Wechsel des Lehrerpersonals und die Folgen

In dieser Richtung bildete sich sein Leben bis zum Ende der Schulzeit immer entschiedener und erfreulicher aus. Dagegen trat um das Jahr 1808 im Lehrerpersonal ein Wechsel ein, welcher bei der bereits gewonnenen Selbständigkeit seines Strebens zwar seine innere Entwicklung nicht wesentlich hemmte und benachteiligte, aber doch die bisherige Freudigkeit seines Schullebens einigermaßen trübte und störte. Sein innigst geliebter und hochverehrter Visbeck wurde als Präpositus nach Stargard versetzt, an dieselbe Stelle, welche später K. Müller versah, und zum Direktor des neu erbauten, stattliche Gymnasium Carolinum der Professor und Schulrat Ph. Siefert eingesetzt. Dieser hatte seine Laufbahn als öffentlicher Lehrer unter Niemeyers Leitung am Pädagogium zu Halle begonnen, war dann als Rektor an die Domschule zu Ratzeburg und von dort wieder an das Gymnasium zu Königsberg in der Neumark berufen worden, von wo er um so lieber nach Neustrelitz übersiedelte, da dies zugleich der Wohnort seines Schwiegervaters, des einflussreichen und würdigen Konsistorialrats Zander war. Einen literarischen Ruf hatte er sich vorzüglich durch ein damals auf Schulen viel gebrauchtes französisches Lesebuch erworben. Er war ein tüchtiger Philologe und fertiger Schulmann nach Niemeyerschem Zuschnitt, dabei ein umsichtiger Direktor, welcher zugleich nach außen hin das Gymnasium mit all dem Werk und Schmuck zu umgeben verstand, womit, freilich in viel größerem Maße, das Hallesche Pädagogium geziert war. Ungern hatte man ihn von Königsberg scheiden sehen; mehrere Söhne adeliger Eltern folgten ihm daher als Schüler und Pensionäre an den neuen Ort seines Wirkens.

Diesem an ein vornehmes Wesen gewöhnten, auf feinen Ton bedachten und streng auf konventionelle Formen haltenden Manne fiel freilich Theodor Müller nach seiner äußern Erscheinung, welche gegen die der reichen jungen Leute in seiner Pension sehr abstach, Anfangs eben nicht angenehm auf; doch erkannte der Lehrer bald die Genialität des Schülers und war ihm durch seine in philologischen Fächern ausgezeichnete Bibliothek behilflich, die letzte Zeit seines Aufenthaltes in Neustrelitz zur Bereicherung seiner Kenntnisse zu nützen. Dies erkannte denn auch Theodor dankbar an; mit dem Unterricht und der Disziplin des neuen Professors und Direktors aber konnte er sich nicht befreunden. Waren die philologischen Vorstudien unter Visbeck weniger auf Grammatik gegründet als auf Sacherklärung und auf genaue, geschmackvolle, rasche und gewandte Verdeutschung der Klassiker bei beständigem, den Schönheitssinn belebendem und verfeinerndem Hinweis auf innere und äußere Form: so trat unter Sieferts Leitung dem Schüler eine vom Nimbus der Hochschule umstrahlte, methodisch geordnete und ausgerundete Behandlung des klassischen Altertums, wie sie damals das weithin berühmte Niemeyersche Pädagogium zur Schau trug, ebenso steif als anspruchsvoll entgegen, und des weiteren — von allen in den Bereich der Schule hineingezogenen Wissenschaften ein blankes Etwas, ein leicht von der Oberfläche geschöpfter Schaum. Ein mit literarisch-kommentatorischer Fülle der Gelehrtheit ausgestatteter Kathedervortrag, mit holperigen Disputier-Übungen untermischt, trat in feierlicher Weise an die Stelle der einfach lebendigen Magister-Unterhaltung, welche Visbeck als Präses des gemeinschaftlichen Schultisches mit seinen Schülern gepflogen hatte, in der Hand den Studierstubenschlüssel zum ordnenden und zähmenden Aufklopfen, wenn das Entzücken der Begeisterung, in welches er bis zu einem gewissen Punkte selber von Herzen einstimmte, überlaut zu werden anfing, jetzt musste Alles, was erlernt sein sollte, zugleich in zierlich geschriebenen und rein gehaltenen Heften und dann in öffentlichen Schauprüfungen zu Tage treten, welche Anfangs die ganze Residenz in Staunen und Bewunderung versetzten.


Dies Alles wollte, wie gesagt, unserm Theodor, welcher allem hohlen und prunkenden Form- und Scheinwesen in innerster Seele abhold und überdies leider nicht mehr so leicht an Ordnung und Reinlichkeit zu gewöhnen war, durchaus nicht zusagen, und er suchte fortan nur um so eifriger durch Privatstudium in die Tiefen menschlicher Erkenntnis einzudringen. Auch regte sich in dem nunmehr achtzehnjährigen Jüngling immer lebhafter das Verlangen nach dem freiern Universitätsstudium, zu welchem er bereits reifer war als irgend einer seiner Schulgenossen. Aber der arme Vater konnte ihm, zumal in jenen bösen, das Mark des Landes aussaugenden Zeiten der Napoleonischen Ohmacht und Willkürherrschaft, zu einem solchen Unternehmen bei weitem nicht die nötigen Geldmittel darbieten, und dem blöden und schüchternen Weisheitsjünger wollten sich die Schatzkammern der Reichen nicht so rasch und reichlich öffnen, wie jenem Strelitzer Barbiergesellen, welcher dreist und keck mit einem nicht allzusicher verbürgten Lehrerzeugnis ausgerüstet, unter dem Vorgeben, der edeln ars medica „seine Naturkräfte widmen zu wollen“, bei den gutmütigen Guts- und Pachtherren seines Heimatlandes herumlief und auf Vier, fünf Universitätsjahre die schöne Summe von je 500 Thalern unterzeichnet erhielt, die er denn auch ohne Zittern anzulegen wusste, um von der edlen ars nichts Weiteres heimzubringen als unverzagtes Zahnabbrechen sowie überreichliches Schröpfen und Aderlassen.