Preußen

Die Allerhöchste Kabinettsorder vom 29sten April 1824 bestimmt:

dass in Ansehung der jüdischen Bewohner derjenigen Provinzen und Landesteile, woselbst das Edikt vom 11ten März 1812 über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden nicht in Kraft besteht, vollständige Materialien, aus welchen die gegenwärtigen Rechtsverhältnisse dieser jüdischen Untertanen, ihr bürgerlicher und sittlicher Zustand und ihr Einfluss auf die Moralität und Gewerbsamkeit ihrer christlichen Mitbürger beurteilt werden können, den. Provinzial-Ständen mit dem Anheimgeben vorgelegt werden sollen, in Beratung zu ziehen, und sich darüber zu erklären: ob und was für Vorschläge und Wünsche sie etwa in Rücksicht der jetzt bestehen, den Gesetzgebung über die bürgerlichen und Rechtsverhältnisse der Juden der Provinz anzubringen haben möchten.


Zu diesem Zwecke wurde dem Provinzial-Landtage von dem königlichen Commissarius ein umständliches Promemoria über diesen Gegenstand mit dem Bemerken vorgelegt, dass das Edikt vom 11ten März 1812 seinem ganzen Umfange nach in den hiesigen Provinzen gelte, nur in Danzig und dem Danziger Stadtgebiet, so wie in den zum ehemaligen Herzogtum Warschau gehörig gewesenen Landesteilen, nämlich den Culm- und Michelauer-Kreisen und der Stadt Thorn, noch nicht in Ausführung gekommen sei. Die Provinzial-Stände waren der Meinung: dass die besondern Verhältnisse von Danzig, Thorn, in den Culmer- und Michelauer-Kreisen eine ganz besondere Berücksichtigung verdienten, weil die in den angeführten Landesteilen jetzt vorhandenen Juden keinesweges allein diejenigen wären, welche in den verschiedenen gesetzlichen Verordnungen als solche bezeichnet würden, die in diesen Landesteilen bei der Reoccupation vorgefunden und von den alten Provinzen, woselbst das Gesetz vom 11ten März 1812 eingeführt sei, jetzt abgesondert und ausgeschlossen werden sollten; sie trugen daher darauf an: zwei besondere Kommissionen zu ernennen und denselben Mitglieder aus den Kreisständen beizuordnen, von denen die eine in der Stadt Danzig und die andere in Thorn, dem Michelauer und Culmer Kreise, eine ganz genaue Aufnahme aller daselbst vorhandenen Juden zu veranstalten und dabei auszumitteln haben würde, ob diese wirklich in diesem Landesteile geboren und früher wohnhaft gewesen, oder wann und unter welchen Umständen sie die ersten Gewerbescheine oder Schutzpapiere erhalten hätten.

Diesen Kommissionen würde demnächst die Untersuchung zu übertragen sein, inwiefern auf die Juden aus denjenigen Vorstädten Danzigs, welche nicht abgebrannt sind, oder deren Wiederherstellung der Fortifikation wegen lein Hindernis entgegen stehe, gleiche Rücksichten mit denen in Vorstädten, welche abgebrannt sind, zu nehmen wären. Die Provinzial-Stände glaubten diese Anträge im Allgemeinen dahin ausdehnen zu dürfen: eine gleiche Maßregel wegen Ausmittelung und Wegschaffung der im Königreich Preußen nicht gebornen Juden, auch in den andern Teilen Preußens, in welchen das Gesetz vom 11ten März 1812 gilt, ein- und durchzuführen, in der festen Überzeugung, dass auch in den andern Landesteilen viele Juden sich aufhalten, die zum Aufenthalt daselbst keine Berechtigung hätten.

Das Resultat der Arbeiten dieser Kommissionen würde abzuwarten sein, bevor beurteilt werden könne, welche Remedur noch vorzuschlagen wäre, und welche Mittel angewendet weiden müssen, einer so höchst nachteiligen Überfüllung einzelner Orte mit Juden abzuhelfen. Aber auch schon jetzt glaubten die Provinzial-Stände nicht unbemerkt lassen zu dürfen, dass, wenn eine gesetzliche Bestimmung wegen des Verhältnisses der Juden in Danzig, Thorn, den Culm- und Michelauschen Kreisen erlassen werden sollte, dabei bezüglich auf das hier noch nicht eingeführte Gesetz vom 11ten März 1812 Folgendes zu berücksichtigen sein dürfte:

Zum §. 1. des Gesetzes. Die Erfahrung in der Provinz Preußen habe gelehrt, dass der Zweck des Gesetzes (die Juden zum verhältnismäßigen Beitritt der verschiedenen Klassen der Gesellschaft zu bewegen) durchaus nicht erreicht sei). Von einer sittlichen Ausbildung der Juden in Polen sei nichts zu hoffen, und die alljährlichen persönlichen Zusammenkünfte und die Abhängigkeit der hiesigen Juden von den polnischen, in Rücksicht der Handelsvorteile, werde Aufklärung und sittliche Verbesserung der Juden in den hiesigen Provinzen viel länger zurückhalten, als da, wo der Jude seine Verbindungen unter aufgeklärten Christen sucht und findet. Der Handel von Polen sei fast ausschließlich in den Händen der polnischen Juden und würde es auch noch länger bleiben; der polnische Jude aber reiche dem preußischen die erste Hand, und so lange der preußische Jude seine Existenz auf den Handelsverkehr mit seinen polnischen Glaubensgenossen mit Sicherheit gründen könne, werde er nur handeln und schachern, nie aber in die arbeitenden und gewerblichen Klassen des allgemeinen gesellschaftlichen Verbandes eingehen.

Um diesen Missstand zu heben, dürfte es nur das einzige Mittel geben, nämlich von jetzt ab keinem Juden die Befugnis zum Handeln zu erteilen, als bis aus der Gesamtzahl ihrer Glaubensgenossen so viel Individuen in die anderweitigen Gewerbe, Dienste und Klassen der Arbeitsleute übergegangen sein würden, dass ungefähr das gleiche Verhältnis dieser Klassen gegen die handelnden bei den Juden eingetreten sein werde, als es unter den übrigen Glaubensgenossen in der Nation besteht, in der sie aufgenommen werden sollen. Außer diesem Vorschlage wurde von der einfachen Pluralität der Provinzial-Stände angetragen: keinem Juden zu erlauben, christliche Hausdienstboten zu halten, bis es erweislich sei, dass eine verhältnismäßige Zahl jüdischer Hausdienstleute im Lohn von christlichen Haushaltungen sich befinde.

Zum §. 10. wurde vorgeschlagen, den Juden den Aufenthalt auf dem platten Lande nur alsdann zu gestatten, wenn sie daselbst als Eigentümer oder Pächter wirklich Ackerbau oder ein nützliches Handwerk betreiben, oder daselbst dienen; jede Art von Handel, Schacher, Trödel, Schank- Krugwirtschaft, Hökerei oder ähnliches Gewerbe, den Juden auf dem Lande aber durchaus zu untersagen.

Zum §. 15. wurde die traurige Erfahrung bemerklich gemacht, dass in mehreren preußischen Städten die Juden in einigen Quartieren sich in der Art anhäufen, und daraus die Christen so sehr verdrängen, dass während wegen Mangels an Unterhaltungsmitteln die christlichen Kirchen ihrem Untergange entgegengingen, die Synagogen der Juden sich mehrten und vervielfältigten.

Zum §. 16. In Betreff der Militär-Verhältnisse der Juden waren die Ansichten der Provinzial-Stände sehr geteilt, und nur die einfache Mehrheit dafür, dass die Juden militärpflichtig blieben, und es gesetzlich festgestellt werden müsse: dass das Verhältnis der Juden zu den Christen im Militär dasselbe sein möge, als das Verhältnis der Seelenzahl der Juden zu den Christen, und zwar nicht sowohl in einzelnen Teilen oder Provinzen, als in dem ganzen Königreich Preußen.

Die Minderzahl der Abgeordneten hielt die Juden in der Allgemeinheit für gänzlich untauglich zum Militärdienst, und daher die bis jetzt im Michelauer Kreise bestehende Gewohnheit: die Militärpflichtigkeit der Juden gegen eine Geldabgabe zu erlassen, mit der Maßgabe für zweckmäßig, dass dieses Geld zu Belohnungen für christliche Handwerker, welche jüdische Lehrlinge zu tüchtigen Gesellen auszubilden sich verpflichten, verwendet werden möge.

Zum §. 17. wurde in den frühen Ehen der Juden ein vorzüglicher Grund der starken Vermehrung derselben und ihrer großenteils schwächlichen, zum Militärdienst untauglichen, Konstitution gefunden, und deshalb angetragen, dass durch ein allgemeines Gesetz die Juden den allgemeinen Landesgesetzen in Rücksicht des zur Schließung eines ehelichen Bündnisses den Christen gesetzmäßig vorgeschriebenen Lebensalters unterworfen werden mögen.

Zum §.31 und 34. hielten die Provinzial-Stände für dringend notwendig, das Einwandern fremder Juden und Jüdinnen, mit Einschluss derjenigen, die dem Großherzogtum Posen zugehören, in diesen Landesteilen und überhaupt in das Königreich Preußen, mit wohlverstandener Ausnahme aller derjenigen, welche zur Betreibung von Handelsgeschäften auf Wochen oder Monate hier sich einfinden, unter allen Umständen und ohne irgend eine Ausnahme zu verbieten, und äußerten den Wunsch, dass: Zum §. 37. die wegen des Hausierens der Juden bestehenden Verbote geschärft und die Behörden für die genaueste Beobachtung dieser Vorschriften verantwortlich gemacht werden möchten.