Von dem Einfluss der Reformation Luthers auf die Religion, oder Untersuchung zweier Fragen, deren Auflösung die Natur dieses Einflusses bestimmt

Die wahre Religion gibt uns unsere Verhältnisse zu Gott und dem Nächsten zu erkennen; sie umfasst alle unsere Pflichten; sie ist also die Religion des Menschengeschlechtes, also notwendig katholisch.
Daher Jesus, geboren in Mitte des jüdischen Volkes die geheiligten Aussprüche, in deren Besitz dieses Volk zu sein behauptete, auf seine Person bezog; denn von ihm hatten die Propheten geweissagt.
Zufolge dieser Propheten, steigt er herab in den Kreis der Menschen, um die Finsternisse zu zerstreuen, sie zu geleiten auf der Bahn des Friedens. Er selbst nennt sich den Weg, die Wahrheit und das Leben. Jesus betrachtete sich als den Mittelpunkt, in dem sich alles vereinigen sollte.

Moses, der nicht einen Haufen halsstarriger Sklaven aus Ägypten geführt, sondern die Abkömmlinge Jakobs, die im Lande Gossen einen abgesonderten, von dem damaligen tyrannischen Thronbesitzer unterdrückten Volksstamm, bildeten; Moses hatte nur deshalb diese Israeliten aus der Sklaverei gerettet, um die hehren Überlieferungen, die zum Teil die Religion Adams, Noes, Sems, Abrahams und Jakobs ausmachten, zu bewahren, und diese Übergaben zu befestigen mit gottesdienstlichen und geheimnisvollen Geboten, als eben so vielen Bollwerken, welche diese gottentstammte Hinterlage gegen die Andränge der heidnischen Nationen beschirmen sollten.


Jesus sagt, er komme, das Gesetz des hebräischen Gesetzgebers zu erfüllen; er nimmt in seine Religion ihre Überlieferungen und Prophezeiungen auf. Also ist seine Religion, weit entfernt mit der Mosaischen im Gegensatze zu sein, annoch die Religion des Moses, der Patriarchen und Propheten. Sie ist also der Zeit nach katholisch.

Sie war die Religion der Urwelt, und in dem Christentum ist sie zu ihrer ganzen Entwickelung gediehen; darin ward sie zur Vollkommenheit gesteigert nach den Ratschlüssen Gottes und den Bedürfnissen der Gesellschaft: denn das Christentum sollte dem Heiden wie dem Juden verkündet werden. Ja es konnte sein Dasein auf Erden nur durch die Gesellschaft oder Kirche, die dasselbe annehmen und bekennen sollte, behaupten. Seine Allgemeinheit konnte also keine andere sein als die Allgemeinheit der Kirche selbst.

Allein sollte dieses Christentum dereinst eine überladene, den Geist erstickende Form erhalten. Sollte es zur Zeit Luthers nichts anders mehr gewesen sein als ein ungestalter Körper, ein verfälschtes Evangelium, ein religiöser Aberglauben? Sollte es in seinem Wesen verfälscht worden sein durch eine allmähliche Umwandlung zum römischen Katholizismus?

Meines Erachtens ist der römische Katholik ganz berechtigt, von Luther die Angabe der Ursachen zu fordern, warum er den Katholizismus von dem Christianismus, der ersten kirchlichen Jahrhunderte unterschied.
Ihn zu fragen, ob der Katholizismus seinen wohltätigen Einfluss auf das öffentliche Wohl und die Vervollkommnung des Menschengeschlechtes verloren habe?
Er ist berechtigt, sogar zu zweifeln, ob irgend eine Reform der in die römische Kirche eingeschlichenen Missbräuche das Werk der sogenannten Reformatoren gewesen sei, oder sein konnte?

Ist die Verneinung dieser Sätze einmal festgestellt, welcher starke Verdacht dränget sich dann auf gegen die Notwendigkeit und den Nutzen der Reformation Luthers, gegen ihren wohltätigen Einfluss auf die religiöse Bildung der Völker, und selbst, durch eine ganz natürliche Schlussfolge, auf die politischen Verhältnisse der Staaten Europas, wo sie Aufnahme gefunden, und auf die Fortschritte der Aufklärung.

Die Beleuchtung dieses Einflusses auf das Dogma verschmilzt also mit der Beantwortung der zwei nachstehenden Fragen.
War es, zur Zeit Luthers, notwendig und nützlich, den Katholizismus zu läutern? *)
Ward er geläutert und konnte er es werden durch die sogenannten Reformatoren?

*) Der Verfasser hat hier unter Katholizismus die Wesenheit der Lehre, der Heilsmittel und Kircheneinrichtung verstanden, worin keine Veränderung vorgegangen war; die Nebenverzierungen, welche hier und da durch die Zeit angebracht worden, blieben immer Nebenverzierungen, und die Missbildungen, die dort und da eine ungeschickte oder frevelnde Hand dem schönen Ganzen anhängte, wurden immer als Missbildungen angesehen, herabgerissen, weggeworfen, und die Urschöne der Kirche Jesu strahlte immer hervor. Und das ist es eben, was die Göttlichkeit der von Jesu gestifteten Kirche so sehr von allen andern religiösen Gesellschaften auszeichnet, dass die menschlichen Anhängsel und Einschiebsel ihr immer fremdartig bleiben, und so leicht ausgeschieden werden. (Die Übersetzer)