahren. Hier hatte damals der Untergang des Reiches der Angelsachsen die schlimmsten Feinde derselben, die Briten, mit neuen nationalen Hoffnungen erfüllt. Waren gleich auch sie auf die Halbinsel Wales zurückgetrieben worden und sahen sie sich hier durch die Eroberer Englands, die Französischen Normannen, hart bedrängt, so wurden sie doch gerade damals von tapferen Häuptlingen geleitet, welche ihren Bedrängern gegenüber eine Zeit lang ihre Selbstständigkeit so tapfer verteidigten, dass die Feinde, selbst als sie allmählich in Wales festen Fuß zu gewinnen ansingen, mehr durch friedliche Mittel, namentlich Verschwägerungen, Kolonisationen und durch die Achtung, die sie den Traditionen und Vorurteilen der Walliser zollten, als durch gewaltsame Mittel ihre Herrschaft zu befestigen suchten.

In dieser Zeit, um das Jahr 1077, kehrte der Wallisische Häuptling, Rhys af Tewdor, nach langer Abwesenheit in der Bretagne in seine Heimat die Grafschaft Glamorgan im südlichen Wales zurück, und während er als mutiger Vorkämpfer sich das Vertrauen der Walliser erwarb, wusste er seine Landsleute durch die Hinweisung auf die Bretagnische Tradition namentlich auf Artus Taten, Unsterblichkeit und Wiederkehr, mit patriotischem Eifer zu beleben. Durch die von ihm eingeführten Nationalfeste und Bardenversammlungen wurde jene erdichtete Vorzeit nicht nur in Liedern und Märchen der Nation nahe gebracht, sondern auch, indem man die Taten Artus an bestimmte Örtlichkeiten und zwar in Wales fixierte und Gesetze und Einrichtungen auf seinen Namen zurückführte, im Volksglauben als bare Wirklichkeit aufgenommen.

Die Begeisterung, die dadurch für die alten Helden wachgerufen wurde, ging aber unmittelbar von den Wallisern auf ihre Feinde, die Normannischen Barone über. Diese Ritterschaft, welche zwar mit ihren deutschen Standesgenossen Mut und abenteuernde Kampflust teilte und mit schroffer Pedanterie an den Formen und Sitten des Ritterwesens festhielt, dagegen es aber an einer tieferen religiösen Wärme und einer sittlichen Auffassung des Gefühls der Treue, wie dasselbe innerhalb der Deutsch-Burgundischen Kreise herrschte, gar sehr fehlen ließ, fand besonderes Gefallen an den rohen Abenteuerlichkeiten, die in den Britischen Sagen ihnen entgegen traten, indem sie gerade in ihnen die Ideale ihrer chevaleresken Neigungen verwirklicht sah. Als der obengenannte Rhys af Tewdor 1091 im Kampf gegen einen seiner Vasallen getötet ward, gelangte sein Land Glamorgan in den Besitz des Normannen Robert Fitz-Hammon, der sich mit der Tochter des Rhys vermählte; dem Sohne Roberts, Robert von Caen, Grafen von Glocester widmete der Priester, Gottfried von Monmouth, eine Britische Chronik, in welcher diesem Bedürfnis der Zeit volle Rechnung getragen wurde. In welche gewaltige Erscheinung ist da der winzige Britenhäupling umgestaltet! Nicht genug, dass er die Angelsachsen aus Britannien vertreibt, er macht den ganzen Norden Europas bis über Norwegen hinaus, sowie Gallien im Süden sich untertan, zieht dann dem Lucius Tiberius in Rom, der von fast der ganzen Asiatischen und Afrikanischen Welt unterstützt ihm Krieg ankündigt, mit 183.200 Rittern, das Fußvolk ungerechnet, entgegen und besiegt ihn. Mehr jedoch denn als Eroberer glänzt er als Ritter in einer nie erhörten Tapferkeit, Freigebigkeit und Schönheit. Mit seinem Schwerte Caliburnus, mit der Lanze Rou und dem Schilde Priven erschlägt er in einer Schlacht 470 Feinde und besteht im Zweikampfe die gewaltigsten Helden und Riesen. Alle Ritter der Erde wappnen und kleiden sich nach seiner Weise, zu einem Pfingstfeste beruft er alle Großen des Reiches zu einer Versammlung nach der Legionenstadt in Glamorgantia in Wales, einer reizenden Gegend mit Büschen, Hainen, Wiesen und Hügeln. Große Paläste und zwei Kirchen werden hier aufgeschlagen; eine Schule von 200 Philosophen ist dahin berufen, die die Sterne beobachten und Artus Zukunft weissagen sollen; in Gegenwart von 40 Fürsten der Erde wird hier Artus vom Erzbischofe Dubricius zum Herrn der eroberten Reiche gekrönt. Schließlich wird noch eine Mordschlacht beim Flusse Cambula beschrieben, welche Artus dem Buhlen seines ungetreuen Weibes, dem Modred, liefert, in welcher auf beiden Seiten fast alle Helden fallen und auch Artus tödlich verwundet wird, wobei der Chronikant sich als Feind der Walliser darin zu erkennen gibt, dass er ihrem unerschütterlichen Glauben an Artus Unsterblichkeit zum Trotze den Verwundeten auf der Insel Avallon im Jahre 542 sterben lässt.

Mit besonderer Vorliebe in England aufgenommen und sehr bald in zahlreichen Übersetzungen den benachbarten Ländern zugeführt, lieferte diese Chronik in Verbindung mit den wahrscheinlich ebendamals in Wales gedichteten Artusmärchen oder Mabinogions den Rittersängern die Stoffe zu jenen zahllosen Epopöen, in denen auf dem durch seine Fremdartigkeit anziehenden Grunde Britische Sitte und Tradition und unter der Hülle fremdklingender ungeheuerlicher Namen das Rittertum, wie es sich damals in der Englisch-Französischen Welt entfaltet hatte, in seiner weltlichen Seite, namentlich in seinem Minnedienste gefeiert wurde. Dem Artus, und als dieser Stoff zu sehr ausgebeutet war, den Helden seiner Umgebung wurde in den Gesängen und Romanen des gesamten Abendlandes während der nächsten Jahrhunderte eine Verherrlichung zu Teil, vor welcher selbst die einheimischen Helden der Nationalsage eine Zeit lang in den Hintergrund traten.

II.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber den Ursprung der Preußischen Artushöfe
König Artus am runden Tisch in der Großen Halle von Winchester Castle. Aufnahme des 1522 bemalten runden Tisches, der die Tafelrunde des legendären König Artus darstellt. Bild: Martin Kraft. Lizenz: CCBY-SA3.0 via Wikimedia Commons

König Artus am runden Tisch in der Großen Halle von Winchester Castle. Aufnahme des 1522 bemalten runden Tisches, der die Tafelrunde des legendären König Artus darstellt. Bild: Martin Kraft. Lizenz: CCBY-SA3.0 via Wikimedia Commons

alle Kapitel sehen